Protokoll der Sitzung vom 12.12.2012

(Beifall bei der FDP)

Ich appelliere deswegen noch einmal an Sie, Frau Senatorin, diese Planung zurückzuziehen und uns neu darüber nachdenken zu lassen. Jetzt ist dazu noch Zeit.

Meine Damen und Herren! Drei Grundgedanken sind aus Sicht der FDP-Fraktion dabei unverzichtbar.

Erstens: Wir müssen den Resozialisierungsgedanken noch viel mehr als bisher in den Mittelpunkt aller Konzepte stellen.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Schneider.

Das gilt besonders und gerade für die inhaftierten Frauen, die häufig überdurchschnittlich gute Prognosen für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft haben. Natürlich gilt das auch für Männer. Wir unterstützen deshalb auch den SPD-Antrag für ein stationäres soziales Training im Jugendarrest, weil er zumindest den Resozialisierungsgedanken mitträgt. Allerdings ersetzt diese geplante Maßnahme kein Gesamtkonzept. Nach unserer Auffassung muss dieses intensiver in ein Konzept einbezogen sein.

Zweitens: Die Möglichkeiten des offenen Vollzugs in Hamburg müssen dementsprechend ausgebaut werden. Das befürworten Sie zwar grundsätzlich, erhöhen aber de facto kaum die Haftplätze, gerade bei den Frauen nicht, da soll es bei 19 Plätzen bleiben.

Drittens: Inhaftierte Frauen dürfen im Vollzug nicht besonderen Gefahren ausgesetzt werden. Deshalb spricht alles für den Erhalt des Frauenhauses in Hahnöfersand.

(Beifall bei der FDP und bei Farid Müller GRÜNE)

Gleichzeitig brauchen wir dort, wie für alle Anstalten, ein tragfähiges Personalkonzept. Dazu ist heute schon genug gesagt worden, dem schließen wir uns an. Auch das fordert die FDP im Rahmen eines zu erstellenden Gesamtkonzepts, das diesen Namen dann auch verdienen könnte.

Neben einem tragfähigen Gesamtkonzept einer Vollzugsreform gibt es aber durchaus noch weitere Punkte, bei denen Handlungsbedarf besteht. Die möchte ich kurz besprechen. Nicht nur zur Entlastung der Gerichte in der Stadt wäre eine Entkriminalisierung von Bagatellverfahren, wie etwa wiederholtes Schwarzfahren, hilfreich. Der Beginn krimineller Karrieren kann so gestoppt und mit niedrigschwelligen Maßnahmen vermieden werden. Da müssen wir hinkommen.

Eine Zusammenlegung von Obergerichten sollte der Senat gemeinsam mit Schleswig-Holstein erwägen. Berlin und Brandenburg haben hier mit der Vereinigung gute Erfahrungen. Die bis dato von diesem Senat nicht sehr erfolgreich betriebene Vertiefung der Kooperation mit Kiel könnte so endlich neuen Schwung aufnehmen.

(Beifall bei der FDP)

Frau Senatorin Schiedek, auch wenn es weniger glamourös als der eine oder andere große Auftritt im Bundesrat sein mag, so erwartet die FDP-Fraktion doch von Ihnen, dass Sie nun endlich die Hamburger Probleme in Ihrem Verantwortungsbereich angehen. Diskutieren Sie mit uns die Details eines wirklichen Gesamtkonzepts zur Justizreform. Wir werden uns daran jederzeit und konstruktiv beteiligen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat Frau Schneider.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Der Senat ist dabei, eine große Chance zu vergeben. Die Chance besteht in den anhaltend sinkenden Gefangenenzahlen. Das ist nämlich eine gute Entwicklung.

(Beifall bei der LINKEN)

(Anna-Elisabeth von Treuenfels)

Die Chance besteht darin, die sinkenden Gefangenenzahlen zu nutzen für einen neuen Reformanlauf, bei dem im Mittelpunkt die Resozialisierung und die Reintegration von straffälligen Menschen stehen, und zwar vom ersten Tag der Haft an bis in die Zeit nach der Entlassung in die Freiheit.

Ich möchte an etwas erinnern. Das Bundesverfassungsgericht hat den Anspruch auf Resozialisierung in den Verfassungsrang erhoben. Hier geht es also nicht um die Kür, hier geht es um die Pflicht. Stattdessen legt die Justizbehörde eine Drucksache zur Neustrukturierung vor, eine Neustrukturierung, die mit der Verlagerung des Frauenvollzugs einen problematischen Weg einschlägt, eine Neustrukturierung, die ausschließlich von haushaltspolitischen Erwägungen diktiert ist. Aber am falschen Ende zu sparen wird letztlich teuer. Es wird nicht nur teuer, weil das Geld in Umbaumaßnahmen verschwindet, es wird vor allem deshalb teuer, weil die Neustrukturierung und die damit verbundenen Umbaumaßnahmen eben nicht mit einem Konzept der Verbesserung des Vollzugs im Sinne der Resozialisierung verbunden wird.

(Beifall bei Robert Bläsing und Anna-Elisa- beth von Treuenfels, beide FDP)

Misslingende Resozialisierung und misslingende Reintegration von straffällig gewordenen Menschen kommt die Gesellschaft teuer zu stehen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Farid Müller GRÜNE)

Ausbau des offenen Vollzugs wäre ein wichtiger Baustein eines solchen Reformanlaufs. An der Bedeutung des offenen Vollzugs, insbesondere für den Übergang bei der Haftentlassung, kann es keine Zweifel geben. Aber der Senat verzichtet darauf, die Überkapazitäten bei den Haftplätzen für einen wirklichen Ausbau des offenen Vollzugs zu nutzen.

(Urs Tabbert SPD: Wo denn?)

Auch im Vollzug hat sich nichts Substanzielles geändert, obwohl gerade hier die Tatsache sinkender Gefangenenzahlen für eine Verbesserung der Situation der Gefangenen hätte genutzt werden können.

Vom gesetzlichen Auftrag, das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensbedingungen so weit wie möglich anzugleichen, ist Hamburg weit entfernt. Hier wird auch nicht neu gedacht, ich nenne als Stichwort den Internetzugang für Gefangene. Ganz besonders erbärmlich ist, wie selbst am Essen der Gefangenen, das noch nie besonders hochwertig war, weiter gespart wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Heute werden real 10 bis 20 Prozent weniger ausgegeben, als es der Richtsatz für 2005 vorsah. Es gibt dreimal Eintopf oder Suppe in der Woche für

erwachsene Menschen. Dies war beispielsweise in der 48. Kalenderwoche im Untersuchungsgefängnis der Fall, ich hatte mir den Plan schicken lassen, und das war keine Ausnahme. Das ist keine ausreichende Ernährung für erwachsene Menschen.

Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt, der wohl hauptsächlich symbolische Wirkung hat, aber wir wollen darauf aufmerksam machen, dass auch, was das Essen und ähnliche alltägliche Dinge angeht, das Leben tatsächlich den allgemeinen Lebensbedingungen angepasst werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber auch jenseits des alltäglichen Vollzugslebens…

(Glocke)

Meine Damen und Herren! Ich bin sicher, Sie kennen alle viele Eintopfrezepte, aber vielleicht können Sie die später austauschen und wir hören jetzt Frau Schneider weiter zu.

Frau Schneider, bitte fahren Sie fort.

– Danke schön.

Aber auch jenseits des alltäglichen Vollzugslebens gibt es praktisch keine Reforminitiativen für den Vollzug. Die Sozialtherapeutische Anstalt ist unterfinanziert. Bisher ist völlig schleierhaft, wie die Sozialtherapeutische Anstalt die Aufgaben bewältigen soll, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung vom Mai 2011 ergeben. Dieses Urteil macht nicht nur eine Neuausrichtung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung, sondern auch und vor allem des Strafvollzugs notwendig, nämlich frühzeitige und sinnvolle Behandlungs- und Resozialisierungsmaßnahmen. Erforderlich ist auf jeden Fall ein Ausbau sozialtherapeutischer Angebote.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Haushaltsplan-Entwurf lässt sich davon nichts wiederfinden.

(Urs Tabbert SPD: Das stimmt nicht!)

Und auch beim Vollzug der Sicherungsverwahrung hat sich eineinhalb Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht wirklich etwas geändert, obwohl eines der großen Probleme doch bekannt ist. Viele Sicherungsverwahrte werden ohne ausreichende Vorbereitung entlassen. An der therapeutischen Situation hat sich wenig geändert, Maßnahmen der Entlassungsvorbereitung gibt es etwas mehr als früher, das stimmt, aber viel zu wenige. Eineinhalb Jahre hat die Behörde fast nur eines getan, nämlich abgewartet. Jetzt gibt es wenigstens einen Gesetzentwurf, der aber noch nicht

als Drucksache die Bürgerschaft erreicht hat. Es gibt kein erkennbares Gesamtkonzept, weder für die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung und die Vorbereitung der Entlassung, noch für den Umgang mit entlassenen Sicherungsverwahrten.

Hier bin ich dann beim leitenden Gesichtspunkt der Resozialisierung. Seit fast drei Jahren – die Kolleginnen und Kollegen vor mir haben es schon gesagt – liegt der Bericht "Optimierung der ambulanten und stationären Resozialisierung in Hamburg" vor, der viele grundlegende Mängel thematisiert und Vorschläge zu Veränderungen macht. Und was ist passiert, was wurde getan? Bisher wurden durchweg nur solche Vorschläge aufgegriffen, deren Umsetzung nichts kostet. Das ist kein Konzept.

(Beifall bei der LINKEN und bei Farid Müller GRÜNE und Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

Das ist vielmehr die Fortsetzung des uralten Vollzugsdenkens, das ist die Fortsetzung der uralten Politik, die die Ressourcen in allererster Linie in den Strafvollzug steckt und nur ein Bruchteil, gerade einmal 10 Prozent, auf die Zeit der Entlassung in die Freiheit. Die ambulanten Dienste und die Projekte der Straffälligenhilfe sind gnadenlos unterfinanziert.

Wir haben in den vorherigen Abstimmungen mehrere Anträge, die es zu diesem Thema gibt, unterstützt, aber wir halten sie für sehr unzureichend. Sie ersetzen kein Konzept. Aber wir brauchen ein Konzept, einen Umsteuerungsprozess mit den rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen. Wir haben im letzten Jahr – Herr Müller hat es schon angesprochen – bei den Haushaltsberatungen auf Antrag der SPD beschlossen, dass der Senat ein solches Konzept bis zum Frühjahr 2012 vorlegt. Das ist nicht passiert, und das ist wirklich unverantwortlich.

(Beifall bei der LINKEN und bei Farid Müller GRÜNE)