Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion legt Ihnen heute einen Antrag zum Thema Klassenwiederholung vor, der genau ein Ziel hat: schwächeren Schülern eine größere Möglichkeit zu bieten, leistungsstärker zu werden – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Genau das, was wir fordern, leistet die momentane Situation an vielen Schulen nicht. Die Klassenwiederholung wurde 2010 zugunsten einer individuellen Nachhilfeförderung abgeschafft, die aber noch nicht funktioniert. Darüber sind wir uns wohl alle einig nach dem bekannten Motto "Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht". Der Schulsenator versuchte vor Kurzem, die triste Realität mit unzähligen bunten, netten Kuchendiagrammen und vermeintlich positiven Statistiken zu überdecken. In Wahrheit ist die Lernförderung noch nicht oder kaum in den Schulalltag integriert. Nur ein Drittel der Stunden wird von Lehrkräften durchgeführt, die die Schüler und ihre Leistungsschwächen kennen. In vielen Schulen werden darüber hinaus ältere Schüler rekrutiert, die auf ihre Aufgabe überhaupt nicht vorbereitet sind. Einige Schulpolitiker unter Ihnen haben wahrscheinlich so wie ich in den vergangenen Wochen eine E-Mail von einer besorgten Mutter erhalten. Ich will das kurzfassen. Die Zustände, die sie schildert, sind sehr grotesk. Schüler werden vom Sportunterricht befreit, damit sie am Förderunterricht teilnehmen können. Der Bedarf an Nachhilfe ist allerdings sehr groß, und zwar in mehreren Fächern. Die Kurse liegen parallel, sodass nur ein Kurs wahrgenommen werden kann. Das hört sich nach einem gut organisierten Chaos an.
Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier nicht um einen Einzelfall, sondern um ziemlich unhaltbare Zustände, und in vielen Schulen ist das Alltag. Lehrer, Schüler und Eltern bestätigen das.
was passiert, wenn die Lernrückstände weiter fortschreiten und man mit Nachhilfe nichts mehr ausrichten kann, wenn sie sich denn einmal etablieren sollte? Wenn diese Schüler dann doch eine Klassenwiederholung anstreben, ist sie heute nur noch aus besonderem Grund möglich. Dazu zählt laut Behörde eine längere Krankheit oder ein traumatisierendes Ereignis in der Familie. Leistungsrückstände sind kein besonderer Grund. Für die Feststellung eines solchen Antrags, die diesen besonderen Grund im obigen Sinne erfüllt, muss erst einmal ein Antrag an die zuständige Behörde gestellt werden. Herr Senator Rabe, Sie selbst haben das Verfahren bei der Pressekonferenz zum Thema Nachhilfeförderung als sehr umfangreich bezeichnet, hochbürokratisch trifft dies sehr viel besser.
Erst wird die Schule um Stellungnahme gebeten, dann der schulärztliche Dienst eingebunden, dann bei den regionalen Bildungs- und Beratungszentren noch einmal nachgefragt. Irgendwann kommt dann der Bescheid der Behörde. Das ist sehr, sehr bürokratisch, wie wir sehen. Das senkt natürlich die Wiederholerzahlen erheblich, aber genau dieses Ergebnis hat nun auch die Umschulungszahlen der Gymnasien nach Klasse 6 erheblich steigen lassen.
Die Gymnasien machen dies als eine Art Notausstieg, weil sie nämlich wissen, dass die Lernförderung, zumindest jetzt, noch nicht funktioniert, und dass schwache Schüler de facto keine Klasse mehr wiederholen dürfen. Das böse Erwachen wird es für diese Schüler geben, wenn die Lernrückstände so groß geworden sind, dass der Abschluss, zumindest der der Mittleren Reife, dann in Gefahr gerät. Wir finden das verantwortungslos.
Meine Damen und Herren! Diese Zustände sind einfach sehr schlecht für schwächere wie auch für stärkere Schüler, sie sind schlecht für die Schulen und sie sind aus Sicht der FDP-Fraktion überbürokratisiert und praxisfern. Im Sinne einer selbstverantworteten Schule, die wir, glaube ich, langsam alle befürworten und wollen
außer der LINKEN –, sollten Lehrer, Eltern und Schüler vor Ort und gemeinsam entscheiden, ob nicht eine Klassenwiederholung die bessere Lösung für ein Kind ist, nämlich dann, wenn die Nachhilfe nicht funktioniert.
Ich möchte noch einmal betonen, damit ich kein Einfallstor für einfache Fehlinterpretationen gebe, dass wir keinen Rückfall in alte Zeiten möchten, in denen zwei Fünfen im Zeugnis automatisch Sitzenbleiben bedeuteten. Wir wollen stattdessen einen Blick auf den Einzelfall. Wir wollen, dass eine sinn
volle Klassenwiederholung nicht über die Köpfe der Kinder hinweg beschlossen oder sogar als Strafe verhängt werden kann. Im Gegenteil, eine Klassenwiederholung soll eine gemeinsam gewollte sinnvolle Chance sein, Lernrückstände aufzuholen – eine Chance, nicht die gewollte Regel.
In die Lernentwicklungsgespräche werden Kinder selbstverständlich einbezogen. Sie unterschreiben sogar eine Vereinbarung. So sollte es auch in Bezug auf eine Klassenwiederholung unserer Meinung nach sein. Im Übrigen sind 85 Prozent der befragten Schüler, was mich erstaunt hat, selbst gegen die Abschaffung des Sitzenbleibens. Hätte man mich damals gefragt, ich hätte das nicht so beantwortet. Statt von vornherein von Frustration oder gar Demütigung zu sprechen, sollte man das vielleicht den Schülern selbst überlassen.
Aus unserer Sicht war es ein Fehler, die Klassenwiederholung de facto ohne funktionierenden Ersatz abzuschaffen. Es war ein weiterer Fehler, die Ausnahmefälle so eng zu definieren und ein so bürokratisches Verfahren einzuführen. Die Folgen muss nun eine ganze Schülergeneration ausbaden. Daher gilt: Wir brauchen keine Verbotsnorm mit Erlaubnisvorbehalt, wir wollen keine staatlich verordnete Zementierung, sondern flexible Bildungswege für die Hamburger Schüler. Deshalb lassen Sie uns Klassenwiederholungen wieder zulassen, unbürokratisch, vom Einzelfall abhängig und mit der Entscheidung vor Ort. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt doch immer wieder hoch emotionalisierbare Themen, besonders im Bereich Schule, wo bekanntlich alle Menschen aufgrund privater Erfahrungen Experten sind.
So ist es auch beim Thema Sitzenbleiben, Klassenwiederholungen oder Ehrenrunden, wie immer man diesen Vorgang nennen will. Auch ich war davon früher einmal betroffen.
Wissenschaftliche Untersuchungen landauf, landab sagen uns, dass eine erzwungene Klassenwiederholung aufgrund unzureichender Leistungen in einzelnen Fächern keinen hilfreichen Effekt hat. Das sieht allenfalls der bekanntermaßen streitlustige Präsident des gymnasialen Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus aus Oberbayern, anders.
Er hat in der "Süddeutschen Zeitung" noch am 16. Februar gesagt, es gäbe keine pädagogische Begründung für das Abschaffen des Sitzenbleibens, außer man sei ein naiver Populist.
Wir haben in Hamburg einstimmig am 3. März 2010 in diesem Hause beschlossen, eine erzwungene Klassenwiederholung abzuschaffen und durch individuelle, für Eltern kostenlose Förderung zu ersetzen, wenn die Zeugniskonferenz dies aufgrund der Leistungsbewertung festlegt. Nebenbei: Ein richtiges und finanziell ausgestattetes Förderkonzept wurde erst nach dem Regierungswechsel durch die SPD in Fahrt gebracht.
