Protokoll der Sitzung vom 18.06.2008

Was war der Grund? Der Grund war, dass gesagt worden ist: Lieber Niedriglohn mit zusätzlichen Sozialleistungen als vollkommen arbeitslos ohne Perspektive. Das war die Devise der Agenda 2010. Wenn Sie sich jetzt davon distanzieren wollen – in Wirklichkeit hat diese Devise ihre Gültigkeit nicht verloren.

(Beifall bei der CDU)

Ihre Problematik, jetzt auf den Arbeitgeber verlagern zu wollen nach dem Motto "Wir von der Politik

haben die Arbeitslosen mit der Agenda 2010 in den Niedriglohnsektor gebracht, jetzt ist es Deine Sache, lieber Arbeitgeber, woher Du das Geld nimmst, um so viel zu zahlen, dass sie aus staatlichen Transferleistungen ganz herauskommen." ist politisch nicht sauber.

(Ingo Egloff SPD: Das ist doch politisch ver- quer! – Christiane Schneider DIE LINKE: Sie haben doch keine Ahnung!)

Wenn wir den Menschen helfen wollen, dauerhaft aus dem Niedriglohnbereich herauszukommen, muss die Politik an die Wurzel des Problems. In diesem Zusammenhang ist insbesondere der Bildungsbereich zu nennen. Denn das Problem im Niedriglohnbereich ist, dass die Menschen eben nicht so gut ausgebildet sind. Aktuell sind zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen ohne Berufsausbildung. Ein Drittel hat noch nicht einmal eine Schulausbildung. Hier muss angesetzt werden, Herr Egloff.

(Ingo Egloff SPD:Deshalb haben Sie auch die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss nachzuholen, abgeschafft!)

Und nicht mit staatlichem Dirigismus. Eine gute Bildung ist das wirksamste Instrument, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und aus dem Niedriglohnbereich herauszukommen. Zudem kann auch eine gute Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik die Weichen für ein erfolgreiches Wirtschaftswachstum stellen. Dort müssen wir weiterarbeiten und insbesondere berufliche Qualifizierungs- und Bildungsmaßnahmen ausweiten.

Zu guter Letzt noch ein konkretes Beispiel aus dem Niedriglohnsektor, weil Sie eben gesagt haben, sie verstünden das nicht so ganz:

(Arno Münster SPD: Nun hören Sie doch bit- te auf, das kann doch nicht wahr sein!)

Seit einiger Zeit boomt in Hamburg die Logistikbranche. Die Unternehmer suchen händeringend Lagerarbeiter. Statt Niedriglöhnen werden hier schon 10 Euro und mehr gezahlt, und das ganz ohne festgelegten Mindestlohn, sondern durch eine funktionierende Wirtschaft. Das ist immer der Schlüssel und das Geheimnis die Menschen dort herauszuholen: Eine funktionierende Wirtschaft in Kombination mit Bildung.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Frau Möller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das haben wir in der Bürgerschaft schon manchmal gemacht, dass wir uns mit der letzten Debatte noch so etwas ganz Besonderes geleistet haben.

(Dirk Kienscherf SPD: Das war dieser Rede- beitrag eben!)

Ich glaube, dass wir heute auch eine sehr besondere Debatte führen. Bei der SPD ist mir nicht so ganz der Übergang von den Laogai-Lagern über Menschenrechte, Menschenwürde, Arbeit ist Würde und dann zum Thema Niedriglohn eingängig gewesen. Dann hat Sie überrascht, was Frau Hochheim zu den Dumpinglöhnen gesagt hat. Dazu muss ich sagen: Das hat der Vorgängersenator Uldall schon – nicht nur hier, sondern auch sonst – öffentlich gesagt: Dumpinglöhne verurteilt er. Das war nicht so ganz überraschend. Aber insgesamt bilden wir mit diesen beiden Beiträgen – und wahrscheinlich mit meinem und mit dem der LINKEN auch – genau die Debatte ab, die bundesweit gerade geführt wird. Im Ernst weiß doch niemand – das Stichwort Gewerkschaften muss ich jetzt auch einmal loswerden, denn die wissen es irgendwie auch nicht:

(Dr. Joachim Bischoff DIE LINKE: Oh, oh!)

