Protokoll der Sitzung vom 23.04.2009

Hierzu liegen Ihnen als Drucksache 19/2868 ein Antrag der Fraktion DIE LINKE und als Drucksache 19/2879 in einer Neufassung ein Antrag der SPD-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Geschlechtsspezifische Arbeit mit Jungen und Mädchen verbindlich gestalten

(Mehmet Yildiz)

Drs 19/2868 –]

[Antrag der Fraktion der SPD: Geschlechtsspezifische Arbeit mit Jungen in Hamburg stärken – Drs 19/2879 (Neufassung) –]

Alle drei Drucksachen möchte die SPD-Fraktion an den Familien-, Kinder- und Jugendausschuss überweisen. Wird das Wort gewünscht? – Frau Blömeke, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt heute noch ein aktuelles Thema und auch das ist so aktuell, weil es weitreichende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat und letztendlich auch mit dem Arbeitsmarkt zu tun hat, sodass wir es auf jeden Fall hier debattieren wollen. Heute ist für Tausende von Jungen und Mädchen ein ganz besonderer Tag gewesen. Viele sind nicht in den herkömmlichen Schulunterricht gegangen, sondern sie haben einen Projekttag gehabt, die Mädchen den Girls'Day, und die Jungs den Tag "Was für Jungs!". Die Mädchen sollten Einblick nehmen in technische Berufe, eine Einrichtung, die wir schon sehr lange in den Schulen haben, und die Jungs seit ein paar Jahren mit ihrem Projekttag "Was für Jungs!" sollten Einblick in soziale, in frauenspezifische Berufe finden. So konnten wir heute einige Jungs im Kindergarten beim Wickeln der Kinder sehen, beim Kochen in der Schule oder einen Tag im Altersheim bei der Pflege von älteren Menschen. Das ist eine gute Initiative und wenn ich mich im Parlament umschaue, dann sind Sie alle nicht, ich auch nicht, in den Genuss gekommen, einen derartigen Tag zu haben, denn als wir in die Schule gegangen sind, war das noch nicht so. Und auch beim Publikum könnten es höchstens die Schülerinnen und Schüler sein, die eine derartige breiter gefächerte Auswahl von Berufsmöglichkeiten auf diese Initiative hin erlebt haben.

Aber es reicht uns nicht. Der schwarz-grünen Koalition reicht diese Initiative nicht, die sicherlich gut ist; wir wollen mehr. Wir wollen eine nachhaltige strukturelle Verbesserung.

(Uwe Grund SPD: Die lehnen Sie ja ab!)

Darum haben wir heute auch den Antrag in die Bürgerschaft eingebracht. Der Antrag ist keine Reaktion auf die vergangenen Gewalttaten, bei denen die Jungen die Täter waren. Aber er steht im Zusammenhang mit ihnen und das müssen wir hier auch sagen. Sowohl der Mord an Morsal letztes Jahr als auch der Amoklauf in Winnenden oder der Vierfachmord in Eislingen, der uns ebenso erschüttert hat, wurde durch Jungen verübt, die mit sich und der Gesellschaft nicht zurechtgekommen sind. Jeder dieser Fälle, und das ist klar, benötigt in der Aufarbeitung spezifische Maßnahmen. Im Hamburger Mordfall Morsal hat die schwarz-grüne Koaliti

on darum unmittelbar nach der Tat bereits Konsequenzen gezogen und den Blick speziell auf die jungen Immigrationsfamilien genommen.

Dieser Antrag, meine Damen und Herren, geht aber weit über die Reaktion auf Einzelfälle hinaus. Er ist eine erste Antwort auf eine Entwicklung in unserer Gesellschaft, auf die Experten aus der Jugendhilfe und auch aus der Schule bereits länger hingewiesen haben. Jungen haben zunehmend Schwierigkeiten, ihre eigene Identität und ihre Rolle in der Gesellschaft zu finden. Sie werden mit widersprüchlichen Rollenbildern konfrontiert und müssen ihre Identität auch in Lebenssituationen entwickeln, in denen Männer als Bezugsperson nicht zur Verfügung stehen. Es gibt umgekehrt aber auch Fälle, in denen die falschen Vorbilder zur Verfügung stehen und das Aufwachsen der Jungen von destruktiven oder gewalttätigen Bildern männlichen Verhaltens geprägt ist. Jungen sind dazu auch noch mit widersprüchlichen Erwartungen ihrer Umwelt konfrontiert. Es wird erwartet, dass sie durchsetzungsfähig und erfolgsorientiert sind. Gleichzeitig erfordert die Entwicklung unserer Gesellschaft aber auch, dass Jungen Eigenschaften wie Sensibilität und Empathiefähigkeit entwickeln. Meine Herren, die Sie alle hier sitzen, Sie werden wissen, was man von Ihnen verlangt hat und in welche widersprüchlichen Rollen Sie möglicherweise auch im späteren Alter noch gerutscht sind.

