Protokoll der Sitzung vom 12.04.2006

Herr Voet van Vormizeele, es verschlägt einem die Sprache, wenn Sie hier sagen, Volksentscheide und Volksbegehren sollten keine Spielwiese für Lobbyisten sein. Ungefähr drei Viertel der hamburgischen Wählerinnen und Wähler haben dafür gestimmt, dass der LBK in öffentlicher Hand bleiben soll und das ist nun eine kleine Lobbyistengruppe. Eigentlich dachte ich, Sie würden sich mit Lobbyisten ziemlich gut auskennen. Bei Herrn Uldall sitzen sie doch immer auf dem Schoß, ich nenne nur mal das Beispiel Vattenfall. Und Sie sagen, das sei eine Spielwiese für Lobbyisten; das ist doch Quatsch, was Sie hier erzählen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Oder beim Wahlrecht. Sind denn die Wählerinnen und Wähler, die dieses neue Wahlrecht gegen Ihren Willen verabschiedet haben, auf einmal Lobbyisten? Oder sind die hamburgischen Eltern, die für das neue Kita-Gesetz im Volksbegehren gesorgt haben, jetzt auf einmal eine kleine Pressuregroup und Lobbyisten? Welches Verständnis von Demokratie haben Sie eigentlich, Herr Voet van Vormizeele? Das müssen Sie sich an dieser Stelle wirklich fragen lassen.

(Beifall bei der GAL und der SPD – Michael Neumann SPD: Gar keins!)

Auch amüsant war dieser Tenor in den Reden der CDU, das sei alles gar nicht so schlimm. Sie tun damit nichts anderes, als einen Verfassungsbruch, einen elementaren Verstoß gegen die Spielregeln der Demokratie klein zu reden und das ist wirklich bedenklich, das sollten Sie schlicht nicht tun.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Richtig an Veräppelung grenzt es dann, wenn Herr Jäger sagt, wir haben nur versucht, mit diesem Verbot der Volksentscheide an Wahltagen die Wahlhelfer vor dem Zählen zu schützen. Für wie blöd halten Sie eigentlich dieses Parlament, wenn Sie so etwas behaupten, und für wie blöd halten Sie eigentlich das Volk? Es ging Ihnen

schlicht darum, das Volk von den Urnen fernzuhalten und dass Ihnen niemand beim Regieren hineinredet. Das ist die schlichte Wahrheit und deswegen verkaufen Sie uns bitte hier nicht für dumm.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Eine kleine Geschichte noch am Rande, weil ich sie wirklich amüsant fand, war der Hinweis von Herrn Jäger, dass es auch von Rotgrün Bundesgesetze gegeben habe, die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt wurden. Sie haben das Tierschutzgesetz aufgezählt, wahrscheinlich meinten Sie die Legehennenverordnung. Kurz vor Ostern muss ich den Hintergrund dieser Geschichte, die Sie angebracht haben, einfach mal loswerden.

(Bernd Reinert CDU: Ostern hat was mit Hasen zu tun, nicht mit Hennen!)

Schweinerei darf ich ja nicht sagen, deshalb sage ich, dieses Argument ist eine Hühnerei, denn das Tierschutzgesetz wurde in der Folge des Bundesverfassungsgerichtsurteils dahingehend geändert, dass Hühner nicht mehr in Käfigen gehalten werden dürfen, weil das Tierquälerei ist. Das wurde von Renate Künast eingebracht und mit Rotgrün so verabschiedet. Was dieser Hamburger Senat am letzten Freitag gemacht hat, war, die Käfighaltung wieder einzuführen, leider auch mit Zustimmung der SPD im Bundesrat.

(Bernd Reinert CDU: Was hat das mit dem Thema zu tun?)

