Protokoll der Sitzung vom 16.06.2010

Das Wort hat Frau Domres.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im deutschen Gesundheitswesen wer

(Kersten Artus)

den medizinische Leistungen durch eine Vielzahl unabhängiger Einrichtungen erbracht. Diese Sektoralisierung geht auf historisch gewachsene Gliederungen der Leistungserbringer zurück und ist in Europa ziemlich einmalig. Es ist gesetzlich geregelt, dass nicht jede Organisationsform jede medizinische Dienstleistung anbieten darf. Diese institutionellen Regelungen führen zu vielfältigen Schnittstellen bei der Behandlung eines Patienten. Auffällig ist dabei insbesondere die starke Trennung zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung. Dies führt zu einer suboptimalen Arbeitsteilung und Verzahnung, zu Informationslücken sowie mangelhafter Kommunikation und Koordination zwischen den Versorgungssektoren. Daraus resultieren häufig medizinisch nicht begründbare Doppeluntersuchungen und auch eine unkoordinierte Medikamentierung mit unerwünschten Nebenwirkungen. Eine ganzheitliche Optimierung des Versorgungsprozesses wird somit nicht gewährleistet.

Es findet ebenfalls keine Orientierung an den Behandlungspräferenzen des Patienten statt, zum Beispiel bezüglich Wohnortnähe oder Qualifikation des Behandelnden. Auch beim Einsatz von Innovationen oder bei der Zulassung von neuen Verfahren bestehen erhebliche Unterschiede zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor. In der vertrauensärztlichen Versorgung können neue Versorgungsund Behandlungsstrukturen nur dann zulasten der Krankenkassen erbracht werden, wenn diese ausdrücklich durch den gemeinsamen Bundesausschuss erlaubt worden sind. Im Gegensatz dazu können in der stationären Versorgung alle neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zulasten der Krankenkassen abgerechnet werden, solange dies nicht ausdrücklich verboten ist.

Im Ergebnis landet das deutsche Gesundheitssystem im Hinblick auf gesundheitsbezogene Ergebnisindikatoren wie Lebenserwartung, Gesundheitszustand der Bevölkerung und krankheitsspezifischer Sterblichkeitsraten häufig nur in den mittleren Rängen. Im internationalen Vergleich von grundlegenden Indikatoren des Gesundheitssystems gibt es einige Anhaltspunkte für einen übermäßigen Ressourceneinsatz und für Mängel in der Organisation ärztlicher Versorgung. Das genau ist das Problem. Dies wurde inzwischen zwar auch erkannt und mit dem gesundheitspolitischen Ziel der integrierten Versorgung wurde erstmals versucht, die historisch gewachsene Sektoralisierung zu überwinden, um damit die Qualität und Kosteneffizienz der medizinischen Versorgung zu verbessern. Die Zulassung von medizinischen Versorgungszentren war sicherlich der erste Schritt, diese bisherige sektorale Trennung zu überwinden und die Trennung von ambulanter und stationärer Versorgung in Deutschland aufzuheben. Leider hat die Gründung von medizinischen Versorgungszentren insbesondere in Hamburg nicht dazu geführt, dass

die wohnortnahe Versorgung von Menschen verbessert wurde, denn ihre Gründung hat verstärkt zur Aufgabe von Praxen in sogenannten Problemgebieten geführt. Diese Praxissitze wurden aufgekauft, um an anderer Stelle in der Regel in sogenannten eher privilegierten Stadtteilen in medizinischen Versorgungszentren wieder aufzuleben.

Krankenhäusern ist es bisher zwar nach Paragraf 116b des SGB V erlaubt, die ambulante Versorgung bestimmter seltener Erkrankungen, spezialisierter Leistungen und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen zu übernehmen. Inzwischen gibt es aber vermehrt Anträge von Krankenhäusern, die ambulante Behandlung nicht seltener Krankheiten ebenfalls übernehmen zu dürfen.

Auch die Hamburgische Krankenhausgesellschaft, die sich in diese Diskussion eingeschaltet hat, fördert eine weitere Öffnung der Kliniken für eine ambulante Versorgung. Dies ist meines Erachtens der richtige Weg, wie die Gewerkschaft ver.di sagt, deren Worte ich nur wiederholen kann: Wer eine gute Medizin für alle zu bezahlbaren Preisen haben will, muss die Leistungskraft der Krankenhäuser auch verstärkt für ambulante Diagnostik und Therapie einsetzen. Nur so können kostentreibende und zeitraubende Doppeluntersuchungen eines Leidens vermieden werden.