Immer noch ist es für viele Mütter – und damit beziehe ich mich und die anderen Frauen im Parlament und in der Zuhörerschaft mit ein – oder für weibliche Pädagogen mehr als befremdlich, wenn Jungen miteinander raufen oder Spiele bevorzugen, in denen das Kraftmessen im Mittelpunkt steht. Jungen aber wollen und müssen sich ausprobieren, doch in der Realität, in der Familie, in der Kita oder in der Schule stoßen sie dabei oft auf Unverständnis.

Es gibt einen sehr engagierten Lehrer an der Gesamtschule Bergstedt, der ist Autor eines Buches mit dem Titel "Die Jungenkatastrophe. Das überforderte Geschlecht". Er beschreibt die Situation mit folgenden Worten:

"Jungen sind in Not geraten. Vieles wird von ihnen gefordert, für das ihre Bordmittel nicht mehr ausreichen. Die Zeit des Vorsingens ist vorbei. Doch damit haben Jungen ihre Schwierigkeiten, und das führt zu Problemen."

Meiner Meinung nach hat Frank Beuster das richtig erkannt, denn in der Tat werden viele Jungen schon in der Kita und später auch in der Schule als problembeladen und defizitär wahrgenommen. Es wird zunehmend deutlich, dass Jungen sich zu den Verlierern des Bildungssystems entwickeln. Die Anzahl der Mädchen, die einen höheren Bildungsabschluss machen, ist ansteigend. Jungen gehö

(Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk)

ren häufiger zu den Schulversagern. Die Folgen können sein, müssen aber nicht: Risikoverhalten, Gewalt und Sucht. Das sind oft die Schattenseiten dieser männlichen Entwicklung. Damit will ich keinesfalls sagen – und die Problematik ist uns allen auch bekannt –, dass nach dem Schulabschluss die Frauen und die Mädchen manchmal auf der Verliererseite stehen, wenn es auch gerade um das gleiche Gehalt geht.

Dennoch den Blick zurück auf die Jungen. Es ist dringend an der Zeit, dem etwas entgegenzusetzen. Vor zwei Jahren, als die GAL sich noch in der Opposition befunden hat, haben wir eine Fachtagung abgehalten mit dem Thema: Zwischen den Stühlen. Wie finden Jungen ihre Rolle in der Gesellschaft?

Es ist so schön leise hier, das muss daran liegen, dass die SPD-Fraktion draußen ist.

(Beifall bei der GAL und bei der CDU – Jan Quast SPD: Blöde Bemerkung!)

Auf dieser Fachtagung zum Thema, wie die Jungen ihre Rolle in der Gesellschaft finden, hat sich damals eine lebhafte Diskussion entsponnen, und zwar zwischen den Experten und einer Vielzahl von interessierten Besuchern und Fachpersonal. Es wurde deutlich, dass wir einige gute Ansätze und auch Projekte in Hamburg haben und es an neuen Ideen nicht mangelt. Wir konnten gerade gestern im "Hamburger Abendblatt" einige Beispiele für gute Projekte lesen, zum Beispiel die Rudolf-Roß-Gesamtschule oder das Spielhaus Burgwedel. Als neues Projekt möchte ich das "Paten(t) für Jungen" in Bergstedt nennen, aber es gibt noch sehr viele andere gute Projekte. Doch während die geschlechtsspezifische Pädagogik für Mädchen in der Kinder- und Jugendarbeit etabliert ist, wird die Jungenarbeit oft noch als Stiefkind der Jugendhilfe wahrgenommen und ist vom Engagement einzelner Pädagogen abhängig.

Mit unserem Antrag wollen wir jetzt die geschlechtsspezifische Jungenarbeit aus diesem Stiefkinderdasein herausholen. Wir wollen eine Stelle einrichten, die für Vernetzung und Beratung der Jungenarbeit zuständig ist. Darum komme ich auch gleich zu Punkt 1 des SPD-Antrags. Die SPD hat inzwischen auch gemerkt, dass das irgendwie ein wichtiges Thema ist, auf das sie mal schnell aufspringen will, und einen Änderungsantrag gestellt, der im Wesentlichen unseren Punkten entspricht und nur noch Konkretisierungen an einigen Punkten vornimmt, was die zeitliche Verbindlichkeit angeht. Die SPD fordert eine Evaluation der bereits vorhandenen Projekte. Diesen Punkt lehnen wir deswegen ab, weil er unserer Auffassung nach unter den Punkt Vernetzungsstelle fällt. Man wird sich natürlich angucken, was es bereits alles gibt, und dies wird dann vernetzt und weiterentwickelt.

Wir wollen Leitlinien für die geschlechtsspezifische Arbeit für Jungen entwickeln, die sowohl für Kita, Jugendhilfe und Schule verbindlich sein sollen. Wir haben in Hamburg einen Landesjugendhilfeausschuss, der sich übergeordnet mit Jugendthemen beschäftigt. Wir möchten, dass dort auch eine für Jungenarbeit erfahrene Person engagiert wird, was für Mädchenarbeit schon lange selbstverständlich war. Nicht zuletzt wollen wir auch an den Schulen dafür sorgen, dass der Fortbildung von Pädagogen in dieser Richtung besser Rechnung getragen wird. Und wir wollen ein Netzwerk schaffen, sodass auch die Arbeit an den Schulen davon profitiert.

Ich glaube, dass wir mit diesem Antrag einen Meilenstein gesetzt haben, der gute erste Lösungsansätze bietet für eine gesellschaftliche Entwicklung, die uns Sorge bereitet. Das Thema Jungenarbeit lebt von der Weiterentwicklung und daher ist dieser Antrag mit Sicherheit noch nicht das Ende der Fahnenstange. Andere Bundesländer haben uns hier auch schon etwas voraus. Auch sie haben längst Handlungsbedarf erkannt. Es gibt auch Bundesländer, die bereits so eine Vernetzungsstelle haben. Es gibt jedoch auch Bundesländer, die sich noch gar nicht mit diesem Thema beschäftigt haben. Wir werden jetzt hier initiativ, und ich denke, das ist eine wichtige Grundlage für die weitere Arbeit. Auch ein Austausch mit den anderen Bundesländern wird in Zukunft natürlich sinnvoll sein.

Wichtig ist mir aber dabei immer zu betonen, dass wir einen Antrag für Jungen geschrieben haben, aber deswegen nicht gegen Mädchen. Selbstverständlich muss die geschlechtsspezifische Arbeit von Mädchen weiter ausgebaut werden. Und sollten sich hier Lücken auftun, so werden wir diese schließen. Nur wenn wir erkennen, dass Jungen und Mädchen unterschiedliche Bedürfnisse haben, können wir ihnen bei der Entwicklung ihrer eigenen Identität helfen und genau das möchten wir gerne. Aber, und damit komme ich zu dem Antrag der Fraktion der LINKEN, wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen können, denn er verwässert das eigentliche Ziel, jetzt die Jungen in den Fokus zu nehmen.

(Dirk Kienscherf SPD: Mit Verwässern ha- ben Sie ja Ihre Erfahrungen!)

Eine Gegenüberstellung, dass Sie dieselben Punkte, die wir jetzt für die Jungenarbeit fordern, für die Mädchenarbeit fordern, zeigt auch, dass Sie vielleicht noch nicht ganz in die Thematik eingedrungen sind, denn viele dieser Punkte gibt es für die Mädchenarbeit bereits, zum Beispiel im Landesjugendhilfeausschuss eine Person, die für Mädchenarbeit erforderlich ist. Aber sollten wir sehen, dass es Lücken in der Mädchenarbeit gibt, dann müssen wir auch hier weiterarbeiten.

