Protokoll der Sitzung vom 07.10.2009

(Ingo Egloff SPD: Glauben können Sie in der Kirche!)

weil Sie nur noch Horrorszenarien sehen und letzten Endes alles belassen, wie es ist. Das finde ich schade, denn eigentlich, das zeigen die Debatten, die wir in den letzten eineinhalb Jahren geführt haben, sind unsere Positionen doch alle relativ gleich. Auch die GAL hat keine Position, die völlig abdriftet von dem, was wir in der letzten Legislaturperiode hatten. Wir wollen doch alle gemeinsam ein gerechteres und leistungsstärkeres Bildungssystem. Wir wollen – hier waren wir uns auch immer einig, deswegen hatten wir 9 macht klug entwickelt – mehr Kinder zu mehr und höheren Schulabschlüssen führen. Wir wollen weniger Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher. Wir wollen ein Ende der Vielgliedrigkeit, die die soziale Ungerechtigkeit fördert. Und – das ist ein besonderer Punkt – wir wollen auch die Entscheidung über die spätere Schullaufbahn nicht im Alter von zehn Jahren treffen.

(Karin Timmermann SPD: Und nicht den El- tern überlassen!)

Wir sind grundsätzlich der Meinung, man müsste eigentlich gar keine Entscheidung treffen, aber wir haben uns geeinigt, dass wir sie auf jeden Fall verschieben. Sehr wichtig ist, dass alle Wege zu allen Bildungsabschlüssen die gesamte Schullaufbahn über offen bleiben müssen. Das ist unser gemeinsames Interesse.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Die Debatte ist auch nicht sonderlich neu, die begann schon in der Enquete-Kommission.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Die haben die Primarschule abgelehnt!)

Da hat die CDU, das hat Herr Freistedt schon ausgeführt, durchaus bemerkenswerte Schritte für eine christdemokratische Schulpolitik eingeschlagen, die man anerkennen muss. Wenn ich als ursprünglich bayerischer Staatsbürger an die Schulpolitik in Bayern zurückdenke, dann ist das ein deutlicher Unterschied in der Diskussion. Das war auch eine Diskussionsgrundlage, auf der wir uns mit der CDU auf dieses Schulgesetz einigen konnten. Wir ha

(Ties Rabe)

ben das gemeinsam diskutiert, immer fair und sachlich, es war nicht immer einfach, aber wir haben es am Ergebnis orientiert gemacht. Wir haben auch Vorarbeiten der Enquete-Kommission aufgreifen können; daran möchte ich heute ausdrücklich erinnern. Wir setzen hier nämlich viele Empfehlungen um, das ist nicht alles erst im Koalitionsvertrag erfunden worden. Bereits der Abschied vom undurchschaubaren vielgliedrigen Schulsystem mit seinen Sackgassen ist ein Ergebnis der Enquete-Kommission. Hamburgs Schulsystem wird durchlässig. Mit dem Gymnasium und der Stadtteilschule gibt es künftig zwei gleichberechtigte Schulen, die zu allen Bildungsabschlüssen bis hin zum Abitur führen und das werden auch zwei gleichberechtigte Wege zum Abitur werden.

Das ist längst nicht alles, was damals beschlossen wurde und was wir heute umsetzen. Wir führen eine neue Struktur der Schule ein und eine neue Kultur des Lernens. Die beiden müssen zusammengehen, die Struktur der Schule und die Kultur des Lernens, damit beide Elemente ihre volle Wirkung entfalten können. Deswegen hat die Enquete-Kommission in der letzten Legislaturperiode gleich an mehreren Stellen eine konsequente Individualisierung des Lernens in der inneren Differenzierung gefordert und empfohlen, die wiederum an die Stelle der äußeren Trennung der Schülerinnen und Schüler treten soll: Schluss mit dem Lernen im Gleichschritt, hin zur individuellen Förderung eines jeden Kindes. Für diese individuelle Förderung – da sind wir uns wieder einig, das hat Herr Rabe auch anerkannt – gehört eben auch der Verzicht auf das Sitzenbleiben und das Abschulen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Dass diese individuelle Förderung dann nicht verbindlich werden soll, wie Sie auch in Ihrem Antrag bemängeln, das kann man nun nicht sehen. In Paragraf 45 setzen wir diese individuelle Förderung konsequent um und verankern dort einen Anspruch auf eine individuelle Förderung. Wenn ein Schüler oder eine Schülerin den Anforderungen der Schule nicht mehr gerecht werden sollte, dann wird es verbindlich vereinbart, wie und auf welche Weise die Kinder gefördert werden.

