Protokoll der Sitzung vom 03.09.2008

Frau Stapelfeldt, ich finde das so unglaublich, das ist eine solche Trickserei – Herr Beuß hat schon gesagt, dass wir das selbstverständlich hinbekommen –, was Sie da gemacht haben, geht zulasten der Studierenden und das wissen Sie. Da zeigt sich, dass Ihnen die Studenten egal sind und das finde ich ein starkes Stück.

(Beifall bei der GAL und der CDU – Wolf- gang Beuß CDU: Trickser!)

Wir werden unsere Gesetzesnovellierung zur Studienfinanzierung beschließen,

(Ingo Egloff SPD: Ihr ward ja immer ganz anständig!)

wenn nicht heute, dann beim nächsten Mal. Das wird der erste messbare Erfolg unserer Beteiligung am schwarz-grünen Senat sein. Unsere Reform führt dazu, dass sich für über 50 000 Studierende in dieser Stadt die Lebenswirklichkeit zum Positiven wendet. Aus der studienbegleitenden Gebühr ist eine Alumni-Abgabe geworden. Die Studierenden zahlen erst, wenn sie zu der Gruppe von Erwerbstätigen gehören, die mehr als 30 000 Euro verdienen. Wir haben den dann fälligen Betrag reduziert und das ist ein erheblicher Unterschied.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Aber bis es zu diesem Beschluss kommt – den haben Sie jetzt tüchtig hinausgezögert, meine lieben Kollegen von der SPD –, gilt die alte Regelung, die Senator Dräger im Sommersemester 2007 eingeführt hat. Diese Regelung halten wir für falsch. Denn mit der studienbegleitenden Erhebung der Gebühr läuft man Gefahr, dass gerade all diejenigen von den Hochschulen ferngehalten werden, die wir dort ganz dringend brauchen, soziale Aufsteiger aus Haushalten, in denen es eben nicht normal ist, dass man ein Studium aufnimmt. Das zementiert gesellschaftliche Strukturen und schafft soziale Ungerechtigkeit. Und darum geht es im Kern. Es geht – und da haben Sie völlig recht, Frau Stapelfeldt – um die Frage von sozialer Gerechtigkeit und um die Frage von Chancengleichheit beim Erwerb von Bildung. Das fängt in der Schule an – wir haben darüber vorhin schon recht ausführlich debattiert –, deshalb haben wir die Hauptschulen gemeinsam abgeschafft. Und wir wollen, dass die Kinder gemeinsam länger in der Primarschule lernen. Aber wir wollen eben auch, dass an der Hochschule wieder die Chancengleichheit und der chancengleiche Zugang zu dieser Bildungsart hergestellt werden.

Aus finanziellen Gründen wird – und das ist eben unser großer Erfolg – sich in Hamburg niemand mehr gegen ein Studium entscheiden müssen. Das ist ein Erfolg und das wird ein gutes erstes Ergebnis von schwarz-grüner Regierungszusammenarbeit sein.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Wenn aber – und jetzt kommen wir zum zweiten Punkt, den Sie, obwohl wir darüber im Wissenschaftsausschuss ausführlich gesprochen haben, offensichtlich nicht gewillt sind, zur Kenntnis zu nehmen – das Leben aus diesen Studierenden Alumni gemacht hat und diese ehemaligen Studenten mit ihrer erworbenen Hochschulbildung als Ärzte, Juristen, Ingenieure, Banker als Werbekaufleute arbeiten und gutes Geld verdienen, dann ist es eben auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, wenn sich die erfolgreichen Akademiker, all diejenigen, die nach ihrem Studium über 30 000 Euro verdienen – Sie wissen, die Einstiegsgehälter bei Ingenieuren nach dem Bachelor-Abschluss an der Technischen Universität Harburg betragen zwischen 40 000 und 50 000 Euro pro Jahr –, mit einem kleinen Teil an den Kosten ihrer Ausbildung beteiligen. Das sind beim Bachelor für ein sechssemestriges Studium 2 250 Euro und bei einem Master mit 10 Semestern 3 750 Euro, also Summen, die für diejenigen, die sich erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt bewegen, bezahlbar sind. Für alle anderen Akademiker, bei denen das nicht so gut läuft und die mit ihrem Einkommen unter dieser Grenze von 30 000 Euro bleiben, bleibt das Studium weiterhin kostenfrei. Sie müssen ihrer Uni nichts zurückzahlen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Hier trägt weiterhin die Solidargemeinschaft die Kosten, sodass auch die Hochschulen durch diese Reform nicht schlechter gestellt werden, sondern weiterhin mit einem festen Betrag rechnen können. Das zusätzliche Geld wird von den Hochschulen dazu verwendet, die Studienbedingungen vor allen Dingen in der Lehre zu verbessern.

