Protokoll der Sitzung vom 22.04.2010

Also, liebe Kollegen, wiederholen Sie nicht einfach immer Phrasen, setzen Sie sich lieber inhaltlich mit dem Thema auseinander und deshalb werden wir Ihren Antrag natürlich ablehnen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Frau Domres.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Krüger, wenn hier irgendjemand am Thema vorbeigeredet hat, dann sind das eher Sie als Frau Artus.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Zum Thema Kopfpauschale das Hamburger Gesundheitssystem zu loben, das kann man machen, das hat aber wirklich überhaupt nichts mit dem

Thema, das zur Debatte angemeldet wurde, zu tun.

(Zuruf von der CDU: Wir sind aber in Ham- burg!)

Auch wenn Sie sagen, es sei keine Kopfpauschale, sondern eine Gesundheitsprämie – das ist ein schönes Wort, Kopfpauschale ist inzwischen schon so negativ belegt –, dann ist es trotz allem ein bisschen zu wenig, was von der CDU-Fraktion kommt. Zurzeit ist die Lage im Gesundheitssystem doch so, dass Gutverdiener viel, Geringverdiener wenig zahlen und künftig sollen Arme und Reiche genau mit der gleichen Summe zur Kasse gebeten werden.

(Robert Heinemann CDU: Das stimmt doch nicht!)

Das ist keine Phrase, das ist so. Eine Pauschale für jeden Kopf, das ist genau der Plan der schwarz-gelben Bundesregierung, sie will die Kopfpauschale einführen. Wenn Kassenpatienten derzeit 7,9 Prozent ihres Bruttolohns für die Gesundheit und den Gesundheitsschutz investieren – exklusive möglicher Zusatzbeiträge, von denen es im Augenblick schon einige bei den Krankenkassen gibt – und Geringverdiener mit 1000 Euro damit 79 Euro im Monat zahlen und wer monatlich 3500 Euro Gehalt bekommt, rund 276 Euro aufwenden muss, dann ist das schon gerechter, aber die Kopfpauschale soll genau dem ein Ende machen.

Nach dem Motto: gleiches Geld für gleiche Leistung würden Putzfrau und Bankdirektor – und das hat übrigens nicht nur die SPD gesagt, auch da sollten Sie einmal die überregionale Presse ein bisschen mehr verfolgen – die gleiche Summe für den Gesundheitsschutz zahlen, obwohl ihre Gehälter unterschiedlicher nicht sein können. Ein noch nicht näher definierter Sozialausgleich soll das Ganze abmildern, das ist richtig, aber wie das finanziert werden soll, ist zurzeit völlig unklar, genauso wie die praktische Seite, denn es wird bedeuten, dass man ein Antragsverfahren einführen muss, einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Und wie genau dieses Ganze konzipiert werden soll, ist völlig unklar.

Für die Anwesenden – fast alle oder doch sehr viele –, die über ein Einkommen von mehr als 3000 Euro verfügen, ist die Kopfpauschale eigentlich ein Fortschritt. Sie werden damit besser gestellt, aber es kann nicht sein, dass wir als Politiker einer Kopfpauschale zustimmen, bei der wir selber vielleicht besser wegkommen können, aber all diejenigen vergessen, die dadurch weitaus schlechter gestellt werden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Hier werden nämlich wieder diejenigen hinunterfallen, die keine oder nur wenige Steuern zahlen. Es

(Harald Krüger)

sind die Geringverdiener oder auch die Rentner und das kann es doch nicht sein. An die Stelle der solidarischen und gerechten Finanzierung tritt ein Finanzierungsmodell, das den bisherigen gesellschaftlichen Konsens – die Jungen stehen für die Alten, die Gesunden für die Schwachen und die Stärkeren für die Schwächeren ein – ohne Wenn und Aber aufkündigt.

Es ist auch egal, in welcher Höhe diese Kopfpauschale eingeführt werden soll, ob es eine totale Kopfpauschale in Höhe von 140 oder 170 Euro ist, ob es eine teilweise Kopfpauschale von 29 Euro neben den Beiträgen sein wird, die zurzeit diskutiert wird und die zurzeit auch deswegen diskutiert wird, weil die CDU genau weiß, dass sie die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen verlieren wird, wenn sie sich jetzt schon bereit erklärt, eine totale Kopfpauschale einzuführen.

(Wolfgang Beuß CDU: Tetje mit de Utsich- ten!)

