Protokoll der Sitzung vom 27.11.2013

Der zweite Punkt, der zu bedenken ist, sind die Schülerabgangszahlen. Die Schülerabgangszahlen aus den allgemeinbildenden Schulen bleiben bis 2020 nahezu konstant; das hat der Senat auf unsere Große Anfrage explizit geantwortet. Wir hatten in 2012 genau 15 040 Schulabgänger und Schulabgängerinnen. In 2020 werden es nach der Schülerprognose ganze 170 weniger sein. Man kann also sagen, das bleibt konstant. Auch von daher ist nicht nachzuvollziehen, warum die Flächen verkleinert werden müssen.

Punkt 3: Der Zustrom von Jugendlichen aus dem Umland auf Ausbildungsplätze im dualen System in Hamburg geht kaum zurück. Als Antwort auf unsere Große Anfrage schreibt der SPD-Senat, dass die Zahl von 5800 auf 5300 um 500 zurückgehen

(Anna-Elisabeth von Treuenfels)

werde. Die Zahl der Hamburger Auszubildenden soll aber stärker ansteigen, und zwar um 700. Es ist also auch von daher keine schlüssige Argumentation für eine Verkleinerung der Flächen und eine Schrumpfung der Berufsschulen abzuleiten.

Punkt 4: Zusammenfassend kann man sagen, dass die Flächen der berufsbildenden Schulen um 11,3 Prozent verringert werden sollen, obwohl die Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger aus den allgemeinbildenden Schulen nahezu konstant bleiben wird. Diesen Widerspruch hat der Senat nicht gelöst, das ist weiterhin mit Fragezeichen versehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Punkt 5: Auch das Argument, dass Fläche und Anzahl der Schulen gekürzt werden müsse, weil in der Vergangenheit die Schülerzahl an den beruflichen Schulen zurückgegangen sei und diese Kürzung nun nachgeholt werden müsse, ist leider nicht die ganze Wahrheit. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Schulbehörde bereits in der Vergangenheit im Rahmen der jährlichen Schulorganisation entsprechend reagiert hat; auch das hat der Senat auf unsere Schriftliche Kleine Anfrage hin zugegeben. So hatten wir im Jahr 2000 49 berufsbildende Schulen, jetzt sind es noch 44. Da ist also schon um 10 Prozent gekürzt worden.

Es gibt im Grunde zwei Dinge, die zu diesen schrumpfenden berufsbildenden Schulen führen. Erstens schafft der SPD-Senat einen ganzen Ausbildungsgang ab, die teilqualifizierenden Berufsfachschulen. Das ist etwas, was wir vom Ansatz her begrüßen, weil teilqualifizierende Berufsfachschulen nichts anderes als Warteschleifen sind, und wir sind für die Abschaffung der Warteschleifen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber was macht der SPD-Senat? Er schafft eine Warteschleife, nämlich die teilqualifizierende Berufsfachschule, ab, ohne aber Ausbildungsplätze zu schaffen. Den Jugendlichen bleibt so nur eine andere Warteschleife, nämlich die Ausbildungsvorbereitung. Das ist keine Lösung. Der SPD-Senat schiebt die Jugendlichen von der einen Warteschleife in die andere, was, ganz nebenbei, den finanziellen Vorteil hat, dass diese Warteschleife nicht zwei Jahre dauert, sondern nur noch ein Jahr. Das hilft den Jugendlichen aber nicht weiter.

Die zweite Grund, warum es zu diesem Schrumpfungsplan gekommen ist: Die SPD bricht ein Wahlversprechen von 2011, die sogenannte Ausbildungsplatzgarantie. Ich zitiere einmal aus Ihrem Regierungsprogramm. Da haben Sie geschrieben:

"Alle Schülerinnen und Schüler haben nach Abschluss der allgemein bildenden Schulzeit ein Recht auf eine berufliche Ausbildung. Unser Ziel"

also das der SPD –

"ist es, dass alle jungen Erwachsenen in Hamburg entweder das Abitur machen oder eine klassische Berufsausbildung absolvieren."

