Protokoll der Sitzung vom 29.09.2011

Welche Chancen und Risiken birgt eigentlich diese Debatte, die wir führen? Jede Debatte über Religion, über Schule und erst recht über Islam wird, wie wir alle wissen, mit viel Temperament geführt. Glauben Sie ja nicht, dass uns diese gelassene Tonlage, die mich freudig überrascht, denn in den Medien war schon etwas ganz anderes zu lesen, erhalten bleiben wird. Wenn wir das weiter diskutieren, dann werden auch Scharfmacher aller Seiten ihren Senf dazugeben. Wir können in anderen Ländern beobachten, was damit zusammenhängen kann: Demonstrationen gegen angebliche Überfremdung, eine Volksabstimmung über ein Minarettverbot in der Schweiz – all das muss man mit bedenken. Das schließt eine Regelung nicht aus, aber man muss es mit abwägen.

In diesem besonderen Fall ist die Abwägung sehr leicht, denn hier nützt ein Gesetz nichts. Zwar trägt die junge Frau nicht nur ein Kopftuch, sondern einen Hijab. Ich war selber entsetzt, was das ist, nämlich ein Komplettgewand, aus dem nur das Gesicht bis zum Kinn, die Hände und die Füße

(Christiane Schneider)

herausgucken, alles andere ist zwar farbenfroh, aber im Großen und Ganzen verkleidet. Das ist schon recht weitgehend, weiter, da haben Sie recht, Herr Heinemann, als das, was wir bisher gewohnt waren. Aber – und nun kommt das Schwierige – die junge Frau ist gar keine Lehrerin, sondern in Kürze Referendarin, und für Referendarinnen würden unsere ganzen Gesetze gegen Kopftücher, Hijabs, Kreuze und so weiter nicht gelten, wenn wir sie denn auf den Weg brächten, und zwar aus zwei entscheidenden Gründen.

Grund Nummer eins ist, dass ein Referendar auf die Schüler lange nicht den gleichen Einfluss hat wie ein Lehrer, denn er unterrichtet viel weniger und wird als Vorbild, ich sage es einmal so flapsig, nicht so ernst genommen wie ein dauerhaft unterrichtender Lehrer.

(Glocke)

(unterbre- chend) : Ich bitte um etwas mehr Ruhe im Parlament für den Senator.

(fortfahrend) : Der zweite Grund ist, dass der Staat das Ausbildungsmonopol hat. Wir haben mehrfach mit der jungen Dame gesprochen, auch auf meinen dringenden Rat hin, und sie hat uns gesagt, es sei ihr klar, dass unter diesen Voraussetzungen für sie später eine Tätigkeit als Lehrerin in Deutschland nicht infrage komme. Aber sie bat darum, ausgebildet zu werden, und da hat sie vom Gesetz her recht, denn wir sind der Monopolist der Ausbildung. Sie kann gar nicht Lehrerin werden, wenn wir ihr die Ausbildung verweigern. Als solcher Monopolist stehen wir in einer besonderen Verpflichtung, diese Ausbildung auch durchzuführen, wenn sie nicht gegen den Schulfrieden verstößt; da haben Sie recht, Herr Heinemann.

Über diesen Punkt sollten wir uns abschließend noch einmal unterhalten, denn die Frage ist spannend, was Schulfriede eigentlich ist. Da ist der Gesetzgeber relativ klar: Der Schulfriede ist gestört, wenn Schüler und Elternschaft in große Aufregung versetzt werden und sozusagen keinen Frieden mehr halten können. Der Schulfriede ist nicht gestört, wenn sich Lehrer streiten; das muss man einmal ganz klar sagen. Lehrerinnen und Lehrer, so sehr ich ihre Leidenschaft begrüße und so wichtig dieser Berufsstand auch ist, sind Beamte und als solche zum Frieden verpflichtet, verflixt noch mal. Das darf man an dieser Stelle auch noch einmal sagen.

