Protokoll der Sitzung vom 16.11.2006

Erstens: Auch wir brauchen und wollen eine geschlossene Unterbringung, wir halten sie für notwendig.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens: Es ist gut – und da stimmen wir auch mit den Kollegen von der CDU überein –, dass die bezirklichen Jugendämter endlich Anträge auf Unterbringung stellen dürfen, weil sich die Indikationen für die Unterbringung nicht an der bürokratischen Anbindung und Einbettung orientieren sollten, sondern an der Lebensrealität der Jugendlichen. Jawohl, CDU, an dieser Stelle sind wir uns einig.

(Beifall bei der SPD)

Drittens: Wir finden es klasse, dass die Sozialbehörde sich nun auch verstärkt Jugendlichen annehmen möchte, die in der Schule scheitern, die im Drogen- und Prostitutionsmilieu stecken. Wir haben im Bereich der Jugendhilfe in Hamburg gute Ansätze. Ich finde es gut, wenn CDU und SPD die Senatorin auffordern, diese Ansätze auszu

bauen und nicht abzubauen, wie sie es in den letzten Jahren gemacht hat.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Viertens: Auch wir stimmen konstruktiv fachpolitisch mit der CDU überein, dass wir Jugendliche mit schweren psychischen Problemen nicht weiter in der geschlossenen Einrichtung Feuerbergstraße unterbringen sollten, sondern sehr gut mit der Diakonie zusammenarbeiten sollten und zu adäquaten fachpolitischen Lösungen kommen müssen. Auch an dieser Stelle sind wir d'accord.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Fünftens ein Punkt, der bis vor Kurzem noch umstritten war: Wir begrüßen es, dass die CDU ihre Senatorin in diesem Vermerk auffordert – und wir tun es heute in der Bürgerschaft –, dass eine geschlossene Einrichtung der Jugendhilfe nur dann Sinn und Zweck macht, wenn sie auch mit einem Angebot einer sogenannten offenen Abteilung gekoppelt ist mit Plätzen, die sich nicht an der Belegung beziehungsweise der Festlegung durch ein Familiengericht orientieren, wie lange der Jugendliche drin ist, sondern an der Lebenswirklichkeit. Noch im April 2004 hat die Behörde einen derartigen Vorschlag, der vom Landesbetrieb Erziehung kam, mit dem Hinweis abgelehnt, das sei fachpolitisch nicht erwünscht. Ich finde es gut, wenn sich an dieser Stelle Frau Senatorin und Zweite Bürgermeisterin Schnieber-Jastram lernfähig zeigt und sich damit auf dem Weg der Besserung befindet.

(Beifall bei der SPD)

Sechster Punkt: An dieser Stelle setze ich ein vorsichtiges Fragezeichen. Sie sehen, bei Punkt eins bis fünf haben wir überall Haken gemacht, bei Punkt sechs setze ich ein fachpolitisches Fragezeichen. Es ist in der Tat eine Binsenweisheit in der Jugendhilfe, dass die Hilfe dann umso erfolgreicher ist, je früher sie greift. Aber die Frage, ob die geschlossene Unterbringung insbesondere für jüngere Kinder geeignet ist, ist ein Punkt, über den wir fachpolitisch zu reden haben. Die bisherigen Erfahrungen im Umgang etwa mit Zwölfjährigen in der Feuerbergstraße – ich erinnere nur an den Fall eines Zwölfjährigen, der auf der Autobahn hätte ausgesetzt werden sollen, um fotografiert zu werden – haben mich an dieser Stelle nicht ermutigt, hier einen Haken zu machen, sondern über diesen Punkt muss sehr sorgsam, sehr sensibel und sehr ernsthaft nachgedacht werden.

Ein Haken auch bei Punkt sieben. Wir halten eine geschlossene Unterbringung in der Jugendhilfe für Hamburg mit etwa zwölf Plätzen für völlig ausreichend. Die Zeiten sind lange vorbei, als politische Popanze mit 90 bis 200 Plätzen aufgebaut worden sind. Im Augenblick befinden sich sechs Jugendliche in der Einrichtung Feuerbergstraße, im Durchschnitt 3,7. Ich glaube, dass wir mit zwölf völlig d'accord sind.

