Protokoll der Sitzung vom 18.11.2009

(Wolfgang Beuß CDU: Wir Sozialdemokra- ten!)

– Immer denselben Kalauer bringen, das macht es auch nicht besser.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Recht reagieren wir und reagiert auch die Öffentlichkeit mit großer Bestürzung, wenn unhaltbare Zustände in Pflegeheimen aufgedeckt werden. Da hilft es wenig, dass es sich – Gott sei Dank – um Einzelfälle handelt und es in den Pflegeheimen in der Regel gut läuft. Für uns Sozialdemokraten ist jeder Einzelfall ein Fall zu viel. Wir sind aufgefordert, dem entgegenzuwirken.

(Beifall bei der SPD)

Wir stehen vor einer Reihe von Fragen: Wie können wir solche Einzelfälle verhindern? Wie sind die Arbeitsbedingungen für das Fachpersonal? Wie können wir es schaffen, mehr Personal in die Pflege zu bringen? Und, vor allem, wie sieht es insgesamt mit der medizinischen Versorgung in den Pflegeheimen aus?

Aus Sicht der SPD-Fraktion hat jeder Mensch – auch die Menschen in den Alten- und Pflegeheimen – das Recht auf eine gute medizinische Versorgung, und zwar unabhängig vom Geldbeutel.

(Beifall bei der SPD)

Mit Erschrecken haben wir im Sommer aufgrund der Studienergebnisse des rechtsmedizinischen Instituts des UKE zur Kenntnis genommen, wie schlecht es in Hamburg in einigen Bereichen aussieht. Professor Püschel hat in einer großangelegten Studie verstorbene Senioren untersucht und festgestellt, dass es hinsichtlich Ernährung, Zahnzustand und Dekubitusprophylaxe viele Missstände gibt.

Wir alle hier in der Bürgerschaft, und dafür möchte sich unsere Fraktion noch einmal bedanken, haben daraufhin im Sozialausschuss eine sehr erfolgreiche Anhörung durchgeführt, in der das Thema Pflege ausgiebig behandelt wurde. Zwei Dinge haben uns die Experten geschildert: Es gibt in den Alten- und Pflegeheimen immer noch Missstände bei der medizinischen Versorgung und es gibt dort auch einen großen Nachholbedarf bei der Prävention, gerade im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Ärzten. Wir sind der Meinung, dass wir das ernst nehmen, aufgreifen und entsprechend handeln müssen.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Es war uns eine gewisse Genugtuung, dass unsere Forderung, die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Pflege und Medizin zu stärken, von den Experten bestätigt wurde. Der Vizepräsident der Ärz

tekammer Hamburg hat ganz deutlich gesagt, dass in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht und es hier auch neue Möglichkeiten gibt. Die Reform der Pflegeversicherung beispielsweise ermöglicht – wohl wissend, dass es in den Pflegeheimen Probleme im medizinischen Bereich gibt – die Einführung von Heimärzten. Wir haben also in Hamburg wieder die Möglichkeit, zu einer festen Kooperation zwischen Pflege und Medizin zu kommen. Wir Sozialdemokraten unterstützen dies ausdrücklich.

Deshalb legen wir Ihnen heute unseren Antrag vor. Wir glauben, dass wir durch eine verbesserte Kooperation drei Ziele erreichen können: Wir können die medizinische Versorgung insgesamt verbessern, dadurch die Lebensqualität der Bewohner verbessern und zudem auch noch Kosten sparen. Wir können hier eine Win-Win-Stiuation schaffen. Daher fordern wir den Senat auf, in entsprechende Verhandlungen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg und den Kranken- und Pflegekassen zu treten mit dem Ziel, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass wir in Hamburg wieder Heimärzte

(Wolfgang Beuß CDU: Wer hat die denn ab- geschafft? Das waren die Sozialdemokra- ten!)

und feste Kooperationen bekommen. Das wollen wir.

