Protokoll der Sitzung vom 27.09.2006

Abschließend noch ein, zwei Anmerkungen zum Thema Volksentscheid: Es hat kürzlich in Dresden einen Bürgerentscheid über die Errichtung einer weiteren Brücke über die Elbe gegeben, ein sehr umstrittenes Projekt. Da war kürzlich ein Interview mit Wolfgang Thierse, dem Bundestagsvizepräsidenten, in der "Zeit". Wolfgang Thierse sagte – das bitte ich auch einmal zu bedenken –:

"Der vorliegende Bürgerentscheid besitzt nun mal beträchtliche Rechtsverbindlichkeit."

Aha, beträchtlich.

"Ein Teil der Dresdner Politiker hat das Festhalten daran zur Prestigefrage gemacht."

Das zielt übrigens auf die Dresdner CDU.

(Zuruf)

Das möchte ich an dieser Stelle nicht kommentieren.

Er sagt über diese Politiker weiter:

"Sie lassen sich gar nicht auf sachliche Erwägungen ein."

Dasselbe habe ich heute hier auch erlebt, aber von Ihrer Seite. Thierse weiter:

"Aber genau das wünsche ich mir: Heraus aus den Schützengräben! Über die Sache diskutieren! Also über die Notwendigkeit dieser Brücke und über Konsequenzen für die Stadt, das Land, die Bundesrepublik insgesamt. Neuerdings werden Leute mit abweichender Meinung als undemokratisch beschimpft."

Genau das tun Sie hier und das ist total daneben.

(Anhaltender Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält jetzt Herr Dr. Dressel.

(Werner Dobritz SPD: Und dabei habt Ihr so ein schlechtes Gewissen! – Gegenruf von Frank- Thorsten Schira CDU: Ihr müsstet ein schlechtes Gewissen haben, wenn Herr Dr. Dressel redet!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Reinert, so viel Applaus haben Sie wohl am Montag in der Fraktionssit

zung für Ihr Vorgehen nicht bekommen. Das sollte man hier vielleicht noch einmal festhalten.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wenn man sich Ihre Rede anhört: Wie können Sie von Verantwortung für die Stadt reden? Was kann es Verantwortungsloseres geben, als den Willen des Volkes in dieser Stadt zu missachten? Was für ein Verständnis von Verantwortung haben Sie?

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Und dann Ihre herbeigesuchten verfassungsrechtlichen Bedenken, bei denen man sich fragt: Wo waren Sie eigentlich in der Zeit vor 2004, als wir über die verschiedenen Entwürfe diskutiert haben, und unmittelbar nach 2004. Da stellt sich doch zum einen die Frage: Warum hat der Bürgermeister dieses Gesetz ausgefertigt und im Gesetzesblatt verkündet?

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Schauen Sie ein- mal in die Verfassung!)

Ja, da gibt es sehr wohl ein Prüfungsrecht des Bürgermeisters, dass er verfassungswidrige Gesetze nicht verkünden darf. Das hätte er tun können, wenn es verfassungsrechtliche Bedenken gegeben hätte. Die hat es offenbar nicht gegeben.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Insofern zeigt es einmal mehr: Das ist alles vorgeschoben, was Sie uns und den Hamburgerinnen und Hamburgern auftischen.

Vielleicht sollten Sie sich selber noch einmal erinnern, was Sie am 13. Juni 2004 gesagt haben. Es ist immer wieder schön, Ihre alten Pressemitteilungen herauszuholen. Ich lese es einfach noch einmal vor, damit Sie Ihren alten Satz wieder erinnern:

"Der Entwurf der Initiative hat – wenn auch knapp – die notwendige Stimmenzahl erreicht. Damit hat der Wähler eine Entscheidung getroffen, die wir respektieren werden."

Was ist seitdem passiert?

(Karen Koop CDU: Man kann auch klüger wer- den!)

Sie sind umgefallen, aus welchen Gründen auch immer, was auch immer sich CDU-intern abgespielt hat. Wenn Sie umfallen, ist das für uns und für die Stadt egal. Schwierig wird es nur dann, wenn Sie auf diesem Weg einen wesentlichen Teil unserer Demokratie mit herunterreißen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Noch eines: Wenn Sie hier mit Politikverdrossenheit und möglichen Wahlerfolgen von Rechtsextremen argumentieren: Ihr Gesetz ist ein Mittel zur Politikverdrossenheit. Ihr Gesetz wird an der Stelle Extreme fördern und deshalb wendet sich dieser Vorwurf gegen Sie.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Nein, die Reinerts und die Vormizeeles werden wir heute, glaube ich, nicht mehr überzeugen können.

(Bernd Reinert CDU: Da könnten Sie Recht haben! – Karen Koop CDU: Uns auch nicht!)

Denn gerade Herr Reinert hat durchaus sein politisches Schicksal mit dieser Abstimmung verknüpft. Insofern wollen wir uns lieber den anderen Kolleginnen und Kollegen zuwenden, die in dieser unwürdigen CDU-Debatte um die Wahlrechtsdemontage seit letztem September Flagge für die Demokratie und den Bürgerwillen gezeigt haben.

Diesen Kolleginnen und Kollegen möchte ich heute noch einmal Artikel 7 Absatz 1 unserer schönen Verfassung in Erinnerung rufen. Dort heißt es nämlich:

"Die Abgeordneten sind Vertreterinnen und Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden."

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Das haben Sie jetzt Ihrer Fraktion vorgelesen!)

Wie halte ich es mit der Demokratie? Wie halte ich es mit den grundlegenden Spielregeln unseres Stadtstaates?

(Bernd Reinert CDU: Fragen Sie einmal den stell- vertretenden Kreisvorsitzenden von Mitte!)

Wie setze ich um: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus? Das sind Fragen, die das Gewissen jedes einzelnen Volksvertreters berühren sollten, ja berühren müssten.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Fangen wir einmal mit der in einigen Zeitungen als Wahlrechtsrebellin titulierten Natalie Hochheim an. Man hat ja dieses neue Instrument Abgeordnetenwatch. Sie hat in dieser Frage einen regelmäßigen Mailkontakt gehabt. Sie hat am 16. Dezember 2004 einer Bürgerin geantwortet:

"Es gibt diverse Beispiele, die verdeutlichen, dass CDU-Fraktion und Senat dem Volkswillen bereits mehrfach entsprochen haben."

Man höre und staune. Dann führt sie als Beweis das personalisierte Wahlrecht in den Wahlkreisen an. Sehr leichtsinnig, kann man da nur sagen, weil zu dem Zeitpunkt vermutlich in irgendwelchen Hinterzimmern bei Ihnen diese Sache schon ausgekungelt wurde. Daran war Frau Hochheim an der Stelle offenbar nicht beteiligt.

Dann geht es weiter, ein regelmäßiger Kontakt mit einer Bürgerin Frau Enke. Das wurde an der Stelle auch in den Zeitungen zitiert. Da sichern Sie nämlich der Bürgerin im Oktober 2005 ebenfalls auf dieser Homepage zu, dass Sie ganz genau prüfen werden,

" … ob einschneidende Veränderungen …"

im Rahmen dieser Reform, die Sie einführen wollen,

"vorgesehen sind, die den Wählereinfluss auf die Auswahl ihrer Abgeordneten tatsächlich behindern",

sagen Sie da.