(Beifall bei der SPD)

Der Schulfriede ist nicht in Gefahr. Das Spannende ist – und diese Gespräche haben wir natürlich rauf und runter geführt –, dass Schülerinnen, Schüler und Eltern keineswegs unfriedlich sind, sondern

ein Teil des Kollegiums. Daran muss man arbeiten. Das ist meine Pflicht, die ich auch gern annehme. Wenn wir das alles zusammen gewichten, die Risiken und Chancen der Debatte, die Möglichkeiten einer solchen Entscheidung und die Implikation, dann muss man fragen, warum der Lärm? Wir können, ob wir ein Gesetz machen oder nicht, an dieser Ausbildung nichts ändern. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass nach dieser Ausbildung überhaupt kein Problem mehr existiert. Dieser Senat wird klug handeln. Als klug handelnder Senat stehen wir für den Schulfrieden, nach innen und nach außen. Wir werden uns von niemandem auf der Nase herumtanzen lassen, welches Gewand er auch immer trägt. Wenn der Schulfrieden in Gefahr ist, nämlich die Auseinandersetzung mit Schülern und Eltern auf der Tagesordnung steht, dann werden wir sofort einschreiten und nicht zögern.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zum Schluss. Klug handeln heißt auch, dass der Senat energisch einschreitet, wenn Lehrerinnen und Lehrer durch ihr Verhalten Schülerinnen und Schüler indoktrinieren oder an ihren Schulen Glaubenskämpfe anzetteln. An unseren Schulen werden Glaubenskämpfe hoffentlich im Unterricht thematisiert; der Dreißigjährige Krieg, die Kreuzzüge, die Hugenottenverfolgung. Aber im Unterricht thematisieren heißt nicht, Glaubenskämpfe in der Schule auszutragen. Wir werden energisch einschreiten, sollte das drohen.

Klug handeln heißt für diesen Senat auch: Wir werden uns nicht ohne Not in eine nicht ungefährliche Debatte begeben, die in der Stadt eine Menge Verwerfungen nach sich ziehen kann, eine Debatte, die in diesem konkreten Fall zu nichts führen kann, aber das Risiko in sich birgt, dass wir einen bislang für die Verschiedenheiten in unserer Stadt relativ gelassenen – man kann sagen vorbildlichen – Umgang unter verschiedenen Kulturen nachhaltig beschädigen. Wir müssen vielleicht handeln, wenn es an der Zeit ist, aber hier ist es nicht notwendig. Klug handeln heißt jetzt Frieden stiften, statt sinnlose Debatten zu führen. Trotz meiner Überweisungsfreude halte ich es deshalb für richtig, heute diese Debatte zu führen aber auch heute zu beenden, denn sie führt in diesem Fall zu nichts. – Vielen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD)

Herr Heinemann, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Senator, Sie haben interessanterweise die Störung des Schulfriedens gewissermaßen passiv definiert. Der Schulfrieden ist also gestört, wenn jemand sich an etwas stört, was natürlich die Frage aufwirft, wie wir es mit der Gleichbehandlung künftig halten wollen. Was ma

(Senator Ties Rabe)

chen wir, wenn sich heute eine Klasse nicht gestört fühlt, aber im nächsten Jahr eine andere Klasse sich doch gestört fühlt? Sie machen es sich zu leicht, denn wir kommen auf diese Art nicht zu einer Lösung.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Zweitens, diese Debatte wird in jedem Fall geführt. Sie wird, wenn nicht von uns, von anderen geführt. Die Erfahrung aus vielen Ländern Europas sollte uns eine Lehre sein. Wenn wir es anderen überlassen, die Debatte zu führen, wird sie sich sehr schnell hier im Parlament wiederfinden. Genau das möchte ich nicht, denn ich glaube, es ist unsere Aufgabe, Themen, die gesellschaftspolitisch auf dem Tisch liegen und die in der Stadt diskutiert werden, auch im Parlament zu diskutieren und gemeinsam Lösungen zu finden. Wir dürfen nicht darauf warten, dass dort draußen große, in der Tat dann nicht mehr sachliche Diskussionen geführt werden, die wir irgendwann nicht mehr in den Griff bekommen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Nach dieser sehr guten Debatte hier im Haus habe ich den Eindruck, dass bei vielen Fraktionen ein Diskussionsbedarf besteht. Es wäre klug, wenn wir uns rechtzeitig darauf vorbereiten, unabhängig von diesem Einzelfall, wie wir künftig mit solchen Themen umgehen wollen, und es nicht im Schnellschussverfahren machen, wenn der Schulfrieden gestört ist oder es Probleme gibt. Es ist besser, rechtzeitig und in Ruhe gemeinsam abzuwägen. Ich kann daher nur noch einmal an die SPD-Fraktion appellieren: Geben Sie sich einen Ruck, überweisen Sie den Antrag, führen Sie die Debatte und kehren Sie das Thema nicht unter den Tisch. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wenn keine weitern Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 20/1576 federführend an den Schulausschuss und mitberatend an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration sowie den Ausschuss für Justiz, Datenschutz und Gleichstellung zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist das Überweisungsbegehren abgelehnt.

