Protokoll der Sitzung vom 29.05.2008

Jetzt dürfen Sie auch klatschen, wenn Sie denn mögen.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Nicht bei Ihnen!)

Wie sehr der Bürgermeister an diesem Credo festhält, zeigen seine Äußerungen beim Besuch der "Alimaus",

(Hartmut Engels CDU: Das ist eine Aussa- ge, die ist unverfroren!)

dass Nächstenliebe nicht mit Geld zu bezahlen sei. Weiß die GAL eigentlich schon, welcher Politik sie hier in Wahrheit die Hand reicht? Oder hat sie sich ebenso wie die Mehrheit der Betroffenen in der "Alimaus" von einem freundlich lächelnden Herrn einwickeln lassen, der für jeden ein gutes Wort übrig hat, es sozialpolitisch aber lieber mit Unverbindlichkeiten hält. Ein weiteres gutes Beispiel dafür war die gestrige Regierungserklärung.

Unser Grundgesetz spricht da eine deutlich verbindlichere Sprache, wenn es einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat zum Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung erklärt.

Die freien Wohlfahrtsverbände fordern seit Jahren einen substanziellen Armuts- und Reichtumsbericht, weil empirische Untersuchungen zu Qualität und Quantität relativer Armut für Hamburg nicht vorliegen. Zu Recht mahnen sie an – ein Zitat der Wohlsfahrtsverbände –:

"In der Öffentlichkeit sind in den letzten Jahren Bilder vom 'Sozialschmarotzertum' und 'Sozialhilfemissbrauch' wirkmächtig geworden, die nicht ohne Einfluss auf die gesellschaftliche und politische Wahrnehmung von Menschen in prekären Lebensverhältnissen und die Wirkungen staatlicher Sozialleistungen geblieben sind. Armutsberichterstattung"

da bitte ich um Aufmerksamkeit –

"kann hier einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung leisten."

Das kann man auch an die Damen und Herren von der SPD richten, denn ich möchte doch noch einmal die Gelegenheit nutzen und an einen unseligen Minister namens Wolfgang Clement erinnern, der heute als Aufsichtsrat bei Adecco und der Dussmann-Gruppe sitzt und vorher genau diesen Missbrauch mit 20 Prozent benannt hat, ohne auch nur irgendeine Zahl zu haben.

Eine Politik, die Armut entschieden und wirkungsvoll bekämpfen und vermeiden will, muss ein Interesse an einer regelmäßigen und detaillierten Berichterstattung haben, wie sie in anderen Bundesländern, wie etwa im unionsregierten NordrheinWestfalen gegeben ist. Eine Politik hingegen, die die von ihr verursachte sozioökonomische Desintegration lieber im Dunkeln belassen will, muss sich beharrlich gegen eine substanzielle Armuts- und Reichtumsberichterstattung stemmen und es lieber bei dem in Hamburg seit nunmehr sieben Jahren wohlbekannten Stückwerk der Lebenslagenberichterstattung belassen, wie es im Koalitionsvertrag zwischen CDU und GAL – wer es wissen mag und nachlesen will, auf Seite 43 – bereits wieder festgeschrieben ist.

(Wolfgang Joithe–von Krosigk)

Der Lebenslagenbericht Empfänger von Leistungen nach SGB II und SGB XII, den die ausgeschiedene Sozialsenatorin Schnieber-Jastram zum Ende des vergangenen Jahres vorgestellt hatte, lässt weder auf die Armutsentwicklung in Hamburg schließen, noch bildet er durch die zu enge Fokussierung auf die offiziell registrierten Empfängerinnen und Empfänger von Sozialleistungen die sogenannte verdeckte beziehungsweise verschämte Armut ab.

Gerade die verschämte Armut ist nicht unterzubewerten, hierzu nur ein Beispiel. In einer Veranstaltung zu Hartz-IV-Problemen, die wir in Bezirken führten, kam jemand auf mich zu und sagte: Ich finde es gut, wie Sie sich da wehren, aber ich selbst könnte das nicht, ich schäme mich zu sehr. Davon haben wir eine ganze Menge und da haben wir eine große Dunkelziffer und die könnte der Armutsbericht zumindest erahnen lassen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Martin Schäfer und Ksenija Bekeris, beide SPD)

Die GAL vermisste – damals war sie noch in der Opposition – dort vor allen Dingen Lösungsansätze.

(Vizepräsident Wolfhard Ploog übernimmt den Vorsitz.)

Anlässlich der Vorstellung des Dritten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung erklärte der Vorstandsvorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Hamburg, Richard Wahser:

"Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander, die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer."

Das verwundert uns nicht so sehr, aber dies ist die Relation, die in der Armuts- und Reichtumsberichterstattung immer wieder hergestellt werden muss, die Schere zwischen Reich und Arm.

Was für die Bundesrepublik ein Skandal ist, gilt für Hamburg als reichste Stadt Deutschlands und viertreichste Stadt Europas in der Potenz. Während nach offiziellen Zahlen mehr als 230 000 Hamburgerinnen und Hamburger in die Armut abgedrängt sind und die sozialen Brennpunkte der Stadt zunehmend sozial abgehängt werden, kennt keine andere Stadt solch einen unermesslichen Reichtum.

In ihrer Pressemeldung vom 7. Februar 2008 wollte die nunmehr ausgeschiedene Sozialsenatorin Schnieber-Jastram diese große Kluft sozialer Ungerechtigkeit verschleiern, indem sie erklärte, dass in Hamburg ein geringerer prozentualer Anteil an der Gesamtbevölkerung Sozialleistungen beziehe als zum Beispiel in Bremen, Hannover oder in Berlin.

