Protokoll der Sitzung vom 27.11.2013

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens: Die Antragsstellerinnen zeigen sich besorgt, dass ohne Sperrklausel die Funktionsfähigkeit der Bezirksversammlungen gefährdet sei.

(Olaf Ohlsen CDU: Richtig!)

Doch sie bleiben – was Wunder, gab es doch 2011 noch die 3-Prozent-Klausel – bei der abstrakten Betrachtung theoretischer Möglichkeiten, die bei Wegfall einer Sperrklausel womöglich nicht auszuschließen sind. Aber das reicht für eine Verfassungsänderung nun wirklich nicht.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Doch!)

Hier sollten Sie nicht nur das Hamburger Urteil, sondern auch die Urteile anderer Verfassungsgerichte – ich verweise zum Beispiel auf das Urteil des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichts aus dem Jahr 1999 – ernst nehmen. Tatsächlich hat, anders, als Frau Duden es gesagt hat, jedenfalls nach dem, was "Wahlrecht.de" schreibt, kein einziges Flächenland mehr eine Sperrklausel. Und siehe da, es funktioniert.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt können Sie natürlich das Argument bringen – Herr Duwe hat es in der umgekehrten Richtung gebracht –, dass die Bezirksversammlungen keine kommunalen Selbstverwaltungsorgane seien und eine zersplitterungsbedingte Funktionsstörung deshalb dazu führen würde, dass der Senat mit seinen Aufsichtsinstrumenten gegenüber Bezirk und Bezirksverwaltung regelhaft intervenieren würde. Das haben Sie auch in Ihrer Begründung geschrieben. Abgesehen davon, dass die zersplitterungsbedingte Funktionsstörung eine abstrakte Gefahr ist, wird doch umgekehrt ein Schuh daraus. Die Bürgerschaft hat es doch in der Hand, die Bezirke in Richtung kommunale Selbstverwaltungsorgane mit allen ihren Rechten zu entwickeln und die Aufsichtsinstrumente des Senats,

(Beifall bei Tim Golke DIE LINKE)

insbesondere das Evokationsrecht, entsprechend einzuschränken. Das ist doch die Diskussion, die mit Blick auf die Stärkung der Bezirke zu führen ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Das sind unsere drei Hauptargumente gegen Ihre Verfassungsänderung.

Ein viertes Argument will ich mir aber nicht verkneifen. Beim Urteil des Verfassungsgerichts ging es um eine Klage aus Eimsbüttel, es ging um die Be

zirksversammlung Eimsbüttel. Ohne Sperrklausel hätten hier die Piraten zwei und die Freien Wähler einen Sitz erhalten. SPD, CDU und GRÜNE, also die Antragsstellerinnen, die jetzt die Verfassung ändern wollen, hätten je einen Sitz weniger. Sie setzen sich dem Verdacht aus, dass es um Ihre eigenen Pfründe geht. Einen schlechteren Grund kann ich mir für eine Verfassungsänderung nun wirklich kaum vorstellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Schneider. – Das Wort hat Herr Dr. Dressel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich heute mit den einzelnen Argumenten auseinandersetzt, aber auch am 3. Dezember in einer Anhörung. Natürlich fließt das ein in die weiteren Beratungen, und ganz sicher werden die dann nicht zu Ende sein, denn es könnte sein, dass es irgendwann einmal Klagen geben wird. Spätestens nach der Bezirksversammlungswahl wird es sicherlich eine Wahlprüfungsbeschwerde geben.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Oder ein erfolgreiches Referendum!)

Es ist gut, dass die Kollegin Schneider das anspricht. Die Frage, ob es ein Referendum dazu geben wird oder nicht, ist auch schon eine strittige Frage. Ich sage dazu ganz klar, dass wir uns miteinander ein neues Volksabstimmungsgesetz gegeben haben. Das heißt, wenn ein Referendum hiergegen beantragt werden sollte, dann wird das sehr kurzfristig Gegenstand einer gerichtlichen Klärung sein müssen, denn wir haben uns darauf verständigt, dass es immer dann, wenn so ein direktdemokratisches Verfahren angestrebt wird und rechtlich zweifelhaft ist, ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, in Hamburg einen Schiedsrichter gibt. Das ist das Verfassungsgericht, und das wird dann auch angerufen werden.

