Protokoll der Sitzung vom 22.04.2010

Hören Sie zu, dann werden Sie das gleich erfahren.

(Viviane Spethmann CDU: Aber nicht able- sen!)

(Horst Becker)

Bereits mit der letzten Gesundheitsreform haben die Arbeitsgeberverbände einen Teil ihrer Vorstellung verwirklichen können. Die Empfehlung der Arbeitgeber, Zuzahlungen der Versicherten in allen Bereichen des Gesundheitswesens einzuführen, wurde weitestgehend artig aufgenommen und umgesetzt. Der Grundsatz eines einheitlichen und gemeinschaftlichen Handelns in der gesetzlichen Krankenversicherung wurde verlassen, indem den Krankenkassen die Möglichkeit eröffnet wurde, Einzelverträge mit Leistungserbringern, ambulant tätigen Ärzten und Ärztinnen und Krankenhäusern abzuschließen.

Eine gängige Variante sind die Rabattverträge, die zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen getroffen werden, um Medikamentenausgaben innerhalb des Systems zu deckeln. Es kann aber nicht Aufgabe der Selbstverwaltung der Krankenkassen sein, Preise für die Medikamente auszuhandeln. Es muss Aufgabe des Staates sein, Einfluss auf die Preisbildung der Pharmaprodukte zu nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Argument, der Markt werde es richten, greift auch und vor allem im Bereich des Gesundheitswesens nicht, wenn Sie sich zum Beispiel die steigenden Preise auf dem Generikamarkt oder für Arzneimittel generell ansehen. Der Staat muss viel mehr bereits in die Entstehungskosten eingreifen; hier wäre der richtige Ansatz.

Die Tendenz steigender Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung bei sinkenden Einnahmen besteht seit Jahren. Diese Entwicklung ist politisch verursacht, zum einen durch die Schaffung und Ausweitung von Niedriglohnsektoren, der Sockelerwerbslosigkeit und die Finanzierung von Fremdleistungen durch die Krankenkassenleistungen, auf der anderen Seite aber auch durch die zunehmende Privatisierung im Gesundheitswesen und die Renditeerwartung der Unternehmen. Zwar ist die Tatsache unbestreitbar, dass mit der Altersentwicklung, der höheren Lebenserwartung und der damit häufiger auftretenden Multimorbidität die Kosten steigen. Tatsache ist aber auch, dass unter dem Mythos, die Senkung von Lohnnebenkosten führe zu mehr Arbeitsplätzen in Deutschland, sukzessiv die paritätische Finanzierung Arbeitgeber/ Arbeitnehmer aufgehoben wurde. Bisher konnte nicht nachgewiesen werden, wie viele Arbeitsplätze dadurch neu geschaffen wurden.

Und eines ist auch Fakt, wird aber gern verschwiegen: Der tatsächliche Anteil der Arbeitgeber an den Gesundheitsausgaben ist inzwischen auf 38 Prozent geschrumpft. Vor dem Hintergrund, dass es in der betrieblichen Gesundheitsförderung kaum Fortschritte gibt, der Anteil an psychischen Erkrankungen an Arbeitsplätzen ansteigt und die Erwerbslosigkeit eine Vielzahl von chronischen Er

krankungen verursacht, ist dies einfach ein Skandal erster Güte.

(Beifall bei der LINKEN und bei Wolfgang Rose SPD)

Mit der Einführung des Gesundheitsfonds unter Schwarz-Rot wurde eine verheerende Weichenstellung im Gesundheitssystem vorgenommen. Die Einführung der Kopfpauschale ist ein deutlicher Beweis für den endgültigen Systemwechsel. Während nämlich die Arbeitgeberverträge eingefroren werden – übrigens ebenfalls eine Forderung der Arbeitgeberverbände –, werden die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung in Zukunft alle Kostensteigerungen allein finanzieren. Das heißt, da etwa 70 Millionen Menschen gesetzlich krankenversichert sind, würden durch die einkommensunabhängige Kopfpauschale – so sagen es die Krankenkassen – am Ende 60 Prozent der Versicherten stärker finanziell belastet werden. Als Folge müssten Millionen Versicherte einen Sozialausgleich beantragen und würden von staatlichen Leistungen abhängig. Mit der Kopfpauschale müsste daher auch ein gigantisches bürokratisches Antragsverfahren für sozial Bedürftige etabliert werden, denn Millionen Menschen werden dann zu Bittstellern und die soziale Sicherungssäule gesetzliche Krankenversicherung hätte ihren Charakter als Kollektivvorsorge verloren.

Einige würden natürlich triumphieren, nämlich die Versicherungswirtschaft und die Arbeitgeberverbände. Woher will dieser Staat eigentlich die Mittel dafür nehmen? Allein in diesem Jahr liegt die Nettoneuverschuldung bei 80,2 Milliarden Euro. Die Städte und Kommunen beklagen ein Zwölf-Milliarden-Euro-Loch. Die gesetzliche Krankenversicherung hat in 2010 mit einem Defizit von 4 Milliarden Euro zu kämpfen. Durch die Kopfpauschale würden der gesetzlichen Krankenversicherung Milliarden Euro entzogen, weil der Ausgleich durch den Bundeshaushalt – wenn überhaupt – nach Kassenlage vollzogen würde. Damit steht aber die Finanzierung der Krankenversicherungen für Millionen Menschen auf dem Spiel. Zwar ist es Konsens der schwarz-gelben Koalition, bei Ungleichheiten einen Sozialausgleich zu schaffen, doch genau dafür fehlt das Geld, laut Finanzministerium im Übrigen 35 Milliarden Euro.

Die Bundesregierung hat für die kommenden Jahre mit der Schuldenbremse bereits harte Einschnitte vorausgesagt und dennoch will sie mit dem Sozialversicherungsstabilisierungsgesetz und Finanzhilfen von 17 Milliarden Euro einige Löcher in der Sozialversicherung stopfen. Allein die Bundesagentur für Arbeit wird 12 Milliarden Euro erhalten, um die Arbeitslosenversicherung bei 2,8 Prozent zu halten. Diese Rechnung kann nicht aufgehen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Anja Dom- res und Wolfgang Rose, beide SPD)

Sehr geehrte Herren und Damen! Eine Repräsentativstichprobe des Robert-Koch-Instituts hat ergeben, dass obdachlose Männer zwölf Jahre und obdachlose Frauen acht Jahre eher sterben. Zudem erhöht sich bei Erwerbslosen die Suizidrate deutlich. Während für Besserverdiener die Zusatzbelastungen steuerlich auch noch absetzbar sind, erhält nunmehr eine alte Aussage bedrückende Aktualität: Weil du arm bist, musst du eher sterben. Alle, die die schwarz-gelben Pläne im Gesundheitswesen auf Bundesebene befürworten, sollten wenigstens dann auch so ehrlich sein und sagen, dass sie Arme künftig eher sterben lassen wollen.

Namens der Linksfraktion fordere ich den Senat auf, entsprechend unseres Antrags im Bundesrat und in der Gesundheitsministerkonferenz aktiv zu werden und sich gegen die Einführung einer Kopfpauschale oder einer Varianz davon auszusprechen und für den Erhalt und den Ausbau einer sozial gerechten und solidarischen Krankenversicherung einzutreten.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit würden Sie übrigens als Senat 80 Prozent der Interessen der Bürger und Bürgerinnen auf Bundesebene vertreten; so viele Menschen sprechen sich nämlich für eine solidarische Krankenversicherung in Deutschland aus. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr Krüger.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Artus, ich kann verstehen, dass Sie ein bundespolitisches Thema zur Debatte angemeldet haben, weil am Hamburger Gesundheitswesen nun in der Tat wenig zu kritisieren ist.

(Beifall bei der CDU und bei Linda Heitmann GAL – Heiterkeit bei der SPD)

Bei der Bundespolitik sind Sie offenbar aber auch nicht so ganz trittsicher, denn in der Schule hätte man zu dem, was Sie eben gerade vorgetragen haben, gesagt: Thema verfehlt.

(Beifall bei der CDU )

Erst einmal zu Hamburg.

(Wolfgang Rose SPD: Und jetzt zur Sache!)

Hamburg ist ein ganz hervorragender Gesundheitsstandort mit einer weit über dem Bundesdurchschnitt liegenden Ärzteversorgung. Wir haben mit München zusammen die höchste Ärztedichte in der Republik, wir haben 36 Krankenhäuser und Fachkliniken, wir haben eine deutlich steigende Anzahl von Patienten in den Krankenhäusern. Die Zahlen sprechen für sich, Herr Rose.

2007 hatten wir noch 400 000 Patienten in den hamburgischen Krankenhäusern,

(Wolfgang Rose SPD: Aber wir haben gar keinen Senator hier!)

im vergangenen Jahr waren es bereits 420 000. Da kommen noch einmal 70 000 ambulante Operationen und 330 000 Notfallversorgungen hinzu. Deutlicher kann man gar nicht sagen, wie hervorragend hamburgische Gesundheitspolitik ist.

