Protokoll der Sitzung vom 19.06.2013

(Gabi Dobusch SPD: Ach, das ist doch das dämlichste Märchen aller Zeiten!)

Herr Bürgermeister, diese Verantwortung werden wir Ihnen heute durch die Zustimmung zu diesem Vertragswerk nicht abnehmen. Diese Verantwortung müssen Sie selber tragen, und deshalb werden wir diese Vereinbarung ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Suding hat das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin mir sicher, dass die Elbphilharmonie in wenigen Jahren weltweit das Symbolbauwerk für unsere Stadt sein wird,

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Das ist es jetzt schon!)

so wie es die neue Oper für Sidney geworden ist. Und wir sind uns sicherlich auch alle einig, dass in der Geschichte Hamburgs noch kein Bauprojekt so sehr alle Grenzen der Geduld und alle finanziellen Rahmenbedingungen strapaziert hat.

(Tim Golke DIE LINKE: Doch, dieses Rat- haus!)

Diese Diskrepanz prägte unser schwieriges Verhältnis zum Projekt Elbphilharmonie von Anfang an. Von der ersten öffentlichen Diskussion in Sachen Konzerthalle in der HafenCity im Jahre 2002 über den Beschluss der Bürgerschaft für den Bau 2007 und die vielen, angeblich immer letzten Nachträge bis zur Eckpunktevereinbarung aus dem letzten Juli reicht diese unendliche Geschichte der Disharmonie. Und jetzt also die Neuordnungsvereinbarung mit HOCHTIEF – erneut ein Versuch, das ins Schlingern geratene Projekt wieder in ruhiges Fahrwasser zu bringen, und damit ein Tag, den mancher als historisch empfinden wird.

Die Fakten: HOCHTIEF soll zusätzlich 195 Millionen Euro gegenüber dem Nachtrag 4 bekommen, und dafür soll die Elbphilharmonie mit einer Bauzeitverlängerung von 59 Monaten und einer neuen vertraglichen Konstruktion nun endlich fertig gebaut werden. Anfangs hatte der Senat einmal 50 Millionen Euro in seine Investitionsplanung eingestellt, und heute beraten wir über einen Kostenrahmen von 789 Millionen Euro; das ist fast das Sechzehnfache. Ursprünglich war es ein rein privat finanziertes Projekt, und nun ist es die Stadt, die finanziell geradestehen muss. Soviel privates Engagement wie möglich und so wenig staatliche Bewirtschaftung wie nötig hieß das urliberale Credo im November 2004 im Hinblick auf die Elbphilharmonie. Zu spüren ist davon kaum noch etwas. Historisch kann man deshalb wohl auch die gigantische Kostenexplosion nennen, deren Übernahme der Senat heute von der Bürgerschaft beschlossen haben möchte.

Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn eines klarstellen: Die FDP in Hamburg hat das Projekt Elbphilharmonie immer unterstützt, befürwortet und sich öffentlich dazu bekannt.

(Beifall bei der FDP)

Die Elbphilharmonie ist schon jetzt eine Attraktion, und sie wird zum Wahrzeichen der Stadt werden. Seit 2010 haben allein 67 000 Besucher die öffentlichen Baustellenführungen wahrgenommen, und in über 100 Elbphilharmonie-Konzerten stimmen sich die Hamburger und Gäste schon auf das Haus ein.

Wir haben allerdings erhebliche Zweifel, ob der Weg dahin, den der Senat mit der vorliegenden Neuordnungsvereinbarung einschlagen will, der richtige ist. Wir haben Zweifel, ob die hohen Nachforderungen, die nun wieder auf den Steuerzahler zukommen, wirklich gerechtfertigt sind. Und wir haben Zweifel, ob die Vertragskonstruktion wirklich geeignet ist, das doch arg zerrüttete Verhältnis zwischen den Vertragspartnern so zu regeln, dass es nicht wieder zu Streit und weiteren Nachforderungen sowie Bauverzögerungen kommen wird.

(Beifall bei der FDP)

(Jens Kerstan)

Wir hatten vor allem durch den viel zu engen parlamentarischen Beratungsverlauf nicht ausreichend Zeit, um uns davon zu überzeugen, dass all das mit einer größtmöglichen Wahrscheinlichkeit eben nicht mehr passieren wird. Die FDP-Fraktion wird den Verträgen daher heute nicht zustimmen.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie mich im Einzelnen auf die Beweggründe meiner Fraktion eingehen. Seit Beginn seiner Amtszeit hat der Erste Bürgermeister immer wieder mit der Kündigung der Verträge gegenüber HOCHTIEF gedroht. Im Sommerinterview mit "NDR 90,3" im letzten Juni sagte Olaf Scholz:

"Am besten ist es, HOCHTIEF baut fertig. Am zweitbesten ist es, wir organisieren das selbst."

