Protokoll der Sitzung vom 11.12.2008

Was mir hier entschieden zu viel vorkommt, sind Datenerhebungen, sind Regeln, sind Bestrafungen, sind Dokumentationen. Damit werden Sie die jungen Leute nicht dazu bewegen, wieder häufiger in die Schule zu gehen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Michael Gwosdz GAL)

Wenn jetzt von Prozentzahlen gesprochen wird, so glaube ich, dass diese Prozentzahlen alle nicht stimmen; Herr Freistedt hat es gesagt. Jeder junge Mensch, der ein Schulschwänzer ist, ist einer zuviel. Also müssen wir doch zuerst Hilfsangebote machen und nicht reglementieren und bestrafen und diese ganze Arie rauf und runter; das hilft überhaupt nichts. Die Elternhäuser, die bei REBUS bekannt werden, weil die Jugendlichen nicht in der Schule sind, sind die Spitze des Eisbergs, nicht mehr und nicht weniger. Das heißt, man muss eine Menge tun, damit das aufhört. An den Schulen verbringen die einzelnen Klassenlehrer unglaublich viel Zeit damit, die Eltern anzurufen, die Kinder anzusprechen, dafür zu sorgen, dass sie regelmäßig in die Schule kommen. Wenn ich höre, dass man mit drei Tagen im Monat schon ein Schulschwänzer ist, dann haben wir Heerscharen von Schulschwänzern in der Schule.

(Ties Rabe SPD: Sage ich doch!)

Es ist unglaublich, wie viele junge Menschen drei Tage im Monat fehlen und die Lehrer sind immer am Telefon und sprechen mit den Eltern. Deshalb finde ich es gut, dass wir das im Schulausschuss besprechen.

(Glocke)

Verzeihen Sie, Frau Heyenn, es ist definitiv zu laut. Ich bitte Sie, Ihre Gespräche im Plenarsaal einzustellen, damit die Rednerin gehört werden kann.

Fahren Sie bitte fort.

Es ist schon gesagt worden, dass sich die Jugendämter, die sozialen Träger und REBUS unglaublich bemühen. Das kann man auch auf die Lehrer ausdehnen, die ganz viel Zeit damit verbringen. Und wenn ich jetzt Ihre Vorschläge in Ihrem Antrag sehe, dann habe ich die ganz große Befürchtung, dass die Dokumentationsarbeiten, die die Lehrer zusätzlich leisten müssen, immer mehr werden; Datenerhebung hilft uns nicht viel weiter. Wir müssen im Schulausschuss viel stärker darüber reden, wie man die Ur

sachen besser erkennen und bekämpfen kann. Da muss man wahrscheinlich mit vielfältigen Programmen herangehen und bestimmt nicht mit Strafen, Kontrollen und ähnlichen Maßnahmen. Wir müssen den jungen Menschen helfen und ich freue mich auf die Diskussion darüber im Schulausschuss.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Senatorin Goetsch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Rabe, ich gehe davon aus, dass Sie die Themen nicht für unwichtig halten. Ich bin auch Ihrer Auffassung und der aller anderen Redner, dass es hier nicht darum geht – der eine oder andere von Ihnen kennt das vielleicht aus seiner eigenen Schulzeit, wenn er die Hand aufs Herz legt –, dass man vielleicht einmal geschwänzt hat. Es geht um ein Thema, das viel tiefer und schwieriger ist. Es gibt zum einen die Gruppe der Schülerinnen und Schüler, die relativ jung sind, die teilweise zu Hause von ihren Eltern nicht geweckt werden, teilweise ferngehalten werden, jedenfalls nicht unterstützt werden, in die Schule zu kommen. Wir haben dann die älteren Jahrgänge, die – da gebe ich Frau Heyenn recht – aus vielfältigen Gründen die Schule schwänzen. Das sind Versagensängste, sich nicht angenommen fühlen, Schulmüdigkeit, massive familiäre Probleme, Orientierungslosigkeit, um nur ein paar Stichworte zu nennen. Diese ganzen Ursachen sind natürlich zu bekämpfen beziehungsweise da sind wir in der Verantwortung.

