Protokoll der Sitzung vom 07.10.2009

Noch ein paar Worte zu den Übergängen. Die Entscheidung, welche Schulform ab der siebten Klasse besucht werden soll, wird einerseits zielgerichteter möglich sein und verliert andererseits aufgrund der zwei möglichen Wege zum Abitur auch an Dramatik. Sechs Jahre gemeinsames Lernen bilden eine solidere Grundlage als vier Jahre. Außerdem beruht diese Entscheidung auf drei Elementen: den am Ende des ersten Schulhalbjahres der sechsten Klassen in Noten ausgewiesenen Lern- und Leistungsständen, den ergänzenden Kompetenztests in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch sowie den Einsschätzungen der Lehrkräfte hinsichtlich der überfachlichen Kompetenzen einer Schülerin oder eines Schülers. Die Entscheidung wird mit den Eltern erörtert. Aufgrund der beschriebenen drei Bausteine wird sie transparenter und objektiver sein; beides Voraussetzungen für eine Akzeptanz.

Soziale Nachteile, wie die SPD unterstellt, entstehen durch diese Vorgehensweise nicht. Der Schweizer Kanton Freiburg beispielsweise verwendet schon heute für den Übertritt nach der sechsten Klassenstufe ein ausgeklügeltes, standardisiertes System von Beurteilungen, Leistungstests und intensiver Beratung der Eltern. Professor

Trautwein hat dieses System untersucht. Er erläutert in einem Interview mit der "Zeit":

"In dessen Folge finden sich bei diesem Übergang nur geringe Effekte des familiären Hintergrunds. In Freiburg gilt offenbar: Je verpflichtender die Kriterien für den Übergang sind, desto geringer ist die soziale Selektivität."

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das hat hier noch nicht alle überzeugt!)

Das mag sein.

Es ist aber wichtig zu wissen, dass Übergangsentscheidungen, denen solche Tests zugrunde liegen, nicht zu einem Horrorszenario führen, wie es Herr Rabe geschildert hat, dass in bestimmten Stadtteilen kein Kind mehr den Weg aufs Gymnasium finde.

Zu den Kosten noch ein paar Worte.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ein paar Zahlen wären gut!)

Hinsichtlich der Kosten, Herr Rabe, geht mit Ihnen inzwischen die Phantasie durch.

(Ties Rabe SPD: Wenn Sie mal Fakten nen- nen würden, wäre das alles unnötig!)

In Ihrer Pressemitteilung vom 1. Oktober 2009 schreiben Sie sehr orakelhaft – ich zitiere –:

"In Behördenkreisen ist bereits von enormen zusätzlichen Baubedarfen die Rede. 'Genannt wird dabei die Summe von 1,2 Milliarden Euro', sagte Rabe. 'Diese brisante Information hat der Senat bislang verschwiegen.'"

Verschwiegen? Die 1,2 Milliarden Euro für den allgemeinen Zubaubedarf an Hamburger Schulen und der Sanierungsstau von 3 Milliarden Euro sind im Zusammenhang mit der Debatte über den Schulbau häufig genannte Zahlen, da wurde bislang nichts verschwiegen.

Die Schulreform und dieses Schulgesetz sind nicht Schuld an dem allgemeinen Zubaubedarf; zusätzlicher Raumbedarf entsteht durch kleinere Klassen. Die Senatorin hat die Kosten für den Zubaubedarf in Höhe von 190 Millionen Euro längst benannt. Sie müssen uns diese Zahlen nicht glauben, Sie stellen lieber weiterhin skurrile Rechnungen an, mit denen Sie uns nachzuweisen versuchen, dass wir Gelder doppelt gerechnet und Posten vergessen haben. Sie berufen sich auf die Regionalen Schulentwicklungskonferenzen, die mit mehr Räumen kalkulieren als die Behörde. Natürlich berücksichtigt die Behörde den Raumbedarf, der nach dem Schulentwicklungsplan entsteht. Das ist auch die richtige Kalkulationsgrundlage und nicht die Empfehlungen der Regionalen Schulentwicklungskon

ferenzen, was man denn alles zusammenrechnen könnte.

Wenn Sie der Meinung sind, Multifunktionsräume können, entgegen ihres Namens, nur für eine Verwendung dienen, dann ist das zwar schön für Sie, macht den Versuch, die Kosten dann doppelt zu rechnen, aber auch nicht besser. Ein anderes Beispiel. Sie haben behauptet, es würden an den künftigen Primarschulstandorten nur 19 Fachräume aus den Mitteln des Konjunkturprogramms gebaut werden. Liest man dies nach, kommt man auf 63. Wie kommen Sie auf 19 statt 63? Wer so eigenartig mit Zahlen hantiert, sollte sich mit Kritik zurückhalten.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Wer eine wirkliche Reform der Schule will, die alle Kinder in den Blick nimmt und keines auf der Strecke lässt, der stimmt heute dem neuen Schulgesetz zu. Wer aber weiter nur darüber philosophieren will, wie eine gute Schule aussehen könnte, aber nicht handeln will, der kann es lassen. Der Zukunft Hamburgs wäre damit aber nicht gedient. Wir stimmen deshalb dem Gesetz zu und freuen uns auf die Umsetzung ab August 2010. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Dann gebe ich das Wort der Abgeordneten Heyenn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Dressel hat gerade gesagt, ich bekomme einen auf die Glocke. Wir werden mal sehen.

