Protokoll der Sitzung vom 15.09.2010

Sie würden in einer Option außerdem zwei Dritteln der beteiligten Beschäftigten, nämlich denen der Bundesagentur, zumuten, zur Stadt zu wechseln, die dann nach zwei Jahren 10 Prozent von ihnen einfach wieder zurückgeben kann. Man kann sich vorstellen, zu was für einer wunderbaren organisatorischen Zusammenarbeit das führen würde.

(Beifall bei der SPD)

Hinzu kommt, dass wir alle Umstellungskosten selber tragen müssten. Allein die Entwicklung eines Computerprogramms würde Millionensummen verschlingen; 10 Millionen Euro, wie in Ihrem Antrag aufgeführt, wären dafür mit Sicherheit nicht ausreichend. Ein organisatorisches und finanzielles Chaos aber können wir weder den Erwerbslosen noch der Stadt Hamburg zumuten, berücksichtigt man ihre derzeitige Finanzlage.

Ein letztes schwerwiegendes Argument ist, dass die im Antrag geweckten und von Frau Ahrons in ihrem Redebeitrag noch einmal betonten Erwartungen an eine eigene Arbeitsmarktpolitik, in der alle Beteiligten freier und bedarfsgerechter agieren können, nicht erfüllbar sind. Wir leben nicht mehr in Zeiten der starken eigenständigen städtischen Arbeitsmarktpolitik, wie es sie noch bis 2001 gegeben hat. Damals hat die Stadt eigene, kostenträchtige Programme aufgelegt, die erwerbslose Menschen wieder in Arbeit bringen sollten. Die CDU hat diese Mittel schnell für andere Zwecke zu nutzen gewusst und zum Beispiel aus dem Geld für die Arbeitslosen Kaimauern bauen lassen. Wir leben auch nicht mehr in den Zeiten von 2005, als den Optionskommunen die Mittel der Bundesagentur für Arbeit noch relativ unkontrolliert zugeflossen sind. Es gab damals viele Missbrauchsfälle, bei denen sich die Kommunen schamlos an den Arbeitsmarkmitteln bedient haben, was gerade in Zeiten knapper Kassen durchaus verlockend ist. Die neue Gesetzeslage sieht ein strenges Controlling für die

Verwendung der Arbeitsmarktmittel vor. Die gefürchteten Vorgaben der Bundesagentur gelten künftig auch für alle Optionskommunen. Von dieser Seite ist also keine Rettung zu erwarten.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es keinen Weg in die Optionskommune geben kann, schon gar nicht für eine so große Stadt wie Hamburg, die viele Probleme bei der Integration von Arbeitslosen hat. Deshalb hätten wir den Antrag abgelehnt, aber das hat sich Gott sei Dank erledigt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Frau Möller.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Badde, Sie sind in Ihrer Rede kaum auf die Interessen der Hansestadt Hamburg eingegangen und auch kaum auf die der Kundinnen und Kunden der ARGE. Sie haben für das System und seine Beschäftigten argumentiert, aber wenige Worte über die eigentliche Aufgabe dieses Systems verloren.

Wir wollten die Möglichkeit nutzen, die Sie als systemfeindlich und als faulen Kompromiss bezeichnet haben. Durch das Gesetz, das der Bundestag im Juni beschlossen hat, hat sich allen ARGEn die Möglichkeit geboten, sich in Berlin als Optionskommune zu bewerben. Wir wollten das von Anfang an, schon als wir im letzten Jahr, als klar wurde, dass es diese Möglichkeit geben würde, den Antrag eingereicht haben. Anders, als Frau Ahrons es eben dargestellt hat, haben wir als GAL uns in dieser Frage auch nicht umentschieden. Wir mussten allerdings zur Kenntnis nehmen, dass der Senat sehr deutlich Bedenken daran geäußert hat, dass die Einrichtung der Optionskommune in der durch den Bund gesetzten Frist möglich ist. Der Senat hat sich gesorgt, ob er bis zum Frühjahr 2012 eine ausreichende und funktionierende Software bereitstellen und die garantierten Auszahlungen an die Kundinnen und Kunden gewährleisten kann. Diese Sorge hat uns veranlasst, unseren Antrag zurückzuziehen.

Ich möchte aber noch einmal deutlich sagen, dass wir in einer Situation, in der ein Viertel der Arbeitsmarktmittel, die vom Bund nach Hamburg fließen, eingespart werden muss, als Kommune ein massives Problem bekommen werden, da mag der Vertrag mit der BA – Sie haben ihn gelobt, Frau Badde – auch noch so gut sein. Das Modell der gemeinsamen Einrichtung wird für Hamburg schlicht und einfach teurer werden als die Optionskommune. Das wird sich erst in ein paar Jahren zeigen.