Wir finden übrigens genauso wie die CDU-Fraktion, dass die Belegung der Feuerbergstraße oder einer geschlossenen Einrichtung mit Schulverweigerern und Kindern und Jugendlichen aus dem Drogen- und Prostitutionsmilieu nur sehr bedingt verantwortbar ist. Im Grunde genommen muss auch dieser Punkt sehr stark untersucht werden. Im Augenblick habe ich dort eine hohe fachliche Skepsis, aber ich sehe sie auch im Positionspapier der CDU. Ich sehe aber an dieser Stelle einen klaren Dissens zur aktuellen Politik des Senats, von Staatsrat Wersich und seiner Senatorin, die sagen, diese Schulverweigerer

gehören in die geschlossene Unterbringung. Eine Anfrage hat ergeben, dass man den ersten Jugendlichen entsprechend aufgenommen hat. Aber diesen Dissens zwischen CDU-Fraktion und noch amtierender Behördenleitung müssen Sie, Herr Hesse, dann selber austragen; wir gucken uns das gerne an.

(Beifall bei der SPD)

Bei Punkt neun Ihres Positionspapiers haben wir einen Dissens und den darf man bei aller Konstruktivität, die wir heute versuchen, an den Tag zu legen, nicht unter den Tisch fallen lassen. Wir wollen, dass die geschlossene Unterbringung in der Feuerbergstraße geschlossen wird. Dieses Experiment ist gescheitert, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir plädieren bei der Frage – da hätten Sie uns dann auf Ihrer Seite – geschlossene Unterbringung für einen politischen Neuanfang. Wir würden gerne die Idee des Bürgermeisters aus dem Jahre 1999 aufgreifen, eine gemeinsame Einrichtung mit den norddeutschen Nachbarländern zu errichten. Die Kostenfrage beantwortete übrigens seinerzeit der Oppositionsführer von Beust unter anderem damit, dass eine Gemeinschaftseinrichtung kostengünstiger sei und da hat er recht. Wir brauchen eine neue Einrichtung der Jugendhilfe, die den hohen Ansprüchen an Architektur, aber auch Pädagogik gerecht wird. Auch da hätten Sie uns auf Ihrer Seite.

In dem Zusammenhang zwei, drei Dinge, die immer gerne angesprochen werden, auch von Frau SchnieberJastram, nach dem Motto: Wir wollen unsere Jugendlichen nicht in andere Bundesländer abschieben. Deswegen plädiert sie auch für eine Hamburger Lösung. Das ist alles faktisch falsch. Fast jeder Jugendliche aus der Feuerbergstraße seit Einsetzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses hat – das hängt nicht ursächlich miteinander zusammen, nur diesen Zeitraum können wir genau überprüfen –, nachdem er die Einrichtung verlassen hat, auch die Stadt verlassen und wird heutzutage in anderen Bundesländern oder im Ausland betreut. Keiner ist mehr in Hamburg, das ist ein Fakt.

Der zweite Fakt ist der, dass mehr als die Hälfte aller Hamburger Kinder und Jugendlichen heutzutage schon stationär im Bereich der Hilfen zur Erziehung außerhalb von Hamburg betreut und erzogen werden. Auch an dieser Stelle greift das Argument nicht.

Der dritte Fakt ist – vielleicht berichten Sie davon, Frau Senatorin –, dass das Pendant zur Feuerbergstraße, nämlich der von der Ballinstiftung betriebene Hubertushof, sich auch im Allgäu befindet und das liegt bekanntlicherweise nicht in Hamburg.

Daher gibt es an dieser Stelle keine fachlichen Gründe, mit den übrigen Bundesländern in dieser wichtigen und sensiblen Frage nicht zu kooperieren.

Last, but not least, in der Tat sagen wir, dass es gerade bei Freiheit entziehenden Maßnahmen für Kinder und Jugendliche eines sehr ernsthaften und sensiblen sowie behutsamen Umgangs bedarf, auch was die Materie betrifft. Hierzu gehört Transparenz und rechtmäßiges Handeln. Von daher unterstützen wir ausdrücklich auch die zehnte Forderung der CDU-Fraktion, endlich eine pädagogische Evaluation der Geschlossenen Einrichtung vorzunehmen. Diese wurde uns zwar schon im Jahre

