Arbeitsstress macht krank, psychische Belastungen nehmen dramatisch zu – was tut Hamburg für den betrieblichen Gesundheitsschutz?
Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Der Hamburger Gesundheitspreis wurde in diesem Jahr an fünf Unternehmen vergeben. Er wurde zum siebten Mal durch die Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung ausgelobt. Dieses Mal hatten sich 20 Betriebe beworben, und die Jury stellte übereinstimmend fest, dass ihr die Auswahl sehr schwergefallen sei. Unter anderem wurden die Sozialstation des Deutschen Roten Kreuzes Lokstedt-Stellingen und E.ON Hanse ausgezeichnet. Herzlichen Glückwunsch für diesen vorbildlichen Einsatz für betrieblichen Gesundheitsschutz.
Hamburg hat es bitter nötig, sich im betrieblichen Gesundheitsschutz zu engagieren, denn psychische Erkrankungen sind besonders in den Metro
polen auf dem Vormarsch. So waren im vergangenen Jahr Berlin und Hamburg Spitzenreiterinnen mit jeweils 179 Fehltagen aufgrund psychischer Erkrankungen pro 100 Versicherte. Im Bundesdurchschnitt gab es nur 134 Ausfalltage. Extrem hoch liegen die Zahlen im Gesundheitswesen und bei der Verwaltung.
Der Gesundheitssenatorin ist das Thema natürlich gut bekannt, und sie hat sich auch bereits mehrfach dazu geäußert, speziell zum Versorgungssystem der Stadt. Sie sieht Handlungsbedarf, vor allem in Bezug auf die Wartezeiten für Erstgespräche oder einen ambulanten Therapieplatz. Außerdem sei eine intensivere Vernetzung von Ärzten, Psychotherapeuten und Krankenhäusern nötig und ergänzende psycho-soziale Hilfen. DIE LINKE unterstützt den Senat darin, dies auszubauen.
Sehr geehrte Abgeordnete! Es sind unter anderem Burnout-Syndrome, Depressionen und Angststörungen, an denen immer mehr Menschen erkranken. Wie die Links-Fraktion in einer Schriftlichen Kleinen Anfrage im letzten Jahr herausgefunden hat, steigt auch die Anzahl der Frühverrentungen dramatisch. Hamburg muss daher ausreichend Angebote bereitstellen, um die Betroffenen wieder gesund zu machen.
Ich möchte jetzt mit Ihnen einen Schritt zurückgehen in die Zeit, bevor ein Mensch psychisch erkrankt. Was passiert da im Betrieb? Zunächst ist da die immer weiter ansteigende Arbeitsverdichtung. Jobs werden nicht wieder besetzt, neue Software beschleunigt Workflows, ständige Restrukturierungen sorgen für fortwährende Unruhe. Und wenn eine Unternehmensleitung veröffentlicht, Kündigungen nicht mehr ausschließen zu können, wie jetzt aktuell bei OTTO, dann wirkt sich das direkt auf die Seele des Menschen aus. Denn die Ursachen für den ständigen Anstieg psychischer Erkrankungen liegen in der Arbeitsverdichtung, in der Angst um den Job und im wachsenden Konkurrenzdruck. Deswegen reichen Preisverleihungen und Ausbau von Behandlungen nicht aus.
Es muss etwas geschehen, dass der Mensch gar nicht erst durch die Arbeit erkrankt. In den meisten Chefetagen und Personalabteilungen wird das Thema jedoch geleugnet, sogar geradezu ideologisch bekämpft. Ein Burnout wird als Einzelfall gesehen, eine Depression sei immer im privaten Bereich verursacht. Ich vermisse seitens des Senats eine klare Kritik an Hamburgs Unternehmen. Bauchpinseln und Loben ist gut, aber es muss auch getadelt werden und es müssen gesetzliche Initiativen eingebracht werden.
Wenn sich nur 20 Betriebe für den Gesundheitspreis beworben haben, dann duckt der Senat sich weg, wenn er die anderen Betriebe ohne ein klares Wort weitermachen lässt wie bisher.
Aus den Antworten auf die Schriftliche Kleine Anfrage meiner Kollegin Jutta Krellmann aus der Bundestagsfraktion DIE LINKE zu psychischen Belastungen in der Arbeitswelt wird deutlich, dass die Ursachen von psychischen Erkrankungen unter anderem in der fortlaufenden Beschleunigung, der permanenten Erreichbarkeit, erhöhten Eigenverantwortung, diskontinuierlichen Beschäftigungsverhältnissen und beruflicher Unsicherheit liegen. Das Problem ist vor allem die Entgrenzung, denn Arbeit und der Rest des Lebens fließen ineinander. Die Erwerbstätigkeit dient nicht mehr dazu, alles andere zu ermöglichen, sie wird zum Lebensinhalt, sie endet nie. Das ist krank und das macht krank.
Die schwarz-gelbe Koalition sieht im Hinblick auf diese Widersprüchlichkeit natürlich keine Notwendigkeit für rechtsetzende Schritte. Grenzenloses Unternehmertum ist ihr heilig. Sie setzt lediglich auf die gemeinsame deutsche Arbeitsschutzstrategie GDA, zu deren Zielen zwar die Vermeidung psychischer Belastungen zählt, was aber wieder einmal nur die Verbreitung guter Praxisbeispiele bedeutet.
Das ist bedauerlich. Dann bringe ich einen letzten Satz. Wir sehen es als erforderlich an, uns ab sofort mehr mit dem Thema in der Bürgerschaft zu beschäftigen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Es freut mich selbstverständlich, Frau Kollegin Artus, dass Sie zu Beginn Ihrer Rede Hamburg so gelobt und erwähnt haben, was in dieser Hinsicht schon geschieht. Die Einzelheiten zu dem, was in der Tat alles schon an Informationskampagnen und Initiativen auf betrieblicher Ebene und insgesamt hamburgweit geschieht, wird später die Senatorin noch aufzählen.
Ich möchte Ihnen lediglich bestätigen, dass die Arbeitsbedingungen und Arbeitsverdichtungen, insbesondere auch die Art und Weise der Informati
onsverarbeitung, die jederzeitige Erreichbarkeit, die wir selbst auch mitmachen, und die Angst vor Arbeitsplatzverlust dafür sorgen, dass die psychischen Erkrankungen insgesamt zunehmen.
Auch Dinge wie die Sieben-Tage-Woche, die Ausweitung der Wochenarbeitszeit werden dem sicherlich nicht entgegenstehen. Von daher ist es auch sinnvoll, insbesondere in der Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, dafür zu sorgen, dass die Arbeitsbedingungen so gestaltet werden, dass diese Art der Erkrankungen nach Möglichkeit nicht weiter fortschreitet.
Sie haben die Schriftliche Kleine Anfrage erwähnt, die Ihre Fraktion im Bundestag gestellt hat. Dort wird in der Tat auch deutlich, dass genau diese Dinge die Ursachen dafür sind, dass diese Erkrankungen immer weiter auf dem Vormarsch sind.
Was kann man dagegen tun? Von Hamburger Seite aus aufklären, in die Betriebe gehen und die Betriebe aufklären, was gemacht werden kann. Der Pakt für Prävention ist nur ein Beispiel dafür, wie man über Zusammenarbeit an dieser Stelle auch ein Stückchen weiterkommen kann. Es geschieht schon einiges, die Einzelheiten wird Frau Senatorin gleich aufzählen. Insofern freue ich mich, dass wir uns im Grunde einig sind, und ich weiß jetzt nicht, wie ich diese fürchterliche Anmeldung in der Aktuellen Stunde kontrovers weiterführen sollte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Woran mag es liegen, dass wir in Hamburg so viel mehr psychisch Erkrankte in der Arbeitswelt haben als in anderen Städten? Ich denke, es ist ein Strukturproblem oder eine Strukturfrage der Hamburger Wirtschaft.
Wir haben eine sehr hohe Dienstleistungsquote, und Frau Artus hat eben erwähnt, dass die Erkrankungen in erster Linie in der Verwaltung und im Gesundheitswesen auftreten. Im produzierenden Gewerbe finden Sie das kaum. Ich habe mich noch heute Mittag mit einem Vorstandsmitglied einer Hamburger Krankenkasse unterhalten. Er sagte mir, dass es überwiegend Frauen beträfe im Alter zwischen 35 und 50. Also haben wir es hier auch mit dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun. Dies ist nicht nur eine Frage des Themas Arbeitsschutz, sondern ein wesentlich größeres Thema. Herr Schäfer hat eben angekündigt, dass die Senatorin ausführen wird, was die Behörde alles macht. Deswegen brauche ich vielleicht gar nicht in dem Umfang darauf einzugehen, wie ich es vorbereitet hatte.
Aber, Frau Artus, lassen Sie mich zwei Zahlen nennen. Im Arbeitsschutzbericht, der alle zwei Jahre aufgelegt wird von der Behörde und zuletzt 2010 veröffentlicht wurde, ist erwähnt, dass zu dem Zeitpunkt 3365 Betriebe auf Arbeitsschutz überprüft wurden. Die Ergebnisse waren deutlich überwiegend positiv. Und 224 Unternehmen sind ausgezeichnet mit der Arbeitsschutzanerkennung, die höchste Auszeichnung, die in Hamburg für dieses Thema vergeben wird. Es sind nicht nur die 20 Betriebe, die sich dieses Mal beworben haben.
Warum haben sich nur 20 Betriebe beworben? Die Ansprüche sind nicht ganz klein, und es ist natürlich auch für die Unternehmen ein Aufwand, das alles zu dokumentieren und darzustellen. Viele scheuen vielleicht den Aufwand. Aber es wird eine Menge getan seitens der Behörden und seitens der Unternehmen. Es gibt allein 70 Publikationen, die jeder abrufen kann, in einer entsprechenden Darstellung der Behörde. Es gibt das "Forum Arbeitswelt", das halbjährlich erscheint. Es brachte beispielsweise im April dieses Jahres das Thema psychische Belastung bei der Arbeit. In der vorletzten Ausgabe gab es das Thema: Frauen sind anders, Männer auch.
Aber auch die Unternehmen tun eine Menge. So gibt es in der Handelskammer den Arbeitskreis für betriebliches Gesundheitsmanagement, in dem genau diese Themen bearbeitet werden.
Ich glaube nicht, dass wir hier nach mehr Staat rufen müssen. Wir haben die Arbeitsschutzpartnerschaft in Hamburg gebildet zwischen Behörde, den Kammern und den Gewerkschaften. Dort wird eine Menge vorbereitet und eine Menge geleistet. Ich denke, dass wir auf einem ganz hervorragenden Weg sind in Hamburg. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Diese Debatte zum Thema "Psychische Belastungen am Arbeitsplatz" klingt tatsächlich relativ einvernehmlich, aber gleichzeitig bleibt natürlich die Frage, welches die Ebenen sind, auf denen wir etwas tun müssen, auf denen die Betriebe etwas tun müssen. Können wir eigentlich durchgehen lassen, dass die Bundesregierung sagt, sie sehe keinen Handlungsbedarf? Ich glaube, wir können das nicht durchgehen lassen.
Es ist tatsächlich so, wie meine Vorredner und meine Vorrednerin es eben schon beschrieben haben. Es gibt sehr viel Material, es gibt Seminare, es gibt Workshops, Informationen und Initiativen. Aber trotzdem muss man zur Kenntnis nehmen, dass der Anteil der Menschen, die in der Arbeit und durch die Arbeit psychisch erkranken, rapide ansteigt; also muss man mehr tun.
Ich glaube auch, dass Hamburg auf einem guten Weg ist. Ich würde mir allerdings ein bisschen mehr konkretes Vorgehen wünschen. Herr Schäfer, wenn Sie beispielsweise sagen, eine Sieben-Tage-Arbeitswoche sei ein Problem, dann fehlt mir schlicht und einfach das Thema Mindestlohn an dieser Stelle.