Protokoll der Sitzung vom 26.08.2010

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Volksentscheid hatte ein klares Ergebnis, die Primarschule wurde abgelehnt. Wir bedauern, dass es nicht gelungen ist, die Menschen von den Vorteilen der gemeinsam getragenen Schulreform zu überzeugen. Aber es nützt nichts, das Ergebnis ist klar. Jetzt sagen wir, lieber Jens Kerstan, und das unterscheidet uns, wir achten die demokratischen Spielregeln. Jetzt darf die Politik nicht herumeiern, unsere klare und unmissverständliche Botschaft muss sein, diesen Volksentscheid zügig und ohne Wenn und Aber umzusetzen.

(Beifall bei der SPD – Jens Kerstan GAL: Da sind wir uns einig! – Gegenruf von Michael Neumann SPD: Das klang aber anders!)

Ich kann nur davor warnen, diesen Volksentscheid beispielsweise wegen angeblich geringer Wahlbeteiligung und ähnlichen Dingen ständig in Zweifel zu ziehen. Ich persönlich finde übrigens, dass angesichts einer Einzelfrage in der Hamburger Politik eine 40-prozentige Beteiligung sehr hoch ist. Ich weiß nicht, welche anderen Bereiche die Menschen so aufgewühlt haben. Aber unabhängig davon ist die Wahlbeteiligung kein Grund, das Ergebnis anzuzweifeln.

(Jens Kerstan GAL: Wer hat das denn ange- zweifelt? Hat doch keiner gemacht! Diese Debatte hat keiner geführt!)

Wer so anfängt, meine Damen und Herren, der müsste wegen niedriger Wahlbeteiligung die meisten Bürgermeister in Deutschland entlassen, das Europaparlament gleich mit auflösen und vielleicht noch den US-Präsidenten nach Hause schicken. Diese abenteuerliche Diskussion, Jens Kerstan, hilft niemandem. Sie erweckt einen falschen Eindruck und muss gestoppt werden. Der Volksentscheid gilt und wir werden ihn umsetzen.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Joachim Bi- schoff DIE LINKE)

Spannender für uns ist die Frage, wie diese Ablehnung eigentlich zu erklären ist. Immer wieder wird behauptet, dass die Bürger aus den besseren Stadtteilen ihre Privilegien verteidigen wollten, sie würden den Benachteiligten die Aufstiegschancen nicht gönnen. Wer sich die Ergebnisse ansieht, so

(Dr. Joachim Bischoff)

weit man sie analysieren kann, aber auch, wer im Wahlkampf viele Gespräche geführt hat, der muss sagen, dass es Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, aus allen Stadtteilen und höchstwahrscheinlich aus allen politischen Lagern waren, die die Primarschule mehrheitlich abgelehnt haben. Das muss die Politik schon zur Kenntnis nehmen. Die Frage ist allerdings, warum sie so entschieden haben. Ich persönlich habe auf vielen Straßen und an allen vielen Infoständen landauf und landab eigentlich immer dieselbe Sorge gehört und die lautete: Es war die Sorge, dass sich die Politik mit dem Umkrempeln des gesamten Schulsystems schlicht übernimmt und dass dabei vermutlich zu viel schiefgeht. Es könnte zu viele Probleme geben, unübersichtliche Auswirkungen haben, Risiken und unklare Kosten. Das waren die Sorgen der meisten Menschen. Auf dieses Misstrauen muss Politik in Zukunft die richtigen Antworten geben. Die Antworten können nur sein: Wer zusammen mit den Menschen Schule verbessern will, der braucht künftig Konsens statt Krawall. Besser sind drei kleine Schritte als ein großer Spagat.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Joachim Bi- schoff DIE LINKE)

Eine klar kalkulierbare Reform ist auch besser als zehn mutige Visionen. Es tut mir leid, wenn ich das so sage, aber die Basis für erfolgreiche Schulpolitik, die die Menschen mitnehmen will, ist besser langsam, sicher und verlässlich als schnell, wackelig und riskant. Künftige Schulpolitik kann dann im Konsens funktionieren, wenn sie optimiert und sich das Revolutionäre ein Stück weit verkneift.

Wir Sozialdemokraten nehmen diesen Wunsch der Bürgerinnen und Bürger ernst. Deshalb haben wir im Rahmen des Schulfriedens konkrete, machbare Verbesserungen durchgesetzt, kleinere Klassen, Abschaffung des Büchergeldes, mehr Oberstufenangebote. Diese Verbesserungen waren machbar, sie klappen, sie nützen und alle finden sie gut. Und diese Verbesserungen werden bleiben, sie sind ein Erfolg der SPD und auf diesem Weg werden wir weitermachen und Hamburgs Schulen beharrlich verbessern.

