Protokoll der Sitzung vom 16.05.2013

Zum Thema. Was sind die Kriterien für eine Ehrenbürgerschaft in Hamburg? Ich habe mir die Anträge des Senats auf Verleihung der Ehrenbürgerschaft der letzten 15 Jahre durchgelesen. Da steht immer als Kriterium der Satz, dass die jeweilige Person sich um unser Land und unsere Stadt verdient gemacht habe. Das ist ein sehr weiter Begriff. Man kann sehr viel darunter verstehen, was es heißt, sich um das Land und um die Stadt verdient gemacht zu haben.

Meine Damen und Herren! Ich war neulich für die Bürgerschaft bei einer Versammlung der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft. Dort wurde auch ein Preis verliehen an einen Mann, der unter Einsatz des eigenen Lebens einem anderen Menschen das Leben gerettet hat. Eine Frau war im Wasser in Seenot. Er saß am Strand und ist losgeschwommen, wohlwissend, dass er sich selbst in Lebensgefahr begibt, es war auch sehr knapp. Er hat die Frau gerettet und hat zum Glück auch selbst überlebt. Dafür bekam er eine Medaille der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft. Ich frage mich, ob das nicht auch ein geeigneter Ehrenbürger wäre – nicht nur, weil er dieses eine Menschenleben gerettet hat, sondern auch, weil er ein Vorbild ist. Es ist also offenbar gar nicht so klar, nach welchen Kriterien Ehrenbürgerschaften vergeben werden.

Schauen wir uns einmal die Liste der Ehrenbürger an; da fällt eine erstaunliche Zäsur auf. Bis 1983 haben, mit zwei Ausnahmen, nur Politiker, Militärs und Diplomaten die Ehrenbürgerschaft bekommen. Seit 1986, also seit fast 30 Jahren, ist es kein Einziger mehr. Gibt es keine verdienten Politiker, Militärs oder Diplomaten mehr? Das glaube ich eigentlich nicht. Es gab im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung oder bei den friedensstiftenden Einsätzen der Bundeswehr im Ausland genügend Gelegenheiten, dass Menschen sich ausgezeichnet haben; das haben sie auch getan. Dennoch sahen weder die Bürgerschaft noch der Senat einen Anlass, eine Ehrenbürgerschaft zu verleihen.

Offenbar hat es eine Änderung der Maßstäbe bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde gegeben. Viele werden sagen, zu Recht. Aber wie wird denn unser Verhalten bei der Verleihung von Ehrenbürgerwürden vielleicht in 50 oder 100 Jahren gesehen? Wie wird man es beurteilen, dass zum Beispiel ein Ballettdirektor zum Ehrenbürger gemacht wurde? Es kann sein, dass man in 50 Jahren sagen wird, dass das doch eine Torheit gewesen sei. Es kann aber auch sein, dass es genau richtig war. Es war eine Öffnung, dass Ehrenbürgerwürden auch an ganz normale Bürger vergeben werden. Am Ende dieser Entwicklung könnte zum Beispiel die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an einen solchen Rettungsschwimmer stehen.

Meine Damen und Herren! Wir wissen nicht, wie spätere Generationen unsere Entscheidungen be

(Karl-Heinz Warnholz)

werten werden. Das sollte uns dennoch Selbstbewusstsein geben, aber auch Toleranz gegenüber früheren Generationen, die auch nicht wissen konnten, wie ihre Entscheidungen später bewertet werden. Wir tun nach unseren Maßstäben und unseren Möglichkeiten das Beste. Ich bin überzeugt, auch frühere Generationen, unsere Vorgänger in diesem Parlament und auch die Vorgänger im Senat haben das genauso getan. Wir sind gut beraten, hier sehr sorgfältig zu argumentieren und nachzudenken. Gerade die deutsche Geschichte ist voller Glanz und voller Grauen. Eine sorgfältige Reflexion ist notwendig, einfache Antworten sind selten geeignet.

