Protokoll der Sitzung vom 15.08.2013

Die Vorfälle müssen nun richtig eingeordnet und bewertet werden. Im Justizausschuss hat die Senatorin inzwischen über die eingeleiteten Sofortmaßnahmen und die Pläne, wie verbliebene Schwachstellen in der UHA zu beheben sind, berichtet und weitere Aufklärung angekündigt. Diese Aufarbeitung werden wir auch im Justizausschuss weiter fortsetzen. Dieses Vorgehen der Justizsenatorin, die eben keine voreiligen Schlüsse zieht und keine Vorverurteilungen trifft, rechne ich ihr hoch an, denn – hören Sie gut zu, Herr Trepoll – ein Justizsenator zeigt,

"[…] dass er sich dem Prinzip der Ministerverantwortung stellt, wenn er die Fehler auf sich nimmt und sich dabei vor seine Mitarbeiter stellt. Das, finde ich, ist ein anständiges und faires Verhalten."

Das war übrigens ein Zitat von Ihnen, Herr Kollege Trepoll, aus der vorletzten Legislaturperiode, bezogen auf den damaligen CDU-Justizsenator Carsten-Ludwig Lüdemann.

(Beifall bei der SPD)

Ich hoffe, Sie erinnern sich noch daran und messen hier nicht mit zweierlei Maß.

(Beifall bei der SPD)

In derselben Debatte im Jahr 2008 nach dem letzten spektakulären Ausbruch aus der UHA sagte Justizsenator Lüdemann von der CDU übrigens:

"Nun war ich lange genug selbst Abgeordneter, um zu wissen, wenn so ein Senator erst einmal unter Beschuss gerät, dann muss man das Feuer irgendwie am Brennen halten."

Diese offenbar alte CDU-Abgeordnetenregel beherzigen Sie, lieber Kollege Trepoll und auch lieber Herr Kollege Müller, wenn Sie eine Debatte anmelden mit den Stichworten "Justiz in schwerer See" oder "Dauerkrise in der Hamburger Justiz". Aus Oppositionssicht ist Ihr Vorgehen nur allzu verständlich, und vielleicht war die Presseberichterstattung in der sommerlichen Saure-Gurken-Zeit auch zu verlockend für einen Generalangriff auf die Justizsenatorin.

Niemand und schon gar kein Sozialdemokrat nimmt das Thema Justiz- und Strafvollzug auf die leichte Schulter. Ich setze allerdings weiterhin darauf, dass es allen Anwesenden hier um sachliche Aufklärung und nicht um blanke Skandalisierung geht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Nun hat Herr Müller das Wort.

(Urs Tabbert)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Tabbert, es hat jetzt wenig Sinn, in einer Situation, wo wir auch in der Öffentlichkeit tatsächlich über eine Justizkrise sprechen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sie sprechen von einer Justizkrise!)

immer auf eine Vergangenheit zu verweisen, die jetzt offenbar nicht weiterhilft.

(Beifall bei den GRÜNEN und der CDU)

Es gibt allen Grund, dass das Parlament sich aktiv damit auseinandersetzt, und das tun wir einerseits im Justizausschuss und eben heute auch hier.

(Wolfgang Rose SPD: Na ja!)

Wir haben es hier mit ganz vielen Bereichen zu tun, die auf einmal hochgekommen sind. Fangen wir doch einmal mit dieser filmreifen Flucht aus der U-Haft an, die wir im Juli erleben konnten. Wenn wir uns einmal die Ursachen anschauen, dann war auch in der Senatsantwort auf diese Vorkommnisse zu lesen, dass sich im Dezember letzten Jahres die U-Haftanstalt in ihrer Personalnot nicht anders zu helfen wusste, als die Sicherheitsmaßnahme der täglichen Gitterkontrollen herunterzufahren, um mit dieser Personalnot zurechtzukommen. Sie hat den Antrag beim Strafvollzugsamt gestellt, und das Strafvollzugsamt hat das dann eben auch genehmigt. Das Ergebnis dieser Sache ist: Die Senatorin wusste von diesem Vorgang nichts, ordnete dann nach der Flucht am 19. Juli die sofortige tägliche Gitterkontrolle wieder an. Und weil wir vorher einen Personalnotstand hatten, mussten dafür etliche Bedienstete von Billwerder in die U-Haft wechseln. Das hätte sie wahrscheinlich im Dezember schon tun sollen, das war ein Versäumnis.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Eben ist schon erwähnt worden, dass bei dieser Baustelle der Außenmauer, die, wenn sie fertig gebaut ist, tatsächlich für mehr Sicherheit in der UHaft sorgen soll, viele Dinge passiert sind und auch vorlagen und dass ein Mitarbeiter dann tatsächlich in seiner Not eine Mail geschrieben und darauf hingewiesen hat, dass es aus seiner Sicht dort erhebliche Sicherheitsprobleme gebe; Herr Trepoll hat eben schon zitiert. Auch hier haben wir festgestellt, dass die Behörde und die Senatorin von dieser Mail nichts wussten. Aber was aus meiner Sicht viel gravierender war: Zwei Monate lang, nachdem gemeldet wurde, dass dieses Teilstück Stacheldraht auf der Außenmauer fehle, ist nichts passiert – bis zum 19. Juli. Und man weiß bis heute nicht, das haben wir auch im Ausschuss nicht klären können, warum nicht gehandelt wurde. Das bleibt weiter offen, und auch die Senatorin wusste darauf keine Antwort.