Die Kritik der Kassenärztlichen Vereinigung, es könne dadurch weder eine wohnortnahe Basisvorsorge noch ein Notfalldienst gewährleistet werden, kann ich in diesem Punkt nicht teilen. Die Kassenärztliche Vereinigung kann leider auch heute mit den bisherigen ambulanten Strukturen von Arztpraxen eine wohnortnahe Versorgung in den Stadtteilen nicht gewährleisten. Wir haben schon häufig darüber debattiert, dass es immer mehr Stadtteile gibt, die keine Haus- und Kinderärzte mehr haben. Die Kassenärztliche Vereinigung sieht sich außerstande, darauf zu reagieren.

Dieses Problem hat inzwischen fast alle Großstädte Deutschlands erreicht und ist darin begründet, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen in den letzten Jahren die sogenannten Planungsbezirke von einzelnen Stadtgebieten auf das gesamte Stadtgebiet ausgedehnt haben. Da auch in den ländlichen Gebieten der Flächenstaaten Landärzte fehlen, kann die Kassenärztliche Vereinigung die Versorgung dort ebenfalls nicht garantieren. Das heißt, dass die bisherige Form der Versorgung mit Ärzten nicht für eine gerechte Verteilung sorgt, keine wohnortnahe Versorgung bietet und daher dringend reformiert werden muss.

Es ist unerträglich, dass es der Kassenärztlichen Vereinigung einerseits nicht gelingt, eine flächendeckende Versorgung zu schaffen, andererseits aber auch eine weitere Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Behandlung ablehnt. Wir von der SPD-Fraktion stimmen daher dem Antrag der

LINKEN grundsätzlich zu, insbesondere dem Punkt 1. Es ist richtig, dass eine sektorenübergreifende bürgernahe Versorgung der Bürgerinnen und Bürger erfolgen und dies auch in den Krankenhausplan mit aufgenommen werden muss. Dies ist nicht nur wichtig für eine gute Versorgung der hamburgischen Bevölkerung, sondern trägt auch zu weiterer Kosteneffizienz bei.

Ich sagte eben, dass wir dem Antrag grundsätzlich zustimmen, denn Punkt 2 des Antrags hat sich, wie Herr Stemmann schon gesagt hat, dadurch erledigt, dass die Übersicht der Plankrankenhäuser mit medizinisch-technischen Großgeräten im Krankenhausplan in der Anlage 6.1 bereits enthalten ist. Wichtig ist dabei aber, dass sie aktuell fortgeschrieben wird.

Auch zu Punkt 3 des Antrags der LINKEN ist zu sagen, dass der Senat grundsätzlich versprochen hat, die Verabschiedung des neuen Krankenhausplans 2015 zum Herbst 2010 anzustreben. Insofern bin ich gespannt, ob der Senat sein vollmundiges Versprechen halten kann und ob sich bewahrheitet, was Herr Stemmann gesagt hat, nämlich dass wir diesen Krankenhausplan auch tatsächlich im Herbst dieses Jahres in der Bürgerschaft sehen werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Heitmann hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Domres, Frau Artus, ich habe mir schon fast gedacht, dass Sie das Thema der ärztlichen Versorgung in den Stadtteilen noch einmal ansprechen, und möchte deshalb zu Beginn noch einmal kurz darauf eingehen. Auch Ihre wiederholte Forderung, man möge Hamburg doch in mehrere Planungsbezirke aufteilen, schafft meiner Meinung nach keine Lösung. In einer Debatte im letzten Jahr habe ich das Beispiel Berlin erwähnt, wo so etwas schon einmal gemacht wurde und nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt hat. Diese Forderung löst das von Ihnen beschriebene Problem nicht, weil Ärzte immer noch selbst entscheiden, wo sie sich niederlassen wollen und wo nicht.

