Protokoll der Sitzung vom 07.10.2009

Drittens: Wir wollen Hamburgs zersplitterte Schullandschaft Schritt für Schritt zusammenführen. Unser Ziel ist, im Konsens und ohne Schulkrieg eine Schule für alle Schülerinnen und Schüler zu schaffen. Das sind unsere Eckpunkte und sie sind vernünftig.

(Beifall bei der SPD – Wolfgang Beuß CDU: Jetzt hat er sich geoutet!)

Wir erkennen an, dass das Schulgesetz Ansatzpunkte für eine bessere Förderkultur bietet. Ich nenne zwei Punkte: Die Abschaffung des Sitzenbleibens ist vernünftig. Genauso vernünftig ist es, Kindern mit Förderbedarf das Recht zu geben, in Zukunft in die Regelschulen zu gehen und dort un

terrichtet zu werden. Insofern sind da positive Aspekte, aber auch hier lohnt das genaue Nachsehen. Werden denn diese Kinder, wenn sie nicht sitzenbleiben, genügend gefördert. Werden die Kinder mit Förderbedarf, wenn sie zu einer Grundoder Hauptschule – Realschule gibt es nicht mehr –, in eine Stadtteilschule oder Primarschule gehen oder ins Gymnasium, richtig gefördert. Da sehen wir uns den Haushaltsplan und die Aussagen an und erfahren, dass es eine große Fortbildungsinitiative für alle Lehrerinnen und Lehrer gibt. Dafür investieren wir mächtig viel Geld, und zwar 1 Million Euro im Jahr. Das klingt nach viel, das ist nicht schlecht, aber wir wollen uns einmal daran erinnern, dass nach Auskunft der Schulbehörde 200 Millionen Euro allein in den Umbau von Schulen investiert werden müssen; nach meiner Rechnung sind es 600 und mehr.

(Wolfgang Beuß CDU: Sie können eben nicht rechnen!)

Daran gemessen sind 1 Million Euro, um das gesamte Individualisierungskonzept flottzumachen, unpassend. Am schönsten ist es, wenn man weiter recherchiert. Dann erfährt man, es kommen zwar 1 Million Euro mehr rein, aber gleichzeitig lässt es diese Wissenschaftsbehörde zu – die Wissenschaftsbehörde –, dass umgekehrt bei der universitären Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer 1,2 Millionen Euro gestrichen werden. Unter dem Strich sind das wunderbare Ankündigungen auf dem Papier, für Marino Freistedt hier bestimmt ein Grund, eine tolle Rede zu halten, aber wenn man näher hinsieht, stellt man fest, guter Unterricht sieht anders aus. Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen, dann haben Sie auch unsere Unterstützung, aber machen Sie keine Ankündigungen, hinter denen nichts steht.

(Beifall bei der SPD)

Die Primarschule selbst ist das Herzstück dieser Reform. Wir sagen, gut gemeint ist nicht gut gemacht. Wir erkennen an, dass die Primarschule durch die Möglichkeit des längeren gemeinsamen Lernens sehr wohl Chancen bietet. Aber ihre Einführung beinhaltet zahlreiche organisatorische und inhaltliche Risiken. Diese Risiken sind lange bekannt, die Enquete-Kommission hatte sich sogar kurz damit befasst. Nach Abwägung dieser Chancen und Risiken hat vor der Wahl keine Partei die Einführung der Primarschule gefordert, Ihre erst recht nicht und unsere auch nicht. Seitdem gibt es überhaupt keine neuen Erkenntnisse,

(Wolfgang Beuß CDU: Was fordert Rosi Raab denn eigentlich?)

die zu einer Neubewertung Anlass geben, im Gegenteil, am Ende wird diese Primarschule im Hamburger Schulsystem insgesamt mehr zerstören als heilen und diesen Weg gehen wir nicht mit.

(Beifall bei der SPD)

Nun sehen wir uns einmal an, warum eigentlich die Primarschule unserer Ansicht nach mehr zerstört als heilt.

