Protokoll der Sitzung vom 17.09.2008

Die Schule für alle wird auch den sogenannten Eliten gut tun, wie die Überschrift eines Artikels in der "Hamburger Lehrerzeitung" in der Dezember-Ausgabe des letzten Jahres lautete: Die Schule für alle ist ein Mercedes für alle.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Lemke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Heyenn, Frau Artus, Sie haben uns einen ganzen Strauß von Problemen an Schulen und nicht nur an Schulen dargelegt. Da ging es um die Arbeitslosigkeit junger Menschen, Bildungschancen von Kindern aus bildungsfernen Haushalten, Bildungschancen unterer Sozialschichten. Freude am Unterricht hat Frau Artus genannt, dann Druck, der auf den Kindern auf dem Gymnasium lastet. Sie kommen mir ein wenig so vor wie ein Kräuterdoktor, der uns die Wundersalbe Gemeinschaftsschule gegen alle vorhandenen Probleme an Schulen verschreiben will. Das ist aber nicht glaubhaft.

(Beifall bei der CDU)

Mit dieser Diskussion lenken Sie nur von den wirklichen Problemen ab. Das ist hier auch mehrfach gesagt worden, dass wir in Zukunft lieber darüber diskutieren sollten, wie die individuelle Förderung verbessert werden kann, gerade im Hinblick auf die vielen Jugendlichen, die die Schulen ohne Abschluss verlassen. Frau Goetsch hat das eben unter dem Begriff neue Lernkultur angesprochen. Diese Debatte, die Sie heute angestoßen haben, hat uns doch keinen Schritt vorangebracht.

(Wilfried Buss SPD: Eure Politik auch nicht! – Dr. Andreas Dressel SPD: Dann können wir die Debatte ja abbrechen!)

Ich verrate Ihnen ja kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass die CDU die Initiative "Eine Schule für Alle" nicht unterstützt. Herr Freistedt hat das schon ausführlich dargestellt. Die CDU tritt für eine sinnvolle Differenzierung des Schulsystems ein und diese sehen wir in dem jetzt gefundenen Kompromiss von Zwei-Säulen-Modell, von Stadtteilschule, Gymnasium und der vorgelagerten Primar

schule. Dieses Modell ist kein fauler Kompromiss, sondern ein echtes Modell für die Zukunft von Hamburgs Schulen.

(Wilfried Buss SPD: Oh, Gott!)

Tatsächlich gibt es keine wissenschaftlichen Hinweise, dass die Gemeinschaftsschule ein erfolgreiches Modell sein könnte. Ich erinnere nur an die Comprehensive School in England, die natürlich auch als gescheitert gilt. In Frankreich gibt es ähnliche Modelle, die gescheitert sind. In allen diesen Ländern gibt es doch einen gewaltigen Run auf Privatschulen. Das ist doch das, was Sie ganz bestimmt für Hamburg nicht als Modell möchten.

Dann wird immer wieder erwähnt, dass zum Beispiel ein erfolgreiches Modell der Gemeinschaftsschule das in Finnland wäre. Wenn man sich Finnland anguckt, dann haben dort 40 Prozent der Schulen weniger als 50 Schüler. 60 Prozent der Schulen haben weniger als sieben Lehrkräfte. Meine Damen und Herren, in Finnland haben wir es mit einem ländlich geprägten Zwergschulsystem zu tun, das mit der Hamburger Situation überhaupt nichts zu tun hat.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ja, solche Schul- frequenzen haben Sie hier nicht geschafft! – Ingo Egloff SPD: Aber eines, das 70 Prozent Abiturienten aufweist!)

Insofern bietet dieses Beispiel keine Argumente für die Gemeinschaftsschule.

Der Erfolg aller Schulreformen wird doch in Zukunft davon abhängen, ob wir zukünftig die Schüler nach den für ihre Lernbedürfnisse geeigneten Unterrichtsmethoden unterrichten. Herr Gwosdz hat darauf hingewiesen, dass der Koalitionsvertrag individualisierten Unterricht und stärkeres Eingehen auf Schüler vorsieht. Ich meine, das ist der richtige Weg, den wir eingeschlagen haben.

Frau Artus, ich weiß, dass Sie für Argumente nicht zugänglich sind

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ganz im Gegen- satz zu Ihnen!)

und das werfe ich Ihnen heute vor. Sie betreiben eine politisch motivierte Ideologisierung der Schulpolitik und das finde ich sehr schlimm. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Rugbarth.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es liegt auf der Hand, dass den derzeitigen Koalitionsfraktionen aus GAL und CDU das Volksbegehren "Eine Schule für Alle" nicht gefällt und auch gar nicht gefallen kann. Zum einen, weil der Kompromiss, den beide Koalitionspartner

(Kersten Artus)

ausgehandelt haben, aus diametral entgegengesetzten Positionen zur Schulpolitik entwickelt wurde. Man traf sich irgendwie in der Mitte.

(Farid Müller GAL und Jens Kerstan GAL: Das wäre bei Ihnen auch nicht anders gewe- sen!)

Würde dieser Kompromiss innerhalb von CDU und GAL ehrlich und offen diskutiert und nicht zugunsten des Friedens in der Koalition um jeden Preis eben nicht diskutiert, würde diese Koalition an den inhaltlichen Gegensätzen auseinanderbrechen.

