Protokoll der Sitzung vom 23.08.2006

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Frau Senatorin, noch nie hat ein Senat so wenig für Kinder und Familien in dieser Stadt getan.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Stefanie Strasburger CDU: Ach was!)

Frau Strasburger, das ist die Diskussion, die in Deutschland über Hamburg geführt wird und die hätten wir gerne mit Ihnen geführt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Es sind mehr Kinder im Gutschein-System, aber es sind die Kinder anderer Eltern. Und die, die Sie nicht mehr wollen im System, bleiben einfach draußen. Wer die Ganztagsplätze in benachteiligten Quartieren abbaut, der versündigt sich an diesen Kindern und die Kinder können nicht darauf warten, bis ihre Eltern wieder Arbeit haben.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich wiederhole es gerne noch einmal: Sie haben versprochen, jede und jeder, der Hilfe benötigt, werde sie bekommen. Viele Kinder haben vergeblich auf Ihre Hilfe gewartet; das haben wir alle im letzten Jahr zur Kenntnis nehmen müssen. Landauf, landab wurde auch damals schon berichtet, wie unsere stolze Hansestadt mit ihren Kindern umgeht. Und dann, es war im November, hatte offenbar auch der Herr Bürgermeister, dem diese Debatte leider nicht so wichtig ist, bemerkt, dass hier etwas aus dem Ruder läuft. Er forderte einen Ruck, der durch Hamburg gehen soll. Erinnern Sie sich? Gemeint hatte er wahrscheinlich einen Ruck, der durch den Senat geht. Passiert ist leider nichts.

Vor wenigen Tagen gab nun derselbe Bürgermeister in der "Zeit" und auch in der "Financial Times Deutschland" zum Besten, er würde sich manchmal heimlich, mit einem

Baseballcap vor dem Gesicht, durch die Stadt fahren lassen und sich das Elend angucken. Vielleicht richten Sie Ihrem Bürgermeister aus, dass diese Stadt erwartet, dass er auch einmal aussteigt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Aber das ist erst die Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte hängt direkt mit Ihrem Verständnis von der wachsenden Stadt zusammen. 3000 Euro pro Jahr bringt ein Bürger über den Länderfinanzausgleich. Sie nennen das den fiskalischen Nutzen eines Menschen, so heißt es in einer Ihrer Familienförderdrucksachen. Wenn man eine vierköpfige Familie also am Fortzug aus Hamburg hindert oder zum Zuzug ermuntert, dann hätte man fürderhin Jahr für Jahr 12 000 Euro mehr im Topf; so rechnen Sie. Diese Grundüberlegung ist Ihr wahres Leitbild. Ihnen geht es nicht um menschliches Wachstum, sondern um Masse statt Klasse und deshalb stören kleine Kinder ebenso wie alte Menschen bei Ihnen die Bilanz.

(Stefanie Strasburger CDU: Ach!)

Erzieherinnen, Erzieher und Sozialarbeiterinnen sind bei Ihnen nur Kostenfaktoren, lästige Betriebsausgaben.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Bernd Reinert CDU: Ihre Redezeit ist schon zehn Minuten!)

Herr Reinert, es mag ja sein, dass Sie mit Ihrer Politik des Schicki hier und micki da noch immer in der Stadt irgendwo anerkannt werden,

(Stefanie Strasburger CDU: Irgendwo?)

aber es werden am Ende nicht die großen Baudenkmäler Ihrer Ankündigungssenatoren sein, Herr Hesse, die von Ihrer Regierungszeit bleiben. Was Sie Hamburg hinterlassen, wird eine ganze Generation von schlecht ausgebildeten Jugendlichen sein, denen Sie mit Ihren Sparmaßnahmen die Zukunft gestohlen haben.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Zurufe von der CDU)

