Protokoll der Sitzung vom 10.12.2009

"Das Studium als Phase der Erprobung und der Alternativen ist kaum noch gefragt."

Die Akademiker stehen unter Druck.

(Unmutsäußerungen bei der CDU)

Das ist eine wissenschaftliche Studie, ob Ihnen das passt oder nicht, ist wirklich Ihr Problem.

(Wolfgang Beuß CDU: Einseitig!)

Alles, was nicht Ihre Meinung ist, ist sowieso immer einseitig, das ist ja klar.

Die Senatorin hat öffentlich gesagt, dass der Bachelorabschluss kein wissenschaftlicher Abschluss im humboldtschen Sinne sei. Wenn Bildung aber an den Schulen und insbesondere im Studium nicht wieder Bildung im besten, humanistischen Sinne wird, dann werden wir eine Generation produzieren, mit der wir noch große Probleme haben werden, in der das Interesse für Politik beständig abnimmt, das Verständnis für Bildung im weitesten Sinne verloren geht und die damit auch unsere Demokratie gefährdet. Wir müssen uns deshalb ernsthaft überlegen, was wir mit diesem System machen. Wenn wir es reformieren können, sollten wir es tun, und wenn nicht, sollten wir es in die Tonne treten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort erhält Senatorin Dr. Gundelach.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als sich vor genau zehn Jahren 29 Bildungsminister auf den Bologna-Prozess verständigten, haben sie sicher kaum geahnt, welche Dynamik in diesem Prozess stecken würde. Sie werden allerdings auch nicht geahnt haben, welche Probleme sich bei seiner Implementierung herausstellen würden. Inzwischen wird der Bologna-Prozess von 46 Staaten getragen und weitere, auch nichteuropäische, gedenken, sich ihm anzuschließen. Vor einigen Monaten empfahl sogar das angesehene amerikanische "Institute for Higher Education", die USA sollten sich angesichts ihres zersplitterten, sehr heterogenen Bildungswesens ein Beispiel am BolognaKlub nehmen. Ich rufe dies nur deshalb in Erinnerung, damit wir bei aller berechtigten Kritik am Bologna-Prozess dessen in der Tat sehr positive Effekte nicht übersehen.

(Beifall bei der CDU und bei Dr. Eva Gümbel GAL)

Inzwischen liegen dazu auch erste Studien vor. Ich nenne nur HIS, das Internationale Zentrum für Hochschulforschung, CHE Consult, den Deutschen Akademischen Austauschdienst, das Institut der deutschen Wirtschaft und den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Alle diese Studien kommen in ihrer Gesamteinschätzung zu positiven Ergebnissen, weisen allerdings durchaus auch auf Problembereiche und Defizite hin. Für Schwarzmalerei und Katastrophenrhetorik besteht deswegen

überhaupt kein Anlass. Wer sich darin gefällt, den Reformprozess des letzten Jahrzehnts kaputtzureden, erweist den Hochschulen aus meiner Sicht einen Bärendienst.

(Beifall bei der CDU und bei Dr. Eva Gümbel und Michael Gwosdz, beide GAL)

Der verkennt auch die imponierende Leistung der Hochschulen, Bachelor und Master ohne zusätzliches Geld umgesetzt zu haben. Wir hätten damals wissen müssen – wie Frau Schavan es jetzt auch in einem Zeitungsinterview gesagt hat –, dass die Umsetzung eines solchen Systems mehr Geld erfordert. Das ist damals nicht berücksichtigt worden. Deswegen bin ich auch sehr glücklich, dass es uns in unserer Haushaltsklausur gelungen ist, wenigstens sicherzustellen, dass an den Hochschulen nicht gespart wird. Die Zuschüsse werden gleichbleiben. Es macht aber keinen Sinn, nun den Untergang herbeizureden. Damit tut man den Hochschulen wirklich keinen Gefallen.

Es ist auch zu beachten, dass wir im Moment nur über erste Studien verfügen. Es wurde schon erwähnt, dass 2007 nur 8,9 Prozent der Studierenden ihr Studium mit einem Bachelor abgeschlossen haben und noch weniger, nämlich 5,4 Prozent, mit einem Master. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Hamburger Hochschulen bei vielen der in der Großen Anfrage aufgeworfenen Fragen passen mussten.

In der allzu aufgeregten Debatte werden jetzt erste Stimmen laut, die sagen – Frau Heyenn, Sie haben das auch gerade erwähnt –, man solle zum Diplom- und Magistersystem zurückkehren. Wer das tatsächlich ernst meint, muss wohl an einer ganz spezifischen Form des Gedächtnisverlustes leiden. Wollen wir wirklich in die Verhältnisse der Jahrzehnte zurück, in denen deutsche Hochschulabsolventen zu den weltweit ältesten gehörten, als eine Fachstudiendauer von 14 Semestern eher das Normale als das Ungewöhnliche war, als in einigen Studienbereichen 70 Prozent der Studierenden die Hochschule ohne einen Abschluss verließen, …

(Glocke)

Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihre Unterhaltungen nicht unterbrechen, aber sie müssen leise durchgeführt werden.