Zum SPD-Antrag noch einmal: Wir können uns vorstellen, einen Punkt Ihres Antrags anzuneh

men. Das ist der Punkt 4, in dem Sie auch in den bezirklichen Jugendhilfe-Ausschüssen eine Person einfordern, die sich in der Jungenarbeit auskennt. Das halten wir für eine sinnvolle Ergänzung. Aber den unnötigen Zeitdruck und die Unverzüglichkeit, die die SPD-Fraktion wieder einmal in die Punkte hineinbringt, lehnen wir ab, weil wir sie ganz bewusst nicht überstülpen wollen, sondern dafür eine Entwicklung vorsehen. Es ist wenig sinnvoll zu fordern, das müsse alles sofort sein nach dem alten Gitte-Lied: Ich will alles, ich will alles, und zwar sofort.

Es wird damit aber nicht besser, sondern etwas muss wachsen und entstehen und es muss auch ausformuliert und überdacht werden. Auf diese Art und Weise werden wir dann etwas haben, das Hand und Fuß hat, und wir werden in Hamburg gute Grundsteine für eine jungenspezifische Arbeit legen, von der wir alle profitieren. Wenn hier in 20 Jahren einmal Abgeordnete in Ihrem Alter sitzen, dann haben sie, glaube ich, ein ganz anderes Denken, da sie möglicherweise von unserer Jungenarbeit profitiert haben, denn wir helfen ihnen auf dem Weg in die Gesellschaft und bei ihrer Identitätsfindung. Vielleicht werden wir dann auch ein ganz anderes Diskussionsverhalten hier zwischen Mann und Frau haben und das gibt Hoffnung. Vielleicht bleibe ich ja noch 20 Jahre.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Herr Müller-Kallweit.

(Dirk Kienscherf SPD: Endlich mal ein Mann, der zu diesem Thema redet!)

– Als Vater von vier Söhnen bilde ich mir ein, dass ich das eine oder andere vielleicht konstruktiv dazu beitragen kann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Blömeke hat ziemlich abgeräumt. Ich weiß gar nicht, was ich noch fürchterlich viel ergänzen soll. Ich werde mich deswegen aber nicht gleich wieder hinsetzen. Es gibt vielleicht die eine oder andere Sache, die es noch einmal besonders pointiert darzustellen gilt. Die Sinnhaftigkeit dieses Antrags erschließt sich bei vielen auf den ersten Blick nicht, obwohl er bemerkenswerterweise im Vorfeld in der Presse ein ausgesprochen positives Echo gefunden hat; das ist ja nicht unbedingt regelmäßig zu erwarten.

Zum Zusatzantrag der SPD brauche ich nichts zu ergänzen; dazu hat Frau Blömeke wirklich alles gesagt. Es geht hier nicht um höher, schneller, weiter, verehrte Kollegen von der SPD. Es geht hier darum, organisch etwas zu entwickeln, was nachhaltig wirkt und für die Jungen am besten ist. Und

nun sind wir schon bei dem eigentlichen Punkt Junge. Was ist Junge? Herbert Grönemeyer hat einmal die Frage gestellt: Wann ist ein Mann ein Mann? Daran angelehnt, könnten wir genauso gut formulieren: Wann ist ein Junge eigentlich ein Junge? Und noch besser formuliert: Wann und vor allem wie wird ein Junge zu einem Mann? Das ist das Problem, um das es hier geht und das wir aufarbeiten müssen. Die Defizite, die sich aus einer mangelhaften Jungenbildung ergeben, sind offensichtlich. Stichworte wie Winnenden oder der Fall Morsal wurden genannt. Es wurde darauf hingewiesen, dass es keine echten Vorbildfunktionen mehr gibt in Zeiten, in denen Familien auseinanderbrechen, Scheidungskinder entstehen, alleinerziehende Elternteile, vorwiegend Mütter, sich auch um Jungen kümmern müssen. Die Bezugsperson Vater fehlt. An wem soll sich eigentlich der Junge orientieren? Wer sagt oder erklärt dem Jungen passiv erst einmal, was von ihm erwartet wird. Wer bildet diesen Jungen aktiv aus zu jemandem, den man gemeinhin als gestandenen Mann bezeichnet. Ich kann diese Fragen zwar nicht als Fachmann beantworten, aber ich weiß, welches der richtige Weg ist. Um diese Fragen zu beantworten, brauchen wir Experten, wir brauchen Kompetenz, wir brauchen engagierte Stellen, die sich dieser Thematik annehmen. Wir brauchen einen breit gesetzten und breit gefächerten Dialog. Wir brauchen am Ende eine Quintessenz und wir brauchen daraus abgeleitete konkrete Maßnahmen. Und wenn das alles zusammenkommt, werden wir das Jungenbild, ich möchte nicht sagen deformieren, aber wir werden eine Jungenbildung schaffen, die es ermöglicht, dass Jungen mit Zuversicht und Optimismus ihrer Zukunft entgegensehen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und bei der GAL)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Herr Eisold.

