Protokoll der Sitzung vom 04.02.2015

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Für mich ist dies vor allen Dingen deswegen umso erstaunlicher, weil ich heute den Worten von Bürgermeister Scholz gut gelauscht habe. Der Bürgermeister hat deutlich gemacht, dass besonders dort

stark investiert wurde, wo es nötig und wichtig war. Er hat mit Zahlen um sich geworfen und aufgezählt, wo überall finanziert und investiert wurde. Liebe Kollegen der SPD-Fraktion und Herr Senator, in die Jugendämter haben Sie aber nicht investiert. Nicht eine Stelle zusätzlich wurde geschaffen, Frau Leonhard. Es geht nicht darum, dass Sie vakante Stellen aufgefüllt haben, sondern darum, dass nicht in eine einzige Stelle zusätzlich in den Jugendämtern investiert wurde. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten noch immer durchschnittlich 80 Fälle bearbeiten, in einigen Jugendämtern sogar 100 Fälle, wie wir wissen. Das heißt, der Kinderschutz gehörte eindeutig nicht zu den Prioritäten dieses Senats. Auch vor dem Hintergrund des Todes von Chantal, die vor Yagmur sterben musste, ist das wirklich erschreckend. Dass Sie hier nicht gehandelt haben, ist für uns der größte Fehler dieses Senats.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Für die Mitarbeiter des Jugendamts Hamburg-Mitte kam das Sofortprogramm des Senats eindeutig zu spät, auch wenn Sie dies bestreiten. Ich erläutere das gern. Im Bezirksamt Hamburg-Mitte kam wirklich vieles zusammen: personelle Überforderung, falsche Führungsentscheidung und individuelles Versagen. Für all das trägt in unseren Augen Bezirksamtsleiter Grote die politische Verantwortung, denn er war es, der nach dem Tod von Chantal ins Amt kam und mit dem Versprechen angetreten ist, den Kinderschutz an die erste Stelle zu setzen und zur Chefsache zu machen. Er wolle die Arbeitsbedingungen im Blick haben, kündigte er an. Wir müssen aber feststellen, dass er seinem eigenen Anspruch nicht gerecht geworden ist. Er hatte die Arbeitsbedingungen nicht im Blick. Er führte den Bereich Jugendamt nicht eng genug, sonst hätte es nicht angehen können, dass genau das passierte, was im Jugendamt Hamburg-Mitte passiert ist, nämlich komplette Überlastung der Mitarbeiter. Da können Sie mir erzählen, was Sie wollen. Menschen, die überlastet sind, machen Fehler. Sie können nicht in der Ausführlichkeit dem Fall nachgehen, wie es vielleicht erforderlich gewesen wäre. Wir wissen alle, dass es eine Arbeitsrichtlinie im Bezirksamt Hamburg-Mitte gab, die sogar die Qualität der Fälle herabgesetzt hat, indem man sagte, Hilfeplangespräche müssten nicht mehr geführt werden, weil man mit dem Personal nicht hinterherkomme. Für all das trägt Bezirksamtsleiter Grote die Verantwortung. Meine Fraktion will nicht hinnehmen, dass nachgeordnete Mitarbeiter im Jugendamt jetzt die Verantwortung tragen sollen und Konsequenzen befürchten müssen, während ihr Bezirksamtsleiter, der eigentlich für diese Situation verantwortlich ist, hierfür nicht die politische Verantwortung übernimmt. Das geht nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und bei Walter Scheuerl fraktionslos)