Auch vor dieser Alternative müsse sich die Stadt, wie er sagte, nicht fürchten; das Know-how dafür sei in der Stadt vorhanden.

(Dietrich Wersich CDU: Heiße Luft!)

Heute, vor allem nach der Anhörung der Gutachter am 31. Mai im Haushaltsausschuss, ist allerdings klar, dass die Drohkulisse Kündigung nie wirklich belastbar war.

(Beifall bei der FDP und bei Andreas C. Wankum CDU)

Das heißt, dass der Bürgermeister extrem hoch gepokert hat, und das gleich auf verschiedenen Feldern:

Ein Stresstest – Fehlanzeige. Die Gutachten, die sich mit der juristischen Belastbarkeit der Kündigungsgründe befassten, waren offenkundig wenig aussagekräftig. Kein Kündigungsgrund wurde einem Stresstest unterzogen, der die materiellen Auswirkungen untersucht hätte.

Nachvollziehbare Kostenermittlungen – Fehlanzeige. Seit 2010 wurde regelmäßig eine Kündigung in Erwägung gezogen. Dennoch lag bis zum Stichtag 14. Dezember 2012 weder ein konkreter Mittelbedarf für das Projektmanagement noch für die Gesamtkosten vor.

Personalbedarfsberechnung – ebenfalls Fehlanzeige. Obwohl die ReGe einen personellen Mehrbedarf von zehneinhalb Mitarbeitern bei einer Kündigung angibt, ist sie nicht in der Lage, die zugrundeliegenden Berechnungen vorzulegen.

Dazu kommen enorme Risiken im Falle einer Kündigung des Vertrags mit HOCHTIEF, unklare Schadenersatzforderungen sowie ungelöste Probleme bei der Qualitätssicherung und der Haftungsübernahme bei einer Einzelvergabe durch die Stadt. Die Stadt wäre vollkommen unvorbereitet in diese Situation gerutscht, und das Ausmaß der Folgen lässt sich nur erahnen.

Man muss also sagen, dass das immer wieder als Drohkulisse aufgebaute Kündigungsszenario grundsätzlich und zu keinem Zeitpunkt zu Ende gedacht war. Bestätigt wurde das beispielsweise von Herrn Professor Diederichs, der sagte:

"…[D]as Kündigungsszenario kommt nicht in Betracht, es ist wirklich schlicht als gegenstandslos zu bezeichnen."

Damit gibt es nur zwei Szenarien. Beim ersten ging der Bürgermeister davon aus, dass die Kündigung gut vorbereitet war und die Risiken kalkulierbar waren. Damit lag er allerdings grundfalsch. Seine Verhandlungsstrategie wäre dann auf Sand gebaut gewesen; eine Harakiri-Taktik.

(Beifall bei der FDP)

Oder, zweites Szenario, der Bürgermeister wusste, dass das Kündigungsszenario nicht belastbar war. Dann hat er die Öffentlichkeit getäuscht, und die Verhandlungen mit HOCHTIEF erscheinen in einem völlig anderen Licht. Wenn nämlich HOCHTIEF von der De-facto-Unmöglichkeit einer Kündigung wusste, dann ist klar, dass HOCHTIEF der Stadt die Vertragsbedingungen, insbesondere beim Preis und bei den vielen Schlupflöchern, diktieren konnte.

Meine Damen und Herren! Wie auch immer das gewesen sein mag, auf den ersten Blick sieht die Neuordnungsvereinbarung nicht schlecht aus. Zahlreiche Probleme der vorherigen Verträge scheinen gelöst, und ich sage ganz bewusst, sie scheinen gelöst, denn ganz genau können wir das heute nicht beurteilen. Sachverständige im Haushaltsausschuss wie etwa Professor Diederichs haben das Vertragswerk als recht gelungen bezeichnet, besonders in folgenden Punkten: der Auflösung des Dreiecksverhältnisses, der Garantieübernahmen von HOCHTIEF und den pönalisierten Vertragsend- und -zwischenterminen. Herr Professor Leupertz sagte uns dazu, dass diese drei Risikobereiche weitgehend, aber nicht vollständig behoben seien.