Was sie verschwiegen hat und was die in Hamburg praktizierte Lebenslagenberichterstattung ver

schweigen soll, ist der Sachverhalt, dass Hamburg nach den Zahlen von Eurostat in 2005 ein durchschnittliches Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner von 47 767 Euro ausweist. Man wird sagen müssen, trotz seiner knapp ein viertel Million, offiziell arm. In Berlin liegt das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner bei 23 292 Euro knapp unter der Hälfte und in Hannover mit ungefähr 26 000 knapp über der Hälfte des Hamburger Wertes. Diese Zahlen zeigen, welche enormen Verteilungsspielräume es in Hamburg bei entsprechendem politischen Willen – das vorausgesetzt – geben würde und zeigen Lösungsansätze auf, die die GAL anlässlich der Vorstellung des letzten Lebenslagenberichts noch angemahnt hatte.

Die Zahlen, die wir vom anderen Ende der sozialen Schere kennen, sind ungleich erschütternder, weil sie uns demonstrieren, wie früh Menschen allein aufgrund ihrer sozialen Herkunft ihrer Lebenschancen beraubt werden. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen im Transferleistungsbezug lag bei 37 844 Euro im ersten Quartal 2002, nicht lange, nachdem der Senat Beust I seine Arbeit aufgenommen hatte.

Bis zum ersten Quartal 2007 – der Senat Beust II ging gerade in sein letztes Regierungsjahr – war die Zahl der Kinder und Jugendlichen im Leistungsbezug kontinuierlich auf 65 000 Euro gestiegen. Im vierten Quartal 2006 waren unter den ungefähr 271 000 im Melderegister gemeldeten Personen unter 18 Jahren 63 983 auf Transferleistungen angewiesen. Das sind 23,6 Prozent der unter 18-Jährigen, die damit Transferleistungen bezogen haben.

Ich komme zum Schluss.

(Beifall bei Harald Krüger, Karl-Heinz Warn- holz und Ekkehart Wersich, alle CDU)

In Hamburg gibt es Armut nicht trotz seines Reichtums, sondern wegen seines unermesslichen Reichtums.

(Zuruf: Oh!)

Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören,

(Harald Krüger CDU: Nein, das bereitet uns körperliche Schmerzen!)

aber Sie können sich ja dann äußern, wenn Sie mögen.

Der Stadtsoziologe Professor Jens Dangschat, kein Parteigänger der LINKEN, hatte bereits in den Neunzigerjahren auf diese Entwicklung aufmerksam gemacht. Damit dieser mit unserer Verfassung nicht zu vereinbarende Zustand sozialer Ungerechtigkeit – ich erinnere an dieser Stelle an die Sozialpflichtigkeit auch des Privateigentums wie sie im Artikel 14 Absatz 2 unseres Grundgesetzes festgeschrieben ist, auch das hören Sie immer nicht so gerne – in seiner ganzen Unhaltbarkeit of

(Wolfgang Joithe–von Krosigk)

fenkundig wird, fordert DIE LINKE einen substanziellen Armuts- und Reichtumsbericht. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Herr von Frankenberg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ihre wirren und unzusammenhängenden Zitate möchte ich hier gar nicht weiter kommentieren; es war schon schlimm genug, was Sie da vom Stapel gelassen haben.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU – Dr. Moni- ka Schaal SPD: Sie sind doch sonst immer so vornehm!)

Das fällt in meinen Augen vielmehr unter die Kategorie was ich immer schon mal irgendwie rüberbringen wollte, was aber nicht wirklich gelungen ist.

Sie sprachen auch von Besuchen. Ich war vor Kurzem in Berlin und nachdem ich wieder in Hamburg war, konnte ich nur sagen, da merkt man erst, wie weit wir in Hamburg sind und was wir alles Gutes erreicht haben, und in Berlin regieren Sie mit.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Fahren Sie doch mal nach Billstedt!)

Wo ist da Ihre Verantwortung? Sie tun so, als hätten Sie gar nichts damit zu tun. Es ist erstaunlich, was Sie so vom Stapel lassen.

(Beifall bei der CDU)

Mich hat bei Ihren Äußerungen richtig wütend gemacht – das ging vielleicht ein bisschen unter, weil das so unspektakulär vorgetragen wurde –, dass Sie den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement als unselig bezeichnen; das war ein demokratisch gewählter Minister. Ich habe nicht alles geteilt, was er gemacht oder gesagt hat, aber unselige Minister kamen aus Ihren Reihen.

(Beifall bei der CDU)

Ich will jetzt zum Thema sprechen. Wir werden den Hamburger Lebenslagenbericht auf jeden Fall weiterentwickeln. Das steht so im Koalitionsvertrag und ist auch von beiden Seiten gewünscht. Von daher ist Ihr Antrag auch wenig originell und innovativ. Sie schreiben einfach irgendwie zusammen, zu welcher Erkenntnis Sie gekommen sind, und meinen dann, das wäre spektakulär. Ich halte es für wenig innovativ, was da von Ihnen kommt; anders kann ich das nicht kommentieren.

(Arno Münster SPD: Das haben wir gestern gerade gehört!)

Es ist geplant, den vorhandenen Lebenslagenbericht mit anderen Berichtsfeldern zu verknüpfen, zum Beispiel der Integration von Zuwanderern, verstärkter Fokus auf Lebenslagen von Kindern