Klassenwiederholungen nützen dem einzelnen Schüler nur sehr selten. Sie kosten den Steuerzahler viel Geld, das besser in individuelle Förderung investiert würde. Wenn wir dann noch Landes- und Bundesmittel zusammenlegen, dann kann es noch immer Schwächen im Einzelfall geben. Aber im Prinzip ist es völlig richtig, und wegen eines im Prinzip richtigen Beschlusses eine richtige Entscheidung rückgängig machen zu wollen für Verfahren nach Art des Hauses, halte ich für sehr problematisch.
Die FDP möchte nun, dass unser Schulgesetz geändert wird, Sitzenbleiben soll wieder leichter möglich sein. Ich lege ausdrücklich Wert auf den Ausdruck "leichter möglich". Die Populisten von "WWL" sind sowieso gegen Gesetze aus dem Frühjahr 2010, und die CDU eiert herum, wie man der Presseerklärung von Herrn Heinemann vom 26. März entnehmen kann. Wir Sozialdemokraten sagen zur Wiederzulassung des Sitzenbleibens als innerschulische Maßnahme klipp und klar nein.
Unser Schulgesetz lässt im Übrigen Klassenwiederholungen zu, Paragraf 45, Absatz 2 Hamburger Schulgesetz – ich zitiere –:
"Auf Antrag kann mit Genehmigung der zuständigen Behörde aus besonderem Grund auch eine Jahrgangsstufe wiederholt werden, wenn so eine bessere Förderung der Leistungsentwicklung und der sozialen Integration der Schülerin und des Schülers zu erwarten ist."
Frau von Treuenfels, es geht sehr wohl um Leistung. Was die FDP möchte, ist klar. Die Schulräte und die Behörde sollen nicht mehr einbezogen
werden, das soll lieber zwischen den Beteiligten in der jeweiligen Schule nach Art des Hauses ausgehandelt werden. Es muss nicht bei zwei Fünfen sein, es können auch drei Fünfen sein, aber das gibt keine Übersicht über die gesamte Hamburger Schullandschaft.
Man kann sich lebhaft vorstellen, wie einzelne Schulen dann vielleicht doch verstärkt zur Wiederholung raten, weil es dem Image dient, weil sie damit die Finanzzuweisungen für Lernförderung anders nutzen können und anderes mehr.
(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Das ist doch Unsinn! – Finn-Ole Ritter FDP: Das ist ein Skandal!)
Hier ist die Schulaufsicht gefragt. Klassenwiederholung ja, wenn unumgänglich, vielleicht wegen einer Krankheit oder traumatisierenden Erfahrungen bei einzelnen Schülern, Wiederholung bei nicht aufgearbeiteter Schwäche in einzelnen Fächern: nein. Die Zustimmung zu einem Wiederholungsantrag der Schule durch die Schulaufsicht erfordert immer auch eine Auseinandersetzung über Qualität und Umfang der an der Schule durchgeführten Lernforderung. Das ist gewollt.
Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt heute Abend noch einmal über das Thema Lernförderung diskutieren. Aus meiner Sicht ist die drastische Reduzierung des Sitzenbleibens seit 2010 ein Erfolg. Deshalb werden wir den Antrag der FDP ablehnen und auch kein Weiterschwelen dieser Lunte im Ausschuss zulassen. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen über einen Antrag der FDP, Klassenwiederholung wieder ins Schulgesetz aufzunehmen.
Ich spreche heute für die CDU-Fraktion und möchte deswegen, weil wir das immer so machen, eine fachlich profunde Ursachenforschung und eine kleine sachliche Analyse von Punkten und Argumenten liefern, die bisher noch nicht angesprochen worden sind.
Woher kommt die Schulgesetzänderung, die das Sitzenbleiben, das Klassenwiederholen abgeschafft hat? Dieser Punkt ist damals – dies ist gerade von meinen Vorrednern angesprochen worden – im Rahmen des Primarschulpakts im Frühjahr 2010 ins Schulgesetz gekommen. Alle, die da