Egal, in welcher Höhe diese Kopfpauschale diskutiert werden soll, es ist die Abkehr vom bisherigen Solidarsystem und das müssen wir an dieser Stelle einfach einmal festhalten.

Auch wenn der 2005 eingeführte Zusatzbeitrag der Arbeitnehmer in Höhe von 0,9 Prozent, den sie allein tragen, wieder wegfallen soll, um den Arbeitgeber zu schonen, wird deren Beitrag eingefroren und soll nur noch 7 Prozent des Lohns ihrer Mitarbeiter betragen, egal wie hoch die Beiträge steigen. Das heißt, dass die Versicherten in Zukunft sämtliche Ausgabensteigerungen allein tragen. Den medizinischen Fortschritt, die demografische Entwicklung oder auch eine weitere Entwicklung in Form von Geschenken an die CDU- oder FDP-Klientel, all das, was auf Leistungserbringerseite anfallen würde, würden die Arbeitnehmer alleine zahlen. Die Arbeitgeber würden sich komplett zurückziehen, es gäbe überhaupt keine Finanzierung, keine Kostendeckelung mehr, der Arbeitgeber wäre nicht mehr bei den Verhandlungen dabei und die Arbeitnehmer hätten die gesamten Kosten allein zu tragen.

Hat die CDU vor der Bundestagswahl noch behauptet, sie würde sich den Wünschen der FDP widersetzen, das Sozialsystem weiter zu privatisieren, weiter auf die Menschen herunterzubrechen und auch den Gesundheitsfonds, zu dem man stehen kann wie man will, abzuschaffen, wirbt sie jetzt direkt für die Kopfpauschale – so jedenfalls die Äußerung der Bundeskanzlerin Angela Merkel – und bricht damit ihr Wahlversprechen.

Sie, Herr Sozialsenator, begrüßen die Einführung der Kopfpauschale, auch das war den Medien zu entnehmen. Auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion zu dem Thema kam nur die lakonische Antwort: Damit hat sich der Senat befasst. Man kann sich jetzt fragen, ob der Senator sich zu Dingen

äußert, mit denen er sich inhaltlich überhaupt noch nicht befasst hat oder der Senat bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage vielleicht gelogen hat, aber ganz egal.

(Zurufe von der CDU: Oh, oh!)

Der Senator ist für die Kopfpauschale und das wundert uns nach den Ereignissen der letzten Wochen...

(Glocke)

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Frau Domres, Sie sollten diese Formulierung wirklich stark überdenken.

– Gut, das werde ich.

(Ingo Egloff SPD: Der Senat lügt nie! Der sagt immer die Wahrheit!)

Egal wie, der Senator ist für die Kopfpauschale und das wundert uns nach den Ereignissen der letzten Wochen überhaupt nicht mehr. Die Erhöhung der Kita-Beiträge, die Einstellung der einkommensabhängigen Einzelförderung für die Investitionskosten in den Alten- und Pflegeheimen, die Politik nach der Prämisse, die im Dunkeln sieht man nicht, wird fortgesetzt.

Der Einstieg in die Drei-Klassen-Medizin ist perfekt. Besser verdienende Gesunde können sich erster Klasse in privaten Krankenversicherungen versichern, für sie wird sich erst einmal nicht viel ändern. Die Versicherten in den gesetzlichen Krankenversicherungen werden deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen und diejenigen, die die geplanten höheren Zuzahlungen und die einkommensunabhängige Pauschale nicht zahlen können, werden vom medizinischen Fortschritt abgeschnitten. Nach den Plänen von Schwarz-Gelb müssen Millionen von Menschen mehr zahlen, als sie sich leisten können. Sie müssen dann den Sozialausgleich beantragen und werden somit zu Bittstellern, weil sie ihre Bedürftigkeit nachweisen müssen.