Dem stimmen wir zu, das hört sich auch gut an. Wie nötig das ist, zeigt die auf Drängen der LinksFraktion von der Schulbehörde durchgeführte Schulabgängerbefragung. Wir hatten lange die Diskussion darüber, wo sie geblieben sind oder dass keiner verloren gehen soll. Dann haben wir als Fraktion daran erinnert, dass es diese Schulabgängerbefragungen an den Schulen gibt. Wir begrüßen, dass diese nun als Grundlage genommen werden; jetzt bekommen wir auch endlich die Werte, die wir brauchen. Nach dem Abgang aus der zehnten Klasse bekommen nur 26 Prozent der Jugendlichen einen Ausbildungsplatz. Das ist entschieden zu wenig.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte ganz kurz noch einmal auf Herrn Fock eingehen. Sie haben davon gesprochen, dass das alles sehr erfolgreich gewesen sei und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des HIBB in den diplomatischen Dienst gehen könnten. Wenn Sie es als Voraussetzung für den diplomatischen Dienst ansehen, dass man die Fähigkeit haben muss, Argumente zu verdrehen, dann sollten Sie auch in den diplomatischen Dienst gehen, Herr Fock.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn Sie haben im Schulausschuss nicht richtig hingehört, als es um die Frage FSP1 und W2 ging. Da ist von Herrn Schulz, dem auch ich für seine Arbeit ausdrücklich danke und den ich sehr schätze, explizit gesagt worden, dass an der W2 nach einem exklusiven Konzept unterrichtet wird, nicht nach einem inklusiven, und dass auch beim BFW nach einem exklusiven Konzept gearbeitet wird. Aber die W2 war erfolgreich – das ist übrigens sehr wohl mit Krawall abgelaufen, wir haben Protestschreiben über Protestschreiben bekommen – und bleibt erhalten. Es wurde aber angekündigt, dass es ein inklusives Konzept für die Berufsschulen geben wird – das begrüßen wir –, und dann wird sich zeigen, ob es wirklich dabei bleibt, dass die W2 erhalten bleibt. Wie Sie es darstellen, war es nicht, ganz im Gegenteil.

Wir freuen uns auf das Inklusionskonzept, sehen aber diesen Berufsschul-Schrumpfungsplan nach wie vor sehr, sehr kritisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Senator Rabe.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist richtig, der

(Dora Heyenn)

Senat hat die berufliche Bildung zu einem Schwerpunkt seiner Politik gemacht. Der Grund, das haben wir schon im letzten Jahr klargestellt, war, dass zu viele Jugendliche den direkten Sprung von der Schule in die Ausbildung nicht schaffen. In der Regel bekommen 60 Prozent, wenn sie die Schule mit einem Haupt- oder Realschulabschluss verlassen, nicht direkt einen Ausbildungsplatz. Eine der Ursachen dafür ist sicherlich auch, dass die berufliche Bildung zu oft Stiefkind der Schulpolitik ist. Wir haben ein Versprechen abgegeben, Frau Heyenn, das ist richtig. Es lautet: Jeder junge Mensch soll entweder das Abitur machen oder eine berufliche Ausbildung absolvieren. Dieses Versprechen nehmen wir ernst, und genau deswegen haben wir auch einen neuen Schulentwicklungsplan vorgelegt.

(Beifall bei der SPD)

Zu Recht haben Sie darauf hingewiesen, dass wir die berufliche Bildung gleich mit mehreren Maßnahmen verbessern. Eine dieser Maßnahmen haben wir hier gemeinsam beschlossen; das hat Frau Prien richtig dargestellt. Es war die Reform der sogenannten Übergangsangebote für die Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben. Wenn Sie sagen, Frau Heyenn, dass es richtig gewesen sei, die Teilqualifizierung abzuschaffen – das war Teil dieses Beschlusses –, dann wundert es mich, dass Sie die neue Maßnahme kritisieren, denn wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie die mit beschlossen. Diese neue Maßnahme ist richtig, denn wir haben gesagt, wer keinen Ausbildungsplatz bekommt, den lassen wir nicht auf der Straße stehen, dem geben wir eine Chance, dem bieten wir die Ausbildungsvorbereitung in den Berufsschulen an, aber nicht wie bisher als rein schulische Maßnahme, sondern als ein Angebot, das auch in Betrieben stattfindet. Auf diese Art und Weise wollen wir dazu beitragen, dass junge Menschen in Ausbildung kommen, dass sie nicht nur weiter in der Schule lernen, sondern direkt in den Betrieb hineinkommen.

