Protokoll der Sitzung vom 29.03.2012

Wir kommen zum Punkt 49, Drucksache 20/3501, dem Antrag der SPD-Fraktion: Inklusion als Leitorientierung für Hamburg.

[Antrag der SPD-Fraktion: Inklusion als Leitorientierung für Hamburg – Drs 20/3501 –]

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Frau Jäck, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wer von uns ist vollkommen?

(Olaf Ohlsen CDU: Sind wir nicht alle voll- kommen!)

Wer von uns ist schon makellos? Ist nicht ein jeder von uns in irgendeiner Weise eingeschränkter als viele andere? Wenn wir uns diese Fragen beantworten, sind wir schon beim Thema unseres Antrags, der Inklusion als Leitorientierung für Hamburg.

Wir erinnern uns an folgenden gesellschaftlichen Entwicklungsprozess: In der Vergangenheit wurden Menschen mit Behinderung ausgegrenzt und verwahrt und – in einem dunklen Kapitel unserer deutschen Geschichte – wurden sie verfolgt und getötet. In den letzten Jahrzehnten hat man versucht, Menschen mit Behinderung zu fördern und zu integrieren, das heißt, sie in das gesellschaftliche Leben einzubinden. Das Ziel für die Gegenwart und für die Zukunft muss lauten: Inklusion von Menschen mit Behinderung.

(Beifall bei der SPD)

Was ist Inklusion? Inklusion als Konzept des Zusammenlebens von Menschen geht weiter als Einbindung und Integration – ich zitiere –:

"Inklusion beschreibt die Gleichwertigkeit eines Individuums, ohne dass dabei Normalität vorausgesetzt wird. Normal ist vielmehr die Vielfalt, das Vorhandensein von Unter

schieden. Die einzelne Person ist nicht mehr gezwungen, nicht erreichbare Normen zu erfüllen, vielmehr ist es die Gesellschaft, die Strukturen schafft, in denen sich Personen mit Besonderheiten einbringen und auf die ihnen eigene Art wertvolle Leistungen erbringen können."

Und das ist gut so.

(Beifall bei der SPD)

Wie kann Inklusion in diesem genannten Sinne in Hamburg gelebt werden? Wir müssen lernen, die Welt so wahrzunehmen, wie es die Menschen mit Behinderung tun. Was bedeutet dies für die Praxis? In der Praxis soll es darauf hinauslaufen, dass in allen Politikfeldern, wie zum Beispiel Verkehr, Stadtentwicklung oder auch Kultur und Sport, das Handeln in Bezug auf seine Relevanz für die Inklusion von Menschen mit Behinderung mitbedacht und mitgeprüft wird.

(Beifall bei der SPD und bei Olaf Ohlsen CDU)

Welche Hürden müssen wir nehmen? Bislang haben wir es als Gesellschaft noch nicht geschafft, die Welt wie Menschen mit Behinderung zu erleben und wahrzunehmen. Wenn wir mit Menschen mit Behinderung in Kontakt kommen, gibt es häufig noch Berührungsängste, Vorbehalte und Vorurteile. Menschen mit Behinderung haben schlechtere Chancen und Startbedingungen. Dies gilt es abzubauen, doch das ist ein Lernprozess. Dafür werden wir uns als SPD-Fraktion in Hamburg einsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Welchen Gewinn werden wir in einer inklusiven Gesellschaft haben? Sie wird unseres Erachtens geprägt sein von Vielfalt, Facettenreichtum, dem Nutzen individueller Stärken, einem umsichtigen Miteinander und solidarischer Gemeinschaft.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die SPD-Fraktion fordert daher, den Inklusionsgedanken als Leitorientierung in allen Politikfeldern der Stadt Hamburg zu verankern. Die Leitorientierung soll nach innen, in die Behörden und politischen Gremien, handlungsleitend und motivierend wirken und in der Außenwirkung den Inklusionsgedanken weitertragen. Der Senat wird um die Prüfung der Umsetzung gebeten. Mit dem Inklusions-Check wird Hamburg auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft im Sinne der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung einen großen Schritt vorankommen. Stimmen Sie unserem Antrag zu. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Frau Wolff.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dem vorliegenden Antrag könnten wir bestimmt noch einiges hinzufügen, es steht aber auch nichts Falsches drin. Von daher wollen wir gar nicht lange daran herummeckern. Es kommt nicht jeden Tag vor, dass die SPD eine gute Idee einbringt, von daher wollen wir dem Antrag auch gerne zustimmen.

(Ksenija Bekeris SPD: Wir hatten eine gute Idee, Frau Wolff!)

Aber wir möchten natürlich noch die eine oder andere Bemerkung dazu machen. Grundsätzlich ist die Inklusion natürlich ein wichtiges Thema, das wir auch im Ausschuss immer wieder gemeinsam und überparteilich gut diskutieren. Ich hoffe nur, dass wir diesen ganzheitlichen Ansatz, den Sie, Frau Jäck, jetzt wählen wollen, in der Umsetzung des Landesaktionsplans tatsächlich auch wiederfinden können und dass er nicht – wie der Landesaktionsplan zur öffentlichen Unterbringung – um knapp ein Jahr verschoben wird, sondern dass wir ihn relativ bald vorgelegt bekommen.

(Beifall bei der CDU)

Die Umsetzung der UN-Konvention wird für uns alle und auch für die Stadt eine große Herausforderung sein, birgt aber natürlich auch ganz große Chancen für die betroffenen Menschen. Dazu kann bestimmt das neu eröffnete Inklusionsbüro einen wertvollen Beitrag leisten und wir als CDU freuen uns sehr darüber, dass Thomas Bösenberg die Leitung übernommen hat und diesen wertvollen Beitrag leisten kann. Und auch wenn Herr Scheele heute nicht da ist, möchte ich doch ganz herzlich darum bitten – vielleicht kann ihm jemand diese Bitte überbringen –, dass er und die SPD mit Herrn Bösenberg dieses Mal ein bisschen pfleglicher umgehen als in seiner letzten Funktion.

(Dirk Kienscherf SPD: Wenn er gut funktio- niert, machen wir das! – Jan Quast SPD: Wenn er durch Leistung überzeugt!)

Nichtsdestotrotz finde ich nicht wahnsinnig viel Konkretes in dem Antrag, aber auch nichts Falsches. Von daher bleibt uns in dem Fall nichts anderes übrig als ihn anzunehmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Frau Fegebank.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Als ich Ihren Worten gelauscht habe, Frau Jäck, und auch die Überschrift zu diesem Antrag gelesen habe, "Inklusion als Leitorientierung für Hamburg", dachte ich, das wird jetzt die große gesellschaftspolitische Grundsatzdebatte zum Thema Inklusion, also zu einem weitaus bedeutenderen Thema als zu dem,

was Sie als Prüfauftrag in Ihr Petitum geschrieben haben. Deshalb muss ich in der Sache, ähnlich wie Frau Wolff, sagen, da steht nichts Falsches drin. Und sicherlich kann man auch den Senat auffordern zu prüfen, wie der Inklusionsgedanke in künftigen Drucksachen als Prüfauftrag verankert wird. Aber dies wird dem Thema in keiner Weise gerecht, das wir als Haus gesamtgesellschaftlich natürlich auch bewegen wollen, wie wir in früheren Debatten immer wieder angesprochen haben.

(Beifall bei der GAL und bei Katharina Wolff CDU)

Ich finde es geradezu absurd – das soll in keiner Weise die Gedanken, die Sie geäußert haben, schmälern, Frau Jäck –, dass Sie als Fraktion den Senat mit etwas beauftragen, das der Senat doch bei der Verkündung der Drucksachen von sich aus ganz einfach machen könnte. Dieser Antrag hat für mich eher den Charakter eines Abgeordnetenbeschäftigungsprogramms und ich frage mich, ob Ihnen die Anträge und die Debattenanmeldungen ausgegangen sind.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Auch von Senatsseite – ich spreche nicht für den Senat –

(Dirk Kienscherf SPD: Gott sein Dank!)

würde ich das als Aufforderung begreifen, Nachhilfe von der SPD-Bürgerschaftsfraktion anzunehmen, wie künftig Drucksachen ausgestaltet sein sollen und können. Und auch das finde ich einfach der Debatte nicht wert.

(Gabi Dobusch SPD: Nee, wir machen es einfach, das ist besser so!)

Deshalb mache ich es jetzt auch sehr kurz und knapp: Über Inklusion, über Abbau von Barrieren, über gleichberechtigte Teilhabe, über einen emanzipatorischen Sozialbegriff, über die Haltung und Handlungsweise von Behörden und Verwaltungen rede und diskutiere ich hier sehr gern. Aber ein reiner Prüfauftrag an den Senat, der so gewichtig eingeleitet wird und so gewichtig als Leitorientierung beschrieben wird, ist eigentlich eine längere Debatte nicht wert. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort bekommt Frau Kaesbach.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich sage gleich vorweg, wir unterstützen ebenso den SPDAntrag,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Nichts anderes wollen wir!)

aber erklären genauso wie zuvor Frau Wolff und Frau Fegebank, dass wir ungeduldig auf den Landesaktionsplan warten. Und dieser Antrag ist nur ein kleiner Baustein in dem ganzen Thema Behindertenpolitik.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ja!)

Der Inklusionsgedanke ist wesentlicher Bestandteil der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, die Deutschland – und damit auch Hamburg – im Jahr 2009 ratifiziert hat. Diesem Leitmotiv fühlen wir uns verpflichtet. Das bedeutet nun aber nicht, dass Inklusion, also die Schaffung von Bedingungen, die Menschen mit Behinderung gleichberechtigt teilhaben lassen – Frau Jäck hat noch eine etwas differenziertere Definition geliefert –, sofort in allen gesellschaftlichen Bereichen eingeführt wird. Das wäre zwar ideal, aber weder finanziell noch organisatorisch umsetzbar. Doch bedeutet das zu prüfen, wie der Inklusionsgedanke besser in der Arbeit des Senats, der Bürgerschaft, der Behörden und der Bezirke verankert werden kann. Die Berücksichtigung des Inklusionsgedankens ist zum einen ein wichtiger Beitrag zur Bewusstseinsbildung und zum anderen ein wichtiger Präventionsansatz.

Meine Damen und Herren! Vor nicht allzu langer Zeit haben wir an dieser Stelle über die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung gesprochen. Dabei wurde deutlich, dass noch viel zu tun ist. Viele Mobilitäts- und Teilhabeeinschränkungen können vermieden werden, wenn Menschen mit Handicap und ihre speziellen Bedürfnisse von Anfang an mitgedacht werden.

(Beifall bei der FDP)

Die Einbeziehung des Inklusionsgedankens bei Gesetzesinitiativen und politischen Vorhaben von Anfang an stärkt nicht nur die Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Handicap – wie zum Beispiel die Schaffung von kreativen Anreizmodellen für Unternehmen, Menschen mit Handicap einzustellen, oder die verstärkte Betreibung der Ambulantisierung, indem Träger unterstützt werden, geeignete Wohnprojekte zu bauen –, die Berücksichtigung des Inklusionsgedankens von vornherein verhindert auch teure Nachbesserungen und Umbaumaßnahmen, Stichwort: Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr. Hier greift zwar schon das AGG, die Implementierung des Prüffaktors wirkt aber als Verstärker.

Auf eines möchte ich noch hinweisen. Das Petitum des Antrags lautet: