Protokoll der Sitzung vom 07.11.2013

Mit der vorliegenden Großen Anfrage unserer Fraktion und der Antwort des Senats liegen uns nunmehr wertvolle Daten und Fakten zur Zeitarbeit in Hamburg vor. Das ist deshalb erfreulich, weil wir damit einen wichtigen Schritt weiterkommen, um viele Mythen und Ammenmärchen über die angeblich so böse Zeitarbeit zu entzaubern. Die folgenden drei Erkenntnisse, die man der Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage entnehmen kann, sind mir dabei besonders wichtig.

Erster Punkt: Die politische Debatte rund um die Zeitarbeit wird von der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN oft unter dem Gesichtspunkt eines vermeintlichen Missbrauchs dieses Instruments geführt.

(Tim Golke DIE LINKE: Der findet ja auch statt!)

Ein solcher Missbrauch ist an den uns vorliegenden Zahlen, wie sie sich aus der Großen Anfrage ergeben, eben nicht abzulesen. Nur 3,1 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten waren in Hamburg am Stichtag überhaupt in einem Zeitarbeitsverhältnis beschäftigt, bundesweit sind

es nur 2 Prozent. Von einer massiven Verdrängung regulärer Beschäftigung kann also überhaupt keine Rede sein.

Zweiter Punkt: Die Zeitarbeit ist eine Chance gerade für gering Qualifizierte. Berufliche Biografien verlaufen nicht immer gradlinig. Es gibt vielfältige Lebensumstände, die dazu führen, dass Menschen sich beruflich nicht in dem Maße qualifizieren, wie sie dieses vielleicht ursprünglich beabsichtigt und geplant haben. Es ist beispielsweise der Umzug in ein anderes Land, die Betreuung von Kindern oder persönliche Schicksalsschläge. Das alles können Gründe für so eine Berufsbiografie sein. Damit werden die beruflichen Perspektiven dieser Menschen enger, und die Zeitarbeit bietet gerade diesen Menschen die Möglichkeit und die Chance, ein dauerhaftes, sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis neu begründen zu können.

Fast die Hälfte der Zeitarbeitnehmer und Zeitarbeitnehmerinnen in Hamburg hat keinen Berufsabschluss beziehungsweise ihre Ausbildung ist nicht bekannt. Genau diese Gruppe erhält über die Zeitarbeit eine Chance, die sich sonst vermutlich nicht ergeben würde.

(Beifall bei der FDP)

Dritter Punkt: In der Zeitarbeit werden ganz überwiegend ordentliche Löhne gezahlt. Das Entgeltniveau ist tarifgebunden, Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer, die einfache Hilfstätigkeiten ausführen, die also in die untere Lohnstufe fallen, verdienen mehr als 4,5 Millionen Beschäftigte anderer Branchen, nämlich 8,50 Euro im Westen und 7,86 Euro pro Stunde im Osten. Seit 2010 sind die Löhne in der Zeitarbeit in den neuen Bundesländern und in Berlin um 18,2 Prozent gestiegen, in den alten Bundesländern um 11,8 Prozent. Weitere Anhebungen für 2015 und 2016 sind vereinbart. Sie werden Mühe haben, eine andere Branche zu finden, in der es in den vergangenen Jahren vergleichbare Lohnsteigerungen gegeben hat.

(Glocke)

Herr Golke, Sie sind gleich im Anschluss dran.

Vor dem Hintergrund dieser Fakten und Erkenntnisse über die positiven Effekte von Zeitarbeit ist es für mich dann ein Rätsel, warum der Senat der Zeitarbeit durch die von ihm gestartete Bundesratsinitiative unnötige weitere Fesseln anlegen will. Das Vorgehen des Senats erscheint uns in diesem Punkt ideologiebehaftet, und die Zeitarbeit wird an Stellen stigmatisiert, bei denen es zum Teil gar nicht um Zeitarbeit geht.

Unterm Strich wird sich die FDP weiterhin klar und deutlich für Zeitarbeit starkmachen. Die Antworten auf die vorliegende Große Anfrage bestärken uns in dieser Position ausdrücklich. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Herr Schwieger, Sie haben jetzt das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Kluth, in einem Punkt bin ich Ihnen ausdrücklich dankbar, nämlich dass Sie meine nichtparlamentarische Aussage Ihnen gegenüber gestern Abend sozusagen in den parlamentarischen Sprachgebrauch übersetzt haben.

Nach Ihrer Darstellung der Antwort auf Ihre Große Anfrage habe ich mich fast gefragt, ob es unterschiedliche Antworten gibt, speziell eine für die FDP-Fraktion. Das scheint mir aber nicht üblich zu sein. Von daher muss man sich wirklich fragen, welche Antwort Sie gelesen haben.

(Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP: Da können Sie mal den Senat fragen!)

