Protokoll der Sitzung vom 29.08.2007

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren! Ich rufe jetzt die Punkte 68 und 69 auf, Drs. 18/6826 und 18/6827, Antrag der CDUFraktion: Stellungnahme der Bürgerschaft zum Volksentscheid am 14. Oktober 2007: Hände weg von der Verfassung und gemeinsamer Antrag der SPD- und GALFraktion: Stellungnahme der Bürgerschaft zum Volksentscheid "Hamburg stärkt den Volksentscheid".

[Antrag der Fraktion der CDU: Stellungnahme der Bürgerschaft zum Volksentscheid am 14. Oktober 2007: Hände weg von der Verfassung - Drs. 18/6826 -]

[Antrag der Fraktionen der SPD und der GAL: Stellungnahme der Bürgerschaft zum Volksentscheid "Hamburg stärkt den Volksentscheid" - Drs. 18/6827 -]

Hierzu liegt Ihnen als Drs. 18/6855 ein gemeinsamer Antrag der SPD- und GAL-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktionen der SPD und der GAL: Volksentscheid am 14. Oktober 2007: Jeder Briefkasten ist ein Wahllokal! - Drs. 18/6855 -]

Wer wünscht das Wort? Herr Voet van Vormizeele.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kollegen! Hamburg steht mit dem Volks

entscheid am 14. Oktober dieses Jahres vor einer wichtigen, vielleicht sogar vor einer sehr wichtigen demokratischen Weichenstellung. Die Frage, die sich alle Hamburger zu stellen haben, lautet: Wollen wir unsere Verfassung, die sich bewährt hat, ändern, um künftig Minderheiten in dieser Stadt die Möglichkeit zu geben, über die große Mehrheit der Bürger zu bestimmen. Wir als CDU, wir als Christdemokraten sagen hier klipp und klar und unmissverständlich: Das wollen wir nicht, wir sagen zu diesem Volksentscheid nein.

(Beifall bei der CDU)

Unsere Verfassung vom Juni 1952 hat sich bewährt. Sie ist seitdem, also in gut 55 Jahren, nur zehnmal geändert worden. Jeder einzelnen Änderung gingen intensive Beratungen im Parlament und seinen Gremien voraus, jeweils von Experten begleitet und diskutiert. Die Initiatoren dieses Volksentscheids, den wir jetzt vor uns haben, wollen, dass Verfassungsänderungen künftig in dieser Stadt von bereits 35 Prozent der Wahlberechtigten durchgesetzt werden können. Die Verfassung ist das Grundgesetz dieser Stadt. In ihr sind die wichtigsten Spielregeln des Zusammenlebens von 1,75 Millionen Hamburgerinnen und Hamburgern geregelt. Bislang ist zu einer Änderung der Verfassung durch Volksgesetze erforderlich, dass mindestens die Hälfte aller Abstimmungsberechtigten zustimmt. Im Parlament müssen sogar zwei Drittel der Abgeordneten zustimmen.

Die Verfassung soll und darf nur auf Basis eines breiten, gesellschaftlichen Konsenses verändert werden. Die Initiative hält es für demokratischer, dass schon eine Minderheit von nur 35 Prozent diese Verfassung ändern kann. Warum das demokratischer ist, erklärt sie uns allerdings nicht. Es ist angebracht, einmal darauf zu schauen, wie andere Bundesländer dieses regeln. Wir haben 15 andere Bundesländer und elf von diesen 15 Bundesländern haben, wie wir Hamburger auch, eine 50Prozent-Quote plus gegebenenfalls Zwei-DrittelBeteiligung. Zwei Bundesländer schließen kategorisch aus, die Verfassung überhaupt durch Volksgesetzgebung zu ändern. Thüringen hat eine 40-Prozent-Quote und nur Bayern hat eine 25-Prozent-Quote, allerdings, bevor Sie frohlocken, mit deutlich größeren administrativen Hürden, bevor man überhaupt so weit kommt. Das heißt, was wir in Hamburg machen, ist ein einmaliger Akt der Begünstigung von Minderheiten auf Kosten der Mehrheit.