Diese Primarschulen werden nicht alle gleich sein, wie Sie das immer so suggerieren, ganz im Gegenteil. Die eine soll Latein anbieten, die andere soll ein bisschen mit dem Johanneum schmusen und eng zusammenarbeiten und die dritte ist irgendwo hinten im Stadtteil Lurup und hat Sport als Profil. Was wird dann passieren? Dann werden alle engagierten Bildungseltern gucken, dass die kleine Henrike auf die Schule geht, bei der das Latein möglichst direkt am Johanneum andockt und alle, die nicht aufpassen, sitzen in der falschen Schule. Was passiert dann am Ende? Vermutlich werden wir die Spaltung und die Trennung der Schülerinnen und Schüler nicht erst nach Klasse 4, sondern vielleicht schon ab Klasse 1 haben. Ihr Schulgesetz hat genau diese Möglichkeiten eröffnet statt sie zu verschließen. Das bedeutet weniger gemeinsames Lernen, weniger Chancengleichheit und dazu sagen wir nein.

(Beifall bei der SPD)

Dann kommen wir zum Thema längeres gemeinsames Lernen. Da hatten sich alle in der Enquete-Kommission geeinigt, dass die Stadtteilschule dieser Weg sein könnte. Für uns ist übrigens diese Stadtteilschule nicht die schlechtere von zwei Säulen, sondern der Beginn einer neuen Schule, die im Dialog und Schritt für Schritt zu einer Schule für alle ausgebaut werden kann und muss. In diesem Prozess des Zusammenwachsens, das haben wir bereits damals gesagt, können und müssen die Gymnasien wunderbar eingebunden werden und es funktioniert auch. Diese einmalige Chance, gemeinsames Lernen in Klasse 7 bis 10 auf den Weg zu bringen, wird durch die Primarschule schlicht verdaddelt. Die Stadtteilschule bekommt nämlich kein Profil. Sie bleibt farblos und blass, ist das Stiefkind dieses Schulgesetzes. Die Langformschulen, das heißt also die Klassen 1 bis 6 mit der Stadtteilschule gemeinsam, trennen und zerschlagen Sie, die Klassen 5 und 6 werden ausgegliedert, übrig bleiben für die Stadtteilschule die Klassen 7 bis 10. Das ist bestimmt keine Grundlage für eine kraftvolle neue Schulform. Chancen zur Zusammenführung von Stadtteilschule und Gymnasien sucht man hier vergeblich. Es wird zwar immer behauptet, das sei alles gemeinsames Lernen, aber hier wird die Trennung zementiert. Es gibt nicht einmal eine Idee, wie Kooperationsmöglichkeiten auf den Weg gebracht werden können. So werden die Stadtteilschulen zu unattraktiven Resteschulen. Wir wollen ihnen alles Gute tun, aber die Weichen sind gestellt, dass wir in zehn Jahren hier wieder stehen und über zehn, 15 oder 20 Stadtteilschulen sprechen, die keine Perspektive mehr haben. Diese Perspektivlosigkeit der Stadtteilschule ist nicht nur eine Perspektivlosigkeit für längeres gemeinsames Lernen, sondern

auch für die Schüler, denn die sollten doch gerade durch diese Schulen ermuntert werden, einen besseren Bildungsabschluss zu erreichen. In dieser kränkelnden Schulform, die mit ihren Geburtswehen behaftet mühsam auf den Weg gebracht wird, wird diese Chancengleichheit nicht entstehen. Wir wollen Chancengleichheit im Schulsystem, die Stadtteilschule ist das Opfer Ihrer Schulreform. Opfer sind auch die Schülerinnen und Schüler dieser Stadtteilschule,

(Wolfgang Beuß CDU: Sie reden alles schlecht!)

und deswegen ist das keine gute Idee.

(Beifall bei der SPD)

Man darf auch darauf hinweisen, dass es nicht ganz uninteressant ist zu wissen,

(Wolfgang Beuß CDU: Und Sie wissen über- haupt nichts!)

wie man das Geld im Schulhaushalt eigentlich ordentlich ausgibt. 1800 Millionen Euro stehen dort jedes Jahr zur Verfügung, wofür werden sie eingesetzt. Da darf man einmal kurz diese neugierige Frage stellen: Was kostet diese Schulreform? Nicht etwa, dass Sie jetzt gleich mit pathetischer Geste sagen, für unsere Schüler ist uns doch jedes Geld recht, das können wir doch nicht abwägen – doch, denn im Schulhaushalt ist das Geld endlich. Deswegen muss man genau hinsehen, wofür man es eigentlich ausgibt.