Wie Sie gesagt haben, verfügt die KV auch heute schon über das Instrument der Sonderzulassung, von dem sie auch Gebrauch macht. Das Ziel muss sein, wirklich gute Arbeitsbedingungen für Ärzte in allen Stadtteilen zu schaffen. Damit befinden wir uns aber in einer stark bundespolitischen Debatte über die Bezahlung durch privat und gesetzlich Versicherte, also in einer Debatte, die heute zu weit führen würde.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Liebe Frau Artus, als ich Ihren Antrag in der Parlamentsdokumentation entdeckte, habe ich ihn interessiert angeklickt, weil Krankenhausplanung ein Thema ist, mit dem wir uns in dieser Legislaturperiode noch nicht explizit beschäftigt haben. Nachdem ich Ihren Antrag gelesen hatte, war ich etwas enttäuscht, denn er ist aus meiner Sicht sehr unkonkret und bleibt in vielen Punkten und Forderungen recht vage, auch wenn man, wie Herr Stemmann betonte, bestimmte Sätze sofort unterschreiben kann. Eine sektorübergreifende bürgernahe Versorgung ist sicherlich ein Ziel, gegen das niemand in diesem Hause etwas einzuwenden hat, und auch der jetzige Krankenhausplan formuliert eine optimale Versorgung für alle Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt als sein Ziel. Herr Stemmann hat an einigen Beispielen erläutert, wo und wie das in Hamburg bereits gut funktioniert.

In dem Antrag fehlen allerdings konkrete Aussagen darüber, wie Ihr gewünschtes Ziel erreicht werden soll oder was gegenüber dem aktuell formulierten Krankenhausplan anders werden soll. Als ich dann Ihre gestrige Pressemitteilung las, fand ich es besonders interessant, dass darin plötzlich Punkte auftauchten, die der Antrag nicht beinhaltet. In Ihrer Pressemitteilung fordern Sie nämlich zum Beispiel, dass die Kassenärztliche Vereinigung und die Landesärztekammer in die Erarbeitung des neuen Krankenhausplans stärker mit einbezogen werden, und dasselbe sagten Sie eben in Ihrer Rede noch einmal. Das mag durchaus eine Diskussion wert sein, aber diesen Punkt vermisse ich in Ihrem Antrag und ich kann leider nur über den Antrag reden, der mir auch vorliegt.

(Zurufe von der SPD)

Der Antrag, den Sie heute gestellt haben, geht meiner Ansicht nach wirklich etwas ins Leere, denn ich kann die Ziele nicht wirklich erkennen. Wenn Sie die Auflistung der medizinischen Großgeräte fordern, dann kann ich nur, wie Herr Stemmann und Frau Domres, sagen, dass diese bereits vorliegt. Ich habe mich gefragt, ob Sie damit vielleicht für mehr Transparenz und eine bessere Information der Verbraucher sorgen wollen. Wenn dem so ist, dann würde ich aber bezweifeln, dass der Krankenhausplan tatsächlich das beste und einzige Instrument ist, um dieses Ziel zu erreichen. Wir haben den Hamburger Krankenhausspiegel und auch die Patientenberatung, die über solche Punkte informieren können. Von daher geht Ihr Antrag aus meiner Sicht in die falsche Richtung, sofern überhaupt etwas in ihm erkennbar ist, was als Anliegen zu werten wäre, und deshalb werden wir ihn heute ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort hat Frau Artus.

(Anja Domres)

Herr Präsident, sehr geehrte Herren und Damen! Wir haben nicht ohne Grund diesen Antrag zur Debatte angemeldet. Insofern wäre es angebracht, wenn Sie Ihre Haltung aufgeben würden, sich schon vor der Debatte zu entscheiden, ob Sie dem Antrag zustimmen oder nicht oder ihn ablehnen oder überweisen, und sich stattdessen die dazu vorgetragenen Argumente anhören würden. Ansonsten können wir uns künftig die Anträge gegenseitig vorlesen, über sie abstimmen und nach Hause gehen. Das kann es wohl nicht sein. Der Kopf ist ja rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann. Da sich nun GAL und CDU die ausführliche Argumentation anhören können, verstehen sie hoffentlich, wie dieser Antrag gemeint ist und welche Ziele er verfolgt.

Genau so, wie es jetzt gesagt wurde, haben wir den Punkt mit den technischen Großgeräten in unserem Antrag gemeint, falls das bei Ihnen missverständlich oder zu wenig ausführlich angekommen sein sollte. Wir fordern, dass diese Anlage aktuell fortgeschrieben wird, und wenn Sie dem zustimmen, können Sie eigentlich auch nichts mehr gegen unseren Antrag haben.