Frau Senatorin, Sie haben das Wort.

… als die KMK und die Hochschulrektorenkonferenz in den berühmt-berüchtigten Rahmenprüfungsordnungen für jeden Studiengang detailliert vorgegeben haben, wie viele Semesterwochenstunden auf dieses und wie viele auf jenes Thema zu entfallen haben, und last, but not least, als deutsche Diplom- und Magisterabschlüsse im Ausland

(Dora Heyenn)

sehr häufig nur als ein Teilabschluss gewertet wurden, nämlich nur als Bachelorabschluss? So sah es damals aus. Der Staat prüfte und genehmigte noch die Studien- und Prüfungsordnungen, genauer ein Ministerium, das von den Inhalten des Studiums meilenweit entfernt war und sicher nicht über die entsprechenden Kenntnisse verfügte. Ich denke, niemand mit einem halbwegs intakten Erinnerungsvermögen wird diese Verhältnisse zurück haben wollen. Der Bachelor-/Masterprozess ist deswegen unumkehrbar. Er muss aber konstruktiv korrigiert werden.

(Beifall bei der CDU – Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Heyenn?

– Ja, bitte.

Frau Senatorin, können Sie mir dann bitte erklären, warum in der Rechtswissenschaft, in der Humanmedizin, in der Zahnmedizin, in der Pharmazie, in der Lebensmittelchemie und der Evangelischen Theologie an den Hamburger Hochschulen bisher kein Bachelor-/Mastersystem eingeführt wurde, wenn Sie meinen, alles andere sei von vorgestern?

Weil das Studiengänge sind, die mit einer staatlichen Prüfung abschließen. Im Augenblick ist eine Umstellung nur beim Lehramtsstudium erfolgt. Es gibt aber durchaus Überlegungen, sowohl im medizinischen als auch im rechtswissenschaftlichen Bereich, auf Bachelor und Master umzustellen. Da muss einiges angepasst werden, weil dort staatliche Prüfungen abgelegt werden. Das ist auf dem Weg, aber die Umstellung ist noch nicht erfolgt.

(Beifall bei der CDU und der GAL – Stephan Müller CDU: Das hat gesessen!)

Wie sieht es nun bei uns in Hamburg aus? Bundesweit sind bislang rund 76 Prozent der Studiengänge umgestellt. In Hamburg sind es rund 95 Prozent. Ausgenommen sind noch die von Ihnen gerade erwähnten Studiengänge, deren Umstellung in Arbeit ist. So hat das UKE ein sehr anspruchsvolles Projekt entwickelt und beim Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft eingereicht, wo es auf große Resonanz gestoßen ist. Viele Universitäten warten nur darauf, dass an einer Universität ein Pilotprojekt gestartet wird, um zu sehen, wie dieses erfolgreich umgesetzt werden kann.

Ein wichtiges Kriterium ist die Studienerfolgsquote. Hier gibt es durchaus schon Datenmaterial, wenn es auch für Hamburg natürlich noch nicht endgültig belastbar ist, weil noch nicht alle Studiengänge so

weit waren. Dort, wo Daten vorliegen, weisen sie aber überwiegend in eine positive Richtung. Gab es im Jahr 2000 in Deutschland noch eine Studienabbrecherquote von rund 30 Prozent, so weisen die jüngsten Daten darauf hin, dass diese Quote inzwischen auf 22 Prozent gesunken ist. Das ist ein deutlicher Rückgang um immerhin 8 Prozent.

Die Fachstudiendauer hat sich ebenfalls deutlich reduziert, auch das kann man als Erfolg werten. Inzwischen wächst auch die Akzeptanz der neuen Abschlüsse auf dem Arbeitsmarkt, wenn es auch Bereiche gibt, in denen mit ihnen noch nicht viel angefangen werden kann. Das ist ein Punkt, an dem nachgearbeitet werden muss.

Insgesamt sind wir auf einem guten Weg. Jüngste Studien zeigen, dass es bei der Mobilität nicht so schlecht aussieht. In diesem Bereich muss aber in der Tat nachgesteuert werden, denn die Mobilität beschränkt sich im Moment überwiegend darauf, dass die Studierenden zwischen dem Bachelorund dem Masterstudium ins Ausland gehen. Das hängt zu einem großen Teil sicher auch damit zusammen, dass die Studiengänge der einzelnen Universitäten nicht vergleichbar sind und es daher schwierig ist, im Ausland für den eigenen Studiengang anrechenbare Credit Points zu erwerben. Deswegen werden die Hochschulen für ihre Studiengänge konkrete Partnerhochschulen gewinnen müssen, um den Austausch zu erleichtern. Im Ausland wird dies schon sehr häufig so gehandhabt. Hier gilt es also nachzuarbeiten, aber das werden wir auch tun.