Ein Weiter so kann und darf es weder in der Sozialbehörde noch im Bezirksamt Hamburg-Mitte geben, doch es erweckt den Eindruck, als ob genau das passiert. Als die Oppositionsparteien den PUA eingerichtet haben, gab es viel Kritik, auch von der SPD, von den Medien. Das alles wäre doch nur Taktik, Wahlkampfgetöse, das alles solle doch nur für den Wahlkampf nutzbar gemacht werden. Heute stellen wir fest, dass der Untersuchungsausschuss weitestgehend aus dem Wahlkampf herausgehalten wurde. Aus dem Grund haben wir noch im Dezember die Bewertung und Vorstellung unserer Ergebnisse gemacht. Aber auf der anderen Seite muss ich feststellen, dass die SPD anscheinend den Wahlkampf gut nutzen kann, um von ihrer Verantwortung abzulenken. Seit Ende des PUAs sind sowohl Senator Scheele als auch seine fachliche Führungsebene als auch Bezirksamtsleiter Andy Grote zu dem Thema abgetaucht. Das wird den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses nicht gerecht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir bereits Herr Trepoll ausgeführt hat, müssen wir am Ende trotz aller Unkenrufe noch einmal feststellen, dass es richtig war, zur Aufklärung der Umstände des Todes von Yagmur das Instrument Untersuchungsausschuss einzurichten, denn wir haben durch die Zeugenbefragungen Kenntnisse bekommen, die wir sonst nicht erhalten hätten. Aber wir dürfen uns jetzt nicht mit den Ergebnissen zufriedengeben und uns ausruhen – ich war froh, das auch von Frau Leonhard gehört zu haben. Wir müssen die Lehren aus diesen tragischen Einzelfällen weiter systematisieren und für eine grundsätzliche Reform in der Jugendhilfe und im Kinderschutz in Hamburg sorgen. Der Kinderschutz – darin sind wir uns, glaube ich, einig – muss zur Daueraufgabe des Senats werden, egal, welcher Senat diese Stadt führt.

(Zuruf: Mann, Mann, Mann!)

- Sie können gleich noch mehr "Mann, Mann, Mann" sagen.

In der Tat war der Kinderschutz aus unserer Sicht beim SPD-Senat nicht gut aufgehoben. Darum ist es wichtig, dass die SPD die Geschicke der Stadt – zumindest was den Kinderschutz angeht – nicht mehr allein lenkt. Hier muss ein Partner an die Seite gestellt werden, der einen Blick auf den Kinderschutz hat. Diese Lehre ziehen wir auch aus dem Fall Yagmur.

Lassen Sie mich noch einmal an den Anfang meiner Rede zurückkommen. Ein Senat, der den Kinderschutz im Blick hat, sorgt dafür, dass die Jugendämter dieser Stadt so ausgestattet sind, dass der Kinderschutz auch vollzogen werden kann. Das ist nicht passiert. Frau Leonhard, natürlich steht in einem Abschlussbericht nichts von einer Rücktrittsforderung, darin steht auch nicht, wer die

Missstände persönlich zu verantworten hat. Aber wir alle haben diesen 500 Seiten starken Bericht gelesen, und jeder bewertet ihn natürlich so, wie er es für sich für richtig hält. Aber ich finde, dass der Bericht eindeutige Worte zu der Ausstattung in den Jugendämtern gefunden hat und Zahlen nennt, die wir nicht ignorieren können. Ich glaube, zumindest diese Lehre sollte gezogen werden, dass der Senat nicht gehandelt hat, wo er hätte handeln müssen. Ansonsten arbeiten wir alle zusammen am Kinderschutz weiter, aber an dieser Stelle muss es auch erlaubt sein, ein politisches Fazit zu ziehen. Darum kommen wir nach wie vor zu der Erkenntnis, dass Senator Scheele in seiner fachlichen Ebene aufräumen muss und dass Bezirksamtsleiter Andy Grote die politische Verantwortung übernehmen, das heißt zurücktreten muss.

(Beifall bei den GRÜNEN und der CDU)

Das Wort bekommt Herr Ritter von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch ich möchte mich am Anfang bei den Mitarbeitern des Arbeitsstabs für die konstruktive Auseinandersetzung bedanken. Wir konnten uns in manchen fachlichen Themen gut austauschen. Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Bedanken möchte ich mich auch bei den Abgeordnetenkollegen und meinen Fraktionskollegen – zumindest bei denen, die da waren – und vielen Dank auch Ihnen, Herr Trepoll, für die tolle Führung des PUAs.