Warum ist das kein Trick? Das Hamburger Verfassungsgericht zeigt die Möglichkeit auf, zum Wahlrecht etwas in der Verfassung zu benennen. Bisher hatte Hamburg darauf verzichtet. Danach sagte das Berliner Verfassungsgericht etwas zu einem sehr ähnlichen Fall, denn natürlich sind die Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin sehr vergleichbar mit den Hamburger Bezirksversammlungen. Das Berliner Verfassungsgericht sagt, wenn das in der Verfassung geregelt werde, dann sei das in Ordnung. Es ist also kein Trick zu sagen, das nehme man als Maßstab für einen eigenen Gesetzentwurf, sondern es ist die konsequente Umsetzung dessen, was Verfassungsgerichte in Deutschland entschieden haben.

(Christiane Schneider)

(Beifall bei der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Die Kollegin Schneider sagte, es könne nicht sein, dass eine abstrakte Gefahr ausreiche. Da empfiehlt sich ein Blick in das Hamburger Urteil und das Berliner Urteil.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Sagen die Gerichte!)

Das Hamburger Urteil musste über ein einfaches Wahlgesetz entscheiden und sagte dazu, dass eine abstrakte Gefahr nicht reiche, man müsse nachweisen, dass es irgendwo hakt. Es gehört zum Wesen parlamentarischer Gesetzgebung, dass Verfassungen nun einmal rechtlich etwas höherwertiger sind als einfache Gesetze. Und das Berliner Verfassungsgericht hat gesagt, für eine verfassungsrechtliche Festlegung reiche die abstrakte Gefahr. Genau das haben wir zum Maßstab genommen für unseren Gesetzentwurf, und genau das findet sich in der Begründung so wieder.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei den GRÜNEN und bei André Trepoll CDU)

Wir stehen damit auch nicht allein. Ich habe bisher noch überhaupt keinen Rechtswissenschaftler in Deutschland gesehen, der sagt, in der Verfassung dürfe man das nicht regeln. Sogar Wilko Zicht sagte – das wissen alle, die sich bei dem Thema ein wenig auskennen – in der Anhörung des Deutschen Bundestags, wo es um die 3-Prozent-Hürde bei den Europawahlen ging, er sei zwar rechtspolitisch dagegen, aber ausgehend von dem Berliner Urteil sei es folgerichtig – ich glaube, wir haben das genaue Zitat in der Drucksache –, dass man so etwas auch verfassungsgerichtlich oder verfassungsrechtlich regeln könne.

(Glocke)

Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg (unter- brechend): Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Schneider?

Herr Dr. Dressel, haben Sie die Argumentation verstanden? Keiner hat gesagt, Sie dürften es nicht oder es ginge verfassungsrechtlich nicht, sondern die Argumente waren, dass Sie es nicht sollten.

(Beifall bei Tim Golke DIE LINKE)

Das finde ich aber eine ganz interessante Differenzierung. Von der FDP kam doch das Argument, dass da Klagen kommen würden, und es wurde die Frage aufgeworfen, ob das eigentlich rechtlich Bestand

hätte. Das ist doch die erste Hürde, die wir nehmen müssen, wenn wir einen Beschluss fassen, dass nämlich das, was wir beschließen, vor einem Verfassungsgericht Bestand hat. Wenn wir uns zumindest hierin einig sind, dass das verfassungsrechtlich in Ordnung ist, dann sind wir in dieser Debatte schon einmal einen Schritt weitergekommen. Dann streiten wir nur noch darüber, ob wir es sollten. Ich denke, wir haben heute eine ganze Menge Argumente geliefert, warum wir das sollten, nämlich zur Vermeidung der Zersplitterung der Bezirksversammlungen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Karin Prien CDU)

Auch da sind die Begründungen alle genannt, die Frage nach dem Verhältnis von Ausschüssen und Plenum und die Frage der konkreten Strukturierung in den Bezirksversammlungen. Man muss sich dann immer fragen, welche Rechte sie tatsächlich haben. Ich war schon etwas verwundert über den Beitrag des Kollegen von der FDP. Die Bezirksversammlung so in Grund und Boden zu reden, wie Sie das heute gemacht haben, ist gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die dort ehrenamtlich ihre Arbeit für das Wohl dieser Stadt verrichten, wirklich nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜ- NEN und bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Sie haben die Rechte bei den Bebauungsplanverfahren, sie haben, anders als in Kommunalparlamenten in Flächenländern, die Möglichkeit, den Wahlakt durchzuführen für die Regierungsspitze im Bezirk und so weiter. Wir haben auch im Antrag niedergelegt, dass wir diesen Weg weitergehen wollen. Das Problem ist, dass das Hamburger Verfassungsgericht in seiner Begründung leider einen anderen Weg weist.