Wo fängt man denn eigentlich bei diesem Thema an? Wo wollen Sie denn welchen Hebel drücken, damit wir von diesen Löhnen wegkommen, die zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben sind, um das einmal so platt zu sagen? Das ist doch die Frage.

Zur bundespolitischen Debatte: Das wissen Sie auch, wir wollen genauso wie Sie Mindestlöhne. Die Argumentation der CDU dagegen – Sie sind auf der Bundesebene als Große Koalition nicht sonderlich erfolgreich. Dafür will ich Sie nicht schelten.

(Ingo Egloff SPD: Das gilt ja der CDU! – Er- ste Vizepräsidentin Barbara Duden über- nimmt den Vorsitz.)

Wir werden sehen, was wir in Hamburg hinbekommen. Aber, ich finde, es fehlt noch ein bisschen an konkreten Vorschlägen. Ich möchte deswegen einfach noch einmal einen anderen Aspekt ansprechen. Wir hatten im Übrigen auch vorhin bei der Pflegedebatte schon Ansätze, vor allem durch Herrn Rose, eingeführt. Auch da geht es um das Thema Niedriglohn. Da sehe ich zum Beispiel das Thema Menschenwürde nicht beim Thema Arbeit, sondern eher bei den Menschen, die gepflegt werden müssen, und bei deren Würde. Also da machen wir das Thema in die Richtung weiter auf. Es gibt aber eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das die Frage untersucht hat, wo Geringverdienende, die im Jahre 1989, also vor zehn Jahren, einen Vollzeitjob hatten, eigentlich heute stehen. Das zeigt, wie dramatisch sich unser Arbeitsmarkt gerade entwickelt. Nur jeder Achte von diesen damals Befragten hat nach sechs Jahren den Aufstieg geschafft, ist also sozusagen in einem Vollzeitjob in ein Lohnniveau aufgestiegen, von dem die Familie ernährt werden

(Dr. Natalie Hochheim)

kann. Jeder Dritte war im Jahre 2005 auch noch ein vollzeitbeschäftigter Geringverdiener. Das heißt also, dass trotz Berufsausbildung und trotz Studienabschluss möglicherweise der Niedriglohnbereich viel öfter eine berufliche Sackgasse ist als ein Sprungbrett. Da haben Sie zu Recht benannt, dass der Senat die Fragen, die Sie ihm dazu gestellt haben, nicht beantwortet hat. Das kann er nicht, weil die Statistiken bei der Arbeitsagentur geführt werden. Sie kennen die Statistiken auch. Sie wissen auch, dass – um einmal auf Hamburg zurückzukommen – in Hamburg die Zahl der Menschen, die zusätzlich zum Vollzeiteinkommen ergänzende Hilfe benötigt, ständig steigt. Das wollen wir verändern. Das ist Teil der Arbeitsmarktpolitik, die wir uns vorgenommen haben. Damit können wir für Hamburg ein Signal setzen.

Aber wie weit wir uns bundesweit bei dem Thema der Debatte überhaupt voranbewegen, ob nun in dieser jetzigen Koalition oder mit Beginn der neuen Legislaturperiode auf Bundesebene, das vermag ich hier nicht einzuschätzen. Ich glaube aber, dass es nicht reicht, immer nur Gespräche mit Handelskammer, Handwerkskammer und anderen Beteiligten auf dem Arbeitsmarkt zu führen. Sondern ich glaube, dass auf der Bundesebene eine Entscheidung getroffen werden muss, so wie sie in anderen europäischen Ländern auch getroffen wurde, und dass wir dann auch hier in Hamburg mehr dafür tun können, dass sich die Branchen, die von uns beschäftigt werden und von uns Aufträge bekommen, auch in Richtung eines verträglichen Lohns bewegen. Dann kann Politik auch aktiv werden. Aber die Einigung auf Bundesebene muss kommen und die werden wir hier und auch an anderer Stelle immer wieder einfordern. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Frau Baum.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wieder einmal sind Mindestlohn und Dumpinglöhne das Thema. Man sollte meinen, wir haben kein anderes Hobby. Ich habe hier schon einmal erwähnt, dass es traurig genug ist, dass wir in dieser Stadt überhaupt über Mindestlöhne und Dumpinglöhne sprechen müssen. Traurig genug ist es auch, dass wir immer noch über die Einführung diskutieren. Die Höhe ist selbstverständlich auch wichtig. 7,50 Euro sind selbstverständlich zu wenig zum Leben. Aber es ist doch wenigstens ein Anfang und ein Einstieg. Wir haben nämlich noch nicht einmal das.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Es gibt auch in Hamburg unabhängig von Stadtteilen und Branchen Firmen, die ihre Mitarbeiter dermaßen menschenunwürdig bezahlen, dass es jeder Beschreibung spottet. Nichtmedizinische Heil

