Protokoll der Sitzung vom 26.04.2006

Sie haben einen sehr richtigen Satz gesagt: Wir stünden vor einer existenziellen Entscheidung in Deutschland. Mein Eindruck ist, werte Kollegen von der CDU, dass Sie sich genau davor am liebsten drücken möchten, dass Sie nämlich in einer Situation, in der entschlossenes Handeln, Innovation, Erneuerung gefragt sind, sich nach hinten orientieren und rückwärtsgewandt argumentieren, weil Sie nicht die Kraft besitzen, zu Neuem überzugehen und das ist die eigentliche Gefahr.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Als CDU/CSU und SPD sich im Koalitionsvertrag geeinigt haben, am Atomausstieg festzuhalten, war das eine kluge und auch eine wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung.

Es ist doch klar, dass Energieversorger, die laufende Kraftwerke haben, die abgeschrieben sind und mit denen sie jetzt günstig Strom auf den Markt bringen können, darauf nicht freiwillig verzichten wollen. Wer meint, dass diese Energieversorger dann gegen ihre eigenen Interessen argumentieren und glaubt, dass man deswegen alles, was von dort kommt, als pure Wahrheit und redliches Argument für die Atomkraft verstehen könnte, der irrt sich ganz gewaltig. Es geht hier – und das kann man niemandem vorwerfen, der in so einem Konzern sitzt – um pure wirtschaftliche Interessen. Wer sind wir denn in der Politik, wenn wir meinen, dass wir jedem Argument auf den Leim gehen müssen?

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Weil die individuellen Konzerninteressen von Energieversorgern natürlich nicht für den Ausstieg sind, müssen wir die Rahmenbedingungen so setzen, dass es aus den bekannten Gründen trotzdem zum Ausstieg kommt und die Energieversorger mit ihrer finanziellen Kraft die Möglichkeiten – da kommen wir zu Ihrer existentiellen Entscheidung – für eine andere Energieversorgung in Deutschland schaffen.

(Hartmut Engels CDU: Sagen Sie doch mal, wel- che denn! Nennen Sie eine Energieform, die zu- sätzlich da ist!)

Herr Engels, wenn es Ihnen an Innovationsbereitschaft und Phantasie fehlt, dann kann ich Ihnen nicht helfen, aber Sie sollten sich ein bisschen in die Möglichkeiten moderner Energietechnik vertiefen. Ich bin wie unser Umweltminister in Berlin durchaus der Meinung, dass man ineffiziente Kohlekraftwerke durch neue, bessere und sauberere ersetzen muss. Natürlich muss man solche Kapazitäten ersetzen,

(Hartmut Engels CDU: CO2 oder was?)

aber Ihr Blick richtet sich auf die Ideologie der Sechziger- und Siebzigerjahre.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Erste Vizeprä- sidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Ich will noch einen draufsetzen. Das größte Innovations- und Investitionshemmnis gegen eine Umsteuerung in der Energiepolitik in diesem Staat ist die CDU und niemand sonst.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt Senator Uldall.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stimme den Kollegen Vorrednern ausdrücklich zu, die die Schrecken der Szenarien von Tschernobyl, das sich jetzt zum zwanzigsten Mal jährt, dargestellt haben. Herr Maaß hat den richtigen Satz gesagt: Jeder Tote ist ein Toter zu viel gewesen.

Wenn wir in diesen Tagen an die Schrecken von Tschernobyl denken, dann müssen wir uns aber auch gewiss sein, dass gerade in diesen Tagen ein neues Gutachten zum Klimawandel erschienen ist. Das gehört zu einer vollständigen und ehrlichen Diskussion dazu. Dieses Gutachten – wir haben gestern einen Bericht im Fernsehen darüber verfolgen können – beschreibt, welchen Klimawandel wir in den nächsten Jahren zu verzeichnen haben werden. Die Gletscher schmelzen ab, der Meeresspiegel steigt an und das wird Konsequenzen für die Norddeutsche Tiefebene und die Deichsicherheit an der Elbe haben. Wir werden eine Veränderung von Fauna und Flora erleben und es ist wenig tröstlich,

(Christian Maaß GAL: Schön, dass Sie das erken- nen!)

dass man auf Rügen einen Palmenwald besichtigen können wird.

