Protokoll der Sitzung vom 07.11.2013

Dass der Vollzug des Gesetzes diese grundlegenden Fragen des einfachsten, gemeinsamen Interesses missachtet und Menschen, die sich durch Wanderung aus dem Elend herausarbeiten wollen, ins Elend zurückstößt, empört das Gerechtigkeitsempfinden,

(Beifall bei der LINKEN und bei Antje Möller GRÜNE)

und zwar gerade in einer Stadt, die von ihrer Funktion in einer globalisierten Welt lebt. Der Konflikt zwischen Recht und Humanität ist ein alter Konflikt. Deshalb ist es auch von Interesse, was die Alten sagen. Einen der Alten will ich hier zu Gehör bringen. Der Philosoph Immanuel Kant hat diesem Konflikt in seiner lesenswerten Schrift "Streit der Fakultäten" ein Kapitel gewidmet. Darin geht er der Frage nach – ich zitiere –:

"Ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten zum Besseren sei."

Er bejaht das und begründet seinen Optimismus – und es ist wirklich ein Optimismus, die Schrift

entstand 1798 während der Französischen Revolution – nicht mit diesen oder jenen Taten, nicht mit der Französischen Revolution, sondern mit der Sympathie, mit der Nicht-Beteiligte das Ereignis verfolgten, mit der Denkungsart, wie er schreibt, der Zuschauer und ihrer uneigennützigen und zugleich enthusiastischen Teilnahme am Guten. Kant stellt diese Fragen im Kapitel, das vom Streit zwischen der juristischen und der philosophischen Fakultät handelt. In der Sittlichkeit und Humanität, die er in der philosophischen Fakultät ansiedelt, sieht er den Grund für den Fortschritt im gesellschaftlichen Zusammenleben der Menschen. Kant war kein Revolutionär und schon gar nicht propagierte er den Gesetzesbruch. Nein, er plädierte für ein Recht, das mit der sittlichen Vernunft oder, modern gesprochen, mit der Humanität in Übereinstimmung steht oder in Übereinstimmung gebracht werden muss.

Deshalb unterstützen wir den Antrag der GRÜNEN und natürlich die Überweisung aus folgenden Gründen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Jetzt ist auch Kant für ein Bleiberecht, oder?)

Erstens: Dieser Antrag zeigt in Punkt 1 den Weg, wie Sie als Senat und Sie als SPD-Fraktion den Ermessensspielraum nutzen können, den das Recht lässt. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, nicht alles, was möglich ist, zu tun.

Zweitens: Er zeigt in Punkt 2 und 3, dass und wie Sie die große Solidarität nutzen und Impulse für die dringend notwendige Änderung ungerechter Gesetze geben können. Über die Einzelheiten können wir uns dann im Ausschuss unterhalten. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Herr Dr. Schäfer, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. In aller Kürze noch einmal, Herr van Vormizeele. Hier wurde überhaupt nichts Neues propagiert und beschrieben, sondern das noch einmal bekräftigt, was schon seit Wochen von meiner Fraktion und diesem Senat dargelegt wird.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Dann kön- nen wir ja abstimmen!)

Das Verfahren hat sich nicht geändert und wird sich nicht ändern. Nichts anderes habe ich dargelegt.

Zweitens: Wir überweisen den Antrag an den Ausschuss, weil wir es für richtig halten, in dieser Situation dieses Thema so offen wie möglich zu besprechen und immer wieder zu besprechen. Und wenn der Wunsch aus diesem Hause darin besteht, darüber zu diskutieren, dann kommen wir

(Christiane Schneider)

dem selbstverständlich nach, weil es notwendig und richtig ist, das zu tun.

(Beifall bei der SPD und bei Antje Möller GRÜNE)

Umso weniger verstehe ich die Haltung der FDP, die Überweisung abzulehnen, zumal wir Ihren Antrag von gestern, der fragwürdig genug war, um ihn einfach abzulehnen, auch überweisen, um über dieses Thema angemessen sprechen zu können. Das halten wir für eine angemessene Verfahrensweise in dieser Sache.

(Beifall bei der SPD und bei Antje Möller GRÜNE)

Herr Ritter, Sie haben das Wort.

Ich mache es ganz kurz. Herr Dr. Schäfer hat, glaube ich, unseren Antrag nicht verstanden. Er ist in die Zukunft gerichtet, wie wir die Flüchtlingspolitik auf Europaebene ändern können. Dieser Antrag, wie von Herrn van Vormizeele und meinem Kollegen Jarchow gerade richtig beschrieben, setzt praktisch den Punkt davor, dass es eine Gruppenlösung in Hamburg geben darf. Diese Entscheidung tragen wir nicht mit. Wir wollen es im Ausschuss nicht noch einmal diskutieren, das ist unsere Haltung gewesen.