Dann müssen wir uns noch einmal damit auseinandersetzen, wieso es überhaupt eine Personalnot in der U-Haft gab, denn wir wissen doch alle, dass wir seit Jahren weniger Gefangene und eher einen Überhang beim Personal haben. Da fragt man sich doch, wie es dann zu einer Personalnot in einer einzelnen Anstalt kommt, und wenn es dazu kommt, wieso sie nicht behoben werden kann. Viele Fragen, keine Antworten – hier ist eine richtige Baustelle, zu der es bisher keinerlei Lösungen und Antworten von der Justizbehörde gegeben hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Wir haben jetzt nachgefragt – auch im Zusammenhang mit der Staatsanwaltschaft, das ist die andere Baustelle –, wie es denn eigentlich mit dem Personal in den einzelnen Justizvollzugsanstalten aussehe. Dann kam die Antwort, das könnten Sie uns so nicht sagen, das sei Verwaltungstätigkeit, da gebe es keine Antworten, wo eigentlich Personal abgebaut würde. Auch das geht so nicht, Frau Senatorin, das muss das Parlament schon erfahren, wenn wir wissen, dass es auch durch die angebliche Personalknappheit gravierende Sicherheitsprobleme gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Roland Heintze und André Trepoll, beide CDU)

Dann erreichte uns der Brandbrief der Staatsanwaltschaft, und das hat auch etwas mit dem Thema Sicherheit zu tun. Sie haben entschieden, dass bei der Polizei und der sogenannten Inneren Sicherheit ein Schonbereich gelten soll. Nun arbeitet die Polizei fleißig, macht und tut, die Ermittlungen laufen, die Akten sind fertiggestellt und sollen dann zur Staatsanwaltschaft kommen. Was passiert? Dort sollen nun, wie in dem Brief steht, bis 2015 25 Stellen abgebaut werden. Uns im Parlament wurde gesagt, das seien nur 7,9 Stellen. Wie auch immer: Zurzeit sagt die Staatsanwaltschaft – und man kann ihr auch erst einmal glauben –, dass sie die Arbeitsfähigkeit ihrer Behörde in den nächsten Jahren nicht mehr gewährleisten könne. Das ist ein schlimmer Vorgang, und auch dazu haben wir von der Senatorin außer verwirrenden Zahlen, die nicht stimmen, keinerlei Antworten gehört. Weitere Nachfragen sind garantiert, und ich frage mich tatsächlich, ob es neben dieser Justizkrise auch ein ausgeartetes Stellenchaos in dieser Behörde gibt.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Die sogenannte Justizkrise!)

Das ist ernst zu nehmen, weil die Justiz ein ganz wichtiger Baustein der Sicherheit dieser Stadt ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Roland Heintze und André Trepoll, beide CDU)

Wir werden die weiteren Baustellen noch ausgiebig bearbeiten, wir sind noch lange nicht fertig, und wir

haben ein großes Interesse daran, dass es gut wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Jetzt bekommt Frau von Treuenfels das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Senatorin Schiedek, Sie werden sich vielleicht aus dem Kino erinnern, dass Steve McQueen in dem berühmten Streifen "Papillon" drei gefährliche Versuche braucht, bis er endlich aus dem Gefangenenlager fliehen kann. In "Flucht aus Alcatraz" quält sich Clint Eastwood durch abenteuerliche Lüftungsschächte, um knapp zu entkommen. So dramatisch inszeniert Hollywood Gefängnisausbrüche, aber diesen Aufwand könnten sich die Studiobosse in Hollywood sparen, sollte sie der Senat im Rahmen der Standort- und Filmförderung einmal an die Elbe einladen. In Hamburg reichen unter Justizsenatorin Jana Schiedek nämlich Messer, Gabel und Besenstiel, um auszubrechen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