(Beifall bei der SPD)

Wir wissen, dass das nicht ganz einfach ist. Hier wird darauf hingewiesen, dass es früher Heimärzte in Hamburg gab. Es war damals sehr schwierig, zu einer finanziellen Einigung mit den Kassen zu kommen. Jetzt, nach der Reform des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes bietet sich aber eine neue Chance, Arbeit mit Heimärzten zu realisieren. Wir appellieren daher an den Senat, diese Chance zu nutzen.

Ein zweiter Punkt. Der Püschel-Bericht hat gezeigt, dass die zahnärztliche Versorgung dringend verbessert werden muss. Es kann nicht sein, dass eine Vielzahl der Senioren in den Alten- und Pflegeheimen über kein eigenes Gebiss mehr verfügt und keine feste Nahrung zu sich nehmen kann. Das wollen wir nicht länger akzeptieren. Wir fordern deshalb neue Verhandlungen mit der Zahnärztekammer, beispielsweise in Anlehnung an das erfolgreiche Projekt "Altern mit Biss" in Sachsen-Anhalt. Es muss ein Konzept entwickelt werden, damit man diese Menschen nicht an ihrem Gebisszustand erkennen kann. Das können wir doch gesellschaftspolitisch nicht erlauben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Ein dritter Punkt. Es gibt Probleme, Heimärzte zu installieren, es gibt aber auch das Problem, dass Heimbewohnerinnen und Heimbewohner aufgrund

(Vizepräsident Wolfgang Joithe-von Krosigk)

mangelnder Barrierefreiheit oder Mobilität Ärzte nicht selber in ihren Praxen aufsuchen können. Zusammen mit der Ärztekammer müssen wir ein Modell entwickeln, das den verstärkten Besuch von Fachärzten in den Heimen ermöglicht. Wenn die Bewohner nicht zu den Ärzten kommen können, dann müssen die Ärzte zu den Bewohnern kommen, um die medizinische Versorgung zu verbessern.

(Beifall bei der SPD)

Auf Bundesebene sind die gesetzlichen Möglichkeiten geschaffen worden, Heimärzte einzuführen. Wir haben damals in Hamburg mit PFLEGEN UND WOHNEN Erfahrungen in diesem Bereich sammeln können und wir sehen den Erfolg in Berlin, wo die AOK seit 1989 mit einem solchen Modell arbeitet. Jetzt ist die Gelegenheit gekommen, auch in Hamburg wieder Heimärzte einzuführen. Wir haben schon gemerkt, dass auch Sie eine gewisse Sympathie für diese Idee entwickelt haben und wollen gern im Ausschuss weiter mit Ihnen diskutieren. Wir fordern Sie auf, unseren Antrag zu unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Das Wort hat Herr von Frankenberg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vorweg darf ich zunächst bemerken, dass Hamburg in der Pflege gut aufgestellt ist.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Herr Kienscherf hat ja selber eingeschränkt, dass wir über Einzelfälle reden. Aber auch wir stehen zu der Aussage, dass jeder das Recht auf eine gute medizinische Versorgung hat. Wo Handlungsbedarf besteht, wird auch gehandelt, das ist ganz klar.

Der Antrag greift eine aktuelle Fachdiskussion auf. Am 5. Oktober hat sich der Landespflegeausschuss mit der ärztlichen Versorgung in Heimen auseinandergesetzt und auch eine Arbeitsgruppe gegründet, die das Thema weiter vorantreibt. An der Thematik wird also aktuell in den zuständigen Gremien gearbeitet.

Ihr Antrag enthält manches, was durchaus richtig ist. Trotzdem sei der Hinweis erlaubt – Sie haben dies zwar in den Vorspann aufgenommen, aber vielleicht hat es nicht jeder gelesen –, dass das, was Sie fordern, zu SPD-Zeiten abgeschafft wurde. Das sollte man der Ehrlichkeit halber nicht unerwähnt lassen. Außerdem verkennt der Antrag die Rolle des Staats und des Senats. Natürlich gelten auch hier grundsätzlich Selbstverwaltung und Eigenständigkeit. Die Träger der stationären Pflege

einrichtungen, die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Zahnärzte und die Kranken- und Pflegekassen sind die handelnden Akteure, der Senat hat eher eine moderierende, vermittelnde Rolle.

