Protokoll der Sitzung vom 28.02.2007

(Beifall bei der GAL)

Wir von der GAL bleiben bei unserer Überzeugung. Sie müssen meine Kollegin Goetsch schon verstehen.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Sie sind also un- belehrbar!)

Wir sind im Jahr 2004 mit einem Programm in den Wahlkampf gezogen, das unter dem Motto stand, dass wir eine gemeinsame Schule bis zum neunten Schuljahr für alle Schülerinnen und Schüler in Hamburg wollen. Das hat sich bis heute nicht verändert. Wir haben bisher keine Argumente von Ihnen gehört, die unsere Überzeugung, die so stark ausgeprägt ist, hätte verändern können. Von daher müssen Sie uns nicht vorwerfen, dass wir zu dem stehen, was wir 2004 in unserem Wahlprogramm aufgeschrieben haben, wenn Sie sich bewegen mussten, weil Sie bis zuletzt eine Politik gemacht haben, die noch nicht einmal die grundlegenden Erkenntnisse einbezogen hat.

(Beifall bei der GAL)

Wir wollen, dass Hamburg endlich aufhört, Kinder zu früh zu sortieren. Die Zahl der Schubladen ist nicht unwichtig, aber ist nicht der entscheidende Hebel. Wir wollen, dass Schluss ist mit dem Schubladendenken in Hamburg, dass alle Schülerinnen und Schüler gemäß ihren Fähigkeiten und Notwendigkeiten gefördert werden und dass am Ende "9 macht klug", eine gemeinsame Schule für alle in Hamburg steht. Dafür werden wir weiter eintreten. – Danke.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort erhält Senatorin Dinges-Dierig.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das letzte Wochenende war ein gutes Wochenende für Hamburg.

(Beifall bei der CDU und Zurufe von der SPD)

Die Enquete-Kommission hat den Weg für eine zukunftsfähige Hamburger Schulstruktur eröffnet. Ich freue mich, dass es über Parteigrenzen hinweg gelungen ist, Gemeinsamkeiten in dieser Frage zu zeigen und sogar deutlich zu äußern.

Ich freue mich auch, dass die SPD und hier insbesondere Frau Ernst die Kraft besessen haben, einem tragfähigen Modell zur Schaffung von Stadtteilschulen und zur Weiterentwicklung von Gymnasien zuzustimmen.

(Glocke)

Herr Abgeordneter Niedmers, ich möchte Ihrem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge helfen. – Frau Senatorin, fahren Sie bitte fort.

Ich bedauere auf der anderen Seite allerdings genauso, dass Sie, liebe Frau Goetsch, nicht müde werden, Ihren von Ideologie geprägten Kampf gegen das Gymnasium weiterzuführen.

(Beifall bei der CDU)

Nach fast einem Jahr Beratung in der Enquete-Kommission, die auch von Ihnen angestoßen wurde, würde es Ihnen sehr, sehr gut zu Gesicht stehen, wenn Sie jetzt das Verhandlungsergebnis akzeptieren, Ihr Modell in der Schublade verstauen würden und mit uns und der SPD

gemeinsam das neue Konzept für die Stadtteilschule und die Weiterentwicklung der Gymnasium gestalten.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben jetzt die Chance, im Interesse unserer Kinder und Jugendlichen endlich das zersplitterte Schulsystem in Hamburg zu überwinden, indem wir die Stadtteilschule mit mehr und besseren Schulabschlüssen für alle Kinder und Jugendlichen möglich machen, bis hin zum Abitur nach 13 Jahren. Wenn wir es wirklich alle wollen, dann wird die Stadtteilschule auch die vollwertige Fachhochschulreife möglich machen, etwas, was es in ganz Deutschland noch nicht gibt. Wir könnten Vorreiterland werden.

Gleichzeitig geht es darum, das achtjährige Gymnasium wieder zu der Spitze zu führen, die es in der Tradition unserer Stadt Ende der Sechzigerjahre einmal hatte und die in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen ist.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren von der GAL, wenn Sie davon sprechen, dass die zweigliedrige Schulstruktur in die Sackgasse führt, dann sind Sie es, die sich in eine bildungspolitische Sackgasse begeben haben. Sie verweigern sich dem Kompromiss und entziehen sich damit der Verantwortung für unsere Kinder und Jugendlichen in unserer Stadt.

(Beifall bei der CDU)

Es ist richtig, manche soziale Ungleichheit kann sich in einer Schulstruktur niederschlagen.

(Gesine Dräger SPD: Tja!)

Das heißt aber nicht, dass wir mit einer Strukturänderung – egal, mit welcher, auch nicht mit einer Einsäulenstruktur – soziale Ungleichheiten beseitigen können. Soziale Defizite, die den Bildungserfolg gefährden, müssen wir frühzeitig angehen. Deshalb hat sich der Senat in den vergangenen Jahren genau dieses in Kita, Vorschule und Grundschule als Schwerpunkt vorgenommen. Deshalb haben wir das Viereinhalbjährigen-Vorstellungsverfahren verpflichtend gemacht. Deshalb haben wir das verpflichtende Vorschuljahr für die Kinder, die besondere Förderung brauchen, und die Erziehungskompetenz an Ganztagsgrundschulen gestärkt. Aus diesem Grunde haben wir in den Grundschulen, die in besonders schwierigen Gebieten liegen, kleinere Klassen eingerichtet und deshalb haben wir die Förderung besonders leistungsfähiger Kinder in der Grundschule eingeführt. Das, meine Damen und Herren, heißt gerechte Bildungschancen für alle Kinder.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb zielt die Bildungswende des Senats eindeutig auf größere Selbstverantwortung der Schulen, auf messbare, transparente Ergebnisse, auf neue Unterrichtskonzepte und auf eine verlässliche Schulstruktur. Wir wollen soziale Benachteiligungen durch gerechte Bildungschancen abbauen und zugleich leistungsstarke Schülerinnen und Schüler, aber auch leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler individuell fordern und fördern.

In unserer Bildungspolitik wird nicht nur heute, sondern auch morgen der Bildungserfolg unserer Kinder im Mittelpunkt stehen. Alles andere hat sich diesem einen Ziel unterzuordnen. Das gilt heute und in Zukunft. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Senatorin Dinges-Dierig, Herr Heinemann, ich dachte, wir könnten heute ein bisschen das Florett einsetzen, aber Sie wollen wohl die Keule oder das Schwert. Also bitte, dann bekommen Sie es auch.

(Beifall bei der GAL und bei Wilfried Buss SPD)

Frau Dinges-Dierig, Sie müssen ein bisschen die Historie sehen. Sie haben noch im Oktober 2005 gesagt, Strukturdebatten seien Dinge von gestern, das sei Gegacker und Geflatter nach dem Motto der DDR-Einheitsschule. Sechs Wochen später wurden Sie von Ihrem Abgeordneten Heinemann eines Besseren belehrt, dass nämlich die Strukturdebatte zusammen mit der inhaltlichen Debatte zu führen ist. Sie durften die katastrophalen Ergebnisse aus Hamburg im Konsortium in Berlin erfahren. Dort wurde deutlich, dass wir eine große Anzahl Hauptschüler im Gymnasium und eine große Anzahl Gymnasiasten in der Hauptschule haben. Das zeigt deutlich, dieses gegliederte Schulsystem ist gescheitert. Das zum einen.

Zum Zweiten, Herr Heinemann, ist die Abschaffung der Hauptschule – ich sprach es eben schon an – kein historischer Kompromiss. Es ist ein Reagieren auf die Situation, dass Haupt- und Realschulen nicht angewählt werden und sich in einer Großstadt wie Hamburg zu einer Hauptschule entwickelt haben, in der Kinder mit ihren sozialen, häuslichen und sonstigen Hintergründen nicht vergleichbar sind mit den Zuständen der Hauptschulen auf "dem platten Lande", die – ohne es diskriminierend zu meinen – auch unter einen demografischen Druck geraten und von sich aus Entwicklungen angehen.

Es ist keine gestalterische Tätigkeit, nur diese Hauptschule in Richtung einer Schule der Zukunft abzuschaffen, die länger als eine Legislaturperiode trägt. Ihr Verdienst ist es, Ihre Fraktion und Ihre Senatorin davon überzeugt zu haben. Sie haben beide keine Argumente zur Frage der frühen und schärferen Auslese nach der sechsten Klasse gebracht, auch nicht im Kontext mit der sozialen Spaltung.