2003 versprochen. Sie wurde dann auch noch einmal für 150 000 Euro plus Mehrwertsteuer von Professor Christian Bernzen angemahnt. Es war ein konstruktiver Beitrag. Sie können uns an Ihrer Seite wissen, Herr Hesse, wenn es darum geht, Frau Schnieber-Jastram auf den Weg der Besserung zu führen. – Danke.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Hesse.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Böwer, es war ein netter Versuch, den Sie hier soeben vorgenommen haben,

(Gerhard Lein SPD: Erfolgreich!)

aber Ihr Beitrag – anders, als Sie ihn versucht haben, darzustellen – war jedenfalls nicht sehr konstruktiv. Ihr Beitrag war nicht nur in der Form, sondern auch inhaltlich inakzeptabel und kann von mir nur als bodenlose Frechheit bezeichnet werden.

(Michael Neumann SPD: Wie Ihr Versuch zeigt, war er ja auch erfolgreich! – Beifall bei der CDU)

Hören Sie zu, Herr Neumann.

Sie stellen sich hier hin, lieber Kollege Böwer, und meinen, mit einem zu 90 Prozent von der CDU abgeschriebenen Antrag Politik machen zu können und Glaubwürdigkeit in einem Feld zu erhalten, in dem gerade Sie, lieber Kollege Böwer, bisher nur durch Populismus aufgefallen sind.

Die CDU-Bürgerschaftsfraktion braucht keine SPD-Oppositionsoberlehrer und Ihre hier vorgetäuschte Unterstützung schon gar nicht.

(Beifall bei der CDU – Ingo Egloff SPD: Das ist ein bisschen schwach, Herr Kollege!)

Die Abgeordneten aus dem Jugendausschuss und dem PUA – Sie haben das angesprochen, lieber Kollege Böwer, – haben sich tatsächlich Ende September mit einem Positionspapier zur Situation und zur Weiterentwicklung der Geschlossenen Unterbringung geäußert. Hierbei gab es – aber anders, als von Ihnen dargestellt –, keinen Dissens mit der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz.

Aus der Evaluation des Deutschen Jugendinstituts, die Sie kennen, ergaben sich Handlungsbedarfe, die sich mit den Empfehlungen des von Ihnen angesprochenen Professor Bernzen decken und die im Dezember 2005 als Gutachten der Öffentlichkeit vorgestellt worden sind.

Wie ist denn die Situation? Die meisten mit dem Indikator Delinquenz durch die Familiengerichte in der GUF eingewiesenen Jungen sind aggressiv, haben Schulprobleme, sind schon aus anderen Maßnahmen oder von Familien weggelaufen. Ein Schulverweigerer allerdings, lieber Kollege Böwer, muss nicht automatisch delinquent werden, aber tatsächlich ist oder war fast jeder delinquente Junge – und das haben wir im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss auch ermittelt – schon einmal ein Schulverweigerer.

Bei den meisten Fällen in der GUF ist von einer Multikausalität auszugehen. Ebenso verhält es sich nach unserer

Erfahrung bei Kindern und Jugendlichen im Drogen- und Prostitutionsmilieu.

(Glocke)

Ich möchte eben das Erinnerungsvermögen des Abgeordneten Heinemann ein wenig auffrischen. Bitte fahren Sie fort.

Diese teilweise stark traumatisierten Opferkinder und Jugendlichen kommen meist alle aus belasteten Familiensituationen, sind bereits weggelaufen und haben sowohl Schul- als auch häufig Drogenprobleme.

Daher, lieber Kollege Böwer, ist es richtig, dass man sich auch deren Probleme annimmt und das nicht aus Populismus, sondern aus Überzeugung.

(Michael Neumann SPD: Sie reden sich doch nur raus!)

Durch die von der Opposition und auch vom Kollegen Böwer zu verantwortende negative Berichterstattung wurde die Arbeit in der Einrichtung Feuerbergstraße in unverantwortlicher Weise erschwert und Familienrichter verunsichert.

(Beifall bei der CDU)

Es wird sehr schwer sein, für die positive Arbeit, die trotzdem in dieser Einrichtung stattfindet, zu werben und Familienrichter von dem pädagogischen Konzept zu überzeugen. Das haben Sie zu verantworten, liebe Kollegen in der Opposition, und nicht die Regierungsfraktion, die diese Einrichtung trägt.

(Beifall bei der CDU)