Der Volksentscheid "Hamburg stärkt den Volksentscheid" ist die große Chance, diese Vorschrift der Verfassung in Hamburg endlich mit Leben zu füllen. Das passt Ihnen nicht, meine verehrten Kollegen von der CDU. Ihre Kampagne trägt den Slogan "Rettet die Verfassung". Dahinter steckt Ihre Angst vor einer Verfassung, in der Volksgesetzgeber und Bürgerschaft gleichberechtigt sind. Nur, meine Damen und Herren, die Verfassung sieht das bereits vor. Sie warnen vor etwas, das längst Realität ist, eine Realität, die Sie mitbeschlossen haben. Ihnen ist das Volk ein Dorn im Auge. Anders ist nicht zu erklären, dass Sie zwei Volksentscheide in einer Legislatur fortgesetzt missachtet haben. Sicher, die Volksgesetzgebung macht das Regieren schwerer. Die Parteien geben Macht ab, die Politiker geben Macht ab, auch wir Abgeordnete geben Macht ab. Das war so vorgesehen, das war der Zweck bei der Einführung der direkten Demokratie. Deswegen kann ich nur sagen: Gut so.
Wenn wir alle etwas Macht verlieren, damit das Volk mehr zu sagen hat, sind wir in Hamburg am Ende alle Gewinner. Sie aber tun so, als stünde in Hamburg die Verfassung auf dem Spiel und als würde Hamburg unregierbar. Das ist unsachlich, das ist unredlich und das ist falsch. Das wissen Sie auch.
Ich wende mich ausdrücklich an die Zuschauerinnen und Zuschauer auf den oberen Tribünen, in Vertretung für die 1,2 Millionen Wahlberechtigten in dieser Stadt. Ich habe einen wichtigen Appell an Sie: Lassen Sie sich nicht beirren. Lassen Sie sich von der CDU nicht weismachen, es ginge bei dem Volksentscheid um Quoren, um Zahlen, um eine Gefährdung der Verfassung. Das ist alles Unsinn. Es geht einzig um die Frage, ob Volksentscheide in dieser Stadt noch etwas wert sind oder nicht. Darüber ist zu entscheiden und über nichts anderes.
Dass das nicht funktioniert, was Sie hier vorhaben, zeigt die rege Beteiligung. Wir haben jetzt lesen können, dass bereits über 130.000 Menschen an der Abstimmung teilgenommen haben. Darüber freuen wir uns und beglückwünschen die Initiatoren.
Ich möchte aber auch noch ein paar Worte über die beispiellose Pannenserie bei der Abstimmung verlieren.
Der Landesabstimmungsleiter hatte vergessen, den Gesetzentwurf beizufügen. Deswegen wissen viele Hamburger gar nicht, worüber sie abstimmen.
Einige gehen ins Internet, viele wissen aber nicht, woher sie den Gesetzentwurf bekommen sollen. Das war bisher so nicht der Fall, bei allen Briefwahlen war der Gesetzentwurf immer beigelegt. Nur durch Ihr Gesetz ist es dieses Mal anders. Es war auch nur dadurch möglich, weil Sie diesen Volksentscheid von der Wahl abgetrennt haben.
Selbst der Bürgermeister rät den Hamburgerinnen und Hamburgern, den Text des Gesetzes genau durchzulesen. Wie sollen sie es aber machen, wenn Sie nicht in der Lage sind, eine vernünftige Abstimmung in dieser Stadt zu organisieren.
Heute Mittag kommt eine Presseerklärung heraus, in der steht, die Hamburgerinnen und Hamburger könnten sich beim Bezirkswahlleiter informieren oder auch anrufen und sich das Gesetz zuschicken lassen.
Das ist nicht genug. Wir Grüne fordern, den Gesetzentwurf allen Hamburger Haushalten zuzusenden, damit alle Menschen genau erfahren, um was es in dieser Stadt geht.
(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD - Kai Voet van Vormizeele CDU: Machen Sie doch mal ein Gesetz, in dem das vorgesehen ist!)
Es geht auch nicht an, dass bis zum heutigen Tage Tausende von Wahlberechtigten noch gar keine Abstimmungsunterlagen erhalten haben. Überall - bei Ihnen und bei uns - laufen die Telefone heiß. Wir sagen, sie sollen sich an den Landesabstimmungswahlleiter und an die Bezirksabstimmungsstellen wenden. Aber das reicht nicht. Die Leute wissen zum Teil gar nicht, wohin sie sich wenden sollen, und wir sind froh, wenn überhaupt noch Bürger anrufen.
Meine Damen und Herren, das ist falsch und man kann das so nicht machen. Die Menschen haben jetzt schon Angst und Sorge, aus welchen Gründen diese ganzen Pannen passieren. Ein Beispiel ist die Auszählung bei einem privaten Dienstanbieter.