Zu den Angeboten, die wir gemacht haben, zählt übrigens auch die Jugendberufsagentur – wir haben mehrfach darüber gesprochen – und auch, dass wir in den allgemeinbildenden Schulen die Berufsorientierung verbessern wollen. Viele Schülerinnen und Schüler gehen ohne ausreichende Vorbereitung aus der Schule und stehen rat- und hilflos vor dem Arbeitsmarkt. Genau deswegen haben wir ein Konzept angeschoben, nach dem die allgemeinbildenden Schulen den Schülerinnen und Schülern von Anfang an diese Orientierung mit auf den Weg geben, damit sie nach Schulabgang eben nicht hilflos dastehen. Das ist ein vernünftiges Konzept, und dazu gehört auch ein neuer Schulentwicklungsplan.

(Beifall bei der SPD)

Dass das nötig war, hat Kollege Fock bereits betont. Die Schülerzahlen haben sich verändert. Die berufliche Welt ist nicht mehr die von 1985, daran sei nur am Rande erinnert. Damals gab es weder Handys noch Computer.

Wenn Sie fragen, wie es kommt, dass die Schulen kleiner werden, dann hätte es nicht geschadet, sich einmal die Entwicklung der Schülerzahlen anzuschauen. 1985 hatten wir an den beruflichen Schulen Schülerzahlen von weit über 70 000. Allein in den letzten Jahren hat die Schülerzahl dramatisch abgenommen. In dem für uns relevanten Zeitraum von 2008 bis 2017 rechnen wir mit einem Rückgang von 6000 Schülerinnen und Schülern; das sind über 10 Prozent nur in diesem Bereich. Insofern macht es durchaus Sinn, die beruflichen Schulen anzupassen. Dabei haben wir uns von folgenden Eckpunkten leiten lassen.

Erstens: Die beruflichen Schulen sollen eine vernünftige Größe haben. Ich halte nichts von Lernfabriken riesigen Ausmaßes, aber ich halte auch nichts von Zwergschulen. Wir hatten in der Vergangenheit beides. Jetzt haben wir uns auf ein vernünftiges Mittelmaß konzentriert, das sich im Großen und Ganzen an der Größe der anderen weiterführenden Schulen orientiert. Das ist aus meiner Sicht richtig.

Zweitens: Wir möchten nicht, dass junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, an ganz wenige Schulen ausgelagert werden, während die berufliche Welt ansonsten an ihnen vorbeigeht. Die besonderen Angebote für junge Menschen ohne Ausbildungsplatz sollen kombiniert sein mit Angeboten für diejenigen mit Ausbildungsplatz, damit es eine vernünftige Mischung gibt und nicht an wenigen Schulen nur die jungen Menschen sind, die es offensichtlich schwer haben, eine Perspektive zu finden. Das ist für eine gesunde Schulstruktur nicht vernünftig.

Drittens: Der Kollege Fock hat darauf hingewiesen, dass die Berufswelt immer komplizierter wird. Deswegen muss auch die Ausbildung besser werden. Und dann macht es keinen Sinn, die Ausbildungsgänge in einer Art Wald- und Wiesenstreuaktion über alle Schulen zu verteilen, sondern dann müssen die jeweiligen Ausbildungsgänge an wenigen Schulen konzentriert werden, damit die Ausbildung dort in hoher Professionalität geleistet werden kann. So schaffen wir zum Beispiel für Bankenund Versicherungsberufe ein Ausbildungszentrum in der Budapester Straße oder konzentrieren die Ausbildung für den Einzelhandel in der Anckelmannstraße. Eine solche Konzentration bestimmter Fachrichtungen ist hilfreich für ein hohes Niveau der beruflichen Bildung.

Und zu guter Letzt: Sie haben recht, wir haben auch an der einen oder anderen Stelle eine Schule weitgehend so gelassen wie bisher, obwohl sie vielleicht nicht den Idealen entspricht. In der Tat

