Protokoll der Sitzung vom 22.04.2010

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kerstan, was Sie gerade über Nordrhein-Westfalen gesagt haben, kommt mir bekannt vor. Das kenne ich noch aus dem Hamburger Wahlkampf. Da waren wir die Mauerbauer, die Chaoten, die Kommunisten, die Trotzkisten und was weiß ich nicht alles und mit uns konnte man überhaupt nichts anfangen.

(Beifall und Zurufe bei der CDU)

Zwei Monate später hörte sich das schon ganz anders an und jetzt hat sich das auch alles völlig normalisiert. Wir können mit Messer und Gabel essen, in zusammenhängenden Sätzen reden und Menschen sind wir auch.

Mich ärgert an dieser ganzen Debatte, dass wir sie seit über 40 Jahren in dieser Republik führen und teilweise genau mit den gleichen Argumenten, die Frau Stöver wieder genannt hat. Es ist immer die gleiche Leier und wir kommen kein Stück vorwärts. Wenn Sie sagen, wir müssten auf die Straße gehen, Herr Kerstan, dann ist das richtig. Aber Parteien werden wegen ihrer Programme gewählt und Sie sind in Hamburg auch gewählt worden, damit Sie etwas gegen Atomkraft tun in dieser Stadt, weil das eine Ihrer Kernkompetenzen ist, wie Sie immer betonen. Wir von der LINKEN finden, dass Sie Ihre Position in diesem Hause und in dieser Koalition nicht nutzen. Sie tun viel zu wenig dafür und das ärgert mich.

(Farid Müller GAL: Sie belegen es ja nicht!)

Sie könnten weit mehr tun, stattdessen begnügen Sie sich mit Formelkompromissen, was überhaupt nicht geht. Das schadet nicht nur Ihnen, sondern es schadet uns allen, denn wenn wir innerhalb von Parlamenten anders reden und andere Forderungen haben als außerhalb, dann glaubt uns irgendwann kein Mensch mehr etwas, und das treiben Sie auf die Spitze. Sie tun immer so, als wären Sie die Einzigen, die sich gegen Atomkraft einsetzen. Wir haben es sehr wohl gehört, dass nur die Atomkraftgegner und die GAL zur "Kettenreaktion" gehen, der ganze Rest bleibt zu Hause und ist nicht mehr dabei. Das steht genauso in der Presseerklärung und das finde ich einfach nicht richtig.

Ich habe im Wahlkampf immer gehört, man müsse Verantwortung übernehmen. Sie müssen auch Verantwortung für Ihre Inhalte übernehmen und das tun Sie bei Weitem zu wenig. Darüber hinaus versuchen Sie, den Eindruck zu erwecken, als seien Sie immer noch die Partei, die sich überall dagegenstemmt, aber das tun Sie nicht. Wenn Sie sagen, was so ein Bericht soll, dann möchte ich Sie daran erinnern, dass es die CDU und die GAL waren, die den Antrag gestellt haben, der Senat möge einen Bericht vorlegen, und nun sagen Sie, das sei Blödsinn.

(Zuruf von der GAL: Das hat er doch gar nicht gesagt!)

Dann frage ich mich natürlich, warum Sie den Antrag gestellt haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das sehe ich nicht.

Dann kommen wir zur Abstimmung, zunächst zum Antrag der Fraktion DIE LINKE aus der Drucksache 19/5979. Wer sich diesem Antrag anschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Das ist mehrheitlich abgelehnt.

Wer möchte nun dem Antrag der SPD-Fraktion aus der Drucksache 19/5841 seine Zustimmung geben? – Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Auch dieser Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.

Ich rufe den Punkt 53 der Tagesordnung auf, Drucksache 19/5853, Antrag der GAL- und der CDU-Fraktion: Kreative Milieus: Flächen in der Speicherstadt aktivieren und bereitstellen.

