Protokoll der Sitzung vom 20.01.2011

Das Wort bekommt Herr Senator Wersich.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Artus, vorwärts in die Vergangenheit, mehr fällt mir ehrlich gesagt zu Ihrem Beitrag nicht ein.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das hat aber jetzt kein Mensch verstanden! – Beifall bei Mehmet Yildiz DIE LINKE)

Ich weiß nicht, wem Sie jetzt applaudieren, Herr Yildiz.

Jede Gewalttat im privaten wie im öffentlichen Raum zieht mindestens ein Opfer nach sich. Deshalb sind die erfolgreiche Bekämpfung der Kriminalität und der Rückgang der Straftaten der allerbeste Opferschutz.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Opfer brauchen unsere Solidarität, aber sie brauchen auch unser Handeln. Um das Leid der Opfer zu vermindern, müssen wir Gewaltformen frühzeitig erkennen und entschlossen einschreiten. Gerade für die Gewalt in Familien und unter Partnern gilt, dass sich Gewaltkreisläufe entwickeln können, die sich bis in die nächste Generation fortsetzen, und diese müssen wir durchbrechen, um Gewalt zu verhindern. In Hamburg haben wir in den vergangenen Jahren massive Fortschritte gemacht. Im Jahr 2007 wurde unter der CDU-Regierung in Hamburg erstmals überhaupt ein umfassender Landesaktionsplan Opferschutz aufgestellt. Dieser erste Hamburger Landesaktionsplan bündelte und verknüpfte sehr systematisch die Maßnahmen und

Aktivitäten zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, Männer und ihre Kinder im Bereich von Prävention und Intervention. Neben den polizeilichen und strafrechtlichen Maßnahmen standen insbesondere Hilfs- und Unterstützungsangebote für Migrantinnen und Migranten im Mittelpunkt, die im Kontext von Beziehungsgewalt, Zwangsheirat und Menschenhandel standen.

Aber der Landesaktionsplan beinhaltet auch Angebote für Kinder und Jugendliche, die indirekt und mittelbar von Beziehungsgewalt betroffen sind. Daneben haben wir in Qualifizierungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen investiert und die Kooperation und Vernetzung zwischen den staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren verbessert. Korrespondierend zu diesem ersten Landesaktionsplan wurde erstmals ein eigener Haushaltstitel für Opferschutz geschaffen, damals 3,1 Millionen Euro. 2010 lagen diese Ausgaben inklusive der gesetzlichen Opferentschädigung bereits bei 9,1 Millionen Euro.

Auch auf der Ebene der Verwaltung haben wir gehandelt, um den Opferschutz zu stärken. Die Leitstelle Integration und Zivilgesellschaft umfasst das eigens eingerichtete Referat Opferschutz. Dort werden die wichtigsten Aufgaben gebündelt und mit vielen anderen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren vernetzt. Neue Konzeptionen und Weiterentwicklungen des Opferschutzes gehören genauso zu seinen Aufgaben wie die wirkungsvolle Steuerung der Beratungsund Schutzeinrichtungen für Gewaltopfer.

In den vergangenen Jahren haben wir über den Landesaktionsplan Opferschutz hinaus eine Vielzahl von gezielten Maßnahmen beschlossen und umgesetzt, um den Schutz für von Gewalt betroffene Frauen, Männer und Kinder zu verbessern. Ich nenne nur das Handlungskonzept 2006 zur Bekämpfung von Zwangsheiraten, das wir in einem europaweiten Projekt entwickelt und gestartet haben, das Handlungskonzept zur Integration von Zuwanderern, ebenfalls aus dem Jahr 2006, und das Handlungskonzept "Handeln gegen Jugendgewalt", dessen neun Säulen wir im vergangenen Jahr um die Säule Opferschutz ergänzt und das wir insgesamt weitergeschrieben haben. Gerade diese Woche habe ich außerdem gemeinsam mit dem Kollegen Vahldieck ein Zwölf-MaßnahmenPaket verabschiedet, das das Ergebnis der Kommission gegen Gewalt im öffentlichen Raum ist und sich ebenfalls der Tätergruppe zwischen 21 und 30 Jahren zuwendet.

Meine Damen und Herren! Mit dem zweiten Landesaktionsplan Opferschutz haben wir wieder ein ganzheitliches Handlungskonzept zur Bekämpfung von Gewalt sowohl in den sozialen Nahräumen als auch in der Öffentlichkeit vorgelegt. Besonders herausheben möchte ich dabei den behördenübergreifenden Ansatz, denn er macht deutlich, dass

(Kersten Artus)

Opferschutz den gesamten Senat und alle Behörden betrifft. Der Landesaktionsplan erfindet den Opferschutz nicht neu, aber er setzt Akzente und bezieht sich auf Gewalt gegen Frauen, Männer und Kinder, Gewalt in unterschiedlichen Lebenskontexten und auf Gewaltprävention insgesamt. Wie Frau Koop und Herr Lieven schon ausgeführt haben, greift dieses Konzept auch aktuelle Fragestellungen auf. Ältere Frauen, Menschen mit Behinderungen und Frauen, die Opfer von Genitalverstümmelung geworden sind, werden ausdrücklich berücksichtigt. Deshalb wurde in das Handlungsprogramm auch ein Modul zur Prävention von Gewalt in Partnerschaften älterer Menschen aufgenommen, das wir im Rahmen des Bundesprogramms "Sicher leben im Alter" in Hamburg umsetzen. Auch neue Phänomene wie Gewalterfahrung im Internet werden aufgegriffen.