Aber wir bleiben nicht nur bei der Frage der Veränderung der Verfassung stehen, auch einfache Gesetze, also Landesgesetze außerhalb der Verfassung sollen nach Vorstellung der Initiatoren künftig von 17,5 Prozent der Abstimmungsberechtigten in Hamburg geändert werden können. Nun klingt das Wort einfaches Gesetz, also Landesgesetz, harmlos und vielleicht denkt auch mancher, so ein kleines, einfaches Gesetz kann man auch mit ein paar Leuten ändern. Vielleicht sollte man sich einmal ins Gedächtnis rufen, was denn so manches einfache Gesetz in dieser Stadt sein kann.

Zu den einfachen Landesgesetzen gehört zum Beispiel die Frage, in welchen Situationen Polizisten in Tötungsabsicht auf einen Menschen schießen dürfen, nämlich der berühmte finale Rettungsschuss, Paragraf 25 SOG. Es gehört auch dazu die Frage, ob wir in dieser Stadt Gymnasien behalten oder sie abschaffen wollen, denn wer sie abschaffen möchte, muss nur Paragraf 17 des einfachen Landesgesetzes, des Schulgesetzes, ändern und schon gibt es nach Beschluss von 17,5 Prozent der Hamburger

keine Gymnasien mehr. Oder kommen wir zu einer elementaren Frage für uns Hamburger, das Hafenausbaugesetz, das wir brauchen, um diese wichtige Lebensader für uns Hamburger zu erhalten, ein einfaches Gesetz, das künftig mit 17,5 Prozent beschlossen werden kann und der Hafenausbau in Hamburg ist beendet.

Die Initiatoren bleiben in ihrer Begründung leider relativ still und sagen nichts dazu, warum derart gravierende Entscheidungen von weniger als einem Fünftel der Hamburger Abstimmungsberechtigten getroffen werden können. Mir fällt dafür keine Begründung ein und ich finde es unglaublich, dass zentrale Entscheidungen für das Überleben der Stadt von 17,5 Prozent der Abstimmungsberechtigten getroffen werden können.

(Beifall bei der CDU - Jens Kerstan GAL: Wie viel Prozent haben Sie denn gewählt?)

Manchmal ist es auch wichtig, dass der Gesetzgeber in der Lage ist, auf neue Umstände schnell zu reagieren und entsprechend zu handeln. Trotzdem wollen die Initiatoren dieses Volksgesetzes, dass Volksgesetze nicht mehr nur geändert werden können, sondern wir ab jetzt einen extrem aufwendigen und langwierigen Verfahrensschritt brauchen, um überhaupt Änderungen vornehmen zu können.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Und wofür brauchen wir das?)

Die Regelungen, die die Initiatoren erdacht haben, würden bewirken, dass jedes Änderungsgesetz, das auch nur am Rande ein Volksgesetz betrifft, frühestens drei Monate nach Verkündung wirksam werden kann, auch dann, wenn selbst die Initiatoren die Änderung als richtig und dringlich betrachten. Verlangen innerhalb dieser kurzen Frist noch einmal 2,5 Prozent der Hamburger Wahlberechtigten einen weiteren Volksentscheid, kann es ein Änderungsgesetz ohne Volksentscheid nicht mehr geben. Mit einer solchen Bestimmung, verehrte Kollegen, könnte eine kleine, gut organisierte Gruppe unverantwortliche Verzögerungen hervorrufen, die für Hamburg in hohem Maße schädlich sind. Das alleine wäre schon Grund genug, diesen Teil des Gesetzespakets abzulehnen, den die Initiatoren geschnürt haben.

Hinzu kommt aber auch noch, dass zu diesen überflüssigen Regelungen eine ganze Reihe von Regelungen kommen, die vor allem verkennen, dass auch in Volksgesetzgebungen Fehler passieren können, und zwar schwerwiegende Fehler.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sie machen keine Feh- ler?)