(Beifall bei der SPD)

Was passiert jetzt? Wir wollen bis zum Herbst den Volksentscheid umsetzen, deshalb unser Antrag. Wir sind auch zu einer fairen Zusammenarbeit bereit. Voraussetzung ist aber auch, dass die Behörde ihre Hausaufgaben erledigt, schnell mit uns den Dialog sucht und einen abgestimmten Gesetzentwurf vorlegt. Es ist aus unserer Sicht sehr ärgerlich, dass die Behörde und die Regierungsfraktionen viel zu lange brauchen, um sich auf die durch den Volksentscheid veränderte neue Lage einzustellen. Statt unmittelbar danach durch kluges und behutsames Vorgehen die Wogen nach dem Volksentscheid zu glätten, schafft die Behörde un

serer Auffassung nach mit widersprüchlichen Aussagen immer neuen öffentlichen Ärger.

Ich nenne zum Beispiel die neuen Starterschulen, die Trennung bewährter Langformschulen, die Fusion von intakten Grundschulen. Das alles hat doch ohne Primarschule eigentlich keinen Sinn und ist jetzt weitgehend überflüssig und unsinnig. Zudem ist die rechtliche Grundlage, dieses Überbleibsel der Primarschulreform, so wackelig, dass man besser die Finger davon lassen sollte. Doch stattdessen sorgt die Behörde weiterhin für Zorn, Verwirrung und Irritationen bei Lehrern und Eltern, weil sie sich bis heute an diese überholten Pläne klammert.

Voraussetzung für eine Zusammenarbeit ist daher auch, dass dieser Teil der bisherigen Pläne gar nicht erst in Kraft gesetzt wird. Wir hören im Schulausschuss zu unserer Überraschung, auch die Behörde gehe davon, dass dies alles keinen Bestand habe und zurückgedreht werde. Aber erst einmal müsse es in Kraft gesetzt werden, erst einmal müsse die Trennung von Langformschulen und die Fusion von Grundschulen beschlossen werden und dann könne man sich wieder auseinanderdividieren beziehungsweise das alles wieder rückgängig machen. Mit diesem Hin und Her muss Schluss sein. Wir brauchen eine seriöse, verlässliche Planung und dazu sind wir auch bereit.

(Beifall bei der SPD)

Mit dem Volksentscheid ist eine Grundsatzentscheidung über die Schulstruktur in Hamburg für die nächsten Jahre getroffen worden. Nach der vierjährigen Grundschule führen zwei Wege zum Schulabschluss und zum Abitur, die Stadtteilschule und das Gymnasium. Der 40-jährige Dauerstreit ruht damit eine längere Zeit. Das können wir auch als Chance begreifen, denn ohne diese kräftezehrende Dauerdiskussion gewinnen wir gemeinsam vielleicht die Kraft, die Zeit und auch die finanziellen Mittel, um viele dringend notwendige und sinnvolle Reformen auf den Weg zu bringen. Die Schüler, Eltern und Lehrer werden es uns danken.

Ich will kurz drei Punkte ansprechen. Erstens: Es muss eine künftige, zentrale Aufgabe sein, den Unterricht zu verbessern, zu individualisieren und gleichzeitig den Erziehungsauftrag wahrzunehmen, das Sich-Kümmern von Schule um die Schülerinnen und Schüler zu verbessern.

Zweitens: Für Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Familien müssen die Bildungschancen verbessert werden und dazu brauchen wir besondere Förderangebote. Ich nenne Ganztagsschulen, bessere frühkindliche Bildung, eine bessere Integration von Förderschülern und vielfältige Maßnahmen wie zum Beispiel die Sprachförderung.

Drittens: Die Stadtteilschule ist jetzt die eigentliche große Baustelle. Sie muss zu einer hervorragen

den Schule entwickelt werden, die Schülerinnen und Schülern eine große neue Chance bietet.

Das alles ist genug für mindestens zwei Legislaturperioden und es ist genug, um Hamburgs Schulen um Jahre nach vorn zu bringen. Also worauf warten wir noch, wir sind dazu bereit.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sagte am Anfang, die Menschen erwarten von uns, Schule zu optimieren. Optimieren bedeutet nicht Stillstand, Optimieren bedeutet nicht, den Volksentscheid umzusetzen und den Rest so zu lassen, wie er ewig war, denn die Probleme im Schulsystem sind nach wie vor da. Wir müssen dringend die Chancengleichheit verbessern, wir müssen dafür sorgen, dass die vielen Kinder aus bildungsfernen Familien endlich in den Schulen so gefördert werden, dass aus ihnen tüchtige Lehrer, Ärzte, Krankenschwestern, Kaufleute und Bürgermeister werden. Hier nicht aufzugeben, sind wir den vielen Kindern, aber auch unserer Stadt schuldig. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen für diese Schulpolitik. Wir werden Schulreformen verlässlich und seriös planen. Wir werden die Schulen beharrlich optimieren, im Konsens kalkulierbar, aber ohne Stillstand. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Frau Dr. Föcking.

Jetzt geht Herr Rabe raus. Na gut, er will die Antwort nicht hören.

Herr Rabe sagte gerade, die Behörde würde hier Verwirrung stiften. Ich fand aber, dass Herr Rabe heute – es sei mir erlaubt, das in seiner Abwesenheit zu sagen – Verwirrung gestiftet hat, indem er sagte, die Fusionierung von Schulen würde erst beschlossen, um dann wieder auseinandergerissen zu werden, Schulen würden erst getrennt, um dann wieder zusammengeführt zu werden. Wir haben einen Schulentwicklungsplan seit einem Dreivierteljahr und das Schulgesetz seit bald einem Jahr. Das Ganze ist bereits beschlossen und muss jetzt rückgängig gemacht werden.

(Beifall bei der CDU)

Aber manche Dinge müssen wohl sehr häufig öffentlich wiederholt werden, damit sie auch sicher verstanden werden.

Also noch einmal: Der Volksentscheid vom 18. Juli gilt und wird von unserer Koalition ohne Wenn und Aber umgesetzt. Punkt.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Das ist eigentlich so selbstverständlich, dass es mich wundert, dass es immer noch Menschen gibt,

die öffentlich Zweifel an dieser Umsetzung wecken.

(Michael Neumann SPD: Es gibt viele, die hoffen!)

Schließlich handeln wir hier nach Recht und Gesetz, Herr Neumann, auch wenn Sie es uns nicht glauben. Und die hamburgische Verfassung macht hier eindeutige Vorgaben. So weit, so klar.

Aber Hamburgs Schulen sind keine kleine Jolle – in der Hafenstadt Hamburg kann ich diesen Vergleich anbringen –, bei der man das Ruder einmal umdreht, eine Wende oder Halse fährt und schwups ist man auf neuem Kurs. Hamburgs Schulen sind wie ein gigantischer Riesentanker.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Vor allem die Schulbehörde!)

Es gibt Beharrungskräfte, der Bremsweg ist lang. Das ganze Umfeld muss beachtet werden, bis der Tanker sicher am Kai anlegen kann.

Manchen scheint weniger klar, dass diese Umsetzung des Volksentscheids nicht ganz einfach ist. Schließlich hatte die Initiative "Wir wollen lernen" keinen alternativen Gesetzesentwurf vorgelegt, der mit dem Volksentscheid hätte in Kraft treten können.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ach, jetzt sind die schuld!)

Nein, sie hat eine klare Forderung aufgestellt, nämlich den Erhalt der fünften und sechsten Klassen an den weiterführenden Schulen und des Elternwahlrechts nach Klasse 4. Aber diese Forderung muss erst in eine Rechtsform umgesetzt werden. Herr Dressel, als Jurist wissen Sie das auch ganz genau.

Nicht zuletzt muss dieser Volksentscheid organisatorisch umgesetzt werden, ohne dass es an Hamburgs Schulen zu einem monatelangen Chaos kommt. Was das im Einzelnen bedeutet, wurde auf der Sondersitzung des Schulausschusses in den Sommerferien, also bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt, ausführlich dargestellt.

(Michael Neumann SPD: Wie wir gefordert haben!)

Doch bis der Volksentscheid rechtlich vollständig umgesetzt ist, können wir Hamburgs Schulen nicht im Regen stehen lassen. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass in dieser Übergangszeit – und es ist eine Übergangszeit – alle Schülerinnen und Schüler angemessen unterrichtet werden können, ohne die Lehrkräfte über Gebühr zu belasten. Dass dafür Zwischenlösungen nötig sind, sollte nicht zu neuen Aufregungen und Verdächtigungen etwaiger Einführungen der Primarschule durch die Hintertür führen.

(Ties Rabe)

Eine solche Zwischenlösung ist zum Beispiel, dass die 865 Fünftklässler – und wirklich nur sie – der ehemaligen Starterschulen nun an diesen Schulen bis zum Ende der sechsten Klasse weiter unterrichtet werden können. Alle anderen Schülerinnen und Schüler, auch dieser Schulen, sind wieder ganz normale Grundschüler.

Welche Alternative hätte es denn gegeben? Wäre es etwa besser gewesen, die betroffenen Fünftklässler, die mit ihren Klassenkameraden weiterlernen wollten, voneinander zu trennen und ohne Einbeziehung der Eltern auf die Stadtteilschulen und Gymnasien zu verteilen, die noch freie Plätze hatten? Die betroffenen Eltern können im Übrigen ihre Kinder noch ummelden, das hat die Schulbehörde den Eltern eindeutig erklärt und auch eine entsprechende Hotline eingerichtet. Aber sie müssen ihre Kinder nicht ummelden. Das ist diesen Kindern und Eltern gegenüber nur fair. Hier geht es nicht ums Prinzip, hier geht es um Praxis.

(Ingo Egloff SPD: Genau!)