Und jetzt reden Sie hier davon, wir hätten Verfassungsbruch beim Tierschutz betrieben. Da lachen nicht nur wir, da lachen wirklich auch die Hühner.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Dann kommen wir zum zweiten, von der GAL-Fraktion angemeldeten Thema:

Metropole Hamburg – wachsende Spaltung

Wer möchte das Wort? Herr Lieven.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Metropole Hamburg – gespaltene Stadt. Es wächst die Zahl der Millionäre, es wächst das Bruttoinlandsprodukt, es wächst der Luxus am Neuen Wall und gleichzeitig wächst die Einkommensarmut, wächst die Zahl der Schulabbrecher und in vielen Stadtteilen

(Barbara Ahrons CDU: Wachsen die Arbeits- plätze!)

wächst die Hoffnungslosigkeit. Es wächst die soziale Spaltung der Stadt.

Als der Bürgermeister zur Halbzeitbilanz gefragt wurde, ob denn vielleicht auch etwas nicht so gut gelaufen sei in den letzten zwei Jahren, erklärte er, es gäbe Viertel in der Stadt, die vom Kippen bedroht seien und das mache ihm Sorgen, da müsse etwas getan werden, und zwar schnell. Herr Bürgermeister, dass diese Viertel vom Kippen bedroht sind, geht in vielen Bereichen auf das Konto Ihrer Politik.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Sie haben die Mittel im Sozialbereich zusammengestrichen, Sie haben es versäumt, rechtzeitig ein Integrationskonzept vorzulegen, Sie haben die Arbeitsmarktförderung ausgeschlachtet und nun lassen Sie auch die SAGA-Mieter für die Hälfte der Zukunftsinvestitionen der Stadt bezahlen. Nun kommen Sie und erklären, wir brauchen ein Gesamtkonzept für schwierige Stadtteile, da haben wir noch Nachholbedarf; O-Ton Herr von Beust am 22. Februar dieses Jahres. Und weiter: Es gäbe drei bis fünf Gebiete in der Stadt, die abzurutschen drohten, aber Sie sagen uns nicht welche. Warum sind Sie so ungenau, drei bis fünf Gebiete? Vielleicht sind es auch sieben oder, wie das "Hamburger Abendblatt" vermutete, zehn Gebiete.

(Rolf Harlinghausen CDU: Sie wissen es doch sel- ber ganz genau!)

Warum wissen Sie es eigentlich nicht so genau oder anders gefragt: Wollen Sie es vielleicht nicht genauer wissen?

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wir hören regelmäßig, man wolle diese Stadtteile nicht stigmatisieren. Ich verstehe Ihre Ängstlichkeit nicht. Haben Sie Angst vor der Realität oder haben Sie Angst vor deren Beschreibungen? Sie fangen an mit den Stadtteilen, deren Namen nicht genannt werden dürfen. Sie verbessern nichts an der Lebenssituation in diesen Stadtteilen, wenn Sie ihren Namen nicht nennen.

(Beifall bei Manuel Sarrazin GAL – Barbara Ahrons CDU: Das haben Sie uns hinterlassen!)