Aufgabe staatlicher Gesundheitsvorsorge ist es, für alle Menschen geeignete Voraussetzungen und Zugangsmöglichkeiten zum Versorgungssystem zu schaffen. Der im Gesundheitswesen geführte Wettbewerb verhindert qualitätsorientierte und zugleich ökonomische Problemlösungen mit integrierter Versorgung für die Patienten und Patientinnen. Dazu sind die Bedingungen hinsichtlich der Finanzierung und Förderung von ambulanter und stationärer Versorgung zu ungleich angelegt, was Sie als Menschen, die sich mit Gesundheitspolitik beschäftigen, und als Mitglieder des Gesundheitsausschusses eigentlich auch wissen müssten.

Während hinter den Krankenhäusern finanzstarke private Träger stehen, die zudem öffentliche Fördermittel erhalten, sind die etwa 4 000 Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in der Regel Einzelkämpfer, die vielen Reglementierungen unterworfen sind, zum Beispiel in ihrem Verordnungsverhalten. Mit der Öffnung der Krankenhäuser für ambulante medizinische Versorgung – Paragraf 116 SGB V wurde schon mehrfach angesprochen – können diese, wie Anja Domres bereits erwähnt hat, bestimmte hoch spezialisierte Leistungen erbringen und seltene Erkrankungen sowie Erkrankungen mit besonderen Verläufen ambulant behandeln. Von den 40 in Hamburg betriebenen medizinischen Versorgungszentren gehört ein großer Teil Asklepios. Im Gesundheitsausschuss haben wir bereits darüber diskutiert, dass medizinische Versorgungszentren, die Krankenhäusern angegliedert sind, aber auch den sogenannten Drehtüreffekt haben, indem sie nämlich Patientenströme in das Krankenhaus lenken, dem sie angegliedert sind. Das ist nicht nur praktisch, sondern auch sehr profitabel.

Hamburg als Gesundheitsregion zu stärken heißt, Versorgungsqualität am Ressourceneinsatz zu messen. Die Erarbeitung des Modells der kleinräumigen Bedarfsplanung auf Grundlage von Geo-Daten trägt zur wohnortnahen Basisversorgung bei und es nützt wenig, wenn Sie darüber hinweggehen und sagen, das mache jetzt die Kassenärztliche Vereinigung. Es ist möglich, dies über den Krankenhausplan und unter Einbeziehung der Landesärztekammer zu diskutieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch wenn ich davon ausgehe, dass Sie Ihre Drucksachen kennen, sollten Sie einmal in der Drucksache 19/4242, die die Strategieplanung des Senats zur Gesundheitswirtschaft abbildet, nachlesen, denn auch darin steht der Mensch und nicht der Profit im Mittelpunkt.

Die Linksfraktion sagt, dass in Hamburg gute Voraussetzungen vorhanden sind, um mit der sektorübergreifenden Krankenhausplanung eine neue Qualität der medizinischen Versorgung anzubieten. Sie könnte sogar für die ganze Bundesrepublik beispielhaft sein und entspricht der bereits erwähnten Drucksache insofern, als das Denken in Wertschöpfungsketten die Möglichkeit eröffnet – ich zitiere –:

"[…] insbesondere in Schnittstellenbereichen die Gesundheitsversorgung zu verbessern, wirtschaftliche Potenziale zu nutzen und Innovationen zu generieren."

Ich möchte Ihnen jetzt nicht so sehr ans Herz, sondern vor allem in den Kopf legen, diesen Antrag heute nicht abzulehnen, sondern ihn zumindest zu überweisen, wenn Sie sich nicht vor allen Hamburger Ärztinnen und Ärzten und der Landesärztekammer blamieren wollen.

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Es liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 19/6388 an den Ausschuss für Gesundheit- und Verbraucherschutz zu? – Gegenprobe.– Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit abgelehnt.

Dann lasse ich in der Sache abstimmen.

Wer möchte sich dem Antrag der Fraktion DIE LINKE aus der Drucksache 19/6388 anschließen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit abgelehnt.

Wir kommen zu Punkt 6, den Berichten des Eingabenausschusses, Drucksachen 19/6208 bis 19/ 6211.

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben

Drs 19/6208 –]

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben – Drs 19/6209 –]

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben – Drs 19/6210 –]

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben – Drs 19/6211 –]

Ich beginne mit dem Bericht 19/6208.

Wer möchte der Empfehlung folgen, die der Eingabenausschuss zu der Eingabe 386/10 abgegeben hat? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit beschlossen.

Wer schließt sich den Empfehlungen zu den übrigen Eingaben an? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist einstimmig so beschlossen.