Als Durchbruch und wegweisende Lösung aller Konflikte wurden uns und der Öffentlichkeit allerdings auch immer wieder die früheren Nachträge verkauft. Auch damals herrschte Begeisterung auf Senatsseite, egal welcher Couleur. Laut "Frankfurter Rundschau" bereitete Kultursenatorin Karin von Welck den Hamburgern mit dem Nachtrag 4 ein Weihnachtsgeschenk und eine solide Entscheidungsgrundlage, die alle Unklarheiten beseitigen würde. Was daraus geworden ist, haben wir seitdem schmerzhaft erfahren. Auch damals wiesen die Vertragskonstruktionen, genauso wie es heute der Fall ist, kleine Einschränkungen auf, und diese wurden von HOCHTIEF genutzt, um immer wieder mehr Geld, und zwar viel mehr Geld, zu fordern. Und genau diese kleinen Einschränkungen von damals haben dazu geführt, dass wir heute einen

weiteren Nachtrag beschließen sollen. Diese kleinen Einschränkungen haben außerdem dazu geführt, dass HOCHTIEF jetzt weitere 195 Millionen Euro haben will. Und sie haben dazu geführt, dass die Fertigstellung der Elbphilharmonie um weitere 59 Monate nach hinten verschoben werden muss. Aus der Anhörung der Sachverständigen hat sich für uns klar ergeben, dass die vorliegende Neuordnungsvereinbarung nicht wasserdicht ist. Deswegen haben wir erhebliche Zweifel.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Wenn wir eines schmerzlich aus der Vergangenheit gelernt haben, dann doch die Tatsache, dass wir ausreichend Zeit brauchen, um möglichst alle Risiken identifizieren, bewerten und benennen zu können – Zeit, sehr geehrter Herr Bürgermeister, die Sie uns dabei leider nicht eingeräumt haben.

(Beifall bei der FDP und bei Dietrich Wersich CDU)

Vor sechs Monaten wurden die Eckpunkte der Neuordnungsvereinbarung präsentiert. Die Senatsdrucksache haben wir seit nicht einmal zwei Monaten in den Händen, fast zwei Monate später als ursprünglich geplant. Das Aktenvorlageersuchen wurde von der Bürgerschaft am 23. Januar beantragt, erste Akten hat der Senat jedoch erstmals fast drei Monate später geliefert, am 15. April. Vollständig liegen die Akten erst seit dem 7. Mai vor. Die Abgeordneten hatten also gerade einmal 44 Tage inklusive Wochenenden und Feiertagen, also 30 Arbeitstage Zeit, um die insgesamt 178 Aktenordner zu sichten. Das macht, ich habe es einmal ausgerechnet, ein Pensum von 6 Aktenordnern pro Arbeitstag. Für alle von uns ist das sicherlich nur schwer zu stemmen.

(Gabi Dobusch SPD: Das ist ein Argument!)

Erschwert wurden die Arbeitsbedingungen durch die scharfen Geheimhaltungsauflagen, die Verschwiegenheitsklauseln und die Einschränkung, nur kurze Mitschriften anfertigen zu dürfen.

Meine Damen und Herren, sehr geehrter Bürgermeister! Alle Oppositionsfraktionen haben diesen engen Zeitplan von Beginn an massiv kritisiert und Sie aufgefordert, dem Parlament seine Kontrollfunktion zu ermöglichen. Stattdessen aber wurden die Rechte des Parlaments sehenden Auges erheblich eingeschränkt. Der Zeitplan für die Parlamentsentscheidung ist immer und immer wieder vom Bürgermeister nach hinten verschoben worden. Das Enddatum, der 30. Juni, aber blieb, und das vollkommen willkürlich, wie die Aussagen im Haushaltsausschuss am letzten Freitag gezeigt haben.

(Beifall bei der FDP und bei Dietrich Wersich CDU und Jens Kerstan GRÜNE)

Herr Scholz, die Wahrheit ist, dass es Ihnen völlig egal ist, ob das Parlament sich eine fundierte Haltung bilden konnte oder nicht. Sie haben sich allein auf Ihre kritiklose Regierungsfraktion SPD verlassen, und an diesem Eindruck kann auch der heute vorgelegte Alibi-Zusatzantrag nichts ändern, liebe Kollegen von der SPD.

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der CDU und bei Dr. Eva Gümbel GRÜNE)

Dass das Gerede des Ersten Bürgermeisters von der Transparenz nicht ernst gemeint war – und das ärgert mich wirklich –, belegt die Senatsanhörung vom vergangenen Freitag. Die FDP-Fraktion und wohl auch alle Oppositionsfraktionen hätten erwartet, dass der Erste Bürgermeister sich unseren Fragen stellt,

(Beifall bei Dr. Eva Gümbel GRÜNE)

und zwar nicht hinter verschlossenen Türen bei informellen Gesprächen mit den einzelnen Fraktionen, sondern ganz öffentlich im Ausschuss. Herr Dressel, das haben wir und meine Kollegen von den anderen Fraktionen Ihnen und dem Bürgermeister schon damals in den Gesprächen mit den Fraktionsvorsitzenden gesagt.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU und den GRÜNEN)