(Senator Ties Rabe)

haben wir versucht, einen behutsamen Weg zu gehen und nicht ganze Schulen vollständig zu zerschlagen. Das bedeutet eben auch in dem einen oder anderen Fall, bestimmte Strukturen nicht komplett umzukrempeln. Das haben wir deshalb so gemacht, weil wir wissen, dass Schulpolitik auf dem grünen Tisch klug sein mag, sie muss aber vor Ort gelebt werden. Da hilft nicht die Brechstange, sondern da helfen vernünftige Verbesserungen viel mehr.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es um Verbesserungen geht, dann will ich noch einmal daran erinnern, Frau Heyenn, dass die Gebäude nicht nur etwas verkleinert werden, sondern sie werden erheblich verbessert, und das ist das Entscheidende. Wenn man sich die Platzverhältnisse einmal anschaut, dann werden zukünftig für eine Schulklasse rund 98 Quadratmeter Lernfläche zur Verfügung stehen, also fast 100 Quadratmeter. Das ist ungefähr das Doppelte dessen, was noch in den Achtzigerjahren für eine Schule für nötig gehalten worden ist. Eine solch hervorragende Ausstattung ist uns viel Geld wert, weil wir nämlich wissen, dass wir mit modernem Unterricht die Grundlage für Wirtschaftswachstum in Hamburg legen, aber auch dafür, dass junge Menschen mit einer vernünftigen Berufsausbildung ihren Weg in die Gesellschaft gehen können.

Lassen Sie mich eines zum Schluss sagen: Ich habe es gern gehört, dass Sie diesen Prozess gelobt haben. Wir sollten aber, wenn wir diesen Prozess betrachten, auch ein Stück weit nachdenklich sein. Warum hat das so gut geklappt? Ich glaube, es gibt mehrere Gründe dafür, zwei möchte ich nennen. In der Tat hat das damit zu tun, dass die Schulbehörde sehr gut mit den Kammern, den Unternehmen und den Gewerkschaften zusammengearbeitet hat. Und wenn hier auf die Vorgängerregierung verwiesen wird, dann sage ich, dass es bei der Einrichtung des HIBB ein entscheidender Webfehler war, die Gewerkschaften nicht miteinzubeziehen. Das haben wir geheilt und auf diese Art und Weise auch erst die Akzeptanz für einen vernünftigen Schulentwicklungsplan geschaffen.

(Beifall bei der SPD)

Das andere ist meine Interpretation; Sie können eine andere Meinung haben. Ich bin der Auffassung, dass das so gut gelaufen ist, hat auch damit zu tun, dass die beruflichen Schulen im Windschatten der medialen und politischen Aufregung liegen. Nur so war es möglich, die Zusammenlegung von 50 Prozent der Schulen und die Schließung von einem Viertel der Schulen, wenn ich das einmal nüchtern bilanzieren darf, in Ruhe zu diskutieren, mit den Beteiligten Varianten zu erörtern und alle mitzunehmen. Wenn man sich so eine gravierende Änderung im Schulsystem vorstellt, dann ist das nur im beruflichen Bereich möglich, im Windschatten der medialen und politischen Aufmerksamkeit.

Ich erinnere nur daran, dass allein der Abriss eines Fahrradhäuschens vor Kurzem wieder zu erheblichen Schlagzeilen geführt hat. Das ist die Lesart im allgemeinbildenden Schulsystem mit seiner Aufregungskultur.

(Dietrich Wersich CDU: Sie brauchen uns nur an Ihre Oppositionszeit zu erinnern, dann wissen wir, wie das ist!)

Vor diesem Hintergrund zeigt uns der Schulentwicklungsplan der beruflichen Schulen auch, was möglich sein kann, wenn Hamburgs Schulpolitik mit Augenmaß und Vernunft geführt und bewertet wird. In diesem Sinne, Frau von Berg, freue ich mich in der Tat auf die weiteren Jahre und werde Sie da auch gerne miteinbeziehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr Fock.

Ich habe es vorhin nicht gesagt: Ein Grund dafür, dass es so gut geklappt hat, ist vielleicht, dass die Ernsthaftigkeit aller Beteiligten im Berufsschulwesen sehr groß ist. Ich will nicht sagen, dass wir vernünftiger sind als die anderen, aber vielleicht liegt es auch daran.

(Gerhard Lein SPD: … dass Sie so viel älter sind!)

Das habe ich nun nicht gesagt. Aber es ist in der Tat so, dass man eine gewisse Hysterie nicht hat.

Ich möchte generell etwas zu Frau Prien und Frau von Berg sagen. Der Sieg hat viele Väter, die Niederlage ist eine Waise. Das nehme ich mal so hin. Sicherlich ist es so, dass die positive Entwicklung im Berufsschulwesen auch in der Vergangenheit wurzelt, aber so massiv, was Geld angeht, haben wir noch nie eingegriffen. Es ist eine verdammt harte Sache, die Steuergelder da hinzubringen, und wir sollten verantwortlich damit umgehen und sagen, das ist gut so.