Es ist überhaupt kein Geheimnis, dass Gesetze häufig, und zwar ohne jede Ausnahme, egal, ob Volksgesetz oder Parlamentsgesetz, Fehler enthalten. Wir machen Fehler, die Kollegen im Bundestag machen Fehler und auch andere Kollegen in anderen Landtagen machen Fehler.

(Farid Müller GAL: Ja und?)

Das Problem dabei ist nur, wenn wir einen Fehler machen und ihn erkennen, sind wir in der Lage, ihn zu ändern. Mit diesem Verfahren der Volksgesetzgebung werden Sie Fehler in Gesetzen nicht mehr ernsthaft ändern können. Das dauert Monate, wenn nicht gar Jahre.

Ich will Ihnen ein paar schöne Beispiele nennen, wie gut volksbeschlossene Gesetzgebung sein kann; wir haben ein ganz klassisches Beispiel. Im volksbeschlossenen Wahlrecht ist die gesamte Bandbreite gesetzgeberischer Fehlermöglichkeiten vorhanden. In der Ursprungsversion hätte dieses Wahlrecht Hamburg unregierbar gemacht. So hat das Verfassungsgericht in seinem Urteil vom April dieses Jahres auch deutlich gemacht, dass es nur eine einzige Beanstandung gegeben hat und diese bezog sich auf eine Regelung, die die Volksinitiative durchgezogen hat. Ich will mich gar nicht über die rechtswidrigen und demokratiefeindlichen Verlängerungen von Amtsdauer und von Bezirksversammlung unterhalten, aber ein Beispiel sollte man hier immer wieder erwähnen, wenn es um die Qualität dieser Gesetze geht. Das Wahlgesetz der Initiatoren enthielt dem Wortlaut nach eine starre Landesliste. Gewollt war natürlich - das wissen wir inzwischen alle - eine flexible Landesliste. Wenn man diesen Entwurf so wörtlich genommen hätte, dann hätten alle Wähler, die ihre Stimmen zum Beispiel einem Kandidaten gegeben hätten, der ganz unten auf der Liste stand, am Ende festgestellt, dass sie leider umsonst abgestimmt haben, weil dieser rechtstechnische Fehler dazu geführt hätte, dass ihre Stimmen ohne jeden Effekt gewesen wären.

Die Initiatoren haben mit ihrem Wortlaut also genau das Gegenteil dessen formuliert, was gemeint war. So etwas kann vorkommen, natürlich kann so etwas passieren. Das Problem ist nur, dass noch nicht einmal die Initiatoren in der Lage gewesen wären, diesen Fehler in einer angemessenen Zeit zu korrigieren. Ein Parlament kann das und ein Parlament darf sich in dieser Möglichkeit, Gesetze zu ändern, wenn es denn notwendig ist, nicht einschränken lassen.

(Beifall bei der CDU)

Kommen wir zu den finanziellen Aspekten dieses Antrags. Dieser Volksentscheid soll allen kommenden Initiatoren von Volksentscheiden letztendlich einen Blankoscheck ausstellen. Es sollen Ausgaben in unbegrenzter Höhe beschlossen werden können, ohne dass die Initiatoren darlegen müssen, woher das Geld kommt. Mit unerquicklichen Fragen möchte man sich dort lieber nicht belasten. Ob vielleicht das Vorhaben, das man so populär der Öffentlichkeit verkaufen möchte, Steuererhöhungen oder staatliche Leistungskürzungen nach sich ziehen wird oder man dafür Schulden machen muss, überlässt man gerne den anderen; diese Arbeit mögen bitte die Parlamente machen. Wie leichtsinnig es wäre, eine solche Regelung in die Verfassung aufzunehmen und damit quasi unveränderlich zu machen, muss nicht weiter gesagt werden. Alle Bemühungen der Kollegen, auf der Haushaltsebene momentan eine Schuldenbremse in dieser Stadt einzuführen, wären mit dieser Volksinitiative endgültig gestoppt, weil keiner mehr sagen müsste, woher das Geld für die Wohltaten kommt, die man in dieser Stadt verteilen möchte.