Wir haben Sie bombardiert mit Anfragen. Deswegen bin ich der parlamentarischen Debatte mittlerweile überdrüssig, denn es kommt keine Antwort. Warum kommt keine Antwort auf die Frage nach den Kosten – ganz einfach, Sie wissen es selbst nicht einmal. Sie antworten dauernd, das könnten Sie nur schätzen, aber erst am Ende des Prozesses und jetzt seien wir am Anfang. Also gibt es gar keine Daten, es gibt keine verlässlichen Auskünfte, es gibt nichts. Kostet es 200 Millionen Euro, kostet es 400, 600 oder 800 Millionen Euro, wir wissen alle zusammen gar nichts. Sie, meine Damen und Herren von der CDU, wissen auch überhaupt nichts, das wollen wir festhalten, da habe ich auch schon meine Gespräche geführt; niemand weiß etwas. Nun könnte man sagen, es ist egal, wenn man 1 Milliarde Euro ausgeben will, wir machen auch bei anderen Sachen große Schritte. Aber das Problem ist, dass dieses Geld woanders fehlt. Es fällt nicht vom Himmel, es kommt aus diesem Bildungsetat. Wenn wir in Zukunft mit höheren Mieten diese ganzen Umbaukosten finanzieren, dann gibt es jemanden, der die Zeche zahlt, und das sind diejenigen, die besonders viel Hilfe brauchen, die besonders darauf angewiesen sind, dass unsere Schulen gut funktionieren und dass der Unterricht gut ist. Auf diese Art und Weise werden Sie gerade nicht nur Geld versenken, sondern Sie werden Chancen versenken und insofern halte ich am En

de zwei Dinge für sicher: Dieses Geld fehlt für sinnvollere Sachen und der nächste und übernächste Schulsenator sind alles Bausenatoren. Wir werden uns nur noch mit so einem Unsinn befassen,

(Wolfgang Beuß CDU: Weil wir den ganzen Mist von Ihnen geerbt haben!)

aber nichts mehr zum Thema Bildung machen. Auch deshalb sagen wir: Diese Reform ist unsolide gemacht und deswegen gehört sie abgelehnt.

(Beifall bei der SPD)

Dann gibt es noch einige kleine, organisatorische Punkte, zum Beispiel, wie man eigentlich organisatorisch eine Schulform löst, in der 130 Schulstandorte zu 64 Schulen verschmolzen werden. Einige liegen 400 Meter auseinander, das wird man hinkriegen, aber einige liegen 9 Kilometer auseinander, einige 5 Kilometer, 2 Kilometer, wir kennen die ganzen Entfernungen. Wenn man Lehrerinnen und Lehrer hört, dann fragen die, wie das gehen soll. Ich antworte: Fragt die Schulbehörde. Dann werden mir Briefe und Aussagen gezeigt, in denen steht, das müssten die Schulen selbst regeln.

So einfach macht man Schulpolitik, das ist genau der Grund, warum Schulpolitik so schlecht ist. Wir produzieren eine Idee und sagen, das sei ganz toll, das beschließen wir alles. Es ist neu, es haben sich zwei Parteien zusammengerauft, aber die Details sollen die anderen regeln. Das ist auf jeden Fall in hohem Maße unehrlich. Diese Probleme laden Sie den Schülerinnen und Schülern auf, die wandern müssen und die möglicherweise in ihrem Unterricht und in ihrem Lernverhalten bestimmt keinen Rückenwind bekommen; diese Standortplanung ist wirklich großer Unsinn.