In Hamburg muss das Schulsystem geändert werden, das ist lange überfällig; dafür zwei Beispiele. In Hamburg verlassen zu viele Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss die Schule. Kinder, bei denen nicht mindestens ein Elternteil Akademiker ist, haben eine viermal geringere Chance, ihr Abitur zu machen und das bei vergleichbaren Leistungen. Das ist bundesweit die schärfste Auslese im Bildungssystem.

Die nun anstehende Schulreform ist heiß umkämpft, weniger im Parlament, als außerhalb, wenn wir einmal von Herrn Rabe absehen.

(Zurufe und Heiterkeit bei der CDU und der GAL)

Ich habe in meinem langen Leben einige Schulreformen kennengelernt, keine von ihnen war unumstritten. Immer sind auch Emotionen im Spiel, das ist auch ganz normal, weil es schließlich um Kinder geht. Immer geht es auch um ungleich verteilte Bildungschancen. Die einen fordern eine bessere Bildungsgerechtigkeit ein und die anderen wollen ihre Privilegien nicht aufgeben. Immer geht es auch um Finanzen und das besonders in dieser Zeit.

Es geht auch um personelle Ausstattung. Nach unserer Auffassung sind in Hamburg schon jetzt zu wenige Lehrerinnen und Lehrer im Schuldienst. Nach Angaben der GEW fehlen 1000 Lehrkräfte. Deshalb ist es für uns absolut unbefriedigend, dass nach den Berechnungen der Senatorin durch die Absenkung der Klassenfrequenzen nach dem neuen Schulgesetz nur circa 300 neue Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden sollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht bei einer Schulreform auch immer darum, ob die Anforderungen der Reform überhaupt leistbar sind. Bei der Verkürzung des Abiturs um ein Jahr haben wir erlebt, dass viele Schülerinnen und Schüler überfordert waren und ihren Neigungen in der Freizeit nicht mehr nachgehen konnten, weil sie nämlich keine Freizeit mehr hatten.

Während der letzten zehn Jahre haben die Lehrerinnen und Lehrer erfahren müssen, dass immer mehr von ihnen erwartet wird. Das betrifft zum einen die Arbeitszeit, zum anderen aber auch die ständig neuen zusätzlichen Aufgaben. Das vorliegende Schulgesetz verstärkt diesen Trend. Wir fordern eine Änderung des Lehrerarbeitszeitmodells, die die gestiegenen Anforderungen berücksichtigt, und dass alle weiteren zusätzlichen Aufgaben, die Lehrerinnen und Lehrer übernehmen, entsprechende Kürzungen in der Unterrichtsverpflichtung nach sich ziehen. Wir fordern eine Altersteilzeit und Altersermäßigungen. Morgen werden wir das noch einmal diskutieren.

Im Schulausschuss haben wir einige Anträge eingebracht, um deutlich zu machen, welche Punkte uns im Hamburger Schulsystem wichtig sind: Wir lehnen das Büchergeld ab.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Wir möchten gerne, dass es ein kostenloses Mittagessen gibt.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich glaube, die nächsten Monate werden zeigen, dass das nötiger denn je ist. Wir möchten die beruflichen Schulen wieder zurück in der Verantwortung der Behörde haben.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Wir möchten auch, dass die Produktionsschule ein Teil des öffentlichen Schulsystems in Hamburg ist. Und die Übergänge von der Schule in den Beruf haben noch zu viele Warteschleifen, das möchten wir auch verändern.

Was die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf anbetrifft, möchten wir, dass die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen viel stärker berücksichtigt und umgesetzt wird.

(Michael Gwosdz)

(Wolfgang Beuß CDU: Warten Sie es mal ab, Frau Heyenn!)

In Ordnung, wenn da was kommt, ist es ja gut.

Ich erinnere an die Anhörung, in der auch die Verbände ihre Anliegen eingefordert haben. Wir haben in diesem Sinne auch Anträge eingebracht.

Wir haben im Schulausschuss häufig zusammengesessen und über die Schulgesetznovelle diskutiert. In den letzten Tagen habe ich gelesen, dass darüber zu wenig geredet worden sei. Für meine Fraktion kann ich nur sagen, dass einige meiner Kollegen das Wort Schulgesetz nicht mehr hören können.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Im Schulausschuss haben wir auch die Vertreterinnen und Vertreter der Initiative "Wir wollen lernen!" live und in Farbe erlebt. Diese haben ständig ihre Einwände geändert und sich aufgrund unerhörter persönlicher Angriffe – insbesondere auf die Senatorin, aber auch auf andere – disqualifiziert. Sie haben das Schulgesetz mit Diktaturen und dem Totalitarismus verglichen.

(Wolfgang Beuß CDU: Mit den Nazis!)

Auf die Spitze getrieben wurde das jetzt von Herrn Scheuerl mit seinem Nazi-Vergleich. Das ist unerträglich.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Dieses ganze Gebaren hat mit einem nichts zu tun. Das ist von humanistischer Bildung Hunderte von Lichtjahren entfernt.

(Beifall bei der LINKEN, der CDU, der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Um es aus unserer Sicht ganz deutlich zu sagen: Wer gegen diese Schulreform ist und keine Alternativen zur Verbesserung vorschlägt, der will nichts ändern, der will, dass alles so bleibt. Das legt den Verdacht nahe, dass hier schlicht und einfach Privilegien geschützt werden sollen.