Ich will aber an dieser Stelle noch einmal deutlich machen, dass in meiner Fraktion große Zweifel an der Grundgesetzkonformität dieses Volksbegehrens bestehen. Die Hamburgische Verfassung darf nicht in Widerspruch zum Grundgesetz stehen; das nennt man Homogenitätsprinzip. Das Grundgesetz kennt Volksentscheide nur in zwei Sonderfällen und setzt das Übergewicht des parlamentarischen Gesetzgebers gegenüber der Volksgesetzgebung als selbstverständlich voraus.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sie kennen sich ja aus in der Gesetzgebung!)

Die Regelungen, die die Initiatoren anstreben, würde das Verhältnis zwischen dem parlamentarischen Gesetzgeber und dem Volksgesetzgeber nachhaltig verändern, und zwar in einer Weise, die fraglich machen würde, ob wir mit dieser Regelung dem Grundgesetz überhaupt noch entsprechen würden.

(Jens Kerstan GAL: Warum sind Sie denn nicht zum Verfassungsgericht gegangen?)

Alle Zweifel, seien sie rechtlicher oder politischer Art, können nur zu einem Entschluss führen: Dieses Volksbegehren am 14. Oktober muss abgelehnt werden.

(Beifall bei der CDU)

Ich will an dieser Stelle gerne die Gelegenheit wahrnehmen, es den Hamburgerinnen und Hamburgern deutlich zu sagen: Retten Sie unsere Verfassung so, wie sie ist und stimmen Sie beim Volksbegehren am 14. Oktober mit Nein.

Aber wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie vielleicht einem anderen. Ich will am Ende jemanden zitieren, der sich hier immer für berufen hält.

"Man braucht Volksentscheide nicht per Verfassung verbindlich zu machen. Niemand wird sie ändern, wenn es nicht absolut unvermeidlich ist."

(Zurufe von der SPD)

Diese Formulierung ist fantastisch und man kann sie durch nichts ergänzen. Ich hoffe, Herr Kollege Dressel, dass Sie diesen Beitrag, den Sie 2001 in einem Projekt für die Landeszentrale für politische Bildung geschrieben haben, heute noch einmal wiederholen werden. Ich kann Sie nur auffordern, konsequent zu sein und zu dem zu stehen, was Sie damals so richtig geschrieben haben. Stimmen auch Sie und Ihre Kollegen am 14. Oktober mit Nein bei diesem Volksentscheid.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält die Abgeordnete Duden.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Man sollte buchstäblich die Kirche im Dorf lassen. Ein paar Bemerkungen zu Herrn Voet van Vormizeele sollte man doch noch einmal machen, weil uns hier vorgespielt wurde, Hamburg werde geradezu unregierbar gemacht, wenn all das am 14. Oktober durchkäme. Das einzige Problem in dieser Stadt wird sein, dass die CDU damit nicht klarkommt. Die Bürger werden schon wissen, was sie am 14. Oktober machen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wer davon redet, dass Wahlperiodenverlängerungen demokratiefeindlich seien, hat eigentlich nicht mitbekommen, dass es ganz viele sehr seriöse Landesparlamente gibt, die sehr wohl darüber diskutieren, Wahlperioden zu verlängern.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Aber nicht in der laufenden Wahlperiode!)

Das hat nicht den Ruf von Demokratiefeindlichkeit, sondern dient vielleicht auch Abgeordneten, in fünf Jahren klüger zu werden.

Von daher würde ich den Zusammenhang zwischen Demokratiefeindlichkeit und diesen Begriff nicht wählen. Aber ich glaube, dass das, was wir heute diskutieren, in Wirklichkeit ein weiterer Mosaikstein auf dem Weg zur Steigerung der Politikverdrossenheit ist. Wer die CDUBroschüre liest - und wir haben sie alle erst relativ spät bekommen -, der wird den Eindruck nicht los, dass es hier um den unmittelbar bevorstehenden Untergang des christlichen Abendlandes geht. Aber eines wird auf eine geradezu entlarvende Art und Weise deutlich: Die CDU hat Angst vor dem Volk.