[Antrag der Fraktionen der CDU und GAL: Kreative Milieus: Flächen in der Speicherstadt aktivieren und bereitstellen – Drs 19/5853 –]

(Jens Kerstan)

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 19/5973 ein Antrag der SPD-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktion der SPD: Areal Oberhafen als "Kulturhafen" zu einem offenen Raum für kreative Nutzungen entwickeln! – Drs 19/5973 –]

Die CDU-Fraktion möchte diesen Antrag federführend an den Stadtentwicklungsausschuss und mitberatend an den Kultur-, Kreativwirtschafts- und Tourismusausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Herr Becker bitte.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei der Initiative, die ich Ihnen vorstellen möchte, geht es um die Speicherstadt. Wir wünschen uns, ausgehend von dem Gutachten über kreative Milieus, das Anfang des Jahres vorgelegt wurde, in der Speicherstadt Flächen für Künstler und Kreativwirtschaft zu entwickeln. In diesem Gutachten ist auch etwas über die Bereiche zu lesen, die sich als kreative Milieus eignen, und dazu gehört die Speicherstadt. Um etwas zur Vorgeschichte zu sagen – man lernt doch einiges bei der Recherche für einen solchen Wortbeitrag –, die Speicherstadt wurde ab 1883 erbaut, steht seit 1991 unter Denkmalschutz und wurde 2004 aus dem Hafengebiet entlassen. Das ist ein wichtiger Punkt gewesen, weil sich durch die Planung und Entwicklung der HafenCity die Situation eindeutig geändert hat. Vorher war die Speicherstadt nur sehr begrenzt als Lagerfläche für Kaffee- oder Teppichhändler verwendbar, nun hat sich eine ziemlich breite andere, auch kulturelle und kreative Nutzung dort angesiedelt und auch für das Fleetviertel entstehen positive Energien. Vermieter für die 300 000 Quadratmeter ist die HHLA und sie ist auch Planungsgewinner der ganzen Entwicklung. Sie hat früher wesentlich geringere Mieten erzielen können, jetzt ist das Mietenniveau deutlich angestiegen aufgrund der Entwicklung der HafenCity und der entstandenen Brückenfunktion zur inneren Altstadt. Dadurch ist die Lage natürlich sehr attraktiv geworden und auch einige Einrichtungen wie Dialog im Dunkeln oder diese große Modelleisenbahn haben sich angesiedelt.

Es gibt allerdings weniger als 700 Quadratmeter Atelierflächen und das möchten wir gerne ändern. Deswegen fordern wir in unserer Initiative den Senat auf, in Zusammenarbeit mit der HHLA und auch mit der Kreativagentur frei werdende Flächen für Künstler und die Kreativwirtschaft zur Verfügung zu stellen und eine nennenswerte und spürbare Entwicklung in diese Richtung mittelfristig in Gang zu setzen. Für diese Initiative hoffen wir natürlich auf Ihre Unterstützung.

Der Antrag der SPD ist aus meiner Sicht nicht wirklich ein Zusatzantrag, denn er befasst sich nicht mit der Speicherstadt, sondern es geht um den

Oberhafen. Im Prinzip brauchen wir diesen Antrag nicht, weil das alles im Gutachten "Kreative Milieus und offene Räume in Hamburg" schon drinsteht und dieser Punkt würde sowieso auf die Tagesordnung kommen. Nichtsdestoweniger ist es richtig, über das Thema zu reden. Deswegen werden wir den Antrag überweisen, und zwar an den Stadtentwicklungsausschuss und mitberatend an den Kulturausschuss. Dieser Empfehlung sollten wir folgen, obwohl wir nicht der Meinung sind, dass man das Oberhafenquartier jetzt aus dem Geltungsbereich des Hafens entlassen sollte. Wir teilen da Ihre Auffassung nicht, denken aber, dass wir das Thema grundsätzlich im Ausschuss diskutieren sollten. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Frau Martens.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Damen und Herren! Dieser Antrag von GAL und CDU spiegelt die derzeit konkrete politische Großwetterlage für das kreative Cluster in Hamburg wider. Auf der Basis des Koalitionsvertrags von CDU und GAL, des neuen Leitbildes "Wachsen mit Weitsicht" und des Gutachtens im Auftrag der BSU "Kreative Milieus und offene Räume in Hamburg" soll für die Speicherstadt ein Konzept entwickelt werden, das dieses historische, denkmalgeschützte Ensemble Hamburgs noch stärker als bisher als Ort für Kultur erlebbar werden lässt. Dieser Antrag untermauert einmal mehr den politischen Paradigmenwechsel des Senats in der Nutzung von städtischen Immobilien: Konzept geht vor Kommerz.