(Ingo Egloff SPD: Sagen Sie doch mal, wie viel EDV-Kosten da auf uns zugekommen wären! 10 Millionen können Sie vergessen, die stimmen vorne und hinten nicht!)

Die EDV-Kosten, Sie kennen sich ja aus. Dazu gibt es eine Menge Gutachten. Es ist sicher besser, mit den Experten zu streiten,

(Ingo Egloff SPD: Die Experten haben wir in der Anhörung gehört, die haben 50 Millionen gesagt! Fragen Sie den Senator, der weiß das auch!)

als mal eben so auf Zuruf zu sagen, wer die beste Zahl hat.

Es geht einfach darum, dass die finanziellen Risiken für Hamburg immer größer werden. Wir erleben schon jetzt, dass die Zahl der sogenannten Aufstocker steigt, also der Menschen, die zwar in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, deren Lohn aber nicht zum Leben reicht und die deshalb zusätzlich öffentliche Leistungen beziehen. Dieser Personenkreis wird von der Arbeitsmarktstatistik nicht erfasst. Das ist ein Pluspunkt für die BA, denn die anfallenden Kosten, vor allem für die Unterkunft, gehen weiterhin zulasten Hamburgs. Diese Entwicklung wird anhalten und es ist zu befürchten, dass allein deswegen höhere Kosten auf die Hansestadt zukommen.

Im Übrigen haben wir als Fraktion es uns tatsächlich nicht leicht gemacht. Wir haben interfraktionelle Sitzungen, Beratungsgespräche in der Wirtschaftsbehörde und eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss gehabt. Ich möchte darauf hinweisen, dass der Experte Jobst Fiedler die große Kompetenz Hamburgs im Bereich der Arbeitsmarktpolitik betont hat. Hamburg hat historisch gewachsene Strukturen im Bereich der Arbeitsmarkpolitik. Das weiß vor allem die SPD, denn viele dieser Strukturen sind unter SPD-Regierung oder in rot-grünen Zeiten entwickelt worden, und zwar in Verbindung mit Stadtteilpolitik und Armutsbekämpfung. Das könnte man wiederbeleben und nutzen – RISE ist eine Weiterentwicklung, das neu aufgelegte Programm zur Förderung der Quartiere –, wenn man die Chance hätte, darüber selber zu entscheiden. Diese Chance werden wir in der gemeinsamen Einrichtung nicht haben oder wir werden sie uns zumindest äußerst mühsam erkämpfen müssen.

Das Problem wird sein, dass die Federführung der hamburgischen Arbeitsmarktpolitik bei der gemeinsamen Einrichtung jetzt noch stärker und noch stringenter, als es bisher bei den ARGEn der Fall war, beim Bund und der BA liegen wird. Wir werden mit unserer hamburgischen Arbeitsmarktpolitik dort auf keine offenen Ohren stoßen und auch für unsere Konzepte keine offenen Türen finden.

Ich gehe davon aus – zumindest schätze ich Frau Badde so ein –, dass auch die SPD genau weiß, welche der Arbeitsmarkprojekte, die einerseits die Integration der Kundinnen und Kunden im Auge haben, andererseits für die Quartiere und in be

(Elke Badde)

stimmten gewerblichen Bereichen von äußerster Wichtigkeit sind, nicht weitergeführt werden können, wenn wir die gemeinsame Einrichtung haben.

Ich bin überzeugt, dass wir dieses Thema noch öfter debattieren werden. Vielleicht stehen wir in fünf Jahren noch einmal vor dieser Chance und vielleicht sind wir dann besser aufgestellt, mit mehr Mut in den beteiligten Behörden und mehr Erkenntnis darüber, welche Chancen die Optionskommune der hamburgischen Arbeitsmarktpolitik bietet. Ob wir uns dann noch einmal bewerben werden, werden wir sehen. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass die Klagen gegen die erforderliche Zweidrittelmehrheit, die uns heute verwehrt geblieben wäre – Frau Badde hat das eben noch einmal bestätigt –, bis dahin erfolgreich gewesen sind, sodass das dann mit einfacher Mehrheit umgesetzt werden kann. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Herr Joithe.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das ist schon ein starkes Stück. Da wird ein Antrag gestellt und auf besondere Eile gedrängt, als handele es sich um ein Sonderangebot, bei dem man sofort zugreifen muss, weil es sonst ausverkauft ist, und dann wird dieser Antrag einfach so zurückgezogen, weil man die notwendige Mehrheit nicht findet. So kann man mit einem Parlament nicht umgehen. Man muss sich dem schon stellen und notfalls auch einmal eine Niederlage eingestehen, aber dazu scheint die Koalition augenscheinlich nicht fähig zu sein.

(Barbara Ahrons CDU: Das ist doch jetzt nichts anderes!)

Zu Ihnen, Frau Ahrons, komme ich gleich.

Was war denn die Überschrift Ihres Antrags? Der gemeinsame Antrag der schwarz-grünen Koalition ist überschrieben mit: "Hamburg wird Optionskommune". Was für ein Wille, und was ist von ihm übriggeblieben? Heute stellen Sie sich hin und sagen: Wir wollten das eigentlich, es wäre auch ganz gut gewesen, aber wir finden die notwendige Mehrheit nicht, also fahren wir die andere Schiene.

GAL und CDU waren sich einig und haben so getan, als wäre das schon eine beschlossene Sache gewesen, so als würde die Zweidrittelmehrheit – von der Sie wussten – bestehen; die hat es aber nie gegeben.

(Andy Grote SPD: Die wussten davon eben nichts!)

Da muss man sich wirklich fragen, wes Geistes Kind man ist. Man tut so, als wäre alles schon in

trockenen Tüchern, und in dem Moment, wo die Tücher nass werden, zieht man zurück.

(Dirk Kienscherf SPD: So sind sie!)

Wunschdenken ist, dass es sich laut Ihrem Antrag um "eine einmalige Auswahlmöglichkeit" handelt, so steht es da wörtlich drin. Auch wenn Herr Ahlhaus vorhin von kreativem Humus sprach, das war weder Humus noch kreativ.

Mich erinnert Ihr ganzes Vorgehen und die Gestaltung dieses Antrags an den Chirurgen, der einem Kranken das Messer an den Hals setzt und sagt: Wenn wir heute nicht schneiden, bist du morgen tot. Es erinnert mich auch an einen Hausarzt, der sagt: Entscheidend ist, wie sie mit ihrer Krankheit umgehen. Krank genug ist dieses Gesetz, das sich im Sozialgesetzbuch II widerspiegelt, ganz gewiss, aber ebenso ungesund ist seine Umsetzung vor Ort durch die ARGE SGB II, auch team.arbeit.hamburg genannt, in den sogenannten Job-Centern, so ungesund, dass sowohl die rund 200 000 Betroffenen als auch die rund 2000 Mitarbeiter immer kränker gemacht werden.

Das besonders Bemerkenswerte ist, dass nun der Erreger – der Fisch stinkt immer vom Kopf her – den Chirurgen spielen will.

(Wolfgang Beuß CDU: Das ist ja die reinste Medizinvorlesung!)

Die Optionskommune soll oder sollte richten, was die ARGE nicht vermochte, und zwar mit denselben sowohl personell als auch fachlich überforderten Mitarbeitern, die mehr als häufig rechtswidrig handeln und dieses mit Anweisungen von oben begründen. Ob übrigens dieser Kopf in der Optionskommune ein anderer geworden wäre, sei dahingestellt.

Dann wird wieder einmal das allen Erfahrungen widersprechende Argument "alles aus einer Hand" ins Feld geführt. Das kennen wir schon aus den Anfangszeiten dieses Gesetzes: Alles wird besser, wir müssen nur daran glauben. Bei einer Fachveranstaltung von ver.di zum Thema Optionskommune bemerkte das Plenum zutreffend – und ich habe es heute bei Frau Ahrons genauso empfunden –: Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der CDU führte kein einziges wirklich gültiges Argument für die Optionskommune ins Feld.

Wir haben heute auch keines gehört, und genauso enthält auch dieser Antrag, der nun nicht zur Abstimmung kommt, nur Allgemeinplätze, Vermutungen und Wünsche und nichts Konkretes. Er enthält aber einen Satz, auf den man doch noch zurückkommen muss und mit dem DIE LINKE übereinstimmt – ich zitiere –:

"Einigkeit bestand darin, dass die Qualität der Leistungen für die circa 200 000 Hamburgerinnen und Hamburger, die Unterstützung nach dem SGB II erhalten, der Maß

(Antje Möller)

stab für die anstehende Organisationsentscheidung sein muss."

Wir, die Fraktion DIE LINKE, sagen:

Erstens: Die Erwerbslosen haben es satt, als Testkaninchen für die Experimentierwütigkeit der Politik herhalten zu müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens: Die ständige Drangsaliererei, Entrechtung und Herabwürdigung in den Jobcentern ist sofort einzustellen.

Drittens: Die Verhängung von Sanktionen, um die Quote zu erhöhen und die Ausgaben zu senken, ist sofort zu unterbinden.

Viertens: Der Umgang zwischen Sachbearbeitern und Betroffenen hat auf Augenhöhe zu erfolgen.

Damit haben wir in der Stadt eine große Aufgabe, der wir uns stellen müssen, ehe wir uns neuen Ufern zuwenden können. Die ständigen Gesundbetereien des Herrn Bösenberg helfen dabei wahrlich wenig.