In Hamburg kann ein mutmaßlicher Sexualstraftäter locker über die Mauern der Untersuchungshaftanstalt klettern. In Hamburg bemerkt das Wachpersonal die Grabeversuche in der Zelle wochenlang nicht, und den ausgelösten Alarm nach der Überwindung der Gefängnismauer schreibt es irgendwelchen Tieren zu. Diese Hamburger Zustände sind hanebüchen und eigentlich unglaublich. Anders als im Kino ist das für Hamburg weder spannend noch unterhaltsam, sondern nur peinlich und auch gefährlich.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Die "Bergedorfer Zeitung" und auch ich als Abgeordnete erhalten anonyme Briefe von frustrierten Justizmitarbeitern – sie wurden eben zitiert –, die schon vor diesem Ausbruch die unzureichende Sicherheitslage in der heruntergekommenen U-Haftanstalt zum Inhalt hatten. Wie muss es denn um die interne Kommunikationskultur der Justizbehörde stehen, wenn Mitarbeiter sich mit Warnungen nicht ernst genommen fühlen und sich deshalb an Opposition und Presse wenden, Frau Senatorin?

(Beifall bei der FDP und bei André Trepoll CDU)

Die Gefängnisleitung hatte die Gitterkontrollen in den Zellen aus Personalmangel erheblich reduziert. Sie, Frau Senatorin, haben von dieser Änderung bis zum Ausbruch nicht einmal etwas gewusst. An den Baustellen fehlte über längere Zeit eine Stacheldrahtsicherung. Sie haben bis zum

Ausbruch davon aber auch nichts gehört, Frau Schiedek. Als Sie, Frau Senatorin, dann an Ort und Stelle eintrafen, hieß es, ein herunterhängendes Kabel habe Thomas S. zur Flucht verholfen. Aber erst das Geständnis des später gefassten Flüchtlings klärt auf, wie es wirklich war. Offenbar gibt es ein breites Angebot zum Abhauen in dieser U-Haftanstalt, Frau Senatorin, und das stimmt uns trostlos.

(Beifall bei der FDP)

Das zeigt vor allen Dingen, dass Sie in Ihrer Behörde völlig abgekoppelt von den Problemen in der U-Haftanstalt sind, die doch nur ein paar Straßenecken entfernt ist. Sie erfahren anscheinend nichts. Die Probleme sind, wie im berühmten Filmtitel, vom Winde verweht.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist ja ein ci- neastisches Feuerwerk, das Sie hier abzie- hen!)

Und dann erleben wir noch diese Peinlichkeit, dass Sie nicht in der Lage sind – hören Sie zu, hier wird es wichtig –, den starken Anstieg der Kosten für die geplante Sanierung der U-Haftanstalt schlüssig zu erklären. 2011 haben Sie uns in der Antwort auf eine Schriftliche Kleine Anfrage gesagt, dass mit gut 10 Millionen Euro zu rechnen sei. Jetzt sind es schon 16,5 Millionen Euro, und Sie, Frau Senatorin, wollen uns in der Sondersitzung des Justizausschusses weismachen, der Anstieg beruhe, so wörtlich, auf gestiegenen Handwerkertarifen. Fast zwei Drittel mehr in zwei Jahren für teures Handwerk? Das ist doch grober Unfug.

Glasklar dagegen ist, warum Frau Schiedek mit der überfälligen Erneuerung der maroden U-Haftanstalt in den zwei Jahren ihrer Amtszeit nicht wirklich vorangekommen ist: weil Sie zu oft in Berlin unterwegs waren, um sich in Sachen Frauenquote im Bundesrat zu profilieren.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU – Dr. Andreas Dressel SPD: Jetzt kommt die Leier wieder!)

Derweil haben Sie Ihre Aufgaben hier in der Hansestadt vernachlässigt. Wenn Sie in Ihrem Hamburger Verantwortungsbereich etwas unternommen haben, dann war es das zweijährige mutlose Herumdoktern an der Umstrukturierung des Justizvollzugs, und das auch noch mit schlechtem Ergebnis.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Die millionenteure Verlegung des Frauenvollzugs nach Billwerder wird von allen relevanten Fachleuten und der gesamten Opposition abgelehnt. Ich werde nicht müde, das zu erwähnen – schon wegen der unwägbaren Risiken für die Frauen. Welche Zustände aber in Billwerder herrschen, haben die öffentlich gewordenen Gewaltvorfälle um den