Jetzt kommt ausgerechnet von der Opposition der Vorwurf: Ihre Reform ist aber teuer. Da antworten wir: Ja, das stimmt. Unsere Reform kostet Geld aber wir halten es eben auch für wesentlich in einer Frage, bei der es um die Austarierung von sozialer Gerechtigkeit in unserer Stadt geht, nicht am falschen Ende zu sparen. Bei der Studienfinanzierung geht die öffentliche Hand in die Vorleistung und dort, wo das Gut Bildung die Menschen zu erfolgreichen und einkommensstarken Mitgliedern werden lässt, holt sie sich einen kleinen Teil zurück. Das ist soziale Gerechtigkeit beim Zugang zur Hochschulbildung und das leistet die schwarzgrüne Reform der Studienfinanzierung.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort hat die Abgeordnete Heyenn.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Studiengebühren sind unsozial und verschärfen die soziale Spaltung in dieser Stadt.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Es ist das dritte Mal, dass wir in dieser Wahlperiode über Studiengebühren diskutieren.

(Olaf Ohlsen CDU: Das ist aber das letzte Mal heute!)

Aber den Gesetzentwurf von CDU und GAL diskutieren wir heute zum ersten Mal. Von der CDU sind wir es gewohnt, dass sie stur durchzieht, was sie sich vorgenommen hat.

(Wolfgang Beuß CDU: Halten Sie sich ein- mal zurück!)

Ich will es gerade belegen, vielleicht hören Sie einfach einmal zu.

In der Rede vom Überseeclub hat Ole von Beust 2002 bestimmte Dinge angekündigt, die in dieser Stadt vollständig umgesetzt worden sind. Einmal haben wir ganz viele PPP-Projekte und ein Schattenhaushalt hat sich aufgebaut. Die Ausgliederung von öffentlichen Ausgaben in eigenständige öffentliche Unternehmen ist immer weiter fortgeschritten und die demokratische Kontrolle durch die Bürgerschaft wird immer geringer. Wie die CDU Bürgerproteste sieht, hat sie heute wieder eindrucksvoll belegt und es ist auch legendär, wie die CDU mit Bürgerentscheiden umgeht. Die nachgelagerten Studiengebühren nach dem Vorbild von Australien waren auch eine Idee der CDU, die schon 2002 gefasst wurde. Mit der Koalition von Schwarz-Grün hatten wir die Erwartung, dass die Argumente Andersdenkender jetzt stärker in die Regierungsarbeit einbezogen und auch berücksichtigt werden.

(Wolfgang Beuß CDU: Sind sie doch!)

Transparenz und Bürgerrechte waren die Schlagworte der GAL und es herrschte eine Aufbruchstimmung, auf die heute schon mehrmals eingegangen wurde, als der Koalitionsvertrag beschlossen wurde. Die Frage ist: Was ist übrig geblieben? Die GAL hat noch zu Jahresbeginn Folgendes gesagt, das kann man auch im Internet nachlesen:

"Studiengebühren sind [erstens] der falsche Weg, [zweitens] unsozial, [drittens] ineffizient, [viertens] diskriminieren [sie und fünftens] führen [sie] zu unübersehbaren Schulden."

Originalton GAL vor dem Wahlkampf.

Heute sagt Frau Gümbel, mit den nachgelagerten Studiengebühren wende sich für die Studenten al

les zum Positiven. Das kann verstehen, wer will. Ich kann diesen Gesinnungswandel nicht verstehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist zu befürchten, dass das Adenauer-Wort doch über den Grünen schwebt. Er hat nämlich gesagt:

"Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern."