Ich lasse in der Sache abstimmen.

Wer möchte den Antrag der CDU-Fraktion aus Drucksache 20/1576 annehmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 30 auf,

Drucksache 20/1587, Antrag der SPD-Fraktion: Kleine und mittelständische Unternehmen stärken: Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen mittelstandsfreundlich gestalten und auf die Einhaltung von Mindestlöhnen und Tariftreue achten.

[Antrag der SPD-Fraktion: Kleine und mittelständische Unternehmen stärken: Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen mittelstandsfreundlich gestalten und auf die Einhaltung von Mindestlöhnen und Tariftreue achten – Drs 20/1587 –]

Hierzu liegen Ihnen als Drucksachen 20/1680 und 20/1689 Anträge der Fraktion DIE LINKE sowie der CDU-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Kleine und mittelständische Unternehmen stärken: Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen mittelstandsfreundlich gestalten und auf die Einhaltung von Mindestlöhnen und Tariftreue achten – Drs 20/1680 –]

[Antrag der CDU-Fraktion: Kleine und mittelständische Unternehmen stärken: Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen mittelstandsfreundlich gestalten – Drs 20/1689 –]

Wird das Wort gewünscht? – Frau Rugbarth, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir auch heute wieder ein Mittelstandsthema besprechen, das Hamburgische Vergabegesetz. Im Jahr 2008 wurde das Hamburgische Vergabegesetz aufgrund einer Befristung und aufgrund europarechtlicher Anforderungen bereits einmal überarbeitet. Warum setzen wir dieses Thema heute erneut auf die Agenda? Das derzeit bestehende Hamburgische Vergabegesetz schöpft nach unserer Meinung nach wie vor nicht die rechtlichen Möglichkeiten aus, die auch nach dem Rüffert-Urteil gegeben sind, und schöpft auch die Möglichkeiten nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Vergaben an soziale Standards zu binden, nicht aus. Wir sind der Meinung, das Hamburgische Vergabegesetz kann verbessert werden, denn wir haben als Stadt – das ist uns als SPD-Fraktion besonders wichtig – eine Vorbildfunktion zu erfüllen und müssen nach wie vor alle Anstrengungen unternehmen, damit insbesondere kleine und mittlere Unternehmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe hinreichend berücksichtigt werden. Wir haben als Stadt auch die Verpflichtung, auf gute Arbeitsbedingungen hinzuwirken.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

(Robert Heinemann)

Unsere Anträge in der vergangenen Legislaturperiode, die eine Verbesserung des Vergabegesetzes und der Vergabepraxis forderten, wurden vom Vorgängersenat kaum zur Kenntnis genommen. Ich hatte eher den Eindruck, sie wurden einfach vom Tisch gewischt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die von uns geforderte Aufnahme der Verkehrsdienstleistungen im öffentlichen Personennahverkehr. Diese Dienstleistung ist im vorhandenen Vergabegesetz beispielsweise nicht erfasst worden, obwohl die Tariftreueregelung in diesem Bereich weder gegen die Dienstleistungsfreiheit noch gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt und das Rüffert-Urteil nicht auf den Bereich der Verkehrsdienstleistungen übertragbar ist. Auch unser Antrag auf Aufnahme der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen wurde damals nicht aufgenommen. Wir möchten daher mit unserem heutigen Antrag das Vergabegesetz erneut auf den Prüfstand stellen, damit der rechtliche Rahmen vollständig ausgeschöpft wird und damit bei allen Unternehmen, die Aufträge von der Stadt erhalten, Tariflöhne gezahlt werden. Wettbewerbsvorteile sollen nicht durch Lohndumping erzielt werden. Nach meiner Ansicht findet dies auf den Baustellen noch statt, weil eine Kontrolle vielfach fehlt. Wir vergeben Aufträge an Auftragnehmer und die Auftragnehmer wiederum vergeben sie an Subunternehmer und die Subunternehmer noch einmal an Subunternehmer. Letzten Endes haben wir eine unendliche Kette und die Letzen erhalten auf gar keinen Fall das, was wir uns unter einer anständigen Entlohnung vorstellen.