Das Einzige, was Sie verbergen, ist die Wahrheit, sind die tatsächlichen Zustände. Den Menschen, die Sie vor dieser Stigmatisierung angeblich schützen wollen, nützen Sie damit nichts. Das ist ein verlogenes Scheinargument, das Gegenteil ist richtig. Es schadet den Menschen in diesen Vierteln, wenn nicht offen über die Situation in den benachteiligten Stadtteilen gesprochen wird und wenn keine Klarheit darüber herrscht, wo soziale Brennpunkte in Hamburg sind, denn nur, wenn wir das wissen, wenn wir Klarheit darüber haben, dann können wir die Kraft entfalten, dann kann diese Stadt sich am Riemen reißen und die Situation in diesen Vierteln ändern.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wenn Sie Fachleute dazu befragen, dann sagen die, wir brauchen dringend qualifizierte Informationen, wir brauchen einen Sozialstrukturatlas. Die Stadtteilprofile, auf die immer rekurriert wird, reichen dazu nicht aus. Aber es gibt kein soziales Stadtmonitoring in Hamburg, es gibt aber ein Monitoring Wachsende Stadt. Der einzige methodische Pfiff, den sich der Senat hat einfallen lassen, ist der "HAX". Das kennen Sie vielleicht nicht, ich erkläre es Ihnen kurz: Das ist der Hamburg-Attraktivitäts-Index. Der misst so Sachen wie die Anzahl der Flugdirektverbindungen von und nach Hamburg, die Anzahl der Kreuzfahrtschiffe, die in der Stadt anlegen, die Zahl der Opern- und Theaterpremieren, die die Stadt erleben darf; da schauen Sie genau hin. Wenn Sie sich aber das Monitoring Wachsende Stadt anschauen, welche Indikatoren und Kriterien Sie da haben, dann sehen Sie, dass Sie die hamburgische Attraktivität zwar sehr genau messen können, aber auf dem sozialen Auge blind sind; so viel zum Gesamtkonzept.

(Beifall bei der GAL und der SPD und Zurufe von der CDU)

Wir hören regelmäßig, dass der Senat 39 Millionen Euro für die benachteiligten Stadtteile zur Verfügung stelle. Das ist richtig – im Laufe von vier Jahren für alle hamburgischen Stadtteile, aber das ist mitnichten eine Steigerung der Mittel. De facto haben Sie den Titel "Soziale Stadtteilentwicklung" im laufenden Haushalt um 25 Prozent, um ein Viertel, abgesenkt. Die Mittel wurden heruntergefahren, die soziale Stadtteilentwicklung wurde ausgeschlachtet; das ist die Realität.

Meine Damen und Herren! Meine Redezeit geht zu Ende.

(Lars Dietrich CDU: Gott sei Dank!)

Herr Bürgermeister, reden Sie nicht nur davon, die soziale Spaltung der Stadt bekämpfen zu wollen, tun Sie etwas dafür, handeln Sie. Dann haben wir die Chance, diesen Stadtteilen wirklich zu helfen. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Schira.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Lieven, wenn man Sie so reden hört, dann kann man sich zumindest die Frage stellen, wer hier eigentlich in der Stadt spaltet. Ich finde, das sind Sie.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben eben mal wieder all Ihre Vorurteile abgeladen.

(Christian Maaß GAL: So redet einer aus den Walddörfern!)

Seit 2001 erzählt die Oppositionsfraktion, dass der Senat eine unsoziale Politik betreibe. Das hat Ihnen bisher kein Mensch geglaubt und das wird Ihnen auch in Zukunft kein Mensch glauben.

(Beifall bei der CDU)

Wir sollten uns den Tatsachen zuwenden. Richtig ist – ich darf die letzte rotgrüne Bundesregierung zitieren –, dass in der Tat die sozialen Unterschiede weiter verschärft worden sind. Das geht aus einem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hervor,

(Jörg Lühmann GAL: Den Sie verweigern!)

den die SPD-Sozialministerin Ulla Schmidt im März vorgestellt hat. Da sagt sie, dass sich der Anteil derjenigen, der mit einem Einkommen unterhalb der von der EU definierten Armutsgrenze auskommen müsse, seit 1998 von 12,1 Prozent auf 13,5 Prozent erhöht habe. Und bei der Vermögensverteilung, so der Bericht, ist eine zunehmende Ungleichheit im früheren Bundesgebiet zu beobachten.

Nun frage ich Sie, was in den letzten Jahren – ich will nicht 44 Jahre sagen –, aber zu Zeiten der rotgrünen Bundesregierung gewesen ist, dass die Zahl so eklatant angestiegen ist. Das hat relativ wenig mit Hamburger Entwicklungen zu tun, sondern diese Zahlen haben Sie uns durch Ihre verfehlte Finanz- und Wirtschaftspolitik im Bund präsentiert.

(Beifall bei der CDU)