Frau Dobusch, der Gewaltbetroffenheit von Männern sowie Kindern und Jugendlichen wird stärker Rechnung getragen, ohne dass wir die Gewaltbetroffenheit von Frauen schmälern. Der Senat und die Fraktionen von CDU und GAL waren sich einig, nicht nur einen Aktionsplan entwickeln zu wollen, der sich ausschließlich der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen widmet. Das wäre zu kurz gesprungen und ich sehe auch überhaupt keine Veranlassung dazu, Männer und Kinder zu Opfern zweiter Klasse zu machen.

(Beifall bei der CDU und bei Antje Möller GAL)

Wer Opfer ernst nimmt und sie schützen will, darf sich keine noch so gut gemeinten Scheuklappen aufsetzen. Deshalb haben wir diesen umfassenden Landesaktionsplan vorgelegt, um allen von Gewalt betroffenen Menschen sowohl im sozialen Nahraum als auch im öffentlichen Raum gerecht zu werden. Ich kann die Kritik von CDU und GAL nur teilen, dass ein ausschließlich auf Frauen bezogener Opferschutzplan, wie ihn die SPD in ihrem Wahlprogramm fordert, ein deutlicher Rückschritt für Hamburg wäre.

(Beifall bei der CDU und bei Antje Möller GAL)

Ganz aktuell kann ich Ihnen noch mitteilen, dass meine Behörde in der letzten Woche eine Ausschreibung zur Einrichtung eines Wohnprojektes für von Zwangsheirat und familiärer Gewalt betroffene Frauen mit und ohne Migrationshintergrund gestartet hat. Dieses Wohnprojekt soll zwölf Plätze haben und sich gezielt an junge Frauen richten, die Opfer von interkulturellen Familienkonflikten geworden sind oder von Zwangsheirat bedroht wurden. Diese Frauen brauchen unsere Hilfe. Sie brauchen unsere Unterstützung, um sich eine neue Lebensperspektive aufzubauen, weil sie nicht in ihre alten Verhältnisse zurückkehren können.

Meine Damen und Herren! Sie sehen: Opferschutz ist uns ein Kernanliegen für ein soziales und sicheres Hamburg. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Meine Damen und Herren, gibt es weitere Wortmeldungen? – Das sehe ich nicht.

Dann stelle ich fest, dass die Bürgerschaft von der Drucksache 19/8135 Kenntnis genommen hat.

Ich rufe auf den Punkt 47 der Tagesordnung, Drucksache 19/8253, Bericht des Sozialausschusses: Qualität der Pflege sichern – Pflegeheime in Hamburg wieder mit Heimärztinnen und Heimärzten ausstatten.

[Bericht des Sozialausschusses über die Drucksache 19/4276: Qualität der Pflege sichern – Pflegeheime in Hamburg wieder mit Heimärztinnen und Heimärzten ausstatten (Antrag der Fraktion der SPD) – Drs 19/8253 –]

Wird das Wort gewünscht? – Kollege Grund hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Worum geht es? Es geht um mehr Lebensqualität in Hamburgs Pflegeheimen; über diesen Punkt sprechen wir heute Abend.

Ich möchte mit einem Zitat beginnen und bitte Sie um einen Moment Aufmerksamkeit.

"Der Senat wird ersucht, mit den Akteuren des 'Paktes für Prävention' unter Einbeziehung aller Selbstverwaltungspartner im Rahmen des für das Jahr 2011 geplanten Schwerpunktthemas 'Gesund alt werden in Hamburg' Qualitätsstandards und Strukturen zur Optimierung der gesundheitlichen Prävention in Hamburger Pflegeheimen zu entwickeln und Prozesse der Selbstverwaltung zur Verbesserung der medizinischen Versorgung anzuregen."

Das sind 52 Worte, ein Satz. Wie geht es Ihnen damit? Ich kann Ihnen sagen, wie es mir geht. Bei solchen Sätzen werde ich entweder müde oder misstrauisch; in diesem Fall trifft Letzteres zu.

Dieser Satz stammt aus einem Antrag von CDU und GAL, der nach der Anhörung gestellt wurde, um das Problem der heimärztlichen Versorgung in Hamburgs Pflegeheimen zu verbessern. Wir haben damals seitens der SPD-Fraktion konkrete Vorschläge gemacht, wie man das lösen könnte, und – noch viel besser – wir haben eine ganze Reihe von Sachverständigen gehört, die uns berichten

(Zweiter Bürgermeister Dietrich Wersich)

konnten, dass es in anderen Bundesländern und in anderen Ländern Europas exzellente Ergebnisse aus getesteten Verfahren gibt, und diese Erfahrungen haben Folgendes belegt: Erstens können wir viel besser werden, zweitens nimmt die Lebensqualität der Menschen zu und drittens kostet es auch noch weniger Geld, wenn man es gut macht. Also, haben wir gesagt, dann lasst es uns doch auch so machen.