(Beifall bei der SPD)

Am Schluss kommen wir zum Thema Wahlrecht. Hierüber wird immer viel geredet, ich will auf wenige Punkte hinweisen beim Elternwahlrecht. Wir wissen mittlerweile sehr genau, dass das Elternwahlrecht in Hamburg vor allem von Eltern in den sozial benachteiligten Stadtteilen genutzt wird, denn nicht ohne Grund ist gerade an den Gymnasien der Anteil der Schülerinnen und Schüler ohne Gymnasialempfehlung sehr hoch. Das heißt, für diejenigen ist es ein Tor, um sich ihre persönliche Bildungskarriere aufzuschließen. Dieses Tor wird hier ohne Not geschlossen. Das bedeutet aber auch konkret, dass die Gymnasien gerade in diesen Stadtteilen weniger Schüler haben werden.

(Wolfgang Beuß CDU: Sie haben keine Ah- nung, Herr Rabe, in St. Georg ist es nicht so!)

Herr Beuß, Sie müssen sich einmal die Zahlen ansehen, die wir von der Schulbehörde bekommen haben, an welcher Schule eigentlich die meisten Schüler ohne Gymnasialempfehlung sind. Ich kann Sie Ihnen alle nennen.

In diesen Stadtteilen werden die Gymnasien wackeln. Das mag Sie nicht berühren, weil Sie sagen, da würde uns sowieso keiner wählen,

(Frank Schira CDU: Immer mehr!)

aber am Ende wird sich die Stadt umdrehen, wenn wir in Billstedt, in Hamm, in Allermöhe und im Altonaer Kerngebiet keine Gymnasien mehr haben. Das wird die soziale Spaltung der Stadt befördern und nicht beenden.

(Beifall bei der SPD)

Wir glauben aber auch, dass das Elternwahlrecht ein Wert an sich ist, weil unser Schulsystem Akzeptanz braucht. Deswegen brauchen wir Beteiligung, deswegen brauchen wir das Mitwirken der Eltern. Wenn Sie einfach so sagen, das schaffen wir ab, dann sind Sie außerhalb des Trends sämtlicher Bundesländer, denn überall wird das Elternwahlrecht ausgebaut. Hamburg geht den umgekehrten Weg. Diese Politik gefährdet nach unserer Überzeugung das Engagement und die Beteiligung von Eltern und Kindern. Sie untergräbt zugleich die Akzeptanz des staatlichen Schulsystems und schmälert auch in Zukunft jede Erfolgsaussicht von Reform, denn mit Dialog hat das alles nichts zu tun. Das ist eine Politik der Besserwisserei und Bevormundung.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen fordern wir Sie auf, das Schulgesetz an diesen wichtigen Stellen zu überarbeiten. Insbesondere beim Elternwahlrecht muss es dringend Änderungen geben.

Meine Damen und Herren! Wir sagen, gute Schule braucht Konsens und keinen Schulkrieg.

(Martina Gregersen GAL: Ja, dann seien Sie doch auch mal im Konsens! – Jens Kerstan GAL: Wer redet von Krieg, das sind doch Sie!)

Gute Schule muss Wege zum Zusammenwachsen eröffnen und nicht spalten. Gute Schule muss die Schulmittel – Herr Kerstan, Sie sind Haushälter – klug und sinnvoll für diejenigen ausgeben, die unsere Hilfe brauchen und das ist nicht das Bauhandwerk, das sind die benachteiligten Schülerinnen und Schüler.

Gute Schule braucht Überzeugung und keine Besserwisserei und Bevormundung. Dieses Schulgesetz macht aber genau das und deshalb darf man da nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Gwosdz.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Rabe, nachdem ich mir

das jetzt angehört habe, bin ich heilfroh, dass Sie keine schulpolitische Verantwortung in der Stadt tragen,

(Beifall bei der GAL und der CDU)

denn Sie sind verfangen in Ihrem negativen Denken, was alles passieren könnte, wenn man irgendwo einmal beginnt, etwas zu tun. Sie entwickeln nur Horrorszenarien, dass es negativ endet, wenn man an Schulen etwas verändert. Sie schaffen es wahrscheinlich nicht, an die Verwirklichung von Reformen, auch wenn Sie sie selbst vorschlagen, zu glauben,

(Ingo Egloff SPD: Glauben können Sie in der Kirche!)