Protokoll der Sitzung vom 09.07.2009

Hamburg braucht möglichst viele gut qualifizierte Nachwuchskräfte. Die Kinder und Jugendlichen unserer Stadt brauchen eine möglichst gute Ausbildung in den Schulen, um sich fachlich und persön

lich – deswegen auch die Einbeziehung der Eltern und der Erzieher – entwickeln zu können. Hamburg braucht alle Talente, von Schülern im ersten Bildungsabschnitt über Realschüler, Berufsschüler bis zu den Abiturienten. Sie sind uns alle wichtig. Packen wir diese Reform mit Vernunft und Weitsicht an, verbinden wir unsere Traditionen mit den geplanten Innovationen. Es wird uns gelingen. Unterstützen wir diese Schulreform.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Herr Gwosdz.

(Ingo Egloff SPD: Jetzt gibt's wieder eine Volkshochschulrede!)

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für Ihre Rede, Herr Freistedt. Sie haben vieles von dem vorweggenommen, was im Schulgesetz steckt und was ich eigentlich auch ausführen könnte.

(Wolfgang Beuß CDU: Ich würde es wieder- holen, sonst verstehen sie es nicht!)

Genau, Herr Beuß. Es gibt manche Punkte, die muss man wieder und wieder sagen, damit sie bei bestimmten Leuten auch ankommen und verstanden werden.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Ich möchte zuerst einen Punkt aufgreifen, liebe Britta Ernst, Sie haben gesagt, unsere Senatorin lehne die Stadtteilschule ab. Sie haben uns unterstellt, wir hätten kein Herz für die Stadtteilschule und hätten sie deswegen nicht ordentlich im Schulgesetz verankert, nicht ordentlich vorbereitet und würden sie vernachlässigen. Das ist, gelinde gesagt, hanebüchener Unsinn. Die Stadtteilschule ist für uns ein zentrales Element dieser Schulreform. In der Ausgestaltung und im Erfolg der Stadtteilschule liegt der Schlüssel, warum wir als GAL diese Reform überhaupt unterstützen können.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wer soll Ihnen denn das glauben?)

Wir haben am Hamburger und am deutschen Schulsystem immer die mangelnde Bildungsgerechtigkeit kritisiert, dass es in Sackgassen führt, Schülerinnen und Schüler frühzeitig aussortiert und auf bestimmte Schullaufbahnen schickt, an deren Ende keine selbstverständliche Fortsetzung hin zum Abitur steht. Es wäre doch völlig widersinnig, wenn wir vor diesem Hintergrund unserer Analyse des Hamburger Schulsystems nicht dafür sorgen würden, dass die Stadtteilschule zu einer erfolgreichen Schule wird, die möglichst vielen Schülerinnen und Schülern tatsächlich den direkten Weg zum Abitur ermöglicht.

(Beifall bei Linda Heitmann, Antje Möller, beide GAL und bei Dittmar Lemke CDU)

Deswegen stecken wir einen ebenso großen Teil unserer Energie in die Ausgestaltung und den Erfolg der Stadtteilschule wie in den Erfolg der Primarschule und natürlich auch wie in die Veränderung der Gymnasien.

Interessant finde ich auch die Ausführungen, die Reformschulen müssten sich in der Frage, werden wir eine Primarschule oder Stadtteilschule, entscheiden. Auch das ist natürlich Quatsch. An den Standorten der bisherigen Reformschulen entstehen Primarschulen und Stadtteilschulen, die eng miteinander kooperieren können, das haben wir schon häufiger ausgeführt. Aber es ist nicht entschieden worden, dass eine Schule Primarschule werden muss

(Ties Rabe SPD: Ein bisschen Wahrheit kann nicht schaden!)

und sich von den Klassen 7 bis 10 verabschieden muss oder gar von den Klassen 7 bis 13 oder umgekehrt. Es sind beide Schulformen am selben Standort vorgesehen, so kann in der Tradition, die dort aufgebaut worden ist, auch gemeinsam weitergearbeitet werden.