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Am 1. Juli 2008 hatten wir im Wissenschaftsausschuss eine öffentliche Anhörung. Es waren circa 200 Personen anwesend und 300 haben sich zu Wort gemeldet und haben eine Stellungnahme zu Protokoll gegeben. Die große Mehrheit war gegen Studiengebühren. Die aufgeführten Argumente waren, dass die Notwendigkeit bestehe, die Hochschulen sozial und offen zu halten, es wurde auf die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaften hingewiesen, es wurde noch einmal deutlich gemacht, dass Bildung auch den Aspekt der Emanzipation beinhalten müsse, dass Bildung und Hochschulstudium etwas mit demokratischen Beteiligungsrechten zu tun habe und dass es selbstverständlich auch die volkswirtschaftlichen Erfordernisse und die historischen Erfahrungen und vor allen Dingen auch die internationalistischen Entwicklungsperspektiven betreffe.

Der Eindruck, der sich aufdrängte, war allerdings, dass diese Anhörung der Form halber passierte. Die Argumente wurden streckenweise gar nicht wahrgenommen und ein Nachdenken über eigene Positionen wurde überhaupt nicht ausgelöst,

(Wolfgang Beuß CDU: Wie können Sie so etwas sagen?)

obwohl die Ausschussvorsitzende, Frau Dr. Gümbel, Folgendes ausführte:

"Die öffentliche Anhörung […] dient ausschließlich der Meinungsbildung der Mitglieder des Ausschusses […] Ziel der Anhörung ist es …, Sachverstand zu sammeln und den Kenntnisstand der Beteiligten zu erhöhen."

Sie berief sich auf Paragraf 59, darin steht allerdings etwas anderes.

Eine Auswertung der öffentlichen Anhörung fand nicht statt. Die Studenten fühlen und fühlten sich völlig zu Recht vorgeführt. Der AStA hat formuliert, dass das Instrument der öffentlichen Anhörung mit dieser Vorstellung zu einer Farce wurde. Es wurden eben nicht die Aspekte rauf und runter diskutiert, Frau Gümbel, sondern es wurde gar nicht zugehört. Es wurde kein Bezug darauf genommen und es wurde überhaupt nicht diskutiert, was in stundenlangen Ausführungen dargelegt wurde. Auch nachgelagerte Studiengebühren bleiben Studiengebühren und sie sind nach wie vor der

falsche Weg und sie sind nach wie vor unsozial, ineffizient, diskriminierend und führen zu unübersehbaren Schulden.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei dem vorgelegten Gesetzentwurf äußert sich das unter anderem dadurch, dass es kaum Möglichkeiten der Befreiung von der Zahlung gibt. Beim alten Modell war noch ein Drittel der Studierenden von der Zahlung der Studiengebühren befreit. Jetzt wird es nur noch ganz wenigen gewährt. Wir haben in Hamburg zum Beispiel ungefähr 9 000 Studierende – das sind ungefähr 13 Prozent –, die nicht aus EU-Staaten kommen. Diese werden nach der neuen Regelung von CDU und GAL nicht mehr befreit werden. Das hat wahrscheinlich etwas mit dem Zauberwort der Koalition zu tun, nämlich "kostenneutral". So, Frau Stapelfeldt, kann ich mir auch erklären, dass man die Ausnahmetatbestände und gleichzeitig auch die Studiengebühren von 500 auf 375 Euro herunterfährt. Das ist dann wahrscheinlich ein Nullsummenspiel. Das kommt auf das Gleiche hinaus.

Wir haben in der Zwischenzeit in der Presse HurraMeldungen gelesen, dass es in der Universität Hamburg ganz hohe Anmeldezahlen gebe. Daraus wurde der Schluss gezogen, dass die Studiengebühren darauf keinen Einfluss hätten. Nicht berücksichtigt wurde zu dem Zeitpunkt allerdings, dass die ZVS, die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen, nicht mehr intakt ist und nicht mehr arbeitet, sondern dass sich die Studenten selbst bewerben. Die Studierenden bewerben sich nicht an einer, sondern an mehreren Universitäten. Jetzt liegen andere Ergebnisse vor und insgesamt kann man feststellen, dass die Zahl der Abiturienten, die ein Studium anstreben, in Hamburg und in der Republik zurückgeht.