Ich erinnere noch einmal an die Studien von Professor Pfeiffer und Professor Wetzels, die auch zitiert worden sind, wo wir genau sehen, welch schwierige Karrieren und Lebenswege hier ihren Anfang nehmen können; dafür tragen wir die Verantwortung. Schülerinnen und Schüler, die dem Unterricht fern bleiben, gefährden ihren Bildungserfolg, sie gefährden ihren Lebensweg und wir wissen, dass viele delinquente Karrieren mit Schulschwänzen gestartet sind und da eine Korrelation besteht. Deshalb ist es so unendlich wichtig, da anzusetzen. Bei den Kleineren wissen wir, dass häufigere Verletzungen der Schulpflicht auf Kindeswohlgefährdung zurückzuführen sind; wir kennen noch die tragischen Fälle der letzten Jahre mit breiter öffentlicher Aufmerksamkeit. Insofern ist es gut, dass nicht die Schule allein für diese Themen verantwortlich ist, sondern es ein wichtiges Netzwerk Kindeswohl innerhalb der verschiedenen Bereiche Bildungsbehörde, Behörde für Soziales und Gesundheit, Bezirksämter und Polizei gibt und dass alle auf den verschiedenen Abstufungen zusammenarbeiten.

(Dora Heyenn)

(Beifall bei der GAL, der CDU und bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Es sind schon viele Dinge im Rahmen des Konzepts "Handeln gegen Jugendgewalt" genannt worden. Auch das enge Kooperationsnetz zwischen den Schülerberatungsstellen, REBUS, Jugendämtern und Schulen möchte ich noch einmal deutlich hervorheben, weil es darum geht, wie ich die Jugendlichen wieder zurückbekomme. Erfassen und Messen ist das eine, aber ich muss auch alles tun, um sie wieder zu integrieren.

Ich will an dieser Stelle besonders das Projekt für Schulverweigerer im Alter von elf bis 14 Jahren in Billstedt hervorheben. Gemeinsam mit dem Rauhen Haus arbeiten alle Gesamtschulen, Hauptschulen, Realschulen, Förderschulen, das Jugendamt, das "Billenetz" und der Jugendbeauftragte der Polizei zusammen. Ein ähnliches Projekt gibt es in Altona-West mit 15 Plätzen. Ich empfehle jedem, sich das einmal anzuschauen. Diese Maßnahmen führen dazu, die Jugendlichen wieder zurückzuholen und auf den Weg zu bringen.

Bei aller Freude über die guten Projekte, die wir haben und die weiter ausgewertet werden müssen, haben wir bisher keine ausreichenden Maßnahmen, um alle Hamburger Kinder und Jugendliche vor Absentismus und den damit verbundenen Folgen zu schützen. Insofern mache ich es hier kurz, mir ist das Thema schon lange wichtig. Wir haben auch zu Oppositionszeiten immer wieder Anfragen und Veranstaltungen gemacht. Ich freue mich auf die Befassung im Ausschuss und denke, dass wir gemeinsam vernünftige Wege finden werden, um diesem Thema weiter zu begegnen, denn es geht hier um die Jugendlichen in unserer Stadt und deren Gefährdung und da können wir nicht weggucken.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Böwer.

(Zurufe von der CDU: Ui, ui!)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Schulabsentismus, Schulschwänzen ist nicht nur ein Thema der Schule. Deswegen geht auch jemand aus der Jugendhilfe hier ans Mikrofon.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Das hat Sie ja eben gesagt!)

Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass die Antwort des Senats auf die Anfrage beeindruckend war. Sie war beeindruckend, weil sie schonungslos bei den Einzelbeispielen Dinge gezeigt hat, wie Kinder und Jugendliche in dieser Stadt leben, dass einem beim Lesen im Grunde genommen der Atem stockt, wenn in einer Senats

drucksache – das meine ich nicht parteipolitisch, sondern ich will nur die Brisanz herausarbeiten – beschrieben wird, wie Mitarbeiter der Schulbehörde versuchen, in das Haus zu kommen, um mit den Kindern und Eltern Kontakt aufzunehmen und es nicht gelingt. Dann hat man irgendwann Kontakt und dann zieht die Familie einfach weg und es stellt sich die Frage, was passiert eigentlich mit dem Kind. In der Senatsdrucksache aus dem Jahre 2008 steht, auf der Suche nach dem Kind sei man in ein Haus voller Müll gekommen, es habe gestunken, die Mieter kannten den Hausvermieter nicht, aber auch die Familie nicht. Und dann taucht das Kind irgendwann auf und entschwindet doch wieder. Das ist für mich einer der Gründe, weshalb es wichtig ist, sich mit diesem Thema zu befassen.

(Beifall bei der SPD)

Das sind wir auch in Wahrheit den Kindern schuldig. Dass die Lehrer dort eine Knochenarbeit leisten, ist für mich einer der Punkte, warum man nicht die Frage stellen sollte, wie belastet man sie noch mit weiterer Verwaltungstätigkeit, sondern wie macht man sie stark, sich solch einer Aufgabe zu stellen und dafür gilt auch den Lehrern der Dank.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Ganz genau!)

Ich habe mit einem Lehrer gesprochen, der in der achten Klasse einer Förderschule arbeitet und 15 vierzehn- bis fünfzehnjährige Schüler hat. Er hat mir an einem Beispiel dargestellt, wie das bei ihm ist. Zwei werden direkt von REBUS übernommen, dann hat er noch 13. Zwei kommen regelhaft nicht zum Unterricht, das sind aber immer unterschiedliche, dann hat er noch elf. Morgens um 8.00 Uhr fängt der Unterricht an. In der Zeit zwischen 8.15 Uhr und 8.30 Uhr kommen zwei weitere, die kommen erst später, und dann verliert er noch einen nach der großen Pause. Er arbeitet genau in einem dieser Stadtteile, die in diesen Fallbeispielen beschrieben werden. Deswegen begrüße ich es als jemand, der normalerweise nur den Bereich Jugendhilfepolitik macht oder mitmachen darf, ausdrücklich, dass der Schulausschuss sich mit dieser Frage befasst, denn wir wissen spätestens seit dem Fall Morsal – Christa Goetsch hat es angesprochen –, dass wir in der Frage des Schulabsentismus, des Schulschwänzens sehr viel mehr hingucken müssen. Dazu gehört auch ein Stück Aktenführung, aber man muss beides in Einklang bringen, weil man manchmal wissen muss, wo man helfen kann. – Danke.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksachen 19/1040 und 19/1591 an den Schulausschuss zu?

(Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch)

Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist dem Überweisungsbegehren einstimmig entsprochen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 45 auf, Drucksache 19/1642, Antrag der Fraktion der GAL: Mayors for Peace – Hamburg setzt ein Zeichen gegen Nuklearwaffen.

[Antrag der Fraktion der GAL: Mayors for Peace – Hamburg setzt ein Zeichen gegen Nuklearwaffen – Drs 19/1642 –]

Wer wünscht das Wort? Herr Waldowsky, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Enger, Hiddenhausen, Kirchlengern, Oranienburg, Rödinghausen, Vlotho; Hamburg befindet sich wahrlich in illustrer Gesellschaft, denn diese sechs deutschen Städte sind gerade Mitglied bei der weltweit tätigen Organisation "Mayors for Peace" geworden.

Jetzt mögen Sie denken, Enger, Hiddenhausen, Kirchlengern sind nicht so ganz die Klasse der Metropole Hamburg; da irren Sie sich. Derzeit sind über 2500 Städte in 133 Ländern auf allen Kontinenten Mitglieder bei "Mayors for Peace", allein 313 Bürgermeister aus Deutschland. Alle deutschen Städte von Gewicht sind bereits seit langem Mitglied und setzen damit ein Zeichen gegen die Atomrüstung. Nun soll auch endlich Hamburg folgen, zusammen mit vielen kleinen und mittleren Städten aus der deutschen Provinz.

"Mayors for Peace" wurde 1982 auf Initiative des Bürgermeisters von Hiroshima gegründet, um Widerstand gegen den weiterhin fortbestehenden Irrsinn der atomaren Überrüstung zu leisten. Aus seiner Idee ist eine weltweite Bürgerbewegung geworden, eigentlich eine Bürgermeisterbewegung von Frauen und Männern, die Verantwortung für ihre Städte tragen, seien es große Metropolen, verschlafene Nester, Boomtowns, mondäne Seebäder oder idyllische Gartenstädte. Sie alle wollen die Atomrüstung nicht mehr einfach hinnehmen, sondern auch selber aktiv werden. Die Nuklearwaffen, die mittlerweile in den Händen von so vielen Staaten und so manchem Diktator sind, stellen eine ständige Gefahr für den Frieden und das Leben aller Menschen auf allen Kontinenten dar. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben meistens das Ohr näher an den Menschen, aber leider bestimmen sie nicht die nationalen Politiken. Deshalb macht es Sinn, sich international zu vernetzen.