(Beifall bei der FDP, der CDU und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Bei der Einsetzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses ging es der FDP-Fraktion vor allem um umfassende Aufklärung. Doch es ging nicht nur um die Aufklärung des tragischen Todesfalls der kleinen Yagmur, sondern der Einsetzungsauftrag hatte auch und vor allem die Aufklärung der schwierigen Rahmenbedingungen der Einzelnen vor Ort zum Grunde. Ich möchte betonen, dass dies dem Untersuchungsausschuss im Großen und Ganzen sehr gut gelungen ist. Deswegen kann ich für meine Fraktion festhalten, dass die Entscheidung für einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss richtig war. Sämtliche Empfehlungen des Abschlussberichts wurden einstimmig von allen Fraktionen mitgetragen und beschlossen. Auch dies belegt, dass es die richtige Entscheidung war.

(Beifall bei der FDP)

Diese Empfehlungen sind nicht nur eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung des Jugend

(Christiane Blömeke)

hilfesystems in Hamburg, sondern auch für die Zukunft ein Arbeitsauftrag an die Bürgerschaft und den neuen Senat. Ich hoffe sehr, dass der neue Senat, in welcher Konstellation auch immer, diesen Arbeitsauftrag ernst nimmt und umsetzt. Ich habe aber große Zweifel daran, dass es unter einem neuen alleinigen SPD-Senat zu einer nachhaltigen Verbesserung des Kinderschutzes kommen wird. Denn der Umgang mit allen Aspekten der schwierigen, teilweise sogar katastrophalen Rahmenbedingungen und der Personalsituation vor Ort, werte Kollegen von der SPD, ist aus meiner Sicht verheerend gewesen. Sie leugnen nach wie vor, dass die dramatische Personalsituation in den ASD-Abteilungen eine Rolle für den tragischen Verlauf des Falls spielte. Dabei ist der Zusammenhang zwischen der prekären Personalsituation und der Verkettung von Fehlern, Fehleinschätzungen und Kommunikationsdefiziten absolut offensichtlich. Für die Rahmenbedingungen ist nun einmal der Senat verantwortlich, und er ist dieser Verantwortung schlichtweg nicht nachgekommen. Dass Sie das nach wie vor bestreiten, bedeutet aus unserer Sicht für den Kinderschutz in Hamburg nichts Gutes.

Meine Fraktion hatte schon 2012 nach der Veröffentlichung des ersten Schrapper-Berichts Vorschläge für kurzfristig die Lage entspannende Maßnahmen gemacht, zum Beispiel ein Unterstützungsfonds für ASD-Abteilungen mit schwieriger Personalsituation oder ein Springer-Pool. Sie haben das dauerhaft abgelehnt mit dem Verweis, das Personalbemessungssystem sei doch auf dem Weg. Dieses Personalbemessungssystem gibt es leider bis heute nicht.

Meine Fraktion hat sich konstruktiv an den Beratungen im PUA beteiligt und Änderungsanträge zum Bericht vorgelegt, die in überwiegender Anzahl übernommen wurden. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eine persönliche Einschätzung zu der teilweisen Arbeit der anderen Fraktionen geben. Das Verhalten der LINKEN kann ich im Endeffekt nur als Arbeitsverweigerung bezeichnen.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Das verstehen Sie einfach nicht!)

Auch Sie hätten die Möglichkeit gehabt, den Bericht über Änderungsanträge zu beeinflussen. Stattdessen haben Sie jede Mitarbeit abgelehnt und ein unsachliches Pamphlet als Minderheitenbericht vorgelegt. Das hilft weder dem Kinderschutz noch den Mitarbeitern der Jugendämter.

Auch das Minderheitenvotum der GRÜNEN lässt mich teilweise ratlos werden. Sie haben gemeinsam mit uns die Einrichtung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses gefordert und wollten im Abschlussbericht eine Enquete-Kommission für die nächste Legislaturperiode fordern. Was ist das denn? Für mich ist dies ein Schlingerkurs, der unsere Abschlussarbeit und unsere gute

Ausschussarbeit zum Teil entwertet. Das finde ich relativ schade.

(Jens Kerstan GRÜNE: Was soll das denn?)

Zuletzt ein Wort zur CDU – dann habe ich alle.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Die FDP fehlt noch!)

- Wie gut die FDP war, kommt am Schluss.