(Beifall bei der FDP)

Frau Möller, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Ritter, dieser Antrag zielt auch in die Zukunft. Er zielt in die Zukunft des Eingabenausschusses, er zielt in die Zukunft der Härtefallkommission, und er zielt in die Zukunft der hamburgischen Gerichte, die sich damit beschäftigen werden. Wir haben die politische Pflicht – ich freue mich, dass das einvernehmlich ist –, uns auch um die Zukunft dieser Menschen, die hier Schutz gesucht haben, zu kümmern.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Herr Voet van Vormizeele, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will es genauso kurz machen. Das Signal, das Sie heute Abend senden, liebe Kollegen der SPD-Fraktion, ist ein falsches. Ich glaube auch, dass Sie in der Tat nicht mehr den Mut haben, die eigene Meinung, die Sie in den letzten Wochen so konsequent vorgetragen haben, durchzuhalten. Seien Sie mir nicht böse, aber die Nicht-Teilnahme des Innensenators an dieser Sit

zung, der hier gehandelt hat, der die Verantwortung trägt, ist ein beredtes Zeichen dafür.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Ich sehe jetzt keine weiteren Wortmeldungen, dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 20/9714 (Neufassung) an den Innenausschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf, Drucksache 20/9504, Große Anfrage der FDP-Fraktion: Zeitarbeit in Hamburg.

[Große Anfrage der FDP-Fraktion: Zeitarbeit in Hamburg – Drs 20/9504 –]

Diese Drucksache möchte die FDP-Fraktion an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration überweisen. Wird das Wort gewünscht? – Herr Dr. Kluth, Sie haben es.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist die letzte Debatte an diesem Tag. Wir hatten der Mehrheitsfraktion der SPD einen Vorschlag gemacht, und dieser Vorschlag lautete: Lassen Sie uns die Große Anfrage im Ausschuss diskutieren.

(Jens Kerstan GRÜNE: Sehr gut! – Glocke)

Herr Dr. Kluth, entschuldigen Sie kurz. Ich bitte um Ruhe im Plenum, hören Sie dem Redner zu. Wenn Sie nicht zuhören möchten, verlassen Sie bitte den Raum. – Fahren Sie bitte fort, Herr Dr. Kluth.

Wir hatten den Vorschlag unterbreitet, die Sache im Ausschuss zu diskutieren und auf die Debatte heute zu verzichten und sie zu einem späteren Zeitpunkt zu führen. Die SPD hat das gestern abgelehnt. Ich darf den Kollegen Schwieger zitieren, der gesagt hat, er freue sich auf die Debatte und er beabsichtige, die FDP in Grund und Boden zu reden. Ich glaube, das war Ihre Formulierung. Sie können sich vorstellen, dass ich in der Nacht kaum geschlafen habe angesichts dieser Ankündigung.

Gestatten Sie mir auch, dass ich die Debatte bei dieser Drohung etwas versöhnlich mit einem Zitat eröffne – ich zitiere –:

"Über die größere, beschäftigungswirksame Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt wurden für

(Dr. Martin Schäfer)

Arbeitslose und Erwerbspersonen in der sogenannten Stillen Reserve durchaus neue Beschäftigungschancen eröffnet. So erweist sich insbesondere die Arbeitnehmerüberlassung als klassische Einstiegsbranche für geringqualifizierte Arbeitslose."

(Arno Münster SPD: Ausbeutung!)

"Nach Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat Zeitarbeit erheblich zum Beschäftigungsaufbau […] in den vergangenen Jahren beigetragen. Danach war jeder zweite in der Zeitarbeitsbranche geschaffene Arbeitsplatz zusätzlich."

Jetzt werden Sie sicherlich fragen, woher das Zitat stammt – vielleicht von einem Flugblatt der FDP oder aus einer Imagebroschüre des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen. Das ist falsch, es stammt aus dem gemeinsamen Arbeitsmarktprogramm von Senat, Bundesagentur und team.arbeit.hamburg, Drucksache 20/8445 vom 18. Juni 2013, Seite 3, also ganz frisch. Ich beglückwünsche Senator Scheele ausdrücklich zu dieser sachlichen und ideologiefreien Sichtweise in seiner Drucksache.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Friederike Föcking CDU)

Zeitarbeit leistet seit Jahren einen wichtigen Beitrag zur robusten Situation auf dem Arbeitsmarkt. Sie hilft Unternehmen, Personalbedarf flexibel zu gestalten, und sie ist für viele Arbeitnehmer eine Brücke in dauerhafte Beschäftigung.

Mit der vorliegenden Großen Anfrage unserer Fraktion und der Antwort des Senats liegen uns nunmehr wertvolle Daten und Fakten zur Zeitarbeit in Hamburg vor. Das ist deshalb erfreulich, weil wir damit einen wichtigen Schritt weiterkommen, um viele Mythen und Ammenmärchen über die angeblich so böse Zeitarbeit zu entzaubern. Die folgenden drei Erkenntnisse, die man der Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage entnehmen kann, sind mir dabei besonders wichtig.