(Beifall bei Viviane Spethmann CDU, bei Horst Becker und Farid Müller, beide GAL)

Ich merke in Gesprächen, dass man uns so nach und nach diese politische Umsteuerung in der öffentlichen Wahrnehmung auch abnimmt und sie nicht mehr nur für ein Lippenbekenntnis hält. Die CDU-Initiative "10° KUNST", insbesondere mit dem Künstlerwettbewerb "Wege in die HafenCity" in der letzten Legislaturperiode, hat sich auch bereits mit der Aktivierung von Flächen für Kultur und Kreativität entlang des zehnten Längengrades im Bereich der Speicherstadt befasst.

Auch hier noch einmal kurz zur Chronologie: Die Speicherstadt hat, beginnend mit dem Freihafen, eine lebendige Geschichte in Hamburg. Der Bau von 24 Speicherblöcken mit Lagerräumen und Kontoren auf einer Gesamtfläche von etwa 300 000 Quadratmetern entstand in drei Bauabschnitten und auch das Bild einer Stadt aus Speichern ist heute noch augenfällig. Die zunehmende Umnutzung der Speicher durch veränderte Bedarfe begann in den Neunzigerjahren und, wie schon mein Vorredner Herr Becker sagte, ist die Spei

(Vizepräsident Wolfhard Ploog)

cherstadt seit 1991 als Ensemble denkmalgeschützt.

Die seitdem begonnene behutsame Entwicklung hinsichtlich der zukünftigen Nutzung wollen wir in jedem Fall fortsetzen. Viele Kultureinrichtungen haben sich zwischenzeitlich in der Speicherstadt etabliert, hier nur einige Beispiele: Gewürzmuseum, Speicherstadtmuseum, Hamburg Dungeon, Miniatur Wunderland, Künstlerateliers und mehr. Das Besondere daran ist – meine Damen und Herren, da bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit –, dass viele von diesen Betrieben ausschließlich privat finanziert sind. Das beweist, dass ein großes Interesse der Kreativwirtschaft an diesem Ensemble besteht. Auch große Unternehmen wie beispielsweise Stage Holding und Warner Brothers schätzen inzwischen diese Immobilien mit der besonderen Atmosphäre.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass die Speicherstadt durch öffentlich zugängliche Einrichtungen für die Bürgerinnen und Bürger erlebbar bleibt. Die Bündelung von kreativer Nutzung an einem Ort schafft eine hohe Wahrnehmungsdichte. Ein gelungenes Beispiel in diesem Sinne ist das Kesselhaus mit dem Modell der HafenCity. Es kann von jedermann bei freiem Eintritt besucht werden. Die Speicherstadt soll auch Weltkulturerbe werden; das ist erklärtes Ziel. Zu berücksichtigen sind dabei die außerordentlich hoch angesetzten Maßstäbe der UNESCO, die insbesondere auch die Zukunftspläne mit dem Baudenkmal, und zwar ungefähr für die nächsten 20 Jahre, prüfen wird. Kulturelle Nutzungen lassen sich dabei hervorragend mit einer denkmalgerechten Nutzung in Einklang bringen.

An dieser Stelle, Herr Grote, möchte ich kurz noch etwas zu Ihrem Antrag sagen. Das Oberhafenquartier ist ein komplett anderes Quartier und Speicherstadt und Oberhafen sind hinsichtlich der Entwicklung nicht vergleichbar, es liegen andere Eigentümerstrukturen vor und so weiter. Sie wissen auch genau, dass es in Wirklichkeit kein echter Zusatzantrag ist, aber wir lassen da einmal fünfe gerade sein und überweisen ihn auch gerne an den Stadtentwicklungs- und den Kulturausschuss.

(Andy Grote SPD: Großmütig!)

Es ist auch ein spannendes Thema.