Jedes Mal, wenn wir eine Evokation haben, dann weiß ich doch, dass das hier zur Debatte angemeldet wird. Ich glaube, sogar die Links-Fraktion meldet das immer zur Debatte an und sagt, es sei schlimm, wie hier die bezirkliche Demokratie mit Füßen getreten werde; Frau Heyenn nickt.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Wir sind ja auch nicht dafür!)

Das Problem ist nämlich, dass Ihnen am Verfassungsgerichtsurteil nur die Entscheidung gefällt, aber nicht die Begründung. Das ist aber genau das Problem, denn die weisen einen Weg, der eher zu einer Entwertung der bezirklichen Demokratie führt als zu einer Aufwertung. Wir wollen eine Aufwertung, und deshalb brauchen wir funktionierende Bezirksversammlungen mit Sperrklauseln.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und ver- einzelt bei der CDU)

Dieser Vorschlag ist natürlich ein bisschen gereift aus der Auswertung des Hamburger Urteils. Im

Mai kam das Berliner Urteil, und dann hat man noch einmal geschaut, wie die Diskussion im Bundestag über die 3-Prozent-Hürde bei den Europawahlen ist. Natürlich hat man sich auch politisch rückgekoppelt mit den Bezirken, denn das sind nachher diejenigen, die das so oder so ausbaden müssen.

Und das ist jetzt der Vorschlag. Frau Duden sagte schon, dass er sehr wohl rechtzeitig ist. Das gebe ich an Ihre Adresse weiter, denn Einreichungsschluss für die Bezirkswahlvorschläge ist im März 2014. Wenn wir das heute in erster Lesung beschließen und Mitte Dezember in zweiter Lesung, dann ist das sehr wohl rechtzeitig. Herr Trepoll hat schon den Hinweis gegeben, wie es beim Bundestagswahlrecht war. Verglichen damit sind wir allemal rechtzeitiger, wenn wir das auf diese Weise beschließen. Die Anhörung gibt es in jedem Fall trotzdem. Und wenn ein Referendum beantragt wird, dann wird man rechtlich sehen, ob das funktioniert oder nicht. Das ist jetzt mit offenem Visier ausgetragen worden, und das muss man auch demokratisch miteinander aushalten können, vor allem, da wir – da möchte ich noch einmal auf das zurückkommen, was Frau Duden gesagt hat – an dem Kompromiss von 2009 festhalten. Wir regeln nichts anderes als das, was damals verabredet wurde. Und wir hätten uns schon erhofft, dass alle, die damals diesen Kompromiss mitgezeichnet haben, in dem Moment, als das Verfassungsgericht sagte, das gehe einfach gesetzlich nicht mehr, sich nicht in die Büsche schlagen, sondern sich überlegen, wie wir das mit dem neuen verfassungsrechtlichen Rahmen so umsetzen können, dass es weiterhin Bestand hat. Politische Kompromisse verstehe ich so, gemeinsam zu schauen, wie es anders geht, wenn ein Teil nicht mehr funktioniert. Das haben CDU, SPD und GRÜNE jetzt gemacht, und das ist ein ordentliches Ergebnis.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Zum Schluss noch eine Anmerkung, weil "die taz", zumindest, als das Urteil kam, einige Hinweise gegeben hat, deren Begriffe wie "Spielwiese" oder "Simulationsbetrieb" und so weiter Frau Duden noch einmal aufgegriffen hat. Als wir jetzt unseren Vorschlag vorgelegt haben, hat "die taz" auch etwas gesagt, und das würde ich gern am Schluss zitieren.

"Auf Grundlage des Wahlergebnisses von 2011 würde die NPD dann in fünf von sieben Bezirksversammlungen mindestens ein Mandat erringen. Das muss ja wirklich nicht sein."

Das schreibt Sven-Michael Veit und recht hat er.

(Beifall bei der SPD und bei Martin Bill und Katharina Fegebank, beide GRÜNE)

Vielen Dank, Herr Dr. Dressel. – Herr Dr. Steffen hat das Wort.