Bund, Länder, Hochschulen und Studierende spielen derzeit zum Vergnügen der Presse das beliebte Schwarze-Peter-Spiel. Ich muss gestehen, mich ermüdet dieses Spiel. Letztendlich führt es nämlich nur dazu, dass die notwendigen Reformschritte hinausgezögert werden. Angesichts einiger Behauptungen in der Presse möchte ich aber doch einige Dinge klarstellen. So gehe ich entgegen der von Ihnen, Frau Stapelfeldt, vertretenen Meinung durchaus und sehr intensiv an die Hochschulen, um mit Professoren und Studierenden zu reden.

Immer wieder – und das ist auch heute behauptet wieder worden – heißt es, der Senat habe den Hochschulen ohne Not den sechssemestrigen Bachelor aufgezwungen.

(Dr. Dorothee Stapelfeldt SPD: Das ist doch auch so!)

Nein, weder die Kultusministerkonferenz noch das Hamburgische Hochschulgesetz haben dies getan. Beide Instanzen lassen den Hochschulen freie Hand, auch sieben- oder achtsemestrige Bachelorstudiengänge einzuführen. Die Politik ist meines Erachtens gut beraten, auch weiterhin keinen Einfluss auf die Länge der Bachelorstudiengänge zu nehmen. Das sollten die Hochschulen selber entscheiden. Es wird letztendlich immer von

(Senatorin Dr. Herlind Gundelach)

den Inhalten eines Studiengangs abhängen, ob ein Bachelor auf sechs, sieben oder acht Semester angelegt ist.

(Beifall bei der CDU und bei Dr. Eva Gümbel GAL)

In Bezug auf die Beantwortung der Großen Anfrage wurde in der Presse moniert, die Universität habe keine Auskunft über die aktuelle Arbeitsbelastung der Studierenden gegeben. Das ist so nicht zutreffend, denn in der Großen Anfrage wurde nicht nach Arbeitsbelastungen gefragt, sondern nach den Semesterwochenstunden in den einzelnen Diplom-, Magister-, Staatsexamens-, Bachelor- und Masterstudiengängen. Da hat die Universität verständlicherweise gesagt, dass es für sie in der Kürze der Zeit nicht möglich sei, über 400 Prüfungsordnungen händisch auszuzählen, um zu ermitteln, wie viele Semesterwochenstunden nun jedes Curriculum umfasst. Ich bin allerdings auch der Auffassung, dass die Hochschulen und die Mitarbeiter an der Universität wichtigere Aufgaben haben, als Prüfungsordnungen auszuzählen.

(Glocke)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

– Ja, bitte.

Frau Senatorin, Sie haben eben darauf hingewiesen, dass die KMK darüber nachdenkt, das Bachelorstudium auf sieben oder acht Semester auszuweiten. Ich habe selber gelesen, auch in dem Memorandumpapier …

(Glocke)

Frau Abgeordnete, Zwischenfrage bedeutet Frage.

Zwischenfrage von Dora Heyenn (fortfahrend): Ich möchte gern wissen, ob Sie es für einen Fortschritt halten und als Reform bezeichnen würden, wenn das Bachelor-/Mastersystem so geändert wird, dass die Zeit für das Bachelorstudium erhöht wird, aber die Gesamtstudienzeit von Bachelor und Master gleich beleibt.

Frau Heyenn, da ich gestern an diesem Papier mitgearbeitet habe, weiß ich auch relativ genau, was da drin steht. Es steht genau das drin, was ich gerade gesagt habe, nämlich dass es nirgendwo eine Festschreibung auf ein sechssemestriges Bachelorstudium gibt und es durchaus sinnvoll sein kann, einen Bachelor auf eine längere Zeit anzulegen. Außerdem steht dort, dass die Regelstudienzeit insgesamt für Bachelor und Master zehn Semester

umfassen soll. In der Regel heißt aber nicht, dass das immer der Fall sein muss. Es gibt im Übrigen im Ausland – gehen Sie in die Schweiz, gehen Sie in die Vereinigten Staaten – durchaus auch Masterstudiengänge von drei Semestern, die müssen nicht immer auf vier Semester angelegt sein, sie können auch einmal fünf Semester sein. Das muss man dem spezifischen Studiengang überlassen. Es ist Aufgabe der Universitäten festzulegen, ob ein Studiengang drei, vier oder sechs Semester braucht, je nachdem, welche Ergebnisse erzielt werden sollen. Diese Freiheit wollen wir den Hochschulen lassen. Die KMK hat noch einmal ausdrücklich betont, dass es Sache der Hochschulen sei, diese Entscheidung zu treffen.