40 Prozent der Schülerinnen und Schüler ohne Gymnasialempfehlung schaffen heute das Abitur, – ja, das ist so und es müssen noch deutlich mehr Schülerinnen und Schüler in Hamburg höhere Schulabschlüsse erreichen. Das ist aber keine Frage der Entscheidung in einer 6. Klasse, gehe ich auf das Gymnasium oder auf die Stadtteilschule. Unser Ziel ist, dass wir möglichst viele Schülerinnen und Schüler sowohl über das Gymnasium als auch über die Stadtteilschule zum Abitur führen und so zu einem höchstmöglichen Schulabschluss. Die Stadtteilschule sorgt dafür, dass die Schülerinnen und Schüler ihr Abitur auch machen können, und damit ist sie ein Schlüssel zum Erfolg dieser Schulreform.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Gleichzeitig bietet das Schulgesetz den Rahmen für die Einführung einer Schulstruktur, die zu weniger Schulabbrecherinnen führt und ein Ende mit der Vielgliedrigkeit und der sozialen Auslese macht und damit natürlich auch ganz elementar ist für die Umsetzung der Empfehlungen der Enquete-Kommission. Die Entscheidung über den späteren Schulweg wird verschoben und nicht mehr viel zu früh im Alter von 10 Jahren getroffen,

(Ingo Egloff SPD: Demnächst wird sie in der Vorschule getroffen!)

um anzuknüpfen an die Frage, die Herr Buss dem Kollegen Freistedt gestellt hat. Ich zitiere einfach einmal Jürgen Baumert:

(Marino Freistedt)

"Je früher Schülerinnen und Schüler auf unterschiedliche Bildungsgänge verteilt werden, desto kürzer wird das Zeitfenster, das für schulische Interventionen zum Ausgleich herkunftsbedingter Leistungsunterschiede zur Verfügung steht […] Mit frühen Differenzierungsentscheidungen nehmen […] die sozialen Disparitäten der Bildungsbeteiligung zu."

Diese Aussage spricht für sich und macht deutlich, warum wir für den Erfolg der Schulreform auch die sechsjährige Primarschule benötigen. Solche frühzeitigen Entscheidungen müssen dann nicht mehr getroffen werden und die Primarschulen haben die Chance, bei den Kindern, die in einer frühen Phase besonders viel Förderung benötigen, schulisch einzugreifen.

Ein paar Besonderheiten des Schulgesetzes möchte ich noch erwähnen, die Kollege Freistedt noch nicht aufgeführt hat. Zunächst nur kurz, weil das sicherlich in anderem Rahmen noch Gegenstand gesonderter Debatten sein wird: Wesentlich ist natürlich der neue Paragraf 12, der erstmals ein Recht auf integrative Beschulung für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Schulgesetz verankert, ein grundsätzliches Recht, das auch ein wichtiger Fortschritt in Richtung auf eine gerechte Schullandschaft ist.

Zum ersten Mal sind verbindliche Obergrenzen für die Klassengrößen festgeschrieben, in den Primarschulen 25, in den sozial benachteiligten Gebieten 20, in Stadtteilschulen 25 und in Gymnasien 28. Das ist ein wichtiger Schritt, den man immer wieder betonen muss. Die wichtige Bedeutung der Lernkultur, die über das Schulgesetz verankert wird, hat Kollege Freistedt schon ausführlich dargelegt, wir haben das auch vorhin in der Debatte über die Schulinspektion behandelt.

Ganz wichtig ist auch die Abschaffung oder Vermeidung des Sitzenbleibens als Instrument. Wir wissen, das ist ein pädagogisch indiskutables Mittel. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass das Sitzenbleiben, das Wiederholen, sich weder leistungs- noch motivationssteigernd auswirkt. Und, was natürlich auch wichtig ist, darüber kann man auch Mittel innerhalb des Etats der Schulbehörde akquirieren, die für individuelle Fördermaßnahmen eingesetzt werden können. Dies ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass es natürlich auch darum geht, durch die Schulreform und unsere Maßnahmen bereits vorhandene Mittel effizienter, besser und zielgerichteter einzusetzen. Es geht nicht immer nur um die Frage nach mehr Mitteln, sondern auch um die Frage nach dem Wie der Mittelverwendung.