Einige Bundesländer haben bereits in ihren Vergabegesetzen Mindestlöhne festgelegt. Das ist sehr unterschiedlich von Bundesland zu Bundesland und unterschiedlich ist auch, wie die öffentlichen Unternehmen einbezogen sind. Das gilt es auszuwerten und daraus Schlussfolgerungen für Hamburg zu ziehen. Ein Mindestlohn von 10 Euro, wie ihn die Fraktion DIE LINKE fordert, wird es natürlich im Hamburger Vergabegesetz nicht werden. Das geht weit über vergleichbare Regelungen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und anderen Ländern hinaus und würde zum Teil die Tarifverträge aushebeln.

Natürlich reicht es nicht aus, nur Prüfaufträge zu verteilen, das werden wir auch nicht tun. Diese Befürchtung von Ihnen habe ich in Ihren Anträgen oder Pressemitteilungen wahrgenommen. Wir wollen eine Optimierung der Vergaben. Dies bedarf solider Vorarbeit, damit Regelungen rechtlich standhalten. Denn Sie wissen, dass in diesem Bereich jede Menge Gesetze, Vorschriften, Verordnungen europarechtlich, bundesrechtlich und dergleichen existieren. Wir wollen tatsächliche Verbesserungen. Unrealistische und diffuse Forderungen mancher Oppositionspartei, die zum Teil auf falschen oder vergaberechtlich fragwürdigen Aussagen fußen, helfen uns da nicht wirklich weiter.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Mit dem sehr kurzfristigen Berichtszeitraum wollen wir eine solide Basis schaffen, damit wir anschließend kurzfristig eine Entscheidung treffen können, wie wir das Gesetz verändern. Nun zu den Zusatzanträgen.

(Dr. Anjes Tjarks GAL: Wo ist die CDU?)

Dass Sie sich selbst im Vortext loben, liebe CDU, dafür habe ich noch Verständnis. Dass Sie unseren Antrag aber nicht verbessern, sondern verschlimmern, indem Sie wesentliche Teile weglassen, werden wir mit einer Ablehnung Ihres Antrages beantworten.

(Dr. Anjes Tjarks GAL: Das wird bestraft!)

Im Hinblick auf die Auswertung der Konjunkturoffensive fordern Sie einen sehr kurzen Berichtszeitraum. Was Sie da fordern ist schlichtweg zu sportlich. Das gilt im Übrigen auch für DIE LINKE. Prognos AG hat damals ewig lange gebraucht, um nur den ersten Teil der Konjunkturoffensive auszuwerten. Bis Jahresende klappt das also nicht.

Ich möchte mich kurz noch weiter dem Antrag der Fraktion DIE LINKE widmen. Mir ist nicht klar, warum Sie in Punkt 1 noch einmal die Tariftreueregelung einfordern. Eine Tariftreueregelung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz existiert bereits.

Die Verkehrsdienstleistungen stehen derzeit tatsächlich nicht im Gesetz, deswegen fordern wir sie auch ein. Unter Punkt 2 fordern Sie, Regelungen aus anderen Bundesländern als Mindeststandards zu übernehmen. Ich wüsste gern, welche Standards Sie übernehmen wollen, das haben Sie nicht gesagt. Insofern muss man diesen Punkt in jedem Fall ablehnen. Weiterhin wollen Sie, dass das Ganze durch eine Sonderkommission begutachtet und geprüft wird, ob alle Regelungen eingehalten werden. Diese Sonderkommission besteht in der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Warum wir noch ein zusätzliches Gesetz brauchen und eine zusätzliche Kommission, ist mir nicht ganz klar. Es gibt auch kraft Gesetz die Vergabekammern, deren Zuständigkeiten geregelt sind. Die Vergabekammern haben gerichtsähnlichen Charakter, sind allerdings keine Strafgerichte und dürfen keine Sanktionen verhängen. Wir werden den Antrag der Fraktion DIE LINKE ablehnen.