(Christa Goetsch GAL: Das haben wir vor 20 Jah- ren schon gesagt!)

Dieses Szenario ist grauenvoll und wir müssen alles tun, damit ein solches Szenario ebenso wenig eintritt wie ein zweites Mal die Schrecken von Tschernobyl.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die rotgrüne Bundesregierung hat mit dem Kernkraftwerkausstiegsgesetz keine Lösung für die Zukunft gegeben. Man hat damals gesagt, wir steigen aus,

(Beifall bei Manuel Sarrazin GAL)

aber man hat nicht gesagt, wo man einsteigen will. Was Frau Schaal eben als Antwort auf diese im Raum stehende Frage gegeben hat, reicht nicht aus. Liebe Frau Kollegin Schaal, Sie haben gesagt, Sparen werden wir voll mittragen, erneuerbare Energien forcieren, da gehen wir mit. Aber seien Sie ehrlich, auch Sie wissen, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen werden, um Deutschland mit ausreichender Energie entsprechend versorgen zu können.

(Beifall bei der CDU – Dr. Monika Schaal SPD: Wenn man es ernst meint, schon!)

Wir werden nicht drumherum kommen, neue Kohlekraftwerke zu bauen und da bin ich sehr gespannt, welche Unterstützung wir von den Grünen und den Sozialdemokraten in dieser Frage bekommen. Es gibt bei allen Gegensätzlichkeiten zwischen den Parteien in Energiefragen einen Punkt, in dem wir uns einig sind, dass wir alle die Ziele des Kyoto-Protokolls erreichen wollen. Das heißt, wir müssen bis zum Jahre 2012 den CO2-Ausstoß noch einmal um 33 Millionen Tonnen verringern; das ist die Vorgabe heute. Keiner hat bisher richtig aufgezeigt, wie diese CO2-Menge reduziert werden soll. Wenn wir die

Kernkraftwerke jetzt schließen oder die Laufzeit nicht verlängern, dann wird sich dieser CO2-Verbrauch um die Hälfte erhöhen, er wird um 18 Millionen Tonnen steigen. Wir werden also statt 33 Millionen Tonnen bei über 50 Millionen Tonnen liegen.

Die Erfüllung der Ziele aus dem Kyoto-Protokoll ist eine Aufgabe, der wir uns zu stellen haben. Diese Aufgabe ist schwer zu lösen, aber wir kommen an der Lösung dieses Problems nicht vorbei.

(Beifall bei der CDU – Ingrid Cords SPD: Wohl wahr! Wohl wahr!)

Dabei sind wir auf dem Weg, den Sie eben vorgezeichnet haben, Frau Kollegin Schaal, zu sparen und neue Energien zu forcieren, gerade in Hamburg auf einem wirklich guten Weg nach vorne. Wir haben zum Beispiel die Aktion "Unternehmen für Ressourcenschutz" gegründet. Über 600 Unternehmen haben sich in Hamburg bereit erklärt, eine Unternehmenspolitik zu betreiben, mit der dauerhaft der Einsatz der Ressourcen in ihrem Unternehmen eingedämmt wird. Mir sagte ein Kenner der Szene von der anderen Seite: Wenn damals Porschke oder Vahrenholt erreicht hätten, dass über 600 Unternehmen an solch einer Aktion teilnehmen, wären die stolz wie Oscar gewesen. Wir haben es erreicht und daran sieht man, wie ernst es uns mit dem Energiesparen ist.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin auch dagegen, dass klein geredet wird, was es in Hamburg an Erfolgen bei der erneuerbaren Energie gibt. Ich gebe zu, dass der rotgrüne Senat eine Reihe von interessanten Dingen eingeleitet hat, aber Sie müssen konzedieren, dass diese Maßnahmen dann auch sehr erfolgreich vom Nachfolgesenat umgesetzt und weiter vorangetrieben wurden, zum Beispiel der Biodiesel. Die größte Biodieselanlage der Welt steht in Hamburg, die Hamburger Ölmühlen in Neuhof. Biogas: Wir haben gerade in diesen Tagen eine neue Anlage in Betrieb genommen. Brennstoffzellen: Die HHA-Busse sind bundesweit Vorreiter. Oder denken Sie an die Sonnenenergie. Mit Stolz können wir sehen, wie sich ein Unternehmen wie Conergy nach vorne entwickelt. Wir gehen auf diesem Weg, aber wir müssen die Ehrlichkeit haben zu sagen, dass Sparen und erneuerbare Energien in den nächsten Jahren nicht ausreichen werden.

Deswegen müssen wir bei drei Punkten weiter vorangehen. Wir müssen zunächst einmal die Sicherheitstechnik der Kernkraftwerke weiter entwickeln, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland. Das Kraftwerk in Tschernobyl – das muss ehrlicherweise auch gesagt werden – ist ein Kraftwerk eines Typs gewesen, der so in Deutschland nie genehmigt worden wäre. Wir müssen also auch die Sicherheitstechnologie bei den ausländischen Kernkraftwerken vorantreiben. Dafür brauchen wir aber in Deutschland eine Wissenschaft, die in dieser Frage weiter vorangeht.

Das zweite, was wir nach der Weiterentwicklung der Sicherheitstechnik brauchen, ist ein Forcieren der alternativen Energien. Und das dritte ist eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke, und zwar nicht so, wie es irgendwelcher politischen Kompromisslösung entspringt, sondern so, wie es die sicherheitstechnische Lage der einzelnen Kernkraftwerke ermöglicht.

(Beifall bei der CDU)

A C

B D

Diese Punkte werden wir weiter vorantreiben. Es mag dem einen oder anderen gefallen oder nicht, aber wenn Sie ehrlich sind, werden Sie einräumen, dass wir zu diesem Weg keine Alternative haben.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Herr Kerstan.

(Hartmut Engels CDU: Nun kommt die Alterna- tive!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Uldall, Herr Engels, wenn Sie hier die Toten in Tschernobyl bedauern, gleichzeitig aber engagiert dafür kämpfen, dass die zivile Nutzung der Atomenergie weiter geht, dann bleibt doch ein sehr bitterer Geschmack im Mund zurück.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Ich bin erstaunt, wie sehr auf der konservativen Seite auf einmal die glühenden Verfechter des Klimaschutzes auftauchen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir als Spinner, Idioten, Schwarzmaler und Ähnliches geschmäht worden sind, als wir anfingen, den Klimaschutz zu thematisieren. Die Union ist dieses Thema nicht angegangen. Erst in dem Moment, als kapitalkräftigen Konzernen ihre Gelddruckmaschine, die Atomenergie, abgeschaltet werden sollte, entdeckte die Union ihr Herz für den Klimaschutz und das ist wirklich ein billiges Manöver.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Schauen Sie sich das doch einmal an. 20 Prozent der Stromerzeugung in Deutschland wird durch Kernenergie erzeugt. Wenn Sie sich den Gesamtenergiebedarf Deutschlands über den Strombedarf hinaus ansehen, dann sind Sie in der Welt bei einem Anteil der Kernenergie von zweieinhalb Prozent. Sie werden mir doch nicht erzählen wollen, dass man diese zweieinhalb Prozent nicht anders ersetzen könnte; das ist wirklich eine unsinnige Idee.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Sie sprachen von den Alternativen. Ich finde es einerseits schön, Herr Uldall, dass Sie die Initiativen des rotgrünen Senats, auch der Bundesregierung, gelobt und hier so gönnerhaft gesagt haben, wir gehen den Weg ja mit. Aber Sie gehen nicht voran und das ist der Fehler, denn das ist notwendig.

(Hartmut Engels CDU: Haben wir doch geschil- dert!)

Die Probleme sind nicht gelöst und einfach nur als Mitläufer hinterherzulaufen, wird den Problemen dieses Landes und der Welt nicht gerecht und darum ist das wirklich nicht genug.

(Beifall bei der GAL)