Die Leute haben Sorge, dass das nicht mit rechten Dingen zugeht. Ich fordere Sie auf, dass Sie das in Ordnung bringen und dass wir das Abstimmungsergebnis in dieser Stadt schneller als in zehn Tagen haben. Anders geht es nicht. - Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, bevor ich mich inhaltlich zum Volksentscheid äußere und meine Überzeugung vorbringe, etwas zum Stil der Debatte und zu den Debattenbeiträgen zu sagen.
Herr Dressel, ich finde es unerträglich, wenn Sie Menschen aufgrund ihres Namens oder ihrer Herkunft diffamieren. Das tut man nicht.
Mir ist es völlig egal, wie diejenigen heißen, die sich äußern, und welche Funktion sie haben. Ich respektiere die Meinung eines jeden, sei er dagegen oder dafür. Sie haben einzelne diffamiert. Das ist nicht in Ordnung, Herr Dressel.
Herr Müller, ich weise es mit Nachdruck zurück, wenn Sie dem Abstimmungsleiter unterstellen, hier sei bewusst oder unbewusst etwas falsch oder ungesetzlich gelaufen. Das ist nicht die Wahrheit.
Sie tun so, als sei es gesetzliche Voraussetzung, das Gesetz mitzuverschicken. Richtig ist, dass das Gesetz bei der Abstimmung zum Wahlgesetz auch nicht mitverschickt und von niemandem beanstandet wurde. Richtig ist, dass jede Seite verantwortlich ist, die Unterlagen zusammenzustellen und sie dann zu verschicken. Das heißt, wenn Sie meinen, es sei so wichtig, dann hätte die Initiative diese Unterlagen ohne Schwierigkeiten beilegen können.
Ich verwehre mich dagegen, Herr Müller - heute ging es, aber in den letzten Wochen war es so -, dass Sie diese Debatte, in der man verschiedener Meinung sein kann,
(Michael Neumann SPD: Immer die gleiche Schallplatte! in der es um die Frage geht, wie viel plebiszitäre Elemen- te Demokratie haben soll, mit einer unglaublichen morali- schen Überheblichkeit verbinden. Auf diese haben Sie keinen Anspruch, Herr Müller. (Beifall bei der CDU - Michael Neumann SPD: Da sind Sie ja genau der Richtige!)
Ich will Ihnen, verehrter Herr Müller, auch sagen, warum Sie keinen Anspruch darauf haben. Die Grünen sind in dieser Sache auch nicht ganz unbefleckt. Erinnern Sie sich vielleicht an den Bürgerentscheid in Altona? Dort haben 79 Prozent derjenigen, die abgestimmt haben, gegen die Schließung eines Schwimmbades gestimmt. Sie aber haben die Schließung Seite an Seite mit der CDU durchgesetzt. Da war es plötzlich moralisch und anständig, aber jetzt sagen Sie etwas anderes. Moral ist nicht teilbar, Herr Müller. Wenn, dann gilt sie immer.
- Da sind die großen Demokraten, die lassen einen nicht einmal ausreden, das sind die Gralshüter der Demokratie. Genau so verhalten sie sich, Doppelmoral, wo man hinguckt.
Aber die Debatte, die wir hier führen, ist nicht neu. Seit Jahrzehnten wird in Deutschland und in Europa darüber diskutiert, wer in einer Demokratie die letzte Entscheidung hat: Die Parlamente, also die frei gewählten Abgeordneten, oder durch einen Volksentscheid oder durch ein Plebiszit das Volk selbst. Genau darum geht es bei diesem Volksentscheid. Wer hat in der Demokratie die letzte Entscheidung? Das Parlament oder per Plebiszit das Volk selbst? Meine Überzeugung ist, auch wenn sie unpopulär sein mag, die letzte Entscheidung muss beim Parlament liegen. Das ist das Wesen der parlamentarischen Demokratie und damit sind wir in Deutschland und in Hamburg 60 Jahre lang gut gefahren.
Meine Überzeugung stützt sich auf jahrzehntelange Erfahrung und Diskussion. Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang, den größten Bürgermeister der hamburgischen Nachkriegsgeschichte, Herbert Weichmann, zu zitieren, der in seinem Buch "Gefährdete Freiheit" Folgendes zu diesem Thema ausgeführt hat:
"Und ich meine auch, dass die Väter unseres Grundgesetzes mit gutem Grund nach den Erfahrungen der Weimarer Republik das Plebiszit abgeschafft haben, während heute eben wieder unter der Parole der Demokratisierung Tendenzen vorhanden sind, plebiszitäre Methoden anzuwenden. Es gibt auch in der Demokratie die Gefahr einer Überdemokratisierung. Man kann Demokratie oder man kann einen Staat nicht funktionsfähig erhalten, wenn man sozusagen jede Entscheidung bis zur Basis vortreibt und von der Basis her legitimieren will."