Mittlerweile ist "Mayors for Peace" von der UNO als eine UN-NGO anerkannt worden und hat einen besonderen konsultativen Status beim Wirtschaftsund Sozialrat der UNO. "Mayors for Peace" organi

siert regelmäßig Kongresse der Mitgliedsstädte sowohl weltweit als auch auf nationaler Ebene, um öffentlichen Druck aufzubauen, und diese Politik ist keine Symbolpolitik. Fortschritte in der Abrüstungspolitik sind so schwierig und so langfristig zu erreichen, dass man die Hände resigniert in den Schoß legen möchte. Aber nein, Henri Dunant, Johann von Bloch, Bertha von Suttner und viele mehr wurden zunächst belächelt und haben dennoch das Feld für die Haager Friedenskonferenzen bereitet, die den Krieg zumindest ein wenig humanisiert haben. Nach dem Ersten Weltkrieg war es eine breite, europäische Friedensbewegung, die die Ächtung von biologischen und chemischen Waffen erst möglich gemacht hat. Und seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Friedensbewegung in Europa mal mehr, mal weniger stark, aber immer präsent und unüberhörbar durch alle Nachkriegsgenerationen.

In diesen Tagen können wir uns über einen sehr schönen Erfolg dieser weltweiten Friedensbewegung freuen. Am 2. Dezember unterzeichneten über 100 Staaten in Oslo eine Konvention zur Ächtung von Streubomben. Noch fehlen zwar die USA und Russland, aber auch diese Staaten werden sich auf Dauer nicht entziehen können. Dass sich Regierungschefs und Außenminister und -ministerinnen zur Ächtung von Streubomben entschlossen haben, ist ein außerordentlich beeindruckender Erfolg von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen in der ganzen Welt, die mit beharrlichem, öffentlichem Druck auf dieses Ziel hingearbeitet haben. Einige Kolleginnen und Kollegen hatten vor einigen Wochen das Vergnügen, im Großen Festsaal von einer dieser Organisationen, nämlich von Human Rights Watch, eingeladen worden zu sein. Ihr Spezialist, ein ehemaliger Mitarbeiter des Pentagons, berichtete von seiner Arbeit in Georgien, in Südossetien im August dieses Jahres und von den verheerenden Folgen, die die Streubomben dort angerichtet haben – Bomben, die nach seinen schwierigen Recherchen wohl von beiden Seiten eingesetzt worden sind. Nun haben sich auch die "Mayors for Peace" ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt. Diese Organisation kämpft für eine Abschaffung aller Atomwaffen bis zum Jahre 2020. Dieses Ziel scheint vermessen, aber angesichts der globalen Herausforderungen von Bevölkerungsexplosionen, dem Ende des fossilen Zeitalters und der Klimakatastrophe hat die Menschheit wirklich etwas Besseres zu tun, als ihre begrenzten Ressourcen in Rüstung und insbesondere in atomare Rüstung zu verpulvern.

Bürgermeister Ole von Beust wird bei Veranstaltungen von "Mayors for Peace" nicht nur mit vielen altbekannten Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland zusammentreffen, sondern auch mit denen aus unseren Partnerstädten. Vier von ihnen sind bereits Mitglieder: Dresden, Sankt Petersburg, León und seit April dieses Jahres auch Chicago.

(Vizepräsidentin Nebahat Güclü)

Auch in Daressalam wird er einen "Mayor for Peace" treffen, den bislang Einzigen aus Tansania.

Die Bürgerschaft hat sich bereits in vergangenen Jahren mit dem Thema "Mayors for Peace" beschäftigt. Bislang gab es für einen Beitritt keine Mehrheit. Die jetzige Koalition hat sich vorgenommen, nicht mehr abseits zu stehen und zusammen mit allen anderen großen deutschen Städten – mit Berlin, Frankfurt, Köln, München, Stuttgart – und 2536 anderen Städten in Deutschland und der Welt ein kraftvolles Zeichen gegen die Atomrüstung und für den Frieden zu setzen.

Dies ist unser Auftrag in der Hamburgischen Verfassung und dies ist auch unser hanseatisches Selbstverständnis. Insoweit bin ich durchaus ein bisschen stolz, wenn wir diesen Beschluss fassen, und ich wäre umso stolzer, wenn wir dies mit einer möglichst breiten Zustimmung in der ganzen Bürgerschaft tun würden.– Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der GAL, der LINKEN und bei Hans-Detlef Roock CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Mohaupt.