Gesundheit ist ein wertvolles Gut. Jeder Mensch muss Zugang zur bestmöglichen medizinischen Versorgung haben. Wir wollen eine Gesellschaft, in der alle solidarisch füreinander einstehen. Die Kopfpauschale ist ungerecht, weil sie unabhängig vom Einkommen erhoben wird, die Kosten für Geringverdiener steigen und Bezieher hoher Einkommen weniger zahlen. Sie macht einen sozialen Ausgleich nur noch durch Bittstellerei beim Staat möglich und führt dazu, dass gute medizinische Leistungen nur noch über private Zusatzversicherungen abgedeckt werden können. Wir, die SPD, wir wollen ein solidarisches Gesundheitssystem, in dem die Kosten für die Gesundheit gerecht auf alle Schultern verteilt werden. Wir sagen Nein zur Kopfpauschale.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das Wort bekommt Frau Heitmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Artus, wir sind seit fast zwei Jahren gemeinsam in diesem Parlament und saßen auch zusammen auf diversen Podien. Daher wissen Sie, dass auch wir Grüne in der Kopfpauschale eine Aushöhlung des Solidarsystems sehen und sie grundsätzlich ablehnen. Daraus machen wir auch hier keinen Hehl. Unsere Bundestagsfraktion hat im Dezember 2009 dazu einen Antrag in den Bundestag eingebracht und auch im Länderrat, unserem kleinen Parteitag auf Bundesebene am kommenden Wochenende, wird es einen langen Antrag geben, der sich mit Gesundheitspolitik befasst und unser Modell der Bürgerversicherung konkretisiert.

Auch wir wollen die Bürgerversicherung und die Pläne der Berliner Koalition stellen auch aus meiner Sicht das Solidarprinzip in der Krankenversicherung in Frage. Das bereits existierende Zwei-Klassen-System zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung soll demnach erhalten bleiben und auch bei den Reformplänen zur gesetzlichen Krankenversicherung kann ich leider bei dem Modell der Kopfpauschale nicht mehr viel von Solidarität erkennen. Dabei geht es um die Solidarität zwischen Jung und Alt, zwischen Arm und Reich und um die Solidarität zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Wir sind uns alle darin einig – und da schließe ich auch die Kollegen von der CDU-Fraktion mit ein –, dass die Finanzierung der Krankenversicherung unabhängiger von dem alleinigen Faktor des Erwerbseinkommens werden muss.

(Beifall bei Barbara Ahrons CDU)

Der eingeschlagene Weg erfüllt mich aber doch mit Sorge und Unverständnis. Weil aber sehr viel allgemein zu bundespolitischen Dingen gesagt wurde, möchte ich noch einmal konkret auf Ihren Antrag eingehen. Ihre Anträge sind immer wieder interessant.

(Jörn Frommann CDU: Das ist doch schön!)

Ich möchte mit der Lyrik anfangen. Sie haben den Antrag mit dem Thema überschrieben:

"Nein zur Kopfpauschale– für eine solidarische und sozial gerechte Bürgerversicherung".

Wie ich bereits erläutert habe, kann ich dem noch zustimmen. Im Text Ihres Antrags und auch in Ihrer Rede war aber von diesen Faktoren nicht allzu viel die Rede. In Ihrem Antrag gehen Sie erst im letzten Absatz in vier Zeilen auf das Thema der Kopfpauschale ein. Im Rest des Antrags gibt es eine relativ allgemein gehaltene Lyrik, in der Sie verschiedene Sachverhalte aus dem Gesundheitsbe

reich ziemlich unseriös miteinander verknüpfen; dafür möchte ich ein Beispiel geben. Sie sprechen in einem Absatz davon, dass die Gesundheitswirtschaft insgesamt wachse, im nächsten Absatz setzen Sie dies dann wie folgt in Bezug:

"Diese Entwicklung setzt voraus, dass die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) mit ihrem solidarischen Umlageprinzip ausgehöhlt und die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft nicht mehr existiert."

Ich habe mich gefragt, was Sie uns mit dieser Verknüpfung sagen wollen beziehungsweise, was Sie da eigentlich wollen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das er- klärt der nächste Satz; lesen Sie doch mal bitte weiter!)

Wenn ich das linke Wunschszenario weiter interpretiere, das ich aus dieser Verknüpfung herauslese, dann heißt das, in der Gesundheitswirtschaft solle doch bitte in Zukunft gespart werden, wir sollen weniger Arztpraxen haben, weniger Apotheken, weniger medizinischen Fortschritt, damit das alles weniger kostet und die Finanzierung der Krankenversicherung wieder gesichert ist. Ich frage mich, ob es wirklich das ist, was Sie wollen. Wir wollen das nicht, wir wollen Wachstum, wir wollen Fortschritt, wir wollen auch mehr Beschäftigung in der Gesundheitswirtschaft, auch wenn man das in einzelnen Bereichen vielleicht kritisch hinterfragen muss, aber insgesamt ist das aus meiner Sicht erst einmal zu begrüßen.

(Beifall bei der GAL)

Ihr Pauschalverdacht, nur weil das Wort Wirtschaft da draufsteht, ist platter Populismus, der immer wieder kommt und total unseriös ist.

(Beifall bei der GAL und der CDU)