berufe in sehr gut angesehenen und gut situierten Stadtteilen in Hamburg, zum Beispiel in Poppenbüttel: 4,68 Euro für eine 40-Stunden-Woche. Wie soll man davon leben? Renommierte Hamburger Unternehmen, die ihre Mitarbeiter so schlecht bezahlen, dass sie tatsächlich Transferleistungen beantragen müssen, und zusätzlich auch noch so unflexible Arbeitszeiten haben, dass sie noch nicht einmal einen Zweitjob annehmen können – ist das kaufmännisch, ist das hanseatisch?

Wieder einmal ist es so, dass es überwiegend die Frauen trifft. Wie Sie wissen, komme ich aus dem Einzelhandel. Bei uns ist das Usus: Geringfügig Beschäftigte, 70 Prozent Frauen. Bewirbt sich jemand bei uns und es ist eine Frau, wird es mit viel Glück ein Teilzeitjob, aber überwiegend eine geringfügige Beschäftigung und dann auch noch befristet. Wie soll denn jemand, ob Frau oder Mann, das ist doch egal, aus diesem Karussell herauskommen – ohne Mindestlohn, ohne eine wirkliche Entfristung und überhaupt ohne Chancen auf regelmäßige Teilhabe an dieser Gesellschaft, mit vernünftigen Löhnen, die zum Auskommen reichen? Ich finde es sehr mühselig, immer wieder die gleiche Debatte zu führen. Wir sollten uns in dieser Beziehung wirklich einig sein und endlich einen Mindestlohn fordern, und zwar einen gesetzlichen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Das Wort bekommt Herr Rose.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Blömeke, ich möchte Ihnen noch eine Antwort geben auf das, was Sie vorhin gesagt haben, nämlich dass wir das Thema hätten anders definieren sollen, weil Sie so keine Chance hatten, darauf einzugehen. Es ging Ihnen um die Frage, wie man den Zusammenhang zwischen Pflegequalität und dem Thema Privatisierung in der Pflege erkennen sollte. Ich kann Ihnen sagen: Es gibt einen ganz engen Zusammenhang zwischen dem Thema Pflegequalität und Privatisierung, weil die Privatisierung in Hamburg konkret sehr starke Auswirkungen darauf hatte, dass die Pflegequalität und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten schlechter geworden sind. Weil das so ist, haben wir beides miteinander verknüpft. Ich finde, diesen Zusammenhang sollten Sie auch sehen. Und damit sind wir genau bei dem Thema, um das es jetzt auch geht, nämlich bei der Frage der Niedriglöhne.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich will einmal bei diesem Punkt ansetzen: Die deutsche Gesellschaft driftet – und das ist eine allgemeine Erkenntnis, die man in diesen Tagen in den Medien überall gewinnen kann – zusehends immer mehr auseinander. Die Mittelschicht

(Antje Möller)

schrumpft und zerfällt. Die Schere zwischen den hohen und den niedrigen Einkommen öffnet sich immer weiter, selbst in der aktuellen Aufschwungphase. Das beliebte Motto, dass sich Leistung lohnen soll, trifft für große Teile der erwerbstätigen Menschen heute weniger zu denn je. Und das gilt auch in Hamburg. Diese Entwicklung gefährdet die Verfassung unserer Gesellschaft und die Verfassung unserer Stadt. Denn diese Verfassungen sind nicht auf Spaltung, sondern auf Zusammenhalt ausgerichtet. Darum gibt es politischen Handlungsbedarf und deswegen haben wir das Thema und diesen Antrag auch in diese Bürgerschaft eingebracht.