Bei der Einführung der Zeitarbeit hat der Gesetzgeber natürlich bestimmte Ideen verfolgt. Unternehmen sollten die Möglichkeit erhalten, in auftragsstarken Zeiten mit zusätzlichen Arbeitskräften vorübergehend und zeitlich befristet Personalengpässe, die unvorhersehbar für das Unternehmen waren, zu überbrücken. Hier wurde eine Flexibilität für die Unternehmen geschaffen, die auch Erwerbslosen eine Chance bieten sollte, denn solch ein Engpass an Arbeitskräften bei Unternehmen könnte für Arbeitslose ein Wiedereinstieg in das Erwerbsleben sein und Berufseinsteigern eine Orientierung auf dem Arbeitsmarkt bieten. Soweit die Theorie.

In Einzelfällen gelingt dies, doch Studien auf Bundesebene zeigen, anders als Sie es gerade dargestellt haben, leider etwas anderes. Viele Leiharbeitskräfte hangeln sich entweder von Zeitarbeit zu Zeitarbeit oder sind nach der kurzen Erwerbstätigkeit erneut von Arbeitslosigkeit bedroht. So dauerten 49 Prozent der im zweiten Halbjahr 2012 ausgelaufenen Arbeitsverhältnisse nach Auskunft der BA weniger als drei Monate. Der Weg über die Zeitarbeit in die Erwerbsarbeit ist, um mit den Worten des IAB zu sprechen, nur ein ganz schmaler Steg.

Die Zeitarbeit ist nur sinnvoll, wenn sie in Form ihrer gerade skizzierten Grundsätze angewendet wird. Deshalb ist aus unserer Sicht die Vermittlung von Arbeitslosen in die Zeitarbeit nur in Einzelfällen – und ich betone: in Einzelfällen – wirklich sinnvoll, sie darf jedoch nicht als ein flächendeckendes Instrument eingesetzt werden.

(Beifall bei der SPD)

Leider ist die Zeitarbeitsbranche häufig von Missbrauch geprägt. Deshalb muss sie auf ein Mindestmaß begrenzt bleiben und darf vom Unternehmen nicht zur Steigerung seiner Wirtschaftlichkeit benutzt werden.

(Beifall bei der SPD und bei Tim Golke DIE LINKE)

Im IAB-Kurzbericht von 2013 wurde berechnet, dass zwar circa 50 Prozent der Arbeitsverhältnisse im Rahmen von Zeitarbeit zusätzlich sind, dass bei der anderen Hälfte die Zeitarbeit jedoch reguläre Beschäftigungsverhältnisse verdrängt. Das darf nicht passieren. Zeitarbeit darf keine regulären Beschäftigungsverhältnisse verdrängen oder ersetzen.

(Beifall bei der SPD)

In seinem eigenen Verantwortungsbereich kommt der Senat dieser Forderung mit seinen Richtlinien über Beschäftigung von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern nach und hat auch entsprechende Gesetzesvorlagen in den Bundesrat eingebracht. Es tut mir leid, dass die nicht Ihre Zustimmung finden. Der Senat nimmt damit seine Vorbildfunktion als öffentlicher Arbeitgeber wahr. Das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit hat unbedingt zu gelten. Dieser Grundsatz soll Arbeitgebern den Anreiz nehmen, Stammpersonal durch Leiharbeiter zu ersetzen, um Lohnkosten zu drücken.

(Beifall bei der SPD)

Das ist leider immer wieder in der Zeitarbeitsbranche zu beobachten. Diese Handhabung ist für beide Seiten, nämlich für die Stammbelegschaft einerseits und die Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer andererseits, nicht hinnehmbar. Arbeitnehmerschutzrechte, die die Zeitarbeitskräfte innehaben, sind an die Dauer der Entleihung gekoppelt. So können Kündigungsschutzregelungen schnell umgangen werden. Häufig wechselnde Einsatzorte, der geringe Organisationsgrad der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Leiharbeit und vor allem die meist niedrige Entlohnung, verglichen mit dem Stammpersonal, sind Charakteristika prekärer Beschäftigung.

Tarifvertragsparteien versuchen, eine volle Angleichung der Entgelte von Leiharbeitern und Stammbelegschaft durch Branchenzuschläge zu erreichen. Diese Verhandlungen gilt es im Kampf um faire Bezahlung hervorzuheben. Hier wurden gute Ergebnisse erzielt, doch "Equal Pay" muss ein Prinzip sein und kein Resultat kleinteiliger, branchenspezifischer Verhandlungen. Nur mit einer gesetzlichen Lösung sehen wir das Prinzip gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit in der gesamten Zeitarbeitsbranche umgesetzt.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns alle daran mitwirken, das Instrument Zeitarbeit auf das zurückzuführen, was ursprünglich geplant war, um die Auswüchse zu beseitigen. Die SPD-Fraktion plädiert für Kenntnisnahme, eine Überweisung lehnen wir ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Dr. Föcking, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wie so oft beim Thema Arbeitsmarkt ist in der Diskussion alles entweder ganz schwarz oder ganz weiß und manchmal auch ganz rot.

(Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg übernimmt den Vorsitz.)

Aber wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte. Mir ist nämlich jetzt wieder deutlich geworden, dass es zu einfach ist, Zeitarbeit einfach prekär zu nennen und zur Leiharbeit abzuwerten. Weder ist Zeitarbeit der Arbeitsplatzvernichter, als den sie manche gern darstellen, noch hat Zeitarbeit automatisch den sogenannten Klebeeffekt, wonach der Arbeitslose, der nun endlich wieder einen Job bekommt, in jedem Fall dort kleben bleibt.