Ein Ziel – da gebe ich Ihnen recht, Herr Kienscherf, das hat die Anhörung auch gezeigt – ist die Verbesserung der zahnmedizinischen Versorgung. Bei der Anhörung ist einiges im Unklaren geblieben; Ursache, Wirkung, Umfang – da muss man sicherlich noch einige Fragezeichen setzen. Aber ohne Zweifel ist das ein Bereich, wo etwas geschehen muss, das sagt uns auch die Studie.

In Bezug auf die Studie möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass die Lage insgesamt besser geworden ist. Vor zehn Jahren war Dekubitus, das Wundliegen von älteren Menschen, ein großes Thema. Das hat deutlich abgenommen und das ist eine durchaus positive Nachricht, die wir aus der Anhörung mitnehmen konnten.

Es gibt verschiedene Ansätze. In dem SPD-Antrag wird auf einige hingewiesen, zum Beispiel auf das Modell Sachsen-Anhalt. Es gibt auch ein gelungenes Münchner Modell und man könnte sich auch eine modellhafte Erprobung anderer Ansätze vorstellen. Wir wollen uns heute noch nicht festlegen, was am Sinnvollsten ist.

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass die von Ihnen geforderten Punkte 1 und 3 im Grunde genommen in Vorbereitung sind und wir für Punkt 2 heute noch keine Festlegung treffen wollen. Wir würden das gern weiter mit Ihnen diskutieren und deshalb ist unser Vorschlag, dies an den Sozialausschuss zu überweisen mit der Maßgabe, noch einmal eine Anhörung zu diesem Themenbereich zu machen. Dann können wir gemeinsam überlegen, was sinnvoll und machbar ist und wo besondere Handlungsbedarfe bestehen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Blömeke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kienscherf, wir waren vorhin wieder Zeuge davon, dass Sie Ihre eigene Art haben, Informationen auszulegen. Das ist auch ganz in Ordnung, aber ich möchte doch noch einmal auf zwei oder drei Sachen zurückkommen.

So klang es beispielsweise in Ihrem Beitrag so, als sei die medizinische Versorgung in den Pflegeheimen absolut katastrophal. Die medizinische Versorgung ist gewährleistet. Jeder, der sie braucht, erhält sie – so ist Deutschland glücklicherweise aufgestellt. Natürlich gibt es Unterschiede, auch abhängig vom Geldbeutel. Das ist bei Menschen in den Pflegeheimen nicht anders als bei uns allen und ganz allgemein bei Menschen außerhalb der Pflegeheime. Die Lage ist aber nicht so, dass wir

(Dirk Kienscherf)

grundsätzlich von mangelnder medizinischer Versorgung sprechen könnten.

Ein weiterer Punkt. Sie haben die Püschel-Studie erwähnt und sind in dem Zusammenhang auf die zahnärztliche Versorgung zu sprechen gekommen, die dringend verbessert werden müsse. Herr von Frankenberg hat eben schon darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse dieser Studie durchaus sehr widersprüchlich sind. Die Studie gibt keine Auskunft darüber, wann ein Gebiss getragen und wann es entfernt wurde, ob dies beispielsweise im Rahmen des Sterbeprozesses der Fall war. Die Studie hat sehr viele Bereiche angerissen, ist aber – so hat es Herr Püschel auch selber gesagt – nicht repräsentativ.

Natürlich haben wir uns trotzdem mit der PüschelStudie beschäftigt und wollen die Inhalte auch weiter verfolgen, da geben wir Ihnen durchaus recht, Herr Kienscherf. Aus diesem Grund bin ich auch sehr dafür, Ihren Antrag als Diskussionsgrundlage an den Ausschuss zu überweisen. Anders als Sie es mit Ihrer Drei-Punkte-Forderung tun, wollen wir aber nicht nur den Senat beauftragen, sich etwas zu überlegen, wir wollen auch selber mitreden. Daher unsere Idee der Expertenanhörung, denn die Modelle, die Sie erwähnt haben, sind keineswegs absolute Selbstgänger.

Das 1989 entwickelte Berliner Modell ist in der Tat sehr gut. Vielleicht wissen nicht alle, worüber wir reden: Bei dem Berliner Modell kommt die medizinische Versorgung für die Bewohner der Pflegeheime mit dem Bus. Von 280 Heimen in Berlin nehmen 37 an diesem Modell teil.

Es ist richtig, Herr Kienscherf, was Sie dazu geschrieben haben, man kann das auch überall nachlesen. Das Berliner Modell hat zwei Vorteile. Zum einen haben wir eine bessere medizinische Versorgung der Bewohner in den Pflegeheimen, die zu den regelmäßig vorbeikommenden Ärzten ein besonderes Vertrauen aufbauen. Zum anderen werden Kosten gespart, und zwar in einem enormen Ausmaß. Die beteiligten Kassen haben 2007 1,5 Millionen Euro eingespart. Das ist eine Summe, bei der es sich lohnt, einmal genauer hinzuschauen, ob dieses Modell nicht übertragbar ist. Genau da kommen wir aber vielleicht schon an einen kritischen Punkt. Wir können nicht einfach fordern, alle Modelle für Hamburg eins zu eins zu übernehmen. Es geht uns erst einmal darum, Expertenwissen zugänglich zu machen, zu bewerten und zu vergleichen und zu schauen, was in Hamburg machbar ist.

Eines noch zum Berliner Modell. Es gibt dort das Problem, dass die Ersatzkassen sich nicht an dem Modell beteiligen. Es nehmen hauptsächlich die AOK und die Betriebskrankenkassen teil. Da müssen wir zum Beispiel schauen, wie sinnvoll es wäre, dieses Modell genau so einzurichten, ob es sich lohnt ohne die Teilnahme der Ersatzkassen und

was überhaupt dagegen spricht, dass die Ersatzkassen sich nicht beteiligen.

Durch eine bessere medizinische Versorgung dieser Art hätten wir eine Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit und eine wöchentliche Visite; das sind alles positive Aspekte. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es den Pflegeheimen auch jetzt schon freisteht, vertragliche Bindungen und Kooperationen mit niedergelassenen Ärzten einzugehen. Herr Kienscherf hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz diese Möglichkeit bietet. Es gibt aus diesem Grund auch schon Kooperationen von Pflegeheimen mit niedergelassenen Ärzten; es ist also nicht so, dass es hier eines ganz neuen Modells bedürfte. Trotzdem würde das Berliner Modell auch aus meiner Sicht eine noch bessere Regelmäßigkeit mit sich bringen. Eine Prüfung ist es auf jeden Fall wert.

Interessant ist auch das Modell mit dem schönen Namen "Altern mit Biss", das die zahnärztliche Versorgung in den Heimen verbessern soll. Die Initiatoren stellen dem "Altern mit Biss" die Alternative "zahnlos in das Alter gehen" gegenüber. Das ist vielleicht etwas übertrieben, aber auch in der Anhörung ist hier ein Bedarf deutlich geworden. Wer mit älteren Menschen zu tun hat – vielleicht haben Sie Angehörige in einem Pflegeheim –, der weiß, dass man mit diesen Menschen irgendwann nicht mehr zu einem niedergelassenen Zahnarzt gehen kann. Oft sind die Praxen nicht zugänglich oder die Mobilität ist zu sehr eingeschränkt. Aus diesem Grund halte ich es auch für ganz wichtig, neue Ideen zu entwickeln, wie wir diese Situation verbessern können, damit ein Altern mit Biss gewährleistet werden kann.

Eine Expertenanhörung wäre wirklich sehr gut, damit wir gemeinsam weiter an diesen Punkten arbeiten können, um zu sehen, was sich für uns eignet und was nicht. – Vielen Dank.