Der unentwegte Versuch eines Abgeordneten-Kollegen, in der Sache persönliche Abrechnungen mit missliebigen Personen durchzuführen, hatte aus meiner Sicht teilweise Einfluss auf den klaren Blick für den gesamten Fall, während wir Freien Demokraten uns für eine sachliche Aufarbeitung der wirklichen Probleme entschieden haben. Das war für den PUA und seine Aufklärungsarbeit ein positiver Beitrag.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Melanie Leonhard SPD)

Das war meine letzte Rede. Ich bedanke mich bei Ihnen allen. Wie Sie wissen, werde ich Sie in der nächsten Legislatur leider nicht mehr mit Debatten beehren dürfen. Ich habe mich immer gefreut und bedanke mich dafür, dass Sie mich alle ertragen haben. Vielleicht sehen wir uns ja einmal wieder. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD, den GRÜNEN und bei Tim Golke DIE LINKE)

Jetzt bekommt Frau Schneider von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorweg eine Bemerkung machen, bevor ich auf die Kontroversen zu sprechen komme. Frau Leonhard hat viele gute Worte zu dem Tod des Kindes Yagmur gefunden, denen ich mich ausdrücklich anschließe.

Und als zweite Vorbemerkung: Auch von uns natürlich einen herzlichen Dank an den Arbeitsstab. Ich glaube, das ganze Haus ist einhellig der Meinung, dass er große Unterstützung geleistet hat.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Nun würde ich gern auf die Kontroversen zu sprechen kommen. Von Anfang an waren wir für eine Enquete-Kommission und skeptisch, ob der PUA ein adäquates Mittel ist, um die aus unserer Sicht anstehenden Fragen in der Kinder- und Jugendhilfe zu klären. Vor diesem Hintergrund hatten wir einen Zusatzantrag gestellt, um eine inhaltliche Ausrichtung des PUAs sicherzustellen. Wir haben uns dann um eine konstruktive Mitarbeit im PUA, vor allem um eine fachliche Ausrichtung bemüht. Diese ist nur sehr ungenügend gelungen. Der PUA hat aus Sicht unserer Fraktion viel zu wenig inhalt

(Finn Ole Ritter)

lich gearbeitet, sondern bezog sich viel zu sehr auf den Fall und das jeweilige Geschehen.

Die Suche nach Schuldigen hat zu falschen Schlussfolgerungen geführt. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ASD und der Kitas haben die Aussage verweigert. Das Ergebnis ist: Wieder werden Kontrolle und Dokumentation ausgebaut. Der Überschuss an beidem wurde weiter erhöht. Wieder wird der bestehende Flickenteppich in der Jugendhilfe an einzelnen Ecken um weitere Flicken erweitert. Selbst gemeinsam in die Wege geleitete Fachanhörungen zur Zusammenarbeit von ASD und Kita-Trägern, zu Rückführungskonzepten von Pflegekindern in ihre Herkunftsfamilien und zum Problem der vielen Schnittstellen wurden zu einer Anhörung zusammengezogen. Als alleiniger Schuldige wurde der ASD ausgemacht. Im ASD läuft es nicht rund, aber das liegt an den Bedingungen, unter denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten müssen, und nicht an den einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

(Beifall bei der LINKEN)

Hohe Fallbelastung, hohe Fluktuation, zu viel an Kontrolle und Dokumentation und eine Software JUS-IT, die die Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frisst, anstatt die Arbeit zu erleichtern. Der ASD braucht unbedingt sofort 50 zusätzliche Stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit einem Personalbemessungssystem kann immer noch nachgesteuert werden. Wir wollen langfristig den Umbau des ASD zu einem Fachdienst und den Überschuss an Kontrolle und Dokumentation auf das notwendige Maß zurückführen. Die Software JUS-IT muss überprüft werden, die Jugendhilfeinspektion sollte abgeschafft und das Familieninterventionsteam in die bezirklichen Jugendämter eingegliedert werden. Vor diesem Hintergrund hat unsere Fraktion einen eigenen Minderheitenbericht und eine Broschüre mit 25 eigenen Forderungen vorgelegt. Wir haben bei unserer Arbeit im PUA mit vielen Fachleuten und in der Jugendhilfe engagierten Menschen zusammengearbeitet. Das findet sich in der Broschüre wieder.