Gemäß den Mehrheiten, die wir damals im Ausschuss hatten, sind diese 52 Worte dabei herausgekommen. Wenn man einmal analysiert, was hinter diesem Geschwafel steckt, dann heißt das eigentlich nichts anderes, als andere zu fragen, was wir vielleicht tun könnten. Das ist uns zu wenig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir wollten wenigstens klar formulieren, welche Erwartungen wir haben. Natürlich liegt viel Verantwortung bei den Pflegekassen und bei ihrer Selbstverwaltung, aber ich bin auch der Auffassung, dass Politik definieren muss, was sie will und was für die Menschen herauskommen soll. Wenn wir die ganze Verantwortung auf diejenigen übertragen, die die Kosten tragen, dann werden die Ergebnisse nicht immer befriedigend sein; das ist die logische Konsequenz.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wir wollten deshalb Standards setzen und es ist schade, dass das nicht geschieht.

Nun wurde bei der letzten Debatte zu diesem Thema gefragt, wer denn die Heimärzte in Hamburg abgeschafft habe. Richtig ist, dass es Heimärzte in Hamburg gab, die zu einer Zeit abgeschafft wurden, als Sozialdemokraten an der Regierung waren. Das hatte aber mit der Einführung des Pflegegesetzes zu tun. Damals sind die Kosten für die Heimärzte voll der Stadt zulasten gefallen. Mit der Einführung des Pflegegesetzes war die Lage anders. Für die medizinische Versorgung, nicht nur für die Pflegeversorgung, waren die Krankenkassen zuständig. Man war der Meinung, das würde sich regeln. Wie sich herausstellt, hat es sich nicht gut geregelt, jedenfalls nicht hinreichend gut genug.

Ich will noch einmal auf das eigentliche Thema zurückkommen. Wir hatten Untersuchungen in Hamburg – also nicht irgendwo, sondern in unserer Stadt –, bei denen festgestellt wurde, dass die zahnmedizinische Versorgung und die Ernährungsversorgung älterer Menschen offenkundig nicht befriedigend sind. Es gab auch gute Entwicklungen, das stimmt. Die Dekubitusprophylaxe hat sich sehr gut entwickelt, es kommt seltener zu Liegegeschwüren. Insoweit ist da etwas passiert. Das ist auch den Pflegeeinrichtungen zu verdanken und dem Druck, der da gemacht worden ist und der Kontrolle, die durchgeführt worden ist. Wir sind

aber mit den Problemen noch nicht am Ende und deshalb fordert der Sozialausschuss, dass wir Standards setzen.

Heimärzte, das wissen wir jetzt, werden uns an vielen Punkten sehr helfen. Sie können beispielsweise mit der Medikamentenvergabe viel konsequenter, sparsamer und patientenunschädlicher umgehen als das ständig wechselnde medizinische Personal, das bei Notfällen in die Heime gerufen wird. Nach allen uns vorliegenden Untersuchungen könnten auch viele völlig überflüssige, belastende und zudem sehr teure Einweisungen in Krankenhäuser durch Heimärzte vermieden werden. In Berlin wurde nachgewiesen, dass die medizinischen Kosten der Krankenkassen durch den Einsatz von Heimärzten in 35 Pflegeheimen um 1,5 Millionen Euro reduziert werden konnten, und zwar innerhalb eines Jahres. Das ist doch ein Wort, finden Sie nicht auch?

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Kurz gesagt: Eine freundliche Aufforderung "macht es besser" reicht in diesem Fall nicht aus, da muss Butter bei die Fische. – Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr von Frankenberg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nachdem Sie sich an der grammatikalisch-redaktionellen Form unseres Antrags abgearbeitet haben, möchte ich festhalten, dass die SPD das Thema Heimärzte im Grunde genommen mächtig aufplustert. Mir scheint, da steckt der Gedanke dahinter, im Wahlkampf noch einmal ein bisschen Wind zu machen, aber wenn ich mir die Reihen hier so anschaue, glaube ich, dass sich die Außenwirkung sehr in Grenzen halten wird.

(Ingo Egloff SPD: Bei Ihnen vielleicht!)

Es lohnt sich auch nicht, diese Sache aufzubauschen, weil es ihr nicht dienlich ist.

Herr Grund hat es ehrenwerterweise nicht verschwiegen, trotzdem will ich noch einmal daran erinnern: Die Heimärzte wurden in der 16. Legislaturperiode Ende der Neunzigerjahre von der SPD abgeschafft; das muss man zunächst einmal festhalten.

Die gesundheitliche Situation hat sich, das haben wir in einer anderen Anhörung gehört, in den letzten Jahren deutlich verbessert. Insbesondere das Wundliegen, Dekubitus, hat sich deutlich reduziert. Insofern können wir eine Verbesserung der Lage feststellen.