Protokoll der Sitzung vom 29.09.2011

(Beifall bei der LINKEN)

Wir stehen mit dieser Meinung nicht allein. Nun ist die Frage, was sind die Ergebnisse und wie ist die Wirksamkeit der Schulinspektion? Zwei Zusammenfassungen liegen vor. Der Jahresbericht der Schulinspektion 2008 und der für 2010. Dazwischen liegen Kostenentwicklungen, allein auf die Personalkosten bezogen, von 1,35 Millionen Euro in 2007 auf 1,8 Millionen Euro in 2010. In beiden Berichten wird konstatiert, dass die Unterschiede in der Unterrichtsqualität innerhalb einer Schule manchmal größer sind als zwischen Schulen und Schulformen. Mal ganz ehrlich, das hätte jeder von uns auch ohne Schulinspektion gewusst.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei der Pressekonferenz zum Bildungsbericht 2011 wurde seitens der Behörde darauf hingewiesen, dass der Lernerfolg von Schülern und Schülerinnen zu 90 Prozent von der Lehrerpersönlichkeit abhängt. Und was passiert bei der Schulinspektion? In der Vorbereitungsphase gibt es eine Befragung von Schülern, Schülerinnen, Lehrkräften und Eltern. Bei den Eltern wird zum Beispiel abgefragt, ob sie den Eindruck haben, dass die Lehrkräfte in der Klasse ihres Kindes mit schlechtem Benehmen der Schüler und Schülerinnen in angemessener Weise umgehen. Nun frage ich mich, was denn schlechtes Benehmen ist. Ist das Kaugummi kauen, während des Unterrichts unmotiviert durch die Klasse laufen oder verhaltensoriginelles Auftreten, wie gestern Herr Scheele sagte? Und was ist angemessen? Vor die Tür schicken oder ein Gespräch nach dem Unterricht? Das bleibt den Eltern überlassen. Aber aus der Beantwortung werden diese Maßstäbe überhaupt nicht deutlich. Und Schüler und Schülerinnen sollen zum Beispiel bewerten, ob sie mit dem Wissen der Lehrkraft in ihrem Fach zufrieden sind. Nun gibt es genügsame und anspruchsvolle Schüler und Schülerinnen. Auch da weiß man nicht, aus welcher Anspruchshaltung die Ankreuzung stattgefunden hat. Insofern ist das alles sehr vage, eine Gummibandgeschichte.

In der Kernphase begeben sich die Inspektoren und Inspektorinnen für zwei Tage an die Schulen. Jeweils für 20 Minuten gehen sie zu zweit in eine Klasse. In diesen 20 Minuten müssen sie 30 Prozessmerkmale erfassen und ankreuzen. Sie wollen nicht mit der Lehrkraft reden, sie wollen nichts über die besondere soziale Situation in der Klasse wis

sen, sie wollen nicht wissen, wie sich der beobachtete Unterricht in die Lerneinheit einbettet und in welcher methodischen Phase der Unterricht sich gerade befindet. Das wollen sie alles nicht wissen. Und einige Lehrkräfte werden, wenn so ein zweitägiger Besuch in der Schule stattfindet, viermal von den Inspektoren heimgesucht und andere überhaupt nicht. So mancher Schulleiter hat im Anschluss schon bedauert, dass ausgerechnet seine besten Pädagogen gar nicht inspiziert worden sind.

Und wie äußerte sich die Schulbehörde in einer Ausschusssitzung im März 2010? Der Auftrag der Schulinspektion im Unterricht sei es nicht, die Lehrerinnen und Lehrer oder Schülerinnen und Schüler zu beurteilen, sondern die dreißig Merkmale abzuarbeiten, um die Unterrichtskultur der gesamten Schule zu erfassen. Ich bitte Sie, dreißig Merkmale in zwanzig Minuten, ohne Hintergrundwissen. Unmöglich.

(Arno Münster SPD: Hört, hört!)

Dabei kommen dann in der Auswertungsphase Bewertungen hinzu, über die sich die Schulen nur wundern. Bei der Präsentation heißt zum Beispiel ein Punkt "Effizienter Umgang mit Haushaltsmitteln". Ich weiß von Schulen, die seit Jahren auf der Warteliste stehen, dass neue Fachräume für Naturwissenschaften gebaut werden sollen. Aus diesem Grund haben sie kein neues Mobiliar angeschafft. Das wurde der Inspektion auch mitgeteilt, dennoch wurde der Umgang mit Haushaltsmitteln durch eine niedrige Bepunktung geradezu gerügt, weil die Tische und Stühle im Chemieraum abgestoßen waren. Das war in der Abschlusspräsentation ausdrücklich als Negativum vermerkt. Das kann doch nicht sein.

Auch die Containerunterbringung von Klassen findet keine Gnade vor den Qualitätsstandards der Schulinspektion. Ich habe das alles schon erlebt. Die meisten Hamburger Schulen wurden zum Beispiel – das ist auch eine interessante Geschichte – sehr niedrig eingestuft bei selbstgesteuertem Lernen.

(Robert Heinemann CDU: Haben Sie nicht ein gehöriges Trauma, über das Sie gerade berichten?)

Bei einer Präsentation gab es die Nachfrage, was es denn zum Beispiel für den Mathematikunterricht bedeute, wenn die Schule in diesem Punkt niedrig eingestuft sei. Ob das vielleicht bedeute, dass Schüler und Schülerinnen mitbestimmen könnten, ob sie am Pythagoras-Satz oder lieber an Gleichungen arbeiten. Die Antwort der Schulinspektion bei der Präsentation war, die Schüler sollen die Freiheit haben, den Mathematikunterricht zu verlassen, lieber in den Musikraum zu gehen und sich an einem Instrument auszuprobieren.

(Lars Holster SPD: Das stimmt doch nicht!)

Genauso stimmt das. Das ist original so auf einer Präsentation gesagt worden. Da frage ich mich: Geht es eigentlich noch?

Irgendetwas muss die Schulinspektion ja messen bei insgesamt 3 Millionen Euro pro Jahr, die dafür ausgegeben werden. Sie als CDU wollten in der letzten Legislaturperiode wissen, ob es eine messbare Wirkung der Schulinspektion gibt.

(Finn-Ole Ritter FDP: Jetzt ist die CDU auch noch schuld!)

Die Antwort der Behörde damals war nein, es sei nicht möglich, eine Verbesserung zu messen. Wenn bereits vor der Einführung der Schulinspektion Daten mit demselben Instrumentarium erhoben worden wären, dann wäre es möglich. Das ist aber nicht der Fall, man kann es mit nichts vergleichen. Schulsenator Wersich hat in seinem Bericht 2010 ein Resumée gezogen:

"Wir stellen einen positiven Trend in Hamburgs Klassenzimmern fest: Die Unterrichtsqualität hat sich verbessert."

(Robert Heinemann CDU: Endlich würdigt das mal jemand!)

Er schränkte jedoch ein:

"Gleichzeitig gibt es noch viel zu tun, um die Qualitätsentwicklung jeder einzelnen Schule weiter voranzubringen."

Nun wird es spannend. Im Bericht steht, dass sich für die Unterrichtsqualität der allgemeinbildenden Schulen in Hamburg insgesamt eine signifikante Verbesserung zeigt. Der Unterschied ist messbar, aber nur sehr gering. Das Delta ist kleiner als 0,2.

(Glocke)

Das kann es wirklich nicht sein. Wir sind gegen die Schulinspektion und wir sind auf jeden Fall gegen das Ranking. Gerade der Bildungsbericht hat gezeigt, dass wir in KESS-1- und KESS-2-Gebieten Schulen mit einem besonders hohen Anteil an Schulabgängern ohne Schulabschluss und einem besonders niedrigen Anteil an Abiturienten haben.

(Lars Holster SPD: Sie wollen das gar nicht abschaffen!)

Wenn wir da ein Ranking machen, dann stigmatisieren wir diese Schulen. Und das ist das Aus für Schulen mit der schwierigsten Klientel. Deshalb sind wir absolut dagegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Senator Rabe.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Heyenn, am Anfang muss man schon Folgendes sagen:

Schüler werden benotet, Schüler müssen Zensuren nachweisen, Schüler machen Abschlusszeugnisse, jeder Mitarbeiter in jedem Unternehmen wird benotet, wir Abgeordneten werden bei Wahlen benotet – ich kann nicht verstehen, wieso es ein absolutes Tabu sein soll zu überprüfen, ob eine Schule gute Arbeit macht oder nicht. Das ist selbstverständlich, jedes staatliche Unternehmen muss sich einer solchen Prüfung unterziehen. So schaffen wir Leistung, das ist richtig und nicht falsch.

(Beifall bei der SPD und bei Robert Heine- mann CDU – Dora Heyenn DIE LINKE: Eine Schule ist kein Unternehmen!)

Zur Wahrheit gehört auch, dass die Schulinspektion – auch wenn die SPD sie nicht erfunden hat, es war die CDU – eine richtige Erfindung war. Wir genießen dafür hohe Anerkennung in ganz Deutschland, Wissenschaftler loben diesen Ansatz,

(Dora Heyenn DIE LINKE: Welche denn?)

und andere Bundesländer machen es nun genauso. Insoweit ist der Ansatz richtig.

Wozu das Ganze? Das Ganze dient der Frage, ob Politik einen Prozess in Gang setzen kann, der Unterricht verbessert. Unterricht, wenn er gut ist, nützt sehr viel und schafft bessere Bildung bei den Schülerinnen und Schülern. Eigentlich ist es ein selbstverständlicher Gedanke, den Unterricht verbessern zu wollen. Ich muss allerdings sagen, in der Schulpolitik habe ich diesen Gedanken sehr selten gehört. Wenn es um die Frage geht, wie man Bildung verbessern kann, gibt es in der Regel drei Standardantworten: mehr Geld, mehr Stellen und Änderung der Schulstruktur. Eltern und Schüler machen andere Erfahrungen. Dienstags in der vierten Stunde im Chemieunterricht herrscht tödliche Langeweile, der Lehrer kommt zu spät, ist eine Schlaftablette, die Schüler stören, die Arbeitsbögen sind veraltet und keiner weiß, was er machen soll. Und Donnerstag in der zweiten Stunde in Physik wird mit Feuereifer ausprobiert, wie man aus einer Mausefalle einen Rennwagen bauen kann, wie man die Energie des zuschnappenden Mausefallenbügels als Antrieb nutzen kann und die Räder so optimiert, dass der Wagen durch die Turnhalle flitzt.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Schönes Bei- spiel!)

Das ist eine Erfahrung aus meiner Zeit als Lehrer. Gleich viel Geld, gleich viele Stellen, gleiche Schule und ein Riesenunterschied. Deswegen sagen Eltern und Schüler zu Recht, was auch Wissenschaftler bestätigen. Im Unterricht stellen sich die Weichen, ob Hamburgs Schüler viel lernen oder nicht. Und deshalb sagen wir im Hamburger Senat, wir wollen mit einer systematischen Qualitätsoffensive die Schule und den Unterricht von innen verbessern und das ist richtig.

(Dora Heyenn)

(Beifall bei der SPD)

Wovon hängt guter Unterricht ab? Die Schulinspektion hat Erstaunliches herausgefunden. Wer glaubte, man müsse sein Kind am Gymnasium oder an der Stadtteilschule anmelden, um eine bestimmte Unterrichtsqualität zu bekommen, der sieht sich getäuscht. Es ist – auf gut Deutsch – piepegal, welche Schulform man wählt, es ist sogar egal – und das ist für viele Schulen ein Schock –, ob man sich die renommierte Edelschule aussucht oder die Schule um die Ecke. Unterschiede der Qualität des Unterrichts gibt es von Klassenraum zu Klassenraum. In denselben Schulen können Schüler einer Klassenstufe teilweise ein Jahr weiter sein, weil Lehrerinnen und Lehrer halt unterschiedlich unterrichten. Das ist im Grunde eine Mut machende Nachricht, weil sich herausstellt, dass es an jeder Hamburger Schule hervorragenden Unterricht gibt. Daraus kann man etwas machen. Aber die schlechte Nachricht ist, dass das außer Eltern und Schülern in der Regel keine anderen Beteiligten wissen. Gerade Schulleitungen und Kollegen wissen häufig nicht, was für ein Schatz an vielen Schulen zu heben ist. Und wie man diesen Schatz heben kann, das muss das große Thema sein. Wenn wir das nicht schaffen, verschenken wir große Chancen und gehen leichtfertig mit den Möglichkeiten um, die unsere Schulen bieten. Deswegen müssen wir in der Tat die Unterrichtsqualität zum wichtigsten Thema machen.

Frau von Treuenfels, Sie haben mich übrigens völlig richtig zitiert. Ich habe gesagt:

"Auch die Veröffentlichung der Inspektionsberichte sollte Teil eines Maßnahmenpaketes sein."

Aber nun wird es spannend. Maßnahmenpaket habe ich in der Regel immer ergänzt und wenn die Zitate alle stimmen, dann müsste das auch hier gesagt worden sein. Denn wir brauchen in der Tat mehr als eine Einzelmaßnahme. Es gibt auf der ganzen Welt gute Ideen, wie man Unterricht besser machen kann, auch als Politiker, der dazu nicht in den Schulen herumrennen muss. Das Schöne an diesen Ideen ist, dass sie schon erprobt wurden. Wir können uns danach richten, was funktioniert.

Übrigens ist unsere Partnerstadt Chicago beinahe weltberühmt für ihre Initiativen. Ich will ein paar Ideen nennen, die immer wieder auftauchen: Feedback der Schülerinnen und Schüler. Warum eigentlich immer nur die Rückmeldung vom Lehrer, was der Schüler richtig macht oder besser machen kann; umgekehrt geht es auch. Wir wissen, dass Schülerinnen und Schüler erstaunlich selbstständig und vernünftig sind, wenn man sie auf dieser Ebene fragt.

Eine weitere Idee wäre – das hatte die letzte Regierung zu Recht angesprochen, es wurde von Herrn Scheuerl leider ein bisschen diffamiert –, dass die Zusammenarbeit in den Schulen, die Teamarbeit, das gemeinsame Planen von Unterricht, aber auch das gemeinsame Organisieren und Auswerten des Unterrichts vorankommt. Diese Zusammenarbeit übrigens spart auch noch Arbeitszeit und kann allen Beteiligten helfen. Weitere Ideen will ich nur kurz nennen. Warum nicht in einer Klassenstufe häufiger gleiche Klassenarbeiten schreiben, damit man einen Eindruck von der Annäherung des Lerntempos bekommt.

Und zum Schluss natürlich die Schulinspektion. Nun wollen Sie, Frau von Treuenfels, das Ergebnis veröffentlichen und sagen, wir hätten viele Vorbilder – USA, England, Niederlande –, die das machten. Herr Heinemann hat auf die mitunter rabiaten Konsequenzen hingewiesen. Da werden sogar Schulen geschlossen, wenn sie dreimal schlecht abschneiden. Soweit will hier niemand gehen, aber man kann darüber nachdenken, ob man Ergebnisse nicht tatsächlich veröffentlichen sollte. Allerdings wird dies schon veröffentlicht, alle Schulen machen das in einer großen Veranstaltung in der Aula mit Eltern, mit Schülern, mit Lehrern, mit allen Schulbeteiligten. Man kann jetzt fragen, ob man noch einen Schritt weiter gehen sollte. Ich will den Gedanken durchaus erwägen. Wir sollten überlegen, ob und wie das geht. Ich halte das für im Kern nicht unvernünftig, aber Herr Heinemann hat auf die Risiken hingewiesen. Ich möchte zum Beispiel die Noten für Schulleitungen erwähnen. Bei aller Liebe zur Transparenz, aber mir ist nicht bekannt, dass Ihre Arbeitszeugnisse, meine Damen und Herren, für alle einsehbar ins Netz gestellt werden. Hier muss man die berechtigten Interessen der Beteiligten vernünftig abwägen und schützen. Im Übrigen sollte man bedenken, dass es nicht darauf ankommt, jemanden an den Pranger zu stellen, sondern wir wollen etwas anschieben, etwas anstiften. Das soll doch der Mechanismus sein.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb rate ich dazu, nicht grundsätzlich nein zu dieser Idee zu sagen, aber wir müssen es so machen, dass es etwas nützt und nicht dazu führt, dass einige sich bloßgestellt fühlen.

Frau Heyenn, ich darf darauf hinweisen, dass es eine Legende ist, gute Schulbewertungen gebe es nur in den Gebieten mit vielen Gymnasialschülern. Verrückterweise ist das Gegenteil der Fall. Dort, wo Schulen in schwierigen Gebieten mit schwierigen Schülern mit wenig Bildungshintergrund zu tun haben, dort finden wir die aktiven, die guten Schulen, die regelmäßig bei den Tests oben stehen. Wir haben verblüffende Nachrichten, dass gerade in den Schulen, in denen die Schüler schon in der ersten Klasse mit Harry Potter, Band I-VII, unter dem Arm vorbeikommen, die Arbeit der Lehre

(Senator Ties Rabe)

rinnen und Lehrer deutlich besser sein könnte. Insofern würde man durch die Ergebnisveröffentlichung nicht Schulen in schwierigen Stadtteilen stigmatisieren. Vermutlich könnte es sogar umgekehrt sein. Auch das sollten wir im Schulausschuss bereden.