Protokoll der Sitzung vom 29.05.2013

Kein Dach, kein Essen, kein Gespräch. Senat verschließt Ohren, Augen und Herz für die Not der Flüchtlinge aus Libyen

von der SPD-Fraktion

Speicherstadt und Kontorhausviertel bereit für Nominierung zum UNESCO Weltkulturerbe – Bewerbung in Hamburg gemeinsam vorantreiben!

von der CDU-Fraktion

Rot-grüne Steuerpläne – Gift für Mittelstand und Arbeitsplätze

und von der GRÜNEN Fraktion

Viele Fragen nach Brand auf Atomfrachter am 1. Mai – Umgang mit Gefahrgut muss auf den Prüfstand

Ich rufe zunächst das erste Thema auf. Frau von Treuenfels, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Vorab möchte ich Ihnen im Namen der FDP-Fraktion – und ich darf wohl sagen, im Namen des ganzen Hauses – für Ihre eindrucksvolle Würdigung des verstorbenen Präsidenten des Senats und der Bürgerschaft, Dr. Peter Schulz, danken. Ich denke, dass es im Sinne dieses großen Hamburgers ist, wenn wir hier über das Allgemeinwohl Hamburgs und deswegen insbesondere auch über die Schulpolitik intensiv diskutieren werden. Damit fange ich jetzt an.

Meine Damen und Herren! Hamburg steuert wieder einmal auf eine Schulstrukturdebatte zu. Das haben wir eigentlich gar nicht nötig, denn G8 am Gymnasium und G9 an den Stadtteilschulen existieren ja schon nebeneinander. Dass es nun wieder eine neue Strukturdebatte gibt, hat nicht nur eigentlich, sondern sogar ganz bestimmt mit Ihrer Schulpolitik zu tun, Herr Rabe. Die zweite Säule im Hamburger Schulsystem wackelt. G9 an Stadtteilschulen stellt für viele Eltern derzeit keine Alternative dar, wenn es um die Anmeldung an einer Schule mit dem Abschlussziel Abitur geht. Nur 9 Prozent der Kinder mit Gymnasialempfehlung, also sozusagen mit der Zielperspektive Abitur im Rucksack, werden an den Stadtteilschulen angemeldet. Also nicht einmal ein Zehntel der Eltern wollen, dass ihr Kind an der Stadtteilschule Abitur macht. Das belegt: Die Stadtteilschulen sind für Schüler mit dem Ziel Abitur schlichtweg nicht attraktiv genug. Deshalb fordern Eltern, das G9 an Gymnasien wieder einzuführen. Wer die Eltern in dieser Situation nicht ernst nimmt, führt die Stadt geradewegs in eine neue Strukturdebatte.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Streitgespräche in großen Tageszeitungen reichen nicht aus, um das zu verhindern, Herr Senator. Der Unmut der Eltern ist ein Arbeitsauftrag, den Kern des Problems endlich anzugehen. Dessen Ursache liegt allerdings, das muss auch einmal benannt werden, in der Untätigkeit von Schwarz-Grün. Diese Schulreform wurde im Wege der Primarschulreform schlichtweg im Stich gelassen, um nicht zu sagen völlig ignoriert.

(Beifall bei der FDP)

Diese Vernachlässigung setzt sich unter Ihnen jetzt schon seit Jahren fort, Herr Senator. Statt die Etablierung der Stadtteilschule endlich zur Chefsache zu machen, bleiben Sie so gut wie untätig und appellieren stattdessen an uns Oppositionsparteien, die Stadtteilschule ja nicht schlechtzureden. Wir reden die Lage nicht schlecht, an vielen Stadtteilschulen ist die Lage de facto schlecht, und das liegt an Ihrer Untätigkeit.

(Beifall bei der FDP – Gerhard Lein SPD: Jetzt kommen Ihre Vorschläge!)

Die kommen im Schulausschuss.

Nur ein Beispiel. Während der Haushaltsberatungen im Dezember 2012 hat die Bürgerschaft ein Konzept zur Stärkung der Stadtteilschulen eingefordert. Bis heute liegt nichts Konkretes vor. Dabei sind es gerade die neugegründeten Stadtteilschulen, die sich schwertun. Sie können nicht auf bestehende Gesamtschulstrukturen aufbauen und brauchen deshalb dringend mehr Unterstützung. Anstelle eines Konzepts aus der Schulbehörde mehren sich nun die Brandbriefe an die Schulbehörde – wunderbar. Die Reaktion von Senator Rabe: prüfen, überlegen, abwiegeln, also de facto eher nichts.