Überlegen Sie sich noch einmal, wie der Auftrag eigentlich aussieht. Wir brauchen in Deutschland eine hohe Bildungsbeteiligung für alle, und zwar nicht nach sozialer Herkunft. Das haben wir uns alle ins Hausaufgabenbuch geschrieben, und zwar nicht nur Herr Munius oder die EU, ich könne Ihnen seitenweise aus der Wirtschaft zitieren.

Wir brauchen eine gesellschaftliche Integration der Migrantenkinder, die bisher nicht gelungen ist. Wir sehen das an den Abschlüssen. Wir brauchen für alle ein hohes Bildungsniveau unter Reduzierung der Risikoschüler und wir brauchen dringend mehr Akademikerinnen und Akademiker, um auf das europäische Niveau zu kommen. Diese Herausforderungen werden Sie mit diesem System, mit der Zementierung von zwei Säulen, nicht bewältigen.

Ich nenne Ihnen ein konkretes Beispiel: Wir haben in der letzten Woche die Regionalstudien bekommen. Gehen Sie nach Finkenwerder, gehen Sie an die Schultore der

Gesamtschulen und der Gymnasien und fragen Sie die Schüler, wie viele Bücher sie zu Hause haben. Ich sage Ihnen, der Schüler, der fünf Bücher hat, geht in die Gesamtschule in Finkenwerder und der Schüler, der mehr als 100 Bücher hat, geht ins Gymnasium. Das ist durch die Regionalstudien in allen Stadtteilen deutlich geworden. Es wird nach sozialer Herkunft gespalten. Wer geht denn jetzt in die Stadtteilschule? Wie wollen Sie die soziale Spaltung in einem Sozialraum wie Finkenwerder aufheben? Zwischen beiden Schulen liegen soziale Welten. Gehen Sie den anderen Weg in der Schulentwicklung, nämlich auch in der Entwicklung des Gymnasiums. Kein Mensch will das Gymnasium abschaffen. Es geht darum, dass im Gymnasium genauso individuell gefordert und gefördert wird, was bisher nicht in ausreichendem Maße gelingt. Wir haben die Orientierung an den Mittelköpfen und nicht an den Spitzen, die gefordert werden, und wir haben die Schwachen, deren Talente genauso entwickelt werden müssen. Das ist der Mangel an unserem System.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Um das nicht nur mit meinen Worten zu sagen, möchte ich Herrn Professor von Saldern zitieren. Er sagte, aus seiner Sicht sei ein Zweisäulenmodell keine Lösung. Er halte ein solches Modell für wissenschaftlich und moralisch verwerflich. Insbesondere sei der frühe Selektionszeitraum wissenschaftlich nicht gerechtfertigt. Man nehme diesen Kindern wichtige Lebenschancen und das sei einer Demokratie nicht würdig.

Lassen Sie mich mit einem Zitat von Lothar Späth enden, ehemals Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Er sagte:

"Wir müssen weg von einem Bildungssystem, das sich darauf ausrichtet, überdurchschnittliche Schüler von unterdurchschnittlichen zu trennen, hin zu einem System, das individuelle Schwächen ausgleicht und Talente fördert."

Das lässt sich weder durch das althergebrachte Dreiklassensystem noch durch den herkömmlichen Frontalunterricht gewährleisten. In diese Richtung müssen wir gehen, beispielsweise in Richtung der Max-Brauer-Schule, die es geschafft hat, ein neues System als Gesamtschule hin zu einer neuen Schule zu entwickeln. Wie die heißt, ist mir – ehrlich gesagt – vollkommen egal, hauptsächlich sie nimmt die Kinder mit und lässt deren Talente sich entfalten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Lein.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach Ihren Einlassungen, Frau Senatorin, sind wir Sozialdemokraten gut beraten gewesen, uns der Einladung an den grünen Tisch im 16. Stock zum Ausbaldowern, wie es in Hamburg weitergehen soll, zu verweigern und das Ganze parlamentarisch in einer Enquete-Kommission zu behandeln.