(Beifall bei der CDU)

Die Wahrheit liegt wirklich dazwischen, das zeigen auch die Antworten auf die Große Anfrage der FDP, die übrigens eine Große Anfrage, die die CDU schon vor einem Jahr zu diesem Thema gestellt hat, noch ergänzt.

In den letzten 20 Jahren hat die Zeitarbeit stark zugenommen, um durchschnittlich immerhin 9 Prozent pro Jahr. Das bedeutet aber nicht, auch wenn manche das gern behaupten, dass wir zu viele Zeitarbeiter hätten, während die klassischen Stammbelegschaften entlassen würden. Tatsache ist vielmehr – der Kollege Kluth hat es schon gesagt –, dass nicht einmal 2 Prozent der mittlerweile gut 42 Millionen sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen in Deutschland in Zeitarbeit beschäftigt sind. In Hamburg sind es ein bisschen mehr, da sind es 3 Prozent, nämlich 27 000 Beschäftigte. Aber da sind wiederum auch die ganzen Stammbelegschaften der immerhin 580 Zeitarbeitsfirmen, die es in Hamburg gibt, mit eingerechnet. Sie haben nämlich ein eigenes Stammpersonal von Verwaltungskräften, Sekretärinnen, Geschäftsführern und so weiter. 2012 ist übrigens die Zeitarbeit wieder leicht zurückgegangen, sowohl in Hamburg als auch bundesweit, und man muss schauen, wie sich das weiterentwickelt.

In verschiedenen wissenschaftlichen Studien – und da frage ich mich, Kollege Schwieger, ob wir die gleichen gelesen haben – wurde die Zeitarbeit nämlich näher untersucht.

(Finn-Ole Ritter FDP: Sicherlich nicht! Das war ja Gewerkschaftsliteratur!)

Es war auch Ihr IAB dabei, das ist ja Bundesagentur.

(Finn-Ole Ritter FDP: Selbst geschrieben! Herr Rose hat das geschrieben!)

Dabei ist Folgendes deutlich geworden, und da sind sich die Studien auch ziemlich einig: Unternehmen nutzen Zeitarbeit vor allem – und so war es auch gedacht –, um Auftragsspitzen oder Personalausfälle aufzufangen. Die Mehrzahl der Unternehmen, die bei guter Auftragslage zusätzlich Zeitarbeiter einstellen, bauen gleichzeitig ihr Stammpersonal nicht ab, sondern auf. Zeitarbeitnehmer haben außerdem zu über 90 Prozent selbst eine reguläre Vollzeitstelle, nämlich bei ihrer Zeitarbeitsfirma.

Zeitarbeit – und das ist jetzt nicht das wirtschaftliche, sondern das arbeitsmarktpolitische Argument – ist ein wichtiges Tor aus der Arbeitslosigkeit. Im zweiten Halbjahr 2012 kamen mehr als die Hälfte aller neuen Zeitarbeitnehmer aus der Arbeitslosigkeit, jeder fünfte von ihnen übrigens aus der Langzeitarbeitslosigkeit. Und man hat gemerkt, dass gerade für ungelernte Männer, mehr als für Frauen, die Zeitarbeit ein wichtiger Weg ist, wieder einen Job zu finden. Das ist natürlich nicht so gut wie eine unbefristete Stelle, da gebe ich Ihnen recht, aber es ist allemal besser als Arbeitslosigkeit. Und gerade Alleinstehende schaffen in der Regel durch die Zeitarbeit dann auch den Weg raus aus dem Arbeitslosengeld.

(Beifall bei der CDU)

Das sind einige der positiven Seiten der Zeitarbeit – es gibt noch mehr –, aber auch deren Probleme sollen hier nicht verschwiegen werden. Die von Ihnen erwähnte IAB-Studie, Herr Schwieger, kommt mittels eines sehr komplizierten statistischen Verfahrens zu dem Schluss, dass etwa die Hälfte der neuen Zeitarbeitsplätze tatsächlich zusätzlich ist. Die andere Hälfte geht offenbar auf Kosten regulärer Jobs, meistens aber nicht im gleichen Unternehmen, sondern gesamtwirtschaftlich betrachtet; das macht diese ganze Untersuchung auch so schwierig. Und jetzt ist natürlich die Frage: Ist das Glas halb voll oder halb leer?

Zu den negativen Seiten gehört auch, dass die Arbeitnehmer bei ihrer Zeitarbeitsfirma oft nur sehr kurz beschäftigt sind. Außerdem gilt das Prinzip der gleichen Bezahlung für gleiche Arbeit – zumindest nach einer bestimmten Frist – an vielen Stellen noch nicht.

Die Zeitarbeit hat also zwei Seiten. Deshalb sehen wir es als CDU auch sehr kritisch, wenn die Zeitarbeit möglichst um jeden Preis zurückgedrängt werden soll, aber ebenso wenig wollen wir die Zeitarbeit um jeden Preis einfach unreguliert laufen lassen.

(Beifall bei der CDU)