Meine Damen und Herren! Wenn sich die Stadtteilschule nicht als starke zweite Säule des Hamburger Schulsystems etabliert, hätte die Wiedereinführung des G9 an Gymnasien vor allem einen Effekt. Es wäre der langfristige Einstieg in die Einheitsschule, diesmal nur von oben. Die Gymnasien würden dann zu einer überlaufenen Schulform, während den Stadtteilschulen die Schüler wegblieben.

Ohne Zweifel muss auch das G8 an Gymnasien verbessert werden, das wissen wir alle. Ob die Entschlackung der Bildungspläne das Mittel der Wahl ist oder ob es nicht auf die Umsetzung an den einzelnen Schulen ankommt, darüber sollten wir im Schulausschuss sehr ausführlich diskutieren. Das Problem allerdings lösen wir nur dann, wenn wir uns endlich auf dessen Kern konzentrieren. Noch einmal: Wir müssen G9 an den Stadtteilschulen so stärken, dass die zweite Säule im Hamburger Schulsystem auf festem Boden steht und nicht mehr wackelt. Um das zu erreichen, müssen

Sie, Herr Rabe, endlich aufhören, einerseits in Sachen Ganztag, Inklusion und Sprachförderung immer höhere Ansprüche an die Schulen zu stellen, sie andererseits aber immer weniger in die Lage zu versetzen, diese Anforderungen erfüllen zu können.

Herr Senator Rabe, Ihre grundsätzliche Haltung des Aussitzens dieser wachsenden Probleme akzeptieren wir nicht.

(Beifall bei der FDP)

Sie müssen in jeder der fast 60 Stadtteilschulen einzeln prüfen, wie diese gestärkt werden können. Nur wenn Ihnen das gelingt, werden Sie eine unnötige neue Strukturreform verhindern können. Die Schulen brauchen, das wissen wir alle in dieser Stadt, nach den Reformen der vergangenen Jahre nichts mehr als Ruhe und Kontinuität, um alle Herausforderungen meistern zu können. Deswegen appellieren wir an Sie: Stärken Sie die Stadtteilschulen als echte zweite Säule im Hamburger Schulsystem, damit die Schulen in Ruhe arbeiten können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Gerhard Lein SPD: Und wo waren die Vorschläge?)

Nun erhält das Wort Herr Holster.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eine große Bitte an alle Schulpolitiker in diesem Haus: Wir müssen endlich aufhören, die Stadtteilschule schlechtzureden und von jedem Thema ausgehend eine Schulstrukturdebatte herbeizureden.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Fraktion steht zu dem Zwei-Säulen-Modell. Das haben wir den Hamburgerinnen und Hamburgern zugesagt, und darauf kann sich jeder in dieser Stadt verlassen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich zunächst auf die Stadtteilschulen eingehen. Was wurde da in der Vergangenheit nicht alles gefordert und beantragt. Fast jede Woche konnte man von einer neuen wissenschaftlichen Studie oder einer Veranstaltung lesen, und alle hatten das gleiche Ergebnis: Egal, ob die Grundschule nun vier oder sechs Jahre dauert oder sogar eine Einheitsschule besucht wird, egal, ob wir das Sitzenbleiben wieder einführen oder nicht,

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Ma- chen wir!)

und egal, ob wir eine innere Differenzierung im Unterricht herbeiführen oder auch nicht, das Wichtigste ist die fachliche Kompetenz der Pädagogen. Wir brauchen nur unsere Schüler zu fragen. Jeder

(Anna-Elisabeth von Treuenfels)

Schüler antwortet auf die Frage "Wie bewertest du den Unterricht an deiner Schule?" mit dem Satz: "Das kommt auf den Lehrer an." Und genau hier müssen wir ansetzen. Neben der fachlichen Ausbildung brauchen wir noch mehr Praxisanteile im Studium und geeignete Instrumente, um Studienanfängerinnen und Studienanfänger gezielt in ihrer Studienwahl zu stärken oder ihnen gegebenenfalls auch ausdrücklich abzuraten. Dadurch stärken wir nicht nur die Stadtteilschulen, sondern alle Schulformen in unserer Stadt.

(Beifall bei der SPD)

Aber was machen wir Schulpolitiker? Jede Woche wirft die eine Fraktion der anderen – oder vorzugsweise dem Schulsenator – vor, er oder sie würden die Stadtteilschule schwächen. Ich glaube, dass hier keiner die Stadtteilschule schwächen will, denn eines müssen wir bedenken. Das Gymnasium hatte über 300 Jahre, die Stadtteilschule bislang drei Jahre Zeit, sich zu etablieren, und trotz dieser kurzen Zeit hat sie Erfolge vorzuweisen. Ich glaube, dass wir der Stadtteilschule einen großen Gefallen täten, wenn wir diese mehr würdigen und unsere Arbeit als Schulpolitiker etwas unaufgeregter machen würden.

Dieses Unaufgeregte ist das nächste gute Stichwort, denn, liebe Frau von Treuenfels, ob ein Volksbegehren für eine Wiedereinführung des G9 an Gymnasien zum Erfolg führt, entscheidet sich nicht in der Bürgerschaft, sondern das entscheiden alle Hamburger Wählerinnen und Wähler. Wir als SPD-Fraktion stehen ganz eindeutig für die demokratische Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger, aber wir sagen auch ganz klar: Bitte bedenkt bei eurer Entscheidung die Folgen und Konsequenzen. Wir würden den Gymnasien diese Strukturdebatte gerne ersparen. Wir haben starke Stadtteilschulen, die als echte Alternative das Abitur nach neun Jahren ermöglichen. Wir brauchen engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die sich nicht erneut um Rahmenpläne, Struktur- und Schulbaufragen kümmern sollten, sondern um ihren Unterricht. Das muss jetzt im Fokus stehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Nun hat Frau Prien das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will nicht verhehlen, liebe Frau von Treuenfels, dass mich Ihre Debattenanmeldung ein wenig verstört hat, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Ich habe nämlich, anders als Sie, nicht den Eindruck, dass wir in unserer Stadt im Moment eine Schulstrukturdebatte führen würden, und das ist auch gut so. Gott sei Dank haben Hamburgs Schülerinnen und Schüler, Lehrer und Schulleitungen überhaupt kein Interesse an einer solchen Debatte.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Mehr noch: Die Menschen sind es müde, ständig über neue Reformen zu sprechen. An den Schulen sind Konsolidierung und Ruhe zum Arbeiten gefragt.

Wenn Ihre Debattenanmeldung so verstanden werden soll, dass durch die schlechte Umsetzung der Stadtteilschule – darauf komme ich gleich noch – sozusagen von hinten aufgezäumt indirekt auch eine neue Strukturdebatte über das Gymnasium angezettelt werden soll, dann kann man das vielleicht so sehen. In Wirklichkeit sind aber diejenigen, die über G8 und G9 diskutieren, wohl eher am Gymnasium und dem Schicksal ihrer eigenen Kinder interessiert. Das ist verständlich und richtig, aber dabei geht es, glaube ich, weniger um unsere gesamte Schulstruktur und die Stadtteilschule.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD – Gerhard Lein SPD: Genauso ist es!)

Was allerdings wirklich nottut, ist eine Debatte, und zwar eine konstruktive Debatte über die Schulqualität insbesondere auch an der Stadtteilschule. Wir haben Gott sei Dank noch die Situation, dass die Anmeldezahlen an der Stadtteilschule stabil sind. Insofern haben wir noch nicht wirklich einen Zustand erreicht, der die Stadtteilschule in die Nähe des Scheiterns bringen würde, es gibt aber Handlungsbedarf; dazu haben wir heute noch eine weitere Debatte. Wir haben ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt, und es wäre eine super Idee gewesen, dazu vielleicht einen Zusatzantrag zu formulieren und eigene Vorschläge auf den Tisch des Hauses zu bringen, über die wir dann konstruktiv hätten diskutieren können. Nun rückt die Debatte ein bisschen in die Abendstunden, das ist eigentlich schade. Aber jetzt genug auf der FDP rumgehackt.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Die SPD will offensichtlich unseren Antrag nicht an den Schulausschuss überweisen. Das ist, lieber Herr Holster, wirklich ein schwaches Bild. Damit erweisen Sie den Hamburger Schülerinnen und Schülern einen Bärendienst.

(Beifall bei der CDU)

Zur Sache, um der Debatte heute Abend nicht zu sehr vorzugreifen. Wir alle erinnern uns: Die Einführung des Zwei-Säulen-Systems mit der Stadtteilschule war eine absolut notwendige Reaktion auf die Tatsache, dass Haupt- und Realschulen immer mehr zu Restschulen verkamen und es auch eine negative Sozialauswahl an diesen Schulen gab, die einfach nicht mehr akzeptabel war. Wir wollten die Stadtteilschule alle gemeinsam in dieser Stadt. Und zu diesem Bekenntnis – Herr Holster, da bin ich völlig bei Ihnen – müssen wir stehen. Wir können nicht nach zwei oder drei

(Lars Holster)

Jahren sagen, dass alles Mist ist, was wir hier machen.