Beim Thema solidarische Bürgerversicherung, Frau Artus, reden wir über Geld. Im staatlich geregelten Gesundheitswesen Großbritanniens sind Operationen etwa 20 bis 25 Prozent teurer als in Deutschland oder in Hamburg, in Singapur 50 Prozent und in den USA sogar doppelt so teuer als beispielsweise am UKE.

(Wolfgang Rose SPD: Die USA haben auch ein hervorragendes Gesundheitssystem!)

Wegen der hohen Qualität der Medizin in Hamburg, wegen der guten und schnellen Behandlung und auch wegen der Effizienz des Gesundheitswesens kommen immer mehr Patienten auch aus dem Ausland zu uns. Und was die niedergelassenen Ärzte in Hamburg anbelangt, so versorgen diese zwölf Millionen Fälle pro Jahr, ein Viertel davon aus dem Hamburger Umland. Hamburger Ärzte sind also auch für unsere Nachbarn sehr attraktiv.

(Beifall bei der CDU)

Sie sehen, dass die Gesundheitspolitik bei unserem Senat in besten Händen ist, Vorschläge der Linksfraktion sind also entbehrlich.

(Beifall bei der CDU)

Die Linke hat das Thema Bürgerinnen- und Bürgerversicherung vor vier Wochen im Bundestag eingebracht. Die Wiederholung in Hamburg macht es aber nun weder besser, schlüssiger noch gar zielführender. Es bleibt das, was es ist.

(Mehmet Yildiz DIE LINKE: Doppelt hält bes- ser!)

Noch besser, wunderbar.

Es bleibt ein Grundwerk, das nicht durchdacht ist.

Wenn Sie sich schon nicht ernsthaft mit der Bundespolitik auseinandersetzen und mit Ihrer Bundestagsfraktion einmal über dieses Thema unterhalten, dann hätte vielleicht ein Blick in die überregionalen Medien genügt, um Sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. Sie können im "Focus" nachlesen, in "Der Zeit", bei "tagesschau.de" oder wo auch immer, die sich in den vergangenen Wochen sehr intensiv und wiederholt mit diesem Thema auseinandergesetzt haben und immer wieder berichten, was unser Bundesgesundheitsminister, aber auch der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe ganz klar und deutlich er

(Kersten Artus)

klärt haben, zum Beispiel am 11. April in "Der Welt am Sonntag". Da heißt es ganz eindeutig:

"Eine Prämienzahlung pro Kopf wird es nicht geben."

Es geht der Bundesregierung ganz eindeutig um eine Gesundheitsprämie mit sozialem Ausgleich. Jeder Versicherte soll entsprechend seiner Leistungsfähigkeit an den Kosten beteiligt werden und vielleicht, liebe Kollegen von der Linken, nehmen Sie das endlich einmal zur Kenntnis.

(Dr. Monika Schaal SPD: Da müssen Sie nur noch mal sagen, dass das der Steuer- zahler bezahlen soll!)

Höhere Gesundheitskosten dürfen nicht automatisch zu steigenden Lohnzusatzkosten führen und damit Arbeitsplätze gefährden. Das ist nun einfach einmal so: Wenn Arbeitgeber mehr für ihre Mitarbeiter zahlen müssen, ist die Bereitschaft, Mitarbeiter zu beschäftigen, naturgemäß eingeschränkt

(Zuruf von Christiane Schneider DIE LINKE)

und deshalb ist es so, dass wenigstens eine teilweise Abkoppelung der Gesundheitskosten von den Arbeitskosten erforderlich ist und eben auch die sehr sinnvolle Maßnahme, den Arbeitgeberanteil zu begrenzen. Ein Teil des einkommensbezogenen Arbeitnehmerbetrags soll aber durch eine Gesundheitsprämie – ich wiederhole es – mit sozialem Ausgleich ersetzt werden. Die falschen Behauptungen, wie sie zum Beispiel die SPD in ihrer Kleinen Anfrage zu diesem Thema gemacht hat, der Manager würde genau so viel für die Gesundheit bezahlen müssen wie die Reinigungskraft, werden durch Wiederholung nicht wahrer. Ein steuerfinanzierter Sozialausgleich stellt sicher, dass jeder Versicherte nach seiner Leistungsfähigkeit an den Kosten beteiligt wird. Der Manager zahlt nun einmal mehr Steuern als die Reinigungskraft und wird deshalb auch mehr an seinen Gesundheitskosten zahlen müssen.

Also, liebe Kollegen, wiederholen Sie nicht einfach immer Phrasen, setzen Sie sich lieber inhaltlich mit dem Thema auseinander und deshalb werden wir Ihren Antrag natürlich ablehnen.