Protokoll der Sitzung vom 07.11.2012

Man muss sich einmal die Konzeption der verschiedenen Betreuungsgelder ansehen. Dazu will ich ein Beispiel anführen, das Sie selbst gebracht haben. Ich finde es übrigens sehr richtig und erzähle es überall, wenn ich zum Thema Betreuungsgeld eingeladen bin. Es ist als Belohnung für die Nichtinanspruchnahme einer staatlichen Leistung konzipiert. Sie selbst haben das treffende Beispiel gebracht, es sei wie eine Sofa-Prämie, die man bekommt, wenn man nicht die Oper besucht. In Wahrheit geht es um noch sehr viel Grundsätzlicheres, weil es nämlich lebenswichtig sein kann, einen geeigneten Betreuungsplatz zu finden, wenn man einer Berufstätigkeit nachgehen will oder muss. Was das später für die Rentenansprüche bedeutet, das will ich gar nicht ausführen.

Wir können in Hamburg markige Beschlüsse fassen oder nicht, da haben Sie recht. Es sei aber noch einmal der Appell von verschiedenen Parteien und auch von mir persönlich ausgesprochen: Sie haben es in Berlin in der Hand, das Betreuungsgeld nicht umzusetzen. Sie haben es in der Hand, machen Sie Werbung unter Ihren Bundestagsabgeordneten. Die FDP-Frau Canel ist da schon sehr weit und hat sich eindeutig geäußert, auch Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat sich eindeutig geäußert, übrigens auch zur Klageoption. Sie hat die Bundesregierung schon im April davor gewarnt, dass eine solche Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg haben könnte und sie ihrer Regierung nicht empfehle, dort zu unterliegen.

(Beifall bei der SPD und bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Ein weiterer und mein letzter Punkt betrifft das Thema Betreuungsgeld aus haushalterischer Sicht. Von den GRÜNEN und der LINKEN ist viel dazu gesagt worden, was durchaus richtig ist und wir in vollem Umfang unterstützen. Hier müssten auch die Letzten, auch ein Herr Wersich als ehemaliger Sozialsenator und auch Frau Prien – welches Familienbild auch immer dahintersteht –, aufmerken. Von den 2 Milliarden Euro, die für das Betreuungsgeld eingeplant sind, kann man bundesweit – Herr Scheele hat es gesagt – 166 000 Krippenplätze für frühe Bildung und Betreuung einrichten. Man könnte also 166 000-mal Eltern die Möglichkeit geben, ihrer Berufstätigkeit nachzugehen. Was das an Steuereinnahmeverlusten bedeutet, was Sie hier veranstalten, was das später für die Betroffenen an Rentenverlusten bedeutet, das ist hier überhaupt noch nicht zur Sprache gekommen. Das ist aber wichtig und nur, wenn man das mitbedenkt, widmet man sich dem Thema Betreuungsgeld richtig. Es

ist ein familienpolitisches Fiasko. Wirken Sie darauf hin, dass das unterlassen wird.

(Anhaltender Beifall bei der SPD, der LIN- KEN und den GRÜNEN)

Herr Wersich hat das Wort.

(Robert Bläsing FDP: Jetzt kommt die libera- le Großstadtpartei!)

Meine Damen und Herren! Ich finde, der Verlauf der Debatte zeigt das Fehlen jeglicher Argumentation zur Situation in Hamburg und er zeigt, dass die Anmeldung der SPD nur eines war, nämlich der Versuch, eine vorgezogene Bundestagswahlkampfdebatte zu führen.

(Beifall bei der CDU und bei Finn-Ole Ritter FDP)

Ich verstehe das angesichts Ihrer gesamtpolitischen Situation in Deutschland, aber das ist für die Hamburgische Bürgerschaft zu früh und zu wenig.

(Beifall bei der CDU und bei Finn-Ole Ritter FDP)

Insofern kommt natürlich auch der Verdacht auf, dass Sie sich in einem Moment, wo in Hamburg Jugendeinrichtungen oder Familienfördereinrichtungen durch Ihre politischen Entscheidungen vor dem Aus stehen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Welche? – Dirk Kienscherf SPD: Welche stehen vor dem Aus?)

nun ein Thema suchen, mit dem Sie glauben, von Ihrer negativen Bilanz bei der Förderung von Familien und Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen ablenken zu können.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben nichts zu Hamburg gesagt. Hier wird und wurde kein einziger Titel, der dem Ausbau der Kindertagesbetreuung dient, abgesenkt durch diese Entscheidung.

(Zurufe von der SPD)

Es wird und wurde, weil man ein Betreuungsgeld einführt, kein einziger Bundeshaushaltstitel abgesenkt, der zum Ausbau der Kindertagesbetreuung in Deutschland zur Verfügung steht. Dann bleibt doch eigentlich nur noch ein Argument, nämlich dass Sie uns vorwerfen, mit 100 Euro monatlich Männer und Frauen vom Arbeiten abzuhalten. Das ist gegenüber den Eltern, die sich entscheiden, ihre Kinder zu Hause zu erziehen, nicht in Ordnung, und dafür sollten Sie sich schämen.

(Beifall bei der CDU – Dirk Kienscherf SPD: Ganz schwach, Herr Wersich!)

Senator Scheele hat angekündigt, dass Hamburg gegen diese Regelung klagen wird. Ich möchte an dieser Stelle nur nüchtern darauf hinweisen, dass ich darin ein großes Problem sehe. Denn wenn die Länder gegen das Betreuungsgeld klagen wollen, womit wollen sie dann begründen, dass sich der Bund an der Aufgabe der Länder beteiligen soll, den Kita-Ausbau zu finanzieren.

(Beifall bei der CDU)

Sie sägen damit juristisch an dem Ast, auf dem Sie mit der Forderung gegenüber dem Bund sitzen. Deswegen ist diese Klage ein reines Wahlkampfmanöver. Den Tipp der GRÜNEN, auch wenn ich ihn nicht wegen des Ergebnisses teile, diese Klage nicht weiter zu verfolgen, würde ich Ihnen auch ans Herz legen. Wir haben in Hamburg in den vergangenen Jahren Konsens darüber gehabt, dass frühe Förderung von Kindern ab dem dritten Lebensjahr in Kindertagesbetreuung einen erheblichen Lebenschancenfortschritt für die Kinder bietet.

(Wolfgang Rose SPD: Eben!)

Wir haben einen Konsens darüber, dass wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern wollen.

(Wolfgang Rose SPD: Eben!)

Wir haben über Eltern-Kind-Zentren und die Jugendhilfe daran gearbeitet, dass Kinder, die von ihren Eltern nicht genug betreut werden, von staatlichen Angeboten, auch von verpflichtenden Angeboten, erreicht werden. Das ist unser Konsens, und auf dieser Grundlage haben wir es in Hamburg mit der CDU-Regierung geschafft, den Kita-Ausbau von allen westdeutschen Bundesländern am besten zu bewältigen.

(Dirk Kienscherf SPD: Das haben Sie nicht freiwillig gemacht! – Dr. Andreas Dressel SPD: Das haben Sie übernommen!)

Genau. Vorhin haben Sie so schön gesagt, das sei ursozialdemokratische Politik.

Dann schaue ich nach Bremen. Bremen hat die niedrigste Krippenquote aller deutschen Großstädte, Bremen wird von SPD und GRÜNEN regiert. Sie können doch nicht die CDU anklagen, die in Hamburg gezeigt hat, dass es geht,

(Beifall bei der CDU – Dr. Andreas Dressel SPD: Wir zeigen, dass es geht!)

für Eltern Wahlfreiheit zu gewährleiten, während das von Ihnen jahrzehntelang regierte Bundesland nicht in der Lage ist, auch nur im bundesdeutschen Durchschnitt mitzuhalten.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir haben in Hamburg sehr eindrucksvoll gezeigt, und deswe

(Dr. Melanie Leonhard)

gen will ich auf Hamburg zurückkommen, wie ernst wir die frühe Förderung von Kindern nehmen.

(Gabi Dobusch SPD: Mit der Gebührenerhe- bung war es sehr eindrucksvoll! – Dr. Andre- as Dressel SPD: Sie haben die Gebühren erhöht!)

Das haben wir mit der Einführung von Rechtsansprüchen, mit einem Wachstum an Kindertagesbetreuung und mit einem elternbezogenen Gutscheinsystem gezeigt, und das alles hat das Hamburger Kita-System bundesweit vorbildlich gemacht.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Auch mit der Ab- zocke!)

Wir haben gezeigt, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit einem Rechtsanspruch von Geburt des Kindes an am besten gefördert wird, und wir stehen für Wahlfreiheit. Das bedeutet, wenn jemand zu Hause bleiben und sich um das Kind kümmern möchte, können wir ihm diese 100 Euro gönnen,

(Gabi Dobusch SPD: Haben Sie Frau Prien zugehört?)

statt die Familien ideologisch anzuklagen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Fegebank.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Wersich, anscheinend haben wir einen wunden Punkt getroffen, denn sonst würden Sie sich nicht aufregen und zu Recht anmerken, dass hier ein Bundesthema angemeldet wurde, aber dann die ganze Zeit über Länder sprechen, in denen die Betreuungsquoten noch nicht erfüllt sind.

(André Trepoll CDU: Das hören Sie nicht gern!)

Es geht um unsere Haltung zum Betreuungsgeld, es geht um unsere Zustimmung oder Ablehnung, und sonst geht es in dieser Debatte um nichts.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – André Trepoll CDU: Es geht darum, warum Sie das ablehnen!)

Ich möchte noch eine Zahl nennen, um deutlich zu machen, wieso der Infrastrukturausbau für frühkindliche Bildung und die Frage nach der Unsinnigkeit des Betreuungsgeldes doch zusammenhängen. Von dem Betreuungsgeld könnte man 60 000 Erzieherinnen und Erzieher zusätzlich in Vollzeit einstellen. Das wäre ein sehr starkes Signal in Richtung Entlastung von Familien, Vereinbarkeit von Beruf und Familie,

(Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

und gleichzeitig würde das auch für einkommensschwache oder bildungsferne Familien Kita-Plätze bereitstellen. Schon das allein ist für mich ein Grund, immer und immer wieder zu sagen, dass dieses Betreuungsgeld völlig unnütz ist.