Lassen Sie mich abseits der Ehrenbürger ein anderes Beispiel nehmen. Denken Sie an den 9. November. Die meisten von uns, ich auch, denken dann zunächst einmal an den Fall der Mauer,

(Christiane Schneider DIE LINKE: Reichspo- gromnacht!)

an die mutigen DDR-Bürger, die friedlich ein schlimmes Regime beendet haben. Aber zum 9. November gehört auch der 9. November 1918, das Kriegsende, der 9. November 1923, der Hitler-Putsch, und nicht zuletzt der 9. November 1938, die Reichspogromnacht. Vielleicht geht es Ihnen so wie mir: Am 9. November freue ich mich immer sehr über den Fall der Mauer und die Leistungen der DDR-Bürger, aber ich denke auch immer an diese anderen 9. November. Das zeigt eben, wie zwiespältig und auch brüchig die deutsche Geschichte ist. Ich glaube, wir tun gut daran, über all dieses nachzudenken und darüber zu reflektieren, aber nicht mit schnellen Urteilen darauf zu antworten. Deshalb wird die FDP-Fraktion dem interfraktionellen Antrag zustimmen.

Nun noch zu der Frage Hindenburg. Es wurde schon erwähnt, dass Hindenburg die Ehrenbürgerschaft 1917 für seinen Sieg bei Tannenberg erhielt. Was ist da passiert? Es ging um die Verteidigung gegen einen russischen Angriff. Und Hindenburg hat auf diese Weise durch den militärischen Erfolg verhindert, dass Deutschland, vielleicht auch Hamburg, unter die Gewalt des zaristischen Russlands geriet. Ich glaube, selbst nach unseren heutigen Maßstäben hätte es damals durchaus nahegelegen, die Ehrenbürgerwürde an Hindenburg zu verleihen. Die Frage ist doch nur, ob er durch sein späteres Handeln, nach 1917, die Ehrenbürgerwürde verwirkt hat.

(Jens Kerstan GRÜNE und Dora Heyenn DIE LINKE: Genau!)

Das muss man erst einmal wissen, das klang bei Ihnen schon ein bisschen anders.

Bis Anfang 1933 – das mögen jetzt einige nicht so gern hören, aber ich sage es Ihnen – war Hindenburg ein Bollwerk gegen Hitler. Noch 1932, bei der Reichspräsidentenwahl, wurde Hindenburg auch

von der SPD unterstützt, übrigens auch von den liberalen Parteien, weil sonst Hitler die Alternative gewesen wäre. Ohne Hindenburg wäre wahrscheinlich Hitler schon 1932 nicht Reichskanzler, sondern gleich Reichspräsident geworden. Die meisten von Ihnen wissen, dass ein Reichspräsident, anders als ein heutiger Bundespräsident, eine sehr mächtige Institution war, mächtiger als ein Reichskanzler. Das heißt, zumindest eine gewisse Zeit hat Hindenburg das Schlimmste sogar verhindert.

Der nächste Punkt ist die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Es ist – dies ist auf den ersten Blick gar keine Frage – ein unverzeihlicher Fehler, einen solchen Menschen zum Regierungschef zu ernennen. Aber versetzen wir uns einmal in die Situation, in der Hindenburg Anfang 1933 war. Seit 1930 gab es keine Mehrheit der demokratischen Parteien mehr. Ende Januar 1933 war der Reichstag wie folgt zusammengesetzt: 33 Prozent von der NSDAP, 16 Prozent von der KPD, also 49 Prozent von undemokratischen, auch gefährlichen Parteien. Ich überlasse Ihnen die Beurteilung, ob die 8 Prozent von der DNVP, der Deutschnationalen Volkspartei, auch dazuzuzählen sind. Ich neige ein bisschen dazu, das so zu sehen. Aber zumindest gab es offensichtlich seit mehreren Jahren schon keine Möglichkeit mehr, eine demokratische Mehrheit herbeizuführen.

Hindenburg stand also vor drei Alternativen. Die eine wäre gewesen, weiter Präsidialkabinette zu haben und ständige Neuwahlen, das war nämlich so zu der Zeit. Jedes halbe Jahr gab es Neuwahlen, was der Demokratie schweren Abbruch im Ansehen der Menschen eintrug. Oder er hätte, um das zu verhindern, einen Verfassungsbruch begehen müssen, die Verhinderung von Neuwahlen. Man kann damit rechnen, dass es einen Bürgerkrieg gegeben hätte. Wollten wir das? Oder es gab die dritte Möglichkeit, die er gewählt hat, nämlich Hitler – in Anführungszeichen – einzumauern und zu entzaubern. Es war so, dass man neben Hitler nur zwei Nazi-Minister hatte, nämlich Frick und Göring. Das schien nach damaligem Erkenntnisstand aussichtsreich. Wir wissen heute, es war ein gnadenloses Scheitern.

Meine Damen und Herren! Es gab aus meiner Sicht keine überzeugende Option mehr. Hindenburg hat vergeblich versucht, die am wenigsten schlimme zu wählen. Es gibt keinerlei Grund für Stolz auf Hindenburgs Verhalten Anfang 1933. Aber aus meiner Sicht gibt es auch keinen Grund, ihn zu verdammen.

Hitler und Göring wurde die Ehrenbürgerschaft entzogen. Daraus ziehen manche den Schluss, dann müsse es auch bei Hindenburg so sein. Der Vergleich zieht nicht. Hitler und Göring waren schon zuzeiten ihrer Ernennung offensichtliche Schwerverbrecher. Sie wollen doch nicht im Ernst sagen,

dass Hindenburg auch ein Schwerverbrecher war? Dieser Vergleich zieht nicht.

Zurück zum Anfang meiner Ausführungen. Ich hatte über das Ermächtigungsgesetz gesprochen und beklagt, dass liberale Parteien dem zugestimmt haben. Einer der wenigen liberalen Abgeordneten im Reichstag war Theodor Heuss. Heuss war später Bundespräsident. Er hat zusammen mit Konrad Adenauer und Kurt Schumacher sehr viel dafür getan, dass Deutschlands Ansehen in der Welt wieder gestiegen ist. Er hat auch sehr viel für die Demokratie getan. Das Versagen von Heuss 1933 reicht bis heute zur Kritik, aber auch hier nicht zur Verdammung.

Reflexion ja, einfache Antworten nein. Wir lehnen den Antrag der GRÜNEN ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat Frau Heyenn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Um Ehrenbürger in dieser Stadt zu werden, muss man Besonderes geleistet haben für die Demokratie und auch für Hamburg. Es ist eine ganz besondere Ehre, die die Bürgerschaft und der Senat für die Stadt verleihen. Das gilt sowohl zukünftig als auch rückblickend. Deswegen ist es für uns LINKE durchaus geboten, dass man natürlich auch Ehrenbürgerschaften aberkennen kann; das halten wir für selbstverständlich.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Wir halten es auch im Fall von Hindenburg für richtig, und deshalb unterstützen wir den Antrag der GRÜNEN. Das ist auch nichts Ungewöhnliches. Hamburg hat nach dem Krieg – dies wurde schon mehrfach gesagt – Hitler und Göring die Ehrenbürgerwürde abgesprochen. Nun haben die GRÜNEN das Thema Hindenburg auf die Tagesordnung gesetzt. Und auch das ist nicht ungewöhnlich, gerade wegen des historischen Kontextes. Auch andere Städte – das hat Frau Fegebank anfangs aufgezählt, man kann es auch im Internet nachlesen – haben das getan. Es sind viele Städte, die diesen Schritt gegangen sind und gerade wegen des historischen Zusammenhangs Hindenburg die Ehrenbürgerwürde abgesprochen haben. Und es sind auch Straßen und Plätze umbenannt worden.

Der Unterschied zwischen beiden Anträgen ist, ob man Hindenburg die Ehrenbürgerwürde aberkennt oder ob man sie nicht aberkennt. Nun ist die Frage der Aberkennung der Ehrenbürgerwürde in Hamburg nichts Neues. 2004 hat schon einmal die CDU dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Sie wollte damals Herbert Wehner die Ehrenbür

gerwürde aberkennen; viele von euch werden sich erinnern. Es gab eine sehr hitzige Diskussion und es ging auch darum, welche Auffassung die einzelnen Politiker oder Herbert Wehner vertreten haben. Es ging dort auch um geschichtliche Deutung. Das Machtwort hat damals der Fraktionsvorsitzende Bernd Reinert gesprochen, den wir, glaube ich, alle noch kennen. Er hat damals gesagt, Wehner habe die Ehrenbürgerschaft für seine unbestritten großen Verdienste um den Aufbau der Bundesrepublik Deutschland bekommen.

Deshalb halten wir das auch für wichtig und haben diesen interfraktionellen Antrag mit unterschrieben, damit man noch einmal deutlich macht, wofür eigentlich all diese Persönlichkeiten ihre Ehrenbürgerwürde bekommen haben. Das muss noch einmal deutlich gemacht werden. Man muss natürlich auch Kriterien haben, nach denen man gegebenenfalls entscheidet, eine Ehrenbürgerwürde wieder abzuerkennen. In dem Antrag der GRÜNEN findet sich der Satz:

"[…] eine Aberkennung der Ehrenbürgerwürde [ist] ein richtiger Weg, um sich von Werten und Ansichten, die eine Person verkörpert, zu distanzieren."

Das mit den Ansichten halten wir für problematisch. Wir glauben nicht, dass das ein Grund sein kann, um eine Ehrenbürgerwürde abzuerkennen. Uns geht es wirklich um den geschichtlichen Zusammenhang. Und in beiden Anträgen steht ausdrücklich, dass eine wissenschaftliche Begleitung stattfinden solle bei der nochmaligen Aufbereitung, warum eigentlich die Ehrenbürgerwürde vergeben wurde und auch, warum sie aberkannt wurde. Für uns war ein wesentlicher Grund, uns an diesem interfraktionellen Antrag zu beteiligen, dass man für die Zukunft entscheiden kann, an welchen Kriterien wir uns orientieren, um Bürgerinnen oder Bürger dieser Stadt die Ehrenbürgerwürde zu verleihen. Loki Schmidt wird nicht die letzte Ehrenbürgerin gewesen sein, wir werden noch mehrfach in dieser Diskussion stehen. Genau deswegen haben wir diesen Antrag unterschrieben. So, wie Sie das dargestellt haben, Frau de Libero, haben wir diesen Antrag nicht verstanden.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Ich will nur zwei Punkte nennen, die uns wirklich quer im Magen liegen. Sie müssten bitte noch einmal erklären, warum es gleich nach dem Krieg richtig war, Hitler und Goebbels [sic] die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen

(Zurufe von der SPD: Göring!)

Sie haben es so gesagt, es wäre schön, wenn Sie das gleich noch einmal richtigstellen würden –, und warum es heute falsch wäre, Hindenburg die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen. Diesen Zusammenhang können wir so nicht nachvollziehen, und

(Dr. Wieland Schinnenburg)

da möchte ich Sie bitten, das noch einmal klarzustellen.

(Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und bei Antje Möller GRÜNE)

Das Zweite ist: Sie haben ganz deutlich gesagt, sowohl in Ihrer Presseerklärung als auch eben wieder am Mikrofon, dass es eine Relativierung der NS-Verbrechen wäre, würde man Hindenburg die Ehrenbürgerwürde aberkennen. Das finden wir ausgesprochen problematisch,

(Wolfgang Rose SPD: Wieso?)

denn wir sind der Auffassung – das hat auch Herr Lammert ganz deutlich hier am Mikrofon gesagt, da haben alle geklatscht, und auch Frau Fegebank hat noch einmal darauf hingewiesen –, dass Hindenburg, historisch erwiesen, maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die NS-Verbrechen überhaupt ermöglicht wurden. Deshalb müssten Sie das noch einmal klarstellen. Es kann nicht sein, dass man sagt, man relativiere dadurch, dass man Hindenburg die Ehrenbürgerwürde aberkennt, die NS-Verbrechen. Das können Sie schon deswegen nicht machen, weil es in diesem Hause viele Politikerinnen und Politiker gibt, die genau das wollen. Dann würden Sie denen nämlich genau das unterstellen und das geht überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Wir haben uns gemeinsam auf den Weg gemacht. An einem Punkt haben wir einen Dissens, und ich möchte die SPD wirklich bitten, noch einmal klarzustellen, dass man das so nicht stehen lassen kann, denn sonst müssten wir uns entscheiden, von diesem Antrag wieder zurückzutreten.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Kerstan.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Debatten über Ehrenbürger, über Geschichte, Schuld und Verantwortung sind gerade in Deutschland immer schwierige Debatten, die sehr viel Feingefühl, Aufrichtigkeit und auch Respekt vor der Meinung anderer erfordern.

(Wolfgang Rose SPD: Genau!)

Frau Fegebank hat einen sehr ausgewogenen, viele unterschiedliche Meinungen darstellenden und abwägenden Beitrag geleistet.

(André Trepoll CDU: Das war anders!)

Sie hat Historiker zitiert und auf gemeinsame Veranstaltungen hingewiesen, auf denen mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD und Historikern um einen richtigen Weg gerungen wurde. Sie hat in keiner Weise Kolleginnen oder Kollegen im Hause,