Die Enquete-Kommission hatte einen weiteren Punkt empfohlen, nämlich das jahrgangsübergreifende Arbeiten insbesondere in den ersten beiden Jahrgangsstufen sowie der Vorstufe. Diese Möglichkeit sehen wir ebenfalls im neuen Schulgesetz für die Primarschule ausdrücklich vor. Ich erwähne das heute ausdrücklich auch aus einem anderen Grund. Diese Empfehlungen der Enquete-Kommission zum individualisierten Lernen und zum jahrgangsübergreifenden Lernen sind in der letzten Legislaturperiode getroffen worden, das ist Standard der pädagogischen Debatte.

Wenn es draußen in der Stadt eine Initiative gibt, die sich auf die Fahnen schreibt, die wirklichen Verfechter der Empfehlungen der Enquete-Kommission zu sein und gleichzeitig aber pädagogische Elemente, die die Enquete-Kommission empfohlen hat, auf unappetitliche Weise in Zusammenhang mit nationalsozialistischer Ideologie bringt, dann ist das nicht nur verabscheuungswürdig, sondern es zeigt auch, dass sich diese Initiative überhaupt nicht mit den Empfehlungen der Enquete-Kommission auseinandergesetzt hat.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Beim Thema Primarschule begegnet uns oft das Argument, Herr Rabe hat es auch wiederholt, die sechsjährige Primarschule sei in der Enquete-Kommission nicht ausreichend diskutiert worden beziehungsweise verworfen worden. Oft wird das Argument vorgebracht, das sei eine völlig neue Idee in der Debatte. Aber vergegenwärtigen wir uns doch die Situation zur Zeit der Enquete-Kommission. Man muss noch einmal deutlich machen, dass mit der damaligen politischen Mehrheit längeres gemeinsames Lernen als Ansatz nicht durchsetzbar war, obwohl zwei der drei beteiligten Fraktionen zum damaligen Zeitpunkt grundsätzlich dafür waren. Es gab natürlich – das kann man nachlesen in den Protokollen – Expertinnen und Experten, die darauf hinwiesen, dass zum Beispiel die Grundschule gut arbeite, aber zu wenig Zeit habe, das schwache Kind zu fördern. Professor von Saldern empfahl zum Beispiel, dass über die Schullaufbahn deutlich später entschieden werden solle als in Klasse 4. Es sind nicht unbedingt Empfehlungen, aber es ist der Stand der Diskussion.

Inzwischen haben wir eine neue politische Konstellation. Zum einen gibt es eine vierte Fraktion in der Bürgerschaft, für die längeres gemeinsames Lernen ebenfalls selbstverständlich ist, und zum anderen haben wir, GAL und CDU, die Argumente gegen eine frühe Trennung noch einmal neu gewogen, die Argumente für längeres gemeinsames Lernen noch einmal geprüft und uns geeinigt, diesen wichtigen Schritt zum längeren gemeinsamen Lernen als Ergänzung zu den Empfehlungen der Enquete-Kommission gemeinsam zu gehen. Die sachliche und gute Art und Weise der Diskussion hat Marino Freistedt schon ausführlich dargestellt und diesen Dank für die konstruktiven Diskussionen gebe ich ausdrücklich zurück.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Wir wissen, dass in kaum einem europäischen Land die Kinder so früh getrennt werden wie in Deutschland und in keinem anderen Land ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg so groß. Längeres gemeinsames Lernen ist ein Beitrag zur Überwindung dieser sozialen Spaltung. Dann heißt es immer, das sei

nicht so, es gäbe niemanden, der sich dafür ausspreche. Ich zitiere hier noch einmal, ich habe das schon vor einigen Debatten gemacht, Professor Baumert:

"Je früher Schülerinnen und Schüler auf unterschiedliche Bildungsgänge verteilt werden, desto kürzer wird das Zeitfenster, das für schulische Interventionen zum Ausgleich herkunftsbedingter Leistungsunterschiede zur Verfügung steht. […] Mit frühen Differenzierungsentscheidungen nehmen […] die sozialen Disparitäten der Bildungsbeteiligung zu."

Niemand kann bestreiten, dass das so ist. Mit dem längeren gemeinsamen Lernen an der Primarschule wird Hamburg somit sozialer und demokratischer.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Ich möchte daran erinnern, dass wir während des Diskussionsprozesses in den letzten eineinhalb Jahren in Nuancen das Modell verändert haben und nicht die Koalitionsvereinbarung mit der Brechstange umgesetzt haben.

So haben wir zum Beispiel erkannt, dass die flächendeckende Einführung der pädagogisch sinnvollen flexiblen Einschulung die Schulen erst einmal überfordert. Wir schließen den Idealfall, dass jedes Kind dann eingeschult wird, wann es soweit ist, für die Zukunft nicht aus, aber wir haben das jetzt noch nicht im Schulgesetz festgeschrieben. Wir lassen uns mit diesem Schritt Zeit, bis die Hamburger Schulen für ihn bereit sind.

Ein weiteres Ergebnis unserer Beratungen ist, dass wir die Primarschule 2010 flächendeckend mit den vierten Klassen und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, mit den fünften Klassen starten. In der Primarschule mit den Klassen 1 bis 3 und 4 bis 6 ist es sinnvoller, den Kindern einen Einstieg in die vierte Klasse Primarschule zu ermöglichen, als sie aus der vierten Klasse der alten Grundschule in die fünfte Klasse Primarschule zu versetzen. Das haben wir in den Beratungen erkannt und dann auch umgesetzt.

Diese Beispiele zeigen, dass in der Diskussion um das Schulgesetz eben nicht alle Argumente immer grundlos von uns abgeblockt wurden. Wir haben uns alle Argumente angehört, sie abgewogen und, sofern sie vernünftig waren, auch berücksichtigt.

Nun kommt die SPD in der allerletzten Sekunde vor der Verabschiedung des Schulgesetzes noch mit einem eigenen Antrag.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sie haben auch in allerletzter Sekunde hier noch was vorge- legt!)

Wir haben eine kleine Ergänzung zum Schulgesetz vorgelegt, Herr Dressel. Sie haben jetzt noch einmal versucht zu skizzieren, was Sie eigentlich eventuell, unter Umständen, wenn Sie sich einig sind, grundsätzlich vielleicht irgendwo wollen oder auch nicht, das wird sich noch zeigen.

(Beifall und Heiterkeit bei der GAL und der CDU)

Wenn man Ihren Antrag liest, dann zeigt sich, dass Sie die Diagnose mit uns teilen und fast die gleiche Therapie empfehlen. Unterschiede zeigen sich nur in Dosis und Dauer.

Eigenartig ist in Ihrem Antrag die Auseinandersetzung mit der Stadtteilschule. Ich habe das den ganzen Beratungsprozess über nicht verstanden; vielleicht kommen wir da aus unterschiedlichen Milieus.

(Michael Neumann SPD: Sie kommen aus Bayern!)

Ich komme aus Bayern, vielleicht bin ich da etwas begriffsstutziger, das mag sein, wie das so ist bei den Bayern, wobei ich betonen möchte, dass ich Franke bin.

Woher leiten Sie es aber ab, dass dieses Schulgesetz die Gefahr birgt, mit Stadtteilschule und Gymnasium zwei Schulformen zu etablieren, die auf lange Sicht nicht gleichwertig sind? Natürlich werden sich Stadtteilschule und Gymnasium trotz grundlegend gleicher Ziele, wie sie im Schulgesetz festgeschrieben sind, unterscheiden. Unterschiede sind doch aber nicht gleichzusetzen mit unterschiedlicher Wertigkeit.

Ich finde es ein gefährliches Spiel, das Sie schon die ganze Zeit über und auch jetzt wieder mit Ihrem Antrag treiben. Auf der einen Seite erklären Sie, die von der Enquete-Kommission empfohlene Struktur von Stadtteilschule und Gymnasium sei ein Beitrag, um den Schulfrieden zu bewahren, auf der anderen Seite reden Sie die Stadtteilschule, wie sie in Hamburg eingeführt werden wird, systematisch schlecht.

(Beifall bei der GAL und der CDU – Wilfried Buss SPD: Weil das was völlig anderes ist! Das müssten Sie doch wissen! Das ist etwas völlig anderes, was Sie vorhaben!)

Schon bevor die Stadtteilschule überhaupt eingeführt ist behaupten Sie, ihr fehle ein klares Profil und sie sei unattraktiv.

(Wilfried Buss SPD: Das stimmt ja auch!)

Langsam kommt bei mir der Verdacht auf, wir könnten noch so viel für den Erfolg der Stadtteilschule tun, Sie würden diese Schulform einfach immer weiter aus politischem Kalkül schlechtreden.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Hoffen wir des Erfolges der künftigen Schülerinnen und Schüler der Hamburger Stadtteilschulen willen, dass Sie damit kein Gehör finden.

(Beifall bei der GAL und der CDU – Ingo Egloff SPD: Aber die werden das merken!)

Das Argument, es bestehe die Gefahr einer sozialen und leistungsmäßigen Auslese schon mit Eintritt in die erste Klasse, wird durch dauerndes Wiederholen nicht besser. Kein Besuch einer bestimmten Primarschule bedingt den Besuch einer weiterführenden Schule.

(Ties Rabe SPD: Das wird durch dauerndes Wiederholen auch nicht besser!)

Das war so, das ist so, und das wird so bleiben.

Eine engere Verschränkung von Primarschule und weiterführender Schule durch eine gute Kooperation und einen Mix der Professionen ist grundsätzlich wünschenswert. Wir können dies gerade in Berlin beobachten, wo es bisher eine strikte Trennung der beiden Bereiche mit ihren jeweiligen Lehrkräften gab. Dort wird inzwischen nach dem Vorbild Hamburgs nachgebessert und die sechsjährige Grundschule mit den weiterführenden Schulen besser verschränkt. Solch eine Verschränkung erleichtert den Schülerinnen und Schülern die Übergänge; diese werden keinesfalls schwerer, als sie es zuvor waren.

(Beifall bei Dr. Eva Gümbel GAL – Dr. An- dreas Dressel SPD: Das war jetzt richtig tol- ler Applaus!)

Noch ein paar Worte zu den Übergängen. Die Entscheidung, welche Schulform ab der siebten Klasse besucht werden soll, wird einerseits zielgerichteter möglich sein und verliert andererseits aufgrund der zwei möglichen Wege zum Abitur auch an Dramatik. Sechs Jahre gemeinsames Lernen bilden eine solidere Grundlage als vier Jahre. Außerdem beruht diese Entscheidung auf drei Elementen: den am Ende des ersten Schulhalbjahres der sechsten Klassen in Noten ausgewiesenen Lern- und Leistungsständen, den ergänzenden Kompetenztests in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch sowie den Einsschätzungen der Lehrkräfte hinsichtlich der überfachlichen Kompetenzen einer Schülerin oder eines Schülers. Die Entscheidung wird mit den Eltern erörtert. Aufgrund der beschriebenen drei Bausteine wird sie transparenter und objektiver sein; beides Voraussetzungen für eine Akzeptanz.