(Dr. Dorothee Stapelfeldt SPD: Ja!)

Eine bundesweite Befragung – Frau Stapelfeldt hat darauf hingewiesen – des Hochschulinformationssystems hat den Abschlussjahrgang 2006 von Abiturienenten mit dem Notendurchschnitt von 1,0 bis 2,0 untersucht. Dabei ist herausgekommen, dass auch immer mehr Abiturienten mit Spitzennoten kein Studium mehr aufnehmen wollen. Dabei ist ganz wichtig, dass es deutliche Unterschiede nach der sozialen Herkunft auch in der Gruppe der Einserabiturienten gibt. 81 Prozent derjenigen, die studieren wollen, kommen aus Akademikerhaushalten. Wichtig hierbei ist, dass das Studium bei jedem Zweiten dieser Studierenden auch von den Eltern finanziert wird. Nur 68 Prozent der Spitzenabiturienten aus Nichtakademikerhaushalten streben ein Studium an. Die meisten gaben an, dass sie für die Finanzierung des Studiums selbst verantwortlich seien und dass sie dafür jobben und Darlehen aufnehmen müssten. Weil sie eben aus anderen Verhältnissen kommen, leben sie auch noch häufiger bei ihren Eltern. Das heißt, sie sind

darauf angewiesen, wohnortnahe Hochschulen aufzusuchen, um studieren zu können, und sind dadurch eingeschränkt.

Insgesamt ist die Neigung, nach der Schule zu studieren, in Deutschland zurückgegangen. Im Jahre 2002 verneinten noch 27 Prozent der jungen Menschen mit Abitur, studieren zu wollen. 2006 waren es schon 32 Prozent, das ist eine signifikante Steigerung. Mehr als jeder Vierte führt dafür materielle Gründe an, zum Beispiel den unzureichenden Unterhalt oder Angst vor Studiengebühren und Verschuldung. Das bildungspolitische Ziel der Europäischen Union und der OECD ist, dass mehr junge Menschen an die Uni müssen. Wir haben im europäischen Vergleich und im OECD-Vergleich eine ganz geringe Studierendenquote. Wir haben auch eine zu geringe Abiturientenquote. Aus dem Grunde muss man einfach darauf hinweisen, dass ein sozialer Zusammenhang zwischen Studiengebühren und der Aufnahme eines Studiums besteht, und das darf nicht passieren.

Besonders dramatisch ist dabei, dass junge Frauen aus einkommensschwächeren Elternhäusern auf ein Studium verzichten. Dabei haben wir, was den Anteil der Frauen unter den Akademikern und auch in den Spitzenpositionen der Wirtschaft anbetrifft, national und international einiges aufzuholen. Es gilt empirisch eine sehr interessante Formel: 56 Prozent der Abiturientinnen nehmen ein Studium auf, 48 Prozent schließen es ab, 46 Prozent werden Diplomanden, 36 Prozent Doktoranden und 10 Prozent werden Professorin. Wir müssten eigentlich alles tun, damit alle jungen Frauen, die die Talente und Kompetenzen haben, auch ein Studium aufnehmen. Das hat auch soziale Gründe, warum sie es nicht tun.

(Beifall bei der LINKEN und bei Andrea Rug- barth SPD)

Die neuesten Berechnungen des Statistischen Bundesamts haben ausgewiesen, dass wir im Vergleich von 2003 zu 2007 17 Prozent mehr Absolventen mit Abitur und Fachhochschulreife haben. Aber im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Studienanfänger um 5 Prozent. In Hamburg sank in dem Jahr, nachdem die Studiengebühren eingeführt wurden, der Anteil um 4 Prozent, nur nicht an der Hochschule für bildende Künste, wo ein Boykott durchgeführt wurde. Da blieb der Anteil der Studienanfänger gleich. Auch das zeigt deutlich, welchen Zusammenhang es zwischen Studium und Studiengebühren gibt.