(Beifall bei der SPD und bei Elisabeth Baum DIE LINKE – Antje Möller GAL: Das war kein Antrag, sondern eine Anfrage!)

Okay, okay. Ich übe noch. Einverstanden?

(Zuruf von Jens Kerstan GAL)

Jens Kerstan hilft mir dabei.

Der Grund dafür liegt entgegen der flotten Sprüche von CDU/CSU, FDP und von Kapitalseite nicht daran, dass den Menschen zu wenig netto vom Brutto verbleibt. Das ist das, was wir von Ihrer Seite permanent hören. Denn die Beiträge zu den Sozialversicherungen und auch die Steuern kommen den Leuten schließlich über das Gemeinwohl wieder zugute, jedenfalls dann, wenn eine gute und gerechte Politik dafür sorgt. Steuern und Sozialabgaben wurden in den letzten Jahren per Saldo bereits deutlich gesenkt. Das haben wir vorhin bei der Steuerdebatte schon zur Kenntnis genommen. Diese Parolen vom Netto sollen nur von dem eigentlichen Skandal ablenken, dass die Menschen von vornherein viel zu wenig an den Werten teilhaben, die sie durch ihre Arbeit schaffen, also von dem Brutto. Die Reallöhne sind in den vergangenen Jahren gesunken, und zwar vor allem bei den Menschen, die sowieso schon wenig haben. Wenn Sie mir jetzt entgegenhalten, dass das schließlich Sache der Gewerkschaften sei ordentliche Löhne auszuhandeln, dann wissen Sie natürlich genau, dass man in manchen Branchen schlicht keine Waffengleichheit mehr zwischen den Tarifparteien hat und es eine immer noch hohe Arbeitslosigkeit gibt, die der Kraft der Gewerkschaften und der Arbeitnehmer dabei enge Grenzen setzt.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Eine Arbeitslosigkeit übrigens, die – das kann man nicht häufig genug wiederholen – nicht eine Folge zu hoher Löhne ist, wie es uns die neoliberalen Milchmädchenrechner stets weismachen wollen, sondern im Gegenteil zu niedriger Löhne. Denn noch immer wird der Konjunkturaufschwung bei uns weitgehend vom Export getragen, während die Umsätze des Einzelhandels im vergangenen Jahr sogar um 6 Prozent zurückgingen. Da schließt sich der Kreis zu dem Beitrag von eben, weil das die

Ursache dafür ist, dass unsere Kolleginnen und Kollegen im Einzelhandel bereits über ein Jahr hinter einem Tarifabschluss hinterherlaufen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das ist übrigens auch kein Wunder, denn gerade bei den geringeren Einkommen schlagen Einkommensverluste direkt auf den Konsum durch, denn zum Sparen bleibt sowieso nichts übrig.

Wenn wir von Niedriglöhnen reden, dann reden wir von Stundenlöhnen, die im Schnitt bei 6,89 Euro liegen, und zwar in Westdeutschland. Das heißt, wir reden nicht von Einkommen, die etwas bescheidener sind, sondern wir reden von Einkommen, von denen man schlicht nicht würdig leben kann und mit denen man von der sozialen und kulturellen Teilhabe an der Gesellschaft weitgehend ausgeschlossen bleibt. Wir reden, um es deutlich zu sagen, von Armutslöhnen. Aktuell beziehen knapp 1,3 Millionen Menschen in Deutschland zusätzlich zu ihrem Lohn Arbeitslosengeld II, weil der Lohn nicht zum Leben reicht. In Hamburg sind es über 30 000 und die Zahl steigt rasant. Dieser indirekte Kombilohn und die stille Subventionierung der Unternehmensgewinne aus Steuermitteln sind völlig unakzeptabel und skandalös. Sie dürfen nicht dauerhaft hingenommen werden.

(Beifall bei der SPD, der GAL und der LIN- KEN)

Von konservativer Seite ist diese Entwicklung in den letzten Jahren allerdings immer wieder gefordert worden. Wir brauchen einen größeren Niedriglohnsektor, hieß es, denn nur so sei die Arbeitslosigkeit angeblich zu bekämpfen. Das Versprechen lautete: