Protokoll der Sitzung vom 09.05.2012

(Andy Grote SPD: Ich glaube, Sie haben ein Problem mit Autoritäten!)

Diskussionen und Kritik oder eine Überprüfung seiner Vorgaben werden in diesem Senat nicht mehr durchgeführt. Olaf Scholz hat in diesem Kollegium des Senats, das über viele Jahre hinweg so funktionierte, dass der Bürgermeister als Erster unter Gleichen agierte, ein Prinzip konstituiert, dass man nur mit Befehl und Gehorsam beschreiben kann.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Aber heute ist die Stunde des Parlaments, denn dieser Senat wird nicht die letzte Entscheidung haben. Diese Entscheidung haben wir als Volksvertreter, als vom Volk gewählte Abgeordnete zu treffen. Es mag sein, dass dieser Bürgermeister in seinem Senat das Prinzip von Befehl und Gehorsam durchgesetzt hat, aber in einer parlamentarischen Demokratie, gerade auch in Hamburg mit seiner jahrhundertealten Tradition,

(Wolfgang Rose SPD: Keine Belehrungen über Demokratie!)

hat das Prinzip von Gehorsam und Befehl nichts zu suchen.

(Beifall bei der GAL, der CDU und bei Katja Suding FDP)

Wenn Sie heute diese Entscheidung treffen, dann sollten Sie daran denken, dass Sie Ihr Mandat nicht Olaf Scholz verdanken. Sie sind von Bürgerinnen und Bürgern gewählt worden und ihnen gegenüber verantwortlich. Sie sind in Ihrer Entscheidung frei und nur Ihrem Gewissen verpflichtet. Und wenn es heute darum geht, diese Entscheidung zu treffen, dann verlangen wir von Ihnen, dass Sie sich dieser Verantwortung stellen. Wir werden deshalb heute auch wieder eine namentliche Abstimmung beantragen. Bei dieser Entscheidung erwarten wir von Ihnen, dass Sie eine kluge, eine verantwortungsbewusste, aber auch eine unabhängige Entscheidung treffen. Die Bürgerschaft darf heute diesen miserabel ausgehandelten Verträgen zum Nachteil der Stadt nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Herr Dr. Kluth, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren heute nicht das erste Mal über den Netzdeal des Senats und die Energiewendekonzeption. Ein Resümee hat sich für die FDP schon ergeben: Maximaler Preis bei minimalem Nutzen.

(Beifall bei der FDP)

Darüber hat sich im Verlauf des Verfahrens ein zweites Resümee ergeben: Maximale Täuschung bei minimaler Transparenz.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der GAL)

Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten einen veritablen Skandal erlebt, eine Missachtung des Parlaments und der Abgeordneten. Wie eine tibetanische Gebetsmühle hat uns der Senat seit November immer wieder zu erklären versucht, dass die Beteiligung an den drei Netzgesellschaften für die Stadt ein sicheres Geschäft sei, ein 543,5-Millionen-Euro-Investment ohne Risiko. Ich zitiere Senator Tschentscher am 2. April im Haushaltsausschuss:

"Bei der 25-Prozent-Beteiligung mit Garantiedividende, 4,2 beziehungsweise 4,5 Prozent, haben wir kein nennenswertes […] Risiko.

Ich zitiere weiter:

Und die Verträge sehen vor, dass in fünf Jahren dann eine erneute Kaufpreisanpassung, eine erneute Vereinbarung zur Garantiedividende erfolgen kann, die uns dann wieder in die Lage setzt, für einen langen Zeitraum die Refinanzierung zu sichern."

Ende Zitat Senator Tschentscher in der Sitzung des Haushaltsausschusses vom 4. April.

Aber wie sieht nun die Wahrheit aus? Bereits am 11. November des vergangenen Jahres wurde ein Dokument verfasst, in dem es heißt, dass bei der Beteiligung an den Netzgesellschaften trotz der Garantiedividende ein– ich zitiere – "längerfristiges Risiko" existiere und praktisch kein Spielraum zur Tilgung der 543 Millionen Euro neuen Schulden, die die Stadt machen muss, vorhanden sei. Mit anderen Worten: In diesem Dokument werden genau die Bedenken angesprochen, die wir von der Opposition seit Monaten am Netzziel des Senats kritisieren. Frage: Wer hat dieses Dokument verfasst? Antwort: Niemand Geringeres als der Geschäftsführer der HGV, Herr Klemmt-Nissen, der die Verhandlungen mit Vattenfall und E.ON maßgeblich geführt hat. Und es kommt noch besser. Frage: Wer waren die Adressaten dieses Dokuments?

Antwort: Die Mitglieder der Lenkungsgruppe Netze. Frage: Wer sind die Mitglieder dieser Lenkungsgruppe? Antwort: Senator Tschentscher, Senatorin Blankau, Senator Horch und Staatsrat Krupp. An den Sitzungen der Lenkungsgruppe am 8. und 22. November, also wenige Tage, nachdem Herr Klemmt-Nissen seinen Vermerk verfasst hat, hat Bürgermeister Scholz persönlich teilgenommen. Mit anderen Worten: Die Senatoren Tschentscher, Blankau und Horch, Staatsrat Krupp und vermutlich auch Bürgermeister Scholz kannten bereits seit November 2011 den Vermerk von Herrn Klemmt-Nissen über die langfristigen Risiken für die Stadt und den praktisch nicht bestehenden Spielraum, diese Schulden wieder zu tilgen. Das alles ist nachzulesen in der Antwort des Senats auf meine Anfrage, der Drucksache 20/4009.

Meine Damen und Herren! Für einen Senat ist es grundsätzlich möglich und zulässig, wirtschaftliche Risiken einzugehen, selbst über 543 Millionen Euro. Aber man muss diese Risiken benennen, um sie beurteilen und abwägen zu können. Nur das ermöglicht eine solide Entscheidung, nur das wäre ordentliches Regieren. Hat nun Bürgermeister Scholz in seiner Regierungserklärung am 14. Dezember über diese Risiken gesprochen? – Fehlanzeige. Wird das von Herrn Klemmt-Nissen dargestellte Risiko in den beiden maßgeblichen Drucksachen vom November des vergangenen Jahres oder vom Januar dieses Jahres auch nur mit einem Wort erwähnt? – Erneut Fehlanzeige. Oder sind die von Herrn Klemmt-Nissen benannten Risiken in irgendeiner der insgesamt fünf Ausschussberatungen mit Senatsbeteiligung auch nur ein einziges Mal durch die Senatsvertreter, also durch Herrn Tschentscher, Frau Blankau oder Herrn Horch zur Sprache gebracht worden? – Erneut Fehlanzeige. Erst nach der ersten Lesung des Senatsantrags in der Bürgerschaft und vor der heutigen Bürgerschaftssitzung, nämlich in seiner Antwort vom 4. Mai, hat der Senat erstmals eingeräumt, dass bei dem Netzdeal trotz der Garantiedividende ein längerfristiges Risiko bestehe und kaum Spielraum vorhanden sei, die dazu erforderlichen neuen Schulden zu tilgen.

Meine Damen und Herren! Ordentliches Regieren sieht anders aus,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das hatten wir auch schon mal!)

größtmögliche Transparenz erst recht. Schon dieses Vorgehen des Senats sollte ausreichen, diesen Antrag hier und heute nicht zu beschließen, sondern auszusetzen, bis der Landesrechnungshof über das Prüfungsersuchen der Bürgerschaft entschieden hat.

(Beifall bei der FDP und bei Robert Heine- mann und Dr. Walter Scheuerl, beide CDU)

Ich fasse die Kritik der FDP-Fraktion am Netzdeal noch einmal zusammen: Der Senat täuscht mit seinem Energiewendekonzept die Hamburger Bürger und Bürgerinnen, er täuscht sie gleich in mehrfacher Hinsicht.

Erste Täuschung: Die Beteiligung an den Energienetzen bringt für die Energiewende und den Klimaschutz nichts. Wer etwas für die Energiewende tun will, der muss bei der Energiegewinnung ansetzen oder beim Energieverbrauch, aber nicht bei der Übermittlung.

(Beifall bei der FDP)

Zweite Täuschung: Die Beteiligung an den Energienetzen bringt auch für die Verbraucher nichts, denn die Tarife – Herr Quast hat es selber eben vorgetragen – sind ohnehin reguliert und werden von der Bundesnetzagentur beziehungsweise der Kartellbehörde kontrolliert.

Dritte Täuschung: Es bleibt letztlich auch nach dem Netzdeal strukturell alles beim Alten. Vattenfall und E.ON gliedern den Betrieb der Netze auf Betriebsgesellschaften aus. An diesen drei Betriebsgesellschaften beteiligt sich die Stadt und zahlt einen auf Pump finanzierten Kaufpreis von 543 Millionen Euro. Zugleich werden wesentliche Teile der operativen Tätigkeiten der Netzgesellschaften durch ein intransparentes Geflecht von Leistungsund Dienstleistungsverträgen wieder auf die Beteiligungstochter oder Enkelgesellschaften der Konzerne Vattenfall und E.ON übertragen. Erneut ergibt sich ein maximaler Preis für einen minimalen Nutzen.

Vierte Täuschung: Die angeblichen Investitionsverpflichtungen von Vattenfall und E.ON, mit denen Bürgermeister Scholz sein Energiewendekonzept dekoriert hat, wären für Instandsetzungs- und Modernisierungsinvestitionen zum Teil sogar auf gesetzlicher Grundlage ohnehin entstanden.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Was denn jetzt? Ganz oder zum Teil?)

Dass die Investitionsverpflichtungen für den Ersatz des Kraftwerks Wedel und die Minderinvestitionen durch den Verzicht auf die Fernwärmetrasse von Moorburg nach Altona mit etwa 250 Millionen Euro ohnehin angefallen wären, fällt in der Diskussion völlig unter den Tisch.

Fünfte Täuschung: Der Netzdeal ist mit erheblichen langfristigen Risiken für die Stadt verbunden. Spielraum für die Tilgung besteht kaum und von den darüber hinaus notwendigen Investitionen für die Modernisierung der Netze war bislang überhaupt noch nicht die Rede. Das ist nichts anderes, wir haben es bereits mehrfach in dieser Debatte vorgetragen, als haushaltspolitischer Blindflug.

(Beifall bei der FDP)

Sechste Täuschung: Das GuD-Innovationskraftwerk steht unter Wirtschaftlichkeitsvorbehalt.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das stimmt nicht! Die Frage des Standorts wird jetzt wirtschaftlich geprüft, nicht das Kraftwerk an sich!)

Herr Dressel, lesen Sie doch die Senatsvorlagen und den Kooperationsvertrag. Die SPD-Fraktion ist hier die größte, aber von Schwarmintelligenz vermag ich nicht viel zu bemerken.

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der CDU und bei Jens Kerstan – Zurufe von Jens Kerstan, beide GAL und Jan Quast SPD)

Siebte Täuschung: Die Verträge sind nicht gut und sorgfältig ausgehandelt, sondern schlecht und unsorgfältig. Vollkommen übliche Due-Diligence-Prüfungen haben nicht stattgefunden, und die Ergebnisse der rechtlichen Due Diligence sind darüber hinaus bei den Bewertungsgutachten der Wirtschaftsprüfer sogar ausdrücklich ausgeschlossen worden.

Schließlich die achte Täuschung: All das, was ich eben vorgetragen habe, Täuschung eins bis Täuschung sieben, weiß der Bürgermeister natürlich ganz genau, denn der einzige Zweck der Übung ist es doch, der Volksinitiative den Wind aus den Segeln zu nehmen. Herr Bürgermeister, wenn Sie keine Verstaatlichung der Netze wollen, dann führen Sie die Auseinandersetzung mit der Volksinitiative, aber vergeuden Sie nicht 543 Millionen Euro, die die Stadt nicht hat oder an anderer Stelle dringender braucht.

Die FDP lehnt die Beteiligung der Stadt an den Netzen ab, ganz gleich, ob zu 25 oder zu 100 Prozent. Wir haben hierfür die besseren Argumente und wir freuen uns daher auf die Auseinandersetzungen mit der Volksinitiative im Rahmen des Volksentscheids. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Walter Scheuerl und Roland Heintze, beide CDU)

Frau Heyenn, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben über das Thema Netze und die neuen Verträge, die der Senat mit E.ON und Vattenfall abgeschlossen hat, schon häufig diskutiert. Herr Quast, Sie haben heute noch einmal die Gelegenheit ergriffen, um inhaltlich zu diskutieren, und dazu muss ich Ihnen vorwerfen, dass Sie offenkundig nicht zugehört haben, welche Gegenargumente genannt worden sind.

(Andy Grote SPD: Trotzdem kann man doch anderer Meinung sein!)

(Dr. Thomas-Sönke Kluth)

Sie haben nicht ein einziges Gegenargument aufgenommen, sondern Sie haben einfach die gleichen Argumente, die schon in der Pressekonferenz von Bürgermeister Olaf Scholz genannt wurden, wiederholt.

(Jan Quast SPD: Da haben Sie auch nicht zugehört!)

Die Kritik aus den öffentlichen Anhörungen, dass der Netzdeal mit der Energiewende nichts zu tun hat und dass die öffentlichen Investitionen sowieso getätigt werden müssten, haben Sie in keiner Weise berücksichtigt.