Protokoll der Sitzung vom 19.11.2009

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, dass Sie dieses Thema heute zur Aktuellen Stunde angemeldet haben, zeugt in der Tat einmal mehr davon, dass es seitens der SPD-Fraktion wirklich an Willen fehlt, Verantwortung für diese Stadt zu übernehmen, besonders wenn anstehende Entscheidungen unpopulär und unbequem sind.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU – Uwe Grund SPD: Das ist peinlich!)

Stattdessen erwecken insbesondere der Redebeitrag der Kollegin Veit in dieser Debatte und auch die Anmeldung des Themas mehr denn je den Eindruck, dass es der SPD wirklich darum geht, Gerüchte in die Welt zu setzen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Es ist kein Ge- rücht!)

die Gerüchteküche am Kochen zu halten und, noch viel schlimmer, das Gerüchtefeuer ein bisschen weiter zu schüren.

Was haben wir an Fakten? Wir haben lediglich eine Handreichung, die den Fraktionen von CDU und GAL vorgestellt wurde.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Was ist eine Handreichung?)

Das sind die besagten zehn goldenen Regeln. Eine Handreichung ist noch kein beschlossenes Papier, auch wenn die SPD-Fraktion jetzt krampfhaft versucht, es der Öffentlichkeit, den Medien und dem Parlament deutlich zu machen. Wir als GAL-Fraktion haben bereits öffentlich deutlich gemacht, dass wir diesen Katalog nicht zur verbindli

chen Grundlage für unsere Sparvorschläge machen.

(Wolfgang Rose SPD: Bravo! und Beifall)

Vielmehr haben wir mithilfe von externen Beratern alle Haushaltsposten auf Nachhaltigkeitskriterien abgeklopft und kommen damit zu unseren eigenen Bewertungen, die wir aber, und das ist vielleicht wichtig für die SPD-Fraktion, in intensiven Gesprächen mit den Koalitionspartnern und auch mit den zuständigen Behörden diskutieren. Wie inzwischen allgemein bekannt ist – es war auch in den Medien und sollte ebenso bei der SPD angekommen sein –, wird am 27. November eine Pressekonferenz stattfinden, auf der die Senatoren die Sparbeschlüsse der Öffentlichkeit vorstellen müssen, die aufgrund der Finanzlage in dieser Stadt leider notwendig sind.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Anmerkung der Abgeordneten Veit?

Ich nehme an, dass Frau Veit gleich noch einmal hierherkommt, dann allerdings weniger, um Dialog…

Ja oder nein reicht mir völlig.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion! Es bietet sich an, nach dieser Pressekonferenz eine inhaltliche Debatte zu führen, der wir uns natürlich auch nicht verschließen werden. Ich stelle mir dafür idealerweise den Ort der Bürgerschaftssitzung im Dezember vor, nämlich dann, wenn wir konkrete Maßnahmen vorliegen haben, über die wir auch reden werden.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Heute werden und wollen wir mit Ihnen keine Phantomdebatte über Ihre Mutmaßungen oder über die von Ihnen gestreuten Gerüchte führen.

(Andy Grote SPD: Dann schreiben Sie sol- che Papiere nicht auf!)

Das würde auch der Ernsthaftigkeit des Themas wirklich nicht gerecht werden. Wenn Sie weiter über Spekulationen diskutieren wollen, dann können Sie das an dieser Stelle machen. Sie müssen es vermutlich aber allein machen, Ihrer Glaubwürdigkeit jedoch und der der SPD-Fraktion wird das nichts nützen. Sie wird es auf jeden Fall nicht fördern und wir werden uns zu dieser Debatte nicht hinreißen lassen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

(Stephan Müller)

Das Wort hat die Abgeordnete Artus.

Herr Präsident, sehr geehrte Herren und Damen! Wir befinden uns nicht nur in einer Finanz- und Wirtschafts-, sondern auch in einer Sozialkrise. Auch wenn wir seit Monaten ein Wechselbad von schöngefärbten Prognosen selbsternannter Wirtschaftsexperten hören müssen, gefährliche Versprechungen von Steuersenkungsplänen gemacht werden und die Menschen Umfragen von der Stabilität der Konsumlaune präsentiert bekommen, täuscht das alles nicht darüber hinweg, in welche Situation dieses Land gekommen ist.

Zeuge beziehungsweise Zeugin eines weltweiten Einbruchs von dramatischem Ausmaß zu sein, einer tiefen Rezession, einer finanziellen Kernschmelze, fortschreitender Umweltzerstörung und sozialer Polarisierung, ruft tiefe Verunsicherung hervor.

So sind die Kollegen von Blohm + Voss derzeit noch voller Hoffnung, dass der arabische Investor aus Abu Dhabi ihnen ihre Arbeitsplätze sichern wird, obwohl Investoren in der Regel weniger das Wohl der Arbeitsplätze im Blick haben. ALG-II-Empfängerinnen, darüber sprachen wir gestern, klammern sich an ihre Ein-Euro-Jobs, um nicht ganz abzustürzen. Auch Weihnachten dürfte bei vielen schillernd und prächtig werden und es werden Geschenke gekauft, die man sich eigentlich gar nicht leisten kann, weil man das Trübe draußen vielleicht einfach einmal aussperren will. Selbst die Preiserhöhung bei den Tannen wird wohl in Kauf genommen werden, in solchen Zeiten setzt man auf das Bewährte, vermeintlich Sichere und steckt den Kopf in den Sand. Ich behaupte, dass die meisten Menschen nicht wissen, was auf sie zukommt und sie werden durch eine massive Desinformationspolitik auch daran gehindert, Zusammenhänge zu erkennen.

In dieser Zeit will der Senat Sozialleistungen kürzen. Etwas Schlimmeres könnte den Hamburgern und Hamburgerinnen im Moment nicht passieren. Die soziale Lage wird sich in den nächsten Monaten wahrscheinlich dramatisch verschlechtern, das wissen doch alle hier. Da darf sich der Staat nicht zurückziehen, was er mit einem Sparprogramm im sozialen Bereich aber tun würde. Er muss genau andersherum gegensteuern.

(Beifall bei der LINKEN)

Was wir jetzt benötigen, ist ein Konjunkturprogramm im Sozialbereich.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Staat hat doch nicht die Rolle eines Notarztes oder die des Regulierens widriger Umstände, wenn der Kapitalismus mit seiner Ressourcenvergeu

dung menschlicher Fähigkeiten mit sich bringt, dass er Massenarbeitslosigkeit produziert.

(Zurufe von der CDU: Oh, oh! – Olaf Ohlsen CDU: Heiße Luft!)

Das ist Ihr Reizwort.

(Beifall bei Arno Münster SPD)

Er hat in der sozialen und ökonomischen Produktion eine eigenständige Aufgabe. Deswegen darf der öffentliche Sektor nicht gekürzt werden, im Gegenteil, er ist auszuweiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie einen Blick auf unsere Nachbarländer werfen, sehen Sie, dass dort trotz allem Druck ein Sektor mit qualitativ hochwertigen Sozialleistungen aufrechterhalten und sogar ausgeweitet wird. Ich nenne das in Zahlen: In Dänemark und Schweden entfallen auf 1000 Einwohner und Einwohnerinnen 155 Beschäftigte im öffentlichen Dienst, in Deutschland sind es gerade einmal 68 Beschäftigte. Deutschland gibt nur 1,9 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für soziale Dienstleistungen aus

(Olaf Ohlsen CDU: Was sagt uns das?)

und bleibt damit unter dem OECD-Durchschnitt von 2,3 Prozent. Frankreich liegt bei 2,7 Prozent, Schweden und Dänemark liegen bei 7,4 beziehungsweise 5,9 Prozent. Warum wollen Sie jetzt den Sozialetat beschränken, einsparen und kürzen, Herr Wersich? Sie werden damit eine weitere Welle Niedriglohnbeschäftigter und Kurzzeitbefristung schaffen, sie werden weitere Verelendung produzieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Soziale Dienstleistungen sind nicht nur mehr wert, als sie oftmals dargestellt werden, sie sind auch eine wichtige Investition, die jetzt getätigt werden muss.

Die Alternativen zu Ihren zehn goldenen Regeln lauten: erst höhere Verschuldung, dann investieren in den öffentlichen Sektor und dann höhere Steuern erheben auf Gewinne und Vermögen. Die ungerechte Einkommens- und Vermögensverteilung hat die Finanzmärkte doch erst aufgebläht. Außerdem bedarf es eines konsequenten Vorgehens gegen Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität. Korruption, das hat die Organisation Transparency International, die sich weltweit gegen Korruption einsetzt, gestern noch einmal bestätigt, wird aufgrund der Konjunkturprogramme vermutlich immens zunehmen.

Sicher zwingt der Haushalt zum Sparen, das wollen wir nicht leugnen,

(Jörn Frommann CDU: Sind die fünf Minuten immer noch nicht vorbei!)

genauso, wie sich die vielen finanziellen Fehlentscheidungen, die in der letzten Zeit getroffen wurden, nicht leugnen lassen oder die für die Finanzpolitik getroffene Personalauswahl von Schwarz-Grün. Aber das jetzt vorliegende Konzept lässt nur eine Empfehlung zu: Schieben Sie Ihre Regeln in den Reißwolf, Herr Senator.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Senator Wersich.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das ist viel Ehre – Wersichs Streichliste. Welche Streichliste eigentlich? Ich kenne diese Streichliste nicht und insofern könnte ich es kurz machen, wenn die Lage nicht so ernst wäre wegen der Finanzwirtschaftskrise und der Haushaltslage.

Frau Artus, im Sozialhaushalt reden wir auch noch nicht einmal über Kürzungen oder Absenkungen, sondern wir sprechen darüber, dass wir nicht noch zusätzliche Steigerungen im Haushalt bekommen. Angesichts der wirklich dramatisch wegbrechenden Steuereinnahmen darf es bei der Suche nach Lösungen keine Denkverbote geben. Die Suche nach Lösungen bedeutet, dass wir genau hinsehen müssen; das ist unsere politische Verantwortung.