Das Wort erhält die Abgeordnete Gregersen.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als erstes möchte ich auf die Worte der Zweiten Bürgermeisterin eingehen. Sie sagt, es gebe einen hohen Stellenwert für Kinder in dieser Stadt. Ich erinnere da nur an die Kinderzimmerzulage: 10 000 Euro sollen Besserverdienende pro Kind und Kinderzimmer bekommen, 23mal abgefordert, eine super Idee für Kinder, die in Armut leben.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Frau Schnieber-Jastram, Sie sprachen das Programm "Hamburg schützt seine Kinder" an. Aber ist es ein Programm gegen Kinderarmut oder ist es ein Programm für vernachlässigte Kinder? Gegen Armut hilft es leider gar nicht.

Sie haben auch gesagt, Sie täten mehr für Kitas und nie habe es so viele Plätze gegeben, aber, Frau SchnieberJastram, unter welchen Bedingungen. Ich möchte gern eine Leseempfehlung abgeben: "Apartheid in der Krabbelgruppe" schrieb die "Zeit" am 3. August 2006. Man kann in den Sommerferien einmal die Zeit zum Lesen

nutzen; ich hoffe, die anderen Abgeordneten holen das eventuell nach.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den Nachkriegsjahren haben viele Menschen in dieser Stadt Hunger gelitten, sie haben entbehrt. Die Zeit war schlimm, aber sie hatten alle eines gemeinsam: Sie haben gemeinsam gelitten. Und sie hatten noch eines gemeinsam: Alle hatten die Perspektive, dass es sich irgendwann bessern wird. Heute entbehrt eine ganz große Gruppe in dieser Stadt, die unterhalb der Armutsgrenze lebt, und zwar jedes fünfte Kind. Das ist verdammt viel, es sind circa 51 000 Kinder. Haben diese Kinder die Hoffnung, dass es sich bessert? Geben Sie ihnen diese Hoffnung, dass es sich bessert? Der Wirtschaftsaufschwung, der im Moment herrscht, und der Trubel um die Boomtown Hamburg geht an diesen Kindern leider gänzlich vorbei und wahrscheinlich auch an den Familien.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Nirgendwo in Deutschland ist der Unterschied so groß wie in Hamburg zwischen dem Durchschnittseinkommen und der Armutsgrenze. Selbst die Aussage, dass in Hamburg niemand Hunger leiden muss, ist widerlegt. Viele Kinder kommen ohne Essen in die Schule und den Kindergarten. Ehrenamtliche Suppenküchen sind da ein Anfang, aber sind es Lösungen? Stolz hielt Herr Uldall den "Stern" als Hochglanzprospekt hoch – ich sehe ihn hier noch stehen – und jubelte: So toll ist Hamburg. Es ist der Glanz, in dem die CDU sich gerne sieht, aber es ist eben nur ein Scheinglanz: Die einen stehen im Dunkeln und die anderen im Licht und die im Dunkeln, die sieht man eben nicht. Und damit man die nicht sieht, wollte man auch jahrelang keinen Armutsbericht machen. Man will lieber nicht hingucken, was Armut ist, was sie bedeutet.

Der Gipfel der Arroganz und der Ignoranz war für mich die Aussage des Bürgermeisters, wir können uns soziale Dinge erst wieder leisten, wenn es uns besser geht. 51 000 Kinder und wir wollen warten, bis es uns allen besser geht. Es geht dieser Stadt gut, es geht dieser Stadt verdammt gut und wir können es uns nicht erlauben, diese Kinder am Rande stehen zu lassen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Armut macht krank, Armut macht körperlich krank, Armut macht psychisch krank, arme Kinder haben eine schlechtere Gesundheit, sie haben schlechtere Zähne, meist auch schlecht ausgebildete Fein- oder Grobmotorik und sie sind schlecht ernährt, durch falsche Ernährung meist leicht oder stark übergewichtig. Arme Kinder kommen auch nicht so rum wie andere. Sie kennen meist nur ihren Stadtteil oder ihre Straßenzüge. Sie besuchen keine Museen und keine Konzerte und schon der Schwimmbadbesuch scheitert an den Fahrkosten und Eintrittsgeldern. Auch wenn das Museum jetzt einmal im Monat gratis ist, glauben Sie wirklich, dass Kinder aus armen Familien dort hinkommen?

Arme Kinder können auch nicht von Wochenendausflügen reden, sie können nicht von ihren Familienausflügen berichten, schon gar nicht von Urlaubsreisen; sie gehören nicht dazu. Das ist ein Zustand, der sich nicht nur negativ auf die Allgemeinbildung auswirkt, sondern auch auf die Psyche. Das ist eine Gefahr und es ist eine ganz große Gefahr, dass aus diesen armen Kindern auch perspektivlose arme Jugendliche und arme Erwachsene werden. Die Gefahr ist groß und eigentlich schon Realität, dass

sich das dann über Generationen hinweg verfestigt. Geben Sie diesen Menschen bitte eine Perspektive, geben Sie diesen 51 000 Kindern eine Perspektive.

Was unternahm der Senat? Er besuchte Suppenküchen.

(Glocke)

Frau Abgeordnete, Sie müssen zum Ende kommen.

Ich komme gerne zum Ende.

Meine zweite Literaturempfehlung, das Dossier der "Zeit": "Armutszeugnis für Hamburg"; ein echtes Armutszeugnis für diesen Senat.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Dietrich.

(Rolf Harlinghausen CDU: Da wird es endlich sachlich!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf die Einlassungen der Oppositionsabgeordneten eingehen und Frau Dr. Hilgers, Frau Veit und Frau Blömeke gerne bescheinigen, dass sie natürlich sehr gerne lesen – Frau Gregersen hat es auch noch einmal sehr deutlich gesagt –, mit Sicherheit auch schöne Bücher, aber mitunter die Lebenswirklichkeit in dieser Stadt nicht ganz so ist.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Das von Ihnen Beschriebene ist sicherlich ein Teil der Realität. Aber wie so vieles hat die Medaille zwei Seiten. Die Lebenswirklichkeit der Menschen sieht in der Tat anders aus und der Senat hat in vielen Bereichen vieles für die Familien gemacht; auf einiges haben Frau Senatorin Schnieber-Jastram und auch Frau Strasburger schon hingewiesen.

Ich möchte zu den sogenannten sozialen Brennpunktgebieten kommen. Hier wurde kritisiert, dass der Senat die Menschen vernachlässigen würde; die Lebenswirklichkeit sieht zum Teil aber anders aus. Ich habe das Vergnügen, einen Mittagstisch ehrenamtlich zu betreuen und führe seit vielen Jahren Kinder- und Jugendfreizeiten im Sportbereich durch. Ich weiß, dass viele Eltern einfach die Kompetenz zum Erziehen nicht haben; daran liegt es, das ist das Problem. Es fehlt die Erziehungskompetenz und hier hat der Senat eine ganze Menge gemacht. Wir fördern die Kinder- und Familienzentren, wir fördern Elternschulen, wir haben das Hebammenprojekt aufgelegt, wir gründen Nachbarschaftszentren. Wir begegnen dem mit vielen kleinen Elementen, weil wir möchten, dass Kinder und Jugendliche sich zukünftig allein und eigenverantwortlich bewegen können, damit sie ihre eigene Zukunft gestalten; das ist das Entscheidende.

(Beifall bei der CDU)

Das heißt, dieser Senat legt Programme auf, um die Ursachen zu bekämpfen und nicht allein die Symptome.

Zur Lebenswirklichkeit gehört auch, dass das Geld teilweise für andere Dinge ausgegeben wird. Man könnte jetzt darüber streiten, ob sie nützlich oder unnütz sind.

(Martina Gregersen GAL: Deshalb muss man die Leute beraten!)