(Beifall bei der SPD)

Nur dieses Nichtdiskutieren der verschiedenen schulpolitischen Ansätze hält diese Koalition in dieser Frage zusammen.

Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, ist das Volksbegehren "Eine Schule für Alle" doch ein Dorn im Auge, denn dieses Instrument der Bürgerbeteiligung ist Ihnen anscheinend nach wie vor unheimlich, während die GAL das zu früheren Zeiten immer ganz besonders begrüßt hat.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Nun sehen Sie sich aber gemeinsam in der Falle, denn natürlich wird Ihnen die Initiative "Eine Schule für Alle" mit ihrem Volksbegehren das politische Überleben nicht gerade erleichtern. Immerhin sind nur etwas über 60 000 Unterschriften erforderlich, um den Weg für einen Volksentscheid zu ebnen. Das Volksbegehren wird unabhängig von seinem Ausgang die Diskussionen in Hamburg entfachen und immer mehr Menschen werden sich dadurch mit dem Thema Schulreform befassen. Genau das ist es, was Ihnen Angst macht.

(Beifall bei der SPD – Farid Müller GAL: Ih- nen doch auch!)

Uns nicht, nein.

Durch die anhaltende öffentliche Diskussion zum Volksbegehren werden auch Ihre derzeitigen Pläne zur Schulreform kritisch betrachtet. Es werden naturgemäß Fragen nach dem Sinn und der Wirtschaftlichkeit dieser halben Schulstrukturreform gestellt werden. Halb deshalb, weil es nichts Halbes und nichts Ganzes ist. Frau Goetsch, aus gutem Grund hat die Enquete-Kommission seinerzeit eben nicht eine sechsjährige Grundschule beschlossen. Das war nicht das Ergebnis der Beratungen in der Enquete-Kommission.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Herr Gwosdz, europäischer Standard ist das noch lange nicht.

Es wird natürlich von den Eltern die Frage gestellt werden, warum nicht gleich eine Schule für alle, wenn doch das eigentliche Ziel der Senatorin – und so habe ich Sie verstanden – offensichtlich

in dieser einen Schule für alle liegt. Sie stehen damit vor dem Problem einer erneuten großen Debatte in Hamburg. Nun wird – so schätze ich einmal – aller Wahrscheinlichkeit nach für Sie die nächste und sehr bedrohliche Stufe erreicht werden, wenn nämlich ein erfolgreiches Volksbegehren den Volksentscheid erzwingt. Dann, meine Damen und Herren, sitzen Sie so richtig in der Tinte.

Für mich ist die entscheidende Frage an dieser Stelle, was in dieser ganz besonderen Art von Koalition geschieht, wenn nun auch der Volksentscheid erfolgreich sein sollte.

(Farid Müller GAL: Das entscheiden wir dann, wen es soweit ist!)

Wollen Sie sich dann wieder, wie beim Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser, über das Ergebnis eines Volksentscheids hinwegsetzen?

(Farid Müller GAL: Mit Ihrer Hilfe!)

Tatsache ist doch, dass die Schulpolitik neben dem Kraftwerk Moorburg, dem Möbelhaus Höffner und Ihrer nicht verantwortbaren Haushaltspolitik des Verkaufs der letzten Besitztümer Hamburgs eine der vorgezeichneten Sollbruchstellen Ihrer Koalition darstellt. Vielleicht meinte Ihr Bürgermeister ja solch eine Sollbruchstelle, wie zum Beispiel die Schulpolitik, als er sich am Anfang des Jahres in einem sehr interessanten Interview auf "Spiegel Online" äußerte und auf die Frage, ob Roland Koch mit seiner Strategie nicht einen Pakt mit den Grünen torpediert habe, wörtlich sagte: Nicht, dass wir uns hier missverstehen, Schwarz-Grün will auch ich torpedieren. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, bei Dora Heyenn und Christiane Schneider, beide DIE LINKE)

Das Wort erhält die Abgeordnete Heitmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich frage mich ehrlich gesagt ein bisschen, worum wir uns eigentlich streiten. Wenn ich mir die Diskussion anhöre, dann ist der einzige schulpolitische Streit, den es momentan in dieser Stadt gibt, glaube ich, nicht innerhalb der Koalition, sondern eher innerhalb der SPD.

(Beifall bei der GAL und der CDU – Zurufe von der SPD: Oh, oh!)

Als ich mir die Reden von Frau Heyenn und Herrn Rabe angehört habe,

(Ties Rabe SPD: Frau Heyenn ist nicht in der SPD!)

dann haben Sie vor allem eines in den Vordergrund gestellt, nämlich dass es sich besser in heterogenen Gruppen lernen lässt als in homogenen, dass die Individualität in unseren Schulen im Vordergrund stehen muss. Da stimme ich Ihnen zu

(Andrea Rugbarth)

und deshalb begrüße ich auch, dass Frau Goetsch eine Initiative zu einer umfassenden Fortbildung der Lehrer angestoßen hat, damit diese lernen, mit der Individualität ihrer Schüler umzugehen und ihre Schüler in den Schulen individuell zu fördern.