Wichtig für mich ist auch, dass über das Schulgesetz Mitwirkungs- und Informationsrechte ausgebaut werden. Die Mitwirkung der Schülerinnen und Schüler wird erweitert. Sie können künftig schon

ab Klasse 4 und nicht erst ab Klasse 7 an den Klassen- und Schulkonferenzen teilnehmen. Die Schulkonferenz erhält überhaupt auch weitergehende Entscheidungskompetenzen, zum Beispiel über die Ausgestaltung der schuleigenen Stundentafeln, über Kooperationen mit externen Partnern, über die Grundsätze bei Umfang und Verteilung von Hausaufgaben, bei Lernerfolgskontrollen und bei der innerschulischen Qualitätsentwicklung. Diese Informationsrechte werden mit dem Schulgesetz erweitert. Eltern müssen über die Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen Schule und Behörde in Kenntnis gesetzt werden und über deren Abschluss entscheidet ebenfalls die Schulkonferenz. An dieser Stelle findet die Einbeziehung der Eltern in einem Ausmaß statt, wie es das bisher nicht gegeben hat. Dem Schulgesetz vorzuwerfen, es führe zu einem Weniger an Demokratie an Schulen, ist falsch.

Dieser Aspekt, dass es mehr Mitbestimmung für die Eltern und die Lehrkräfte an den Schulen geben soll, wurde bereits am Prozess der Regionalen Schulentwicklungskonferenzen sichtbar, der eine Möglichkeit zur Beteiligung bot, die von den meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern ernsthaft genutzt wurde; wie ernsthaft und sorgfältig, das sieht man an den heute vorgelegten Ergebnissen des Schulentwicklungsplans. Die Eltern werden nach wie vor natürlich in die Entscheidung einbezogen, wie es mit der Schullaufbahn ihres Kindes weitergeht, allerdings nicht erst beim Übergang von Klasse 6 auf Klasse 7, sondern sie werden von Anfang an in die Lernentwicklung ihrer Kinder einbezogen, durch verbindliche Gespräche halbjährlich und durch detailliertere Rückmeldungen vonseiten der Lehrkräfte. Es wird ein besseres Feedback geben, bessere Informationen sowohl der Eltern als auch der Schüler darüber, wo das jeweilige Kind steht und wie es sich entwickelt. Damit kommt die Entscheidung, welche Schulform gewählt werden soll, ob der etwas längere Weg

(Ties Rabe SPD: Nö, gar nicht!)

zum höchstmöglichen Schulabschluss über die Stadtteilschule besser geeignet ist oder der über das Gymnasium, nicht überraschend, sondern Eltern und Schüler sind durch eine sechsjährige intensive Einbeziehung darauf vorbereitet.

Abschließend lassen Sie mich noch ergänzend zu den Ausführungen von Frau Ernst ein paar Worte sagen. Wenn Ihnen längeres gemeinsames Lernen wichtig ist und Sie überzeugt davon sind, dass mit längerem gemeinsamen Lernen gute Ergebnisse erzielt werden können und dies zu mehr Bildungsgerechtigkeit führt, dann können Sie nicht immer weiter gegen einen Schritt zum längeren gemeinsamen Lernen schießen. Sie schießen damit auch gegen Ihre eigenen Ideale. Sie müssen dann auch beantworten, wie Sie dieses Ziel in der Praxis erreichen möchten, wenn Sie bereits bei jedem

Schritt Gefahren und große Risiken sehen und Umbauten und Zubauten an den Schulgebäuden thematisieren. Das wäre natürlich bei jeder anderen Form längeren gemeinsamen Lernens ebenso notwendig. Und ganz wichtig, was die Gymnasien betrifft: Wenn Sie sich hier vor den Karren derer spannen lassen, die sagen, an den Gymnasien darf sich überhaupt nichts ändern, dann können Sie natürlich auch nicht für längeres gemeinsames Lernen eintreten, denn jede Form längeren gemeinsamen Lernens wird die Gymnasien dazu nötigen, sich zu verändern. Dass dieser Kurs, den Sie einschlagen, eigentlich ein Kurs gegen sinnvolle Maßnahmen ist, das begreifen immer mehr Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt. Viele wissen längst, dass Hamburgs Schulen tiefgreifende Probleme haben und vor großen Herausforderungen stehen und dass dies im bestehenden Schulsystem nicht zu bewältigen ist. Viele Menschen haben auch verstanden, dass die Zukunft unserer Kinder und unserer Stadt gefährdet ist ohne eine grundsätzliche Reform der Schulen. Und weil sie dies verstanden haben, wird die Panikmache vor der Umsetzung der Reform nicht verfangen und es werden sich die besseren Argumente durchsetzen. Diese Schulreform wird ein Erfolg,

(Vizepräsidentin Nebahat Güclü übernimmt den Vorsitz.)

der allen Talenten in dieser Stadt gerecht wird und von dem auch Ihre Kinder profitieren werden.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort hat Frau Heyenn.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wer heute in Hamburg behauptet, das Schulsystem müsse so bleiben, wie es ist, der hat nichts gelernt und nichts kapiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Der hat nicht verstanden, dass das Resümee der vergleichenden Analyse der PISA-Studien es erfordert, zu handeln. Die vorgelegte Schulgesetznovelle der schwarz-grünen Koalition ist ein Versuch, etwas zu verändern, und zwar mit einem sehr hohen Anspruch, den wir unterstützen und der in der Präambel formuliert ist. Diese Schulgesetznovelle soll dazu beitragen, dass der Zusammenhang zwischen Elternhaus und Schulerfolg beziehungsweise -misserfolg aufgehoben wird. An diesem sehr hohen Anspruch werden wir diese Schulgesetznovelle messen.

Wir als LINKE haben schon sehr oft unsere differenzierte Haltung zu dieser Schulgesetznovelle kundgetan. Heute hat die Senatorin den Entwurf für den Schulentwicklungsplan vorgelegt und die LINKE begrüßt, dass mit diesem Entwurf und dem der Schulgesetznovelle der Anfang gemacht ist,

den Reformstau an den Hamburger Schulen abzubauen; ich erinnere nur an meine letzte Rede.

Die erfolgreichste Schulform Deutschlands, die Grundschule, wird mit den neu eingeführten Primarschulen eindeutig gestärkt, wobei statt nach der vierten nun nach der sechsten Klasse sortiert wird. Uns wäre es natürlich lieber, dass überhaupt nicht sortiert wird, sondern bis zur zehnten Klasse gemeinsames Lernen stattfindet und dann entschieden wird, wer das Abitur macht. Das will ich auch begründen. Unserer Auffassung nach gibt es keine wissenschaftlich fundierte und keine gerechte Sortiererei, egal ob nach der vierten oder sechsten Klasse, da hilft das Elternwahlrecht auch nicht.

Wir haben diese Schulgesetznovelle im Ausschuss in einer Anhörung unter anderem mit Professor Tillmann besprochen und wenn mich nicht alles täuscht, ist er sogar in der SPD.

(Ingo Egloff SPD: Wir haben viele Mitglie- der!)

Ich weiß, Sie haben viele komische Leute in der SPD.

(Beifall bei der CDU und der GAL – Ingo Egloff SPD: Sie waren doch auch mal in der SPD!)

Eben, genau aus diesem Grund bin ich auch nicht mehr drin.

Anhand der LAU- und KESS-Studien, die von der Behörde gemacht und statistisch sauber geführt worden sind, hat Herr Professor Tillmann eindeutig nachgewiesen, dass die Kinder von Akademikern eine 3,8-mal höhere Chance auf eine Gymnasialempfehlung haben. Nimmt man das Elternwahlrecht dazu, dann haben Akademikerkinder sogar eine viereinhalbmal höhere Chance, die Empfehlung für den Übergang in ein Gymnasium zu bekommen, und 40 Prozent von ihnen schaffen das Abitur, wie bereits gesagt wurde. Ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, dass die Kinder, wenn sie sukzessive, erst auf die Realschule, dann auf die Hauptschule, heruntergeschult werden, gebrochene Menschen sind und ganz große Schwierigkeiten haben, wieder auf die Beine zu kommen.