Meine Damen und Herren! Die Nachfrage nach Immobilien in der Speicherstadt wächst aufgrund des attraktiven Standorts zwischen Innenstadt und HafenCity rasant an. Deshalb sind Nutzungen mit Augenmaß und ein Nutzungskonzept aus einem Guss, das wir gemeinsam mit der HHLA entwickeln wollen, für die gesamte Speicherstadt zum jetzigen Zeitpunkt dringend notwendig. Die künstlerische und kreative Nutzung ist dabei ein gewichtiger Bestandteil und muss deshalb auch im Nutzungskonzept festgeschrieben werden. Wir schaf

fen damit eine Aktie mit künstlerischer Dividende für die Stadt.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort erhält Herr Grote.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das waren wieder zwei engagierte, funkensprühende Beiträge zum Thema kreative Milieus. Die Debatte, die wir in der Stadt an vielen Stellen zu diesem Thema haben, ist durchaus engagiert. Da geht es um die Frage, welchen Stellenwert noch nicht kommerziell erfolgreiche, nicht etablierte, aber besonders spannende, lebendige und kreative Nutzungen in der Stadt bekommen und wie wir es schaffen, kulturelle Vielfalt zu erhalten und Freiräume für kreative Szenen und Künstler in einem immer stärker ökonomisch geprägten Stadtraum zu fördern.

In diesem Zusammenhang wird die Stadtentwicklungspolitik des Senats bisher nicht besonders positiv wahrgenommen und das ist auch kein Wunder, weil diese Politik in den letzten Jahren mit dazu geführt hat, dass die kulturellen und kreativen Nutzungen an vielen Stellen an den Rand gedrängt worden sind. Es gibt einen zunehmenden Widerstand dagegen, der sich im letzten Jahr in dem Künstlermanifest "Not In Our Name" niedergeschlagen hat wie auch in der Initiative im Gängeviertel, für das wir übrigens noch keine wirkliche Lösung haben, woran ich an dieser Stelle auch noch einmal erinnern möchte.

Nun haben wir aber das Gutachten der BSU "Kreative Milieus und offene Räume in Hamburg", das sich mit diesem Thema befasst und in dem auch viel Spannendes steht. Alles wartet nun, was die Koalition und der Senat tun und welche Schlussfolgerungen man aus diesem Gutachten zieht. Da liegt uns nun dieser Antrag zu den kreativen Milieus in der Speicherstadt vor, der sich ausdrücklich auch auf das Gutachten bezieht. Wenn man das liest, dann hat man den Eindruck, dass die Koalition ihrerseits das eigene Gutachten nicht allzu intensiv gelesen hat und dass sie auch die Debatte, die wir seit vielen Monaten in der Stadt führen, nicht wirklich verinnerlicht und verstanden hat, denn ihr Antrag offenbart ein doch offen gestanden sehr ökonomisch-kommerziell geprägtes Verständnis von Kreativität. Der Schwerpunkt liegt ganz eindeutig in der Kreativwirtschaft. Sie sagen, Sie wollen die Förderung dieses ökonomischen Clusters erreichen. Kultur, auch Ateliers oder noch nicht etablierte Kultur beziehungsweise Kultur im eigentlichen Sinne bekommt ein Nischendasein zugewiesen. Sie formulieren das auch als Nische in dem Antrag – das muss man hier wirklich einmal wörtlich vorlesen und sich auf der Zunge zergehen lassen – und schreiben:

(Brigitta Martens)

"Neben einer Reihe von Museen, Büros der Werbe- und Architektenbranche und der Stage School haben sich hier auch kreative touristische Highlights wie die Miniatureisenbahnwelt und das 'Dungeon' angesiedelt. Sie bilden mittlerweile einen eigenen 'Kreativcluster'."

Da frage ich mich, ob Sie das wirklich ernst meinen, was Sie in diesem Antrag schreiben.

(Jörn Frommann CDU: Was haben Sie denn geschafft?)

Ich fürchte auch, dass Sie das ernst meinen.

Wir diskutieren über Flächen für Kreative, über Freiräume, offene Räume und Sie kommen hier mit Modelleisenbahn und stationären Geisterbahnen; das kann nicht wirklich Ihr Ernst sein.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe nichts gegen diese Einrichtungen; da kann man mit kleinen Kindern gut hingehen, das ist alles super, aber das hat natürlich nichts mit der Debatte zu tun, die wir hier eigentlich zu führen haben.