(Zuruf: Schneller!)

Wir sind nicht beim Elfmeter hier.

(Heiterkeit)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vielleicht ist es doch mal gut, ein wenig darüber zu reflektieren, warum wir heute über Jungenarbeit sprechen. Erst einmal finde ich es gut, dass alle drei Fraktionen mit entsprechenden Anträgen vertreten sind. Wie wir sehen, ist die Initiative in diesem Fall von CDU und GAL ausgegangen. Wir wollen uns dem Antrag auch nicht verweigern, da wir finden, dass er viele richtige Dinge beinhaltet. Ich möchte zum Schluss aber auch noch darauf eingehen, warum uns Ihr Antrag in der Form, wie Sie ihn formuliert haben, nicht ausreicht. Und die

(Christiane Blömeke)

Tatsache, dass wir ein bisschen mehr Konkretisierung haben wollen, hat auch noch mit anderen Aspekten zu tun.

Vielleicht zuvor noch einmal ganz kurz zur Erklärung, warum man nicht nur allgemein über Jungen reden sollte, sondern auch an ganz konkreten Punkten festmachen kann, wo die Probleme liegen. Schaut man sich einmal bundesweit an, wie die Schülerschaft an Haupt-, Sonder- und Förderschulen zusammengesetzt ist, so sind dort ungefähr 70 Prozent männliche Schüler; 30 Prozent sind dementsprechend Mädchen. Von den 80 000 Schulabbrechern sind ungefähr zwei Drittel männlich. Und bei den Straftaten gibt es ganz eindeutige Schwerpunkte, zum Beispiel bei der Körperverletzung, bei der der absolut überwiegende Teil männlich ist.

Das sind zwar keine neuen Erkenntnisse, aber ich finde es richtig, dass diese Problematik auch heute zunehmend wahrgenommen wird. Das hat sicherlich auch etwas damit zu tun, dass wir alle sensibler geworden sind bei der Frage, wie es denn eigentlich mit der jeweiligen Geschlechterzuordnung und den spezifischen Bedürfnissen und Problemen aussieht. Wie die Zahlen für Hamburg im Einzelnen aussehen, weiß ich nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass es bei uns in der Großstadt sicherlich nicht weniger dramatisch sein wird als im Bundesdurchschnitt.

Nach einer Lösung, um hier Besserung zu schaffen, habe ich im Vorwege der Antragsberatung sehr intensiv gesucht, bin aber nicht so richtig schlau geworden. Und was Sie, Frau Blömeke, und Sie von der CDU im Antrag als Ziele formulieren, ist recht weich formuliert. Für uns alle wäre natürlich hilfreich zu wissen, mit welchen Instrumenten wir es schaffen, die Schulabbrecher-Zahlen tatsächlich deutlich zu reduzieren und damit vor allem etwas für Jungs zu erreichen.

Das hat vielleicht auch ein bisschen damit zu tun, wenn man sich die publizistische Begleitmusik anschaut, in welchen Kontext das Ganze gestellt wird. Da wird weniger vom konkreten Problem gesprochen, sondern vielmehr von der großen Identitätskrise, die es gibt. Das betrifft nicht nur Jungen, sondern auch gleich die ganze Männlichkeit, und dann wird geschrieben, seit den Sechzigerjahren sei die klare Rollenzuordnung verloren gegangen. Man hat ein bisschen den Eindruck, sich dafür rechtfertigen zu müssen, wenn man als Mann zu so einem Thema redet, das in der Gefahr steht, ein bisschen speziell zu sein.

Wenn man den Rahmen ein bisschen erweitert und sich einmal fragt, worüber wir eigentlich reden und wie so eine Zuordnung von Identitäten entstanden ist, dann ist das Ganze sehr viel undramatischer. Tatsächlich ist das, was man klassisch als männlich und weiblich bei uns betrachtet, etwas, das gar nicht so alt ist, nicht 1000 Jahre alt, son