Wenn man Deutschland gestalten will, dann muss man doch auch sagen, wie man gestalten will, in welche Richtung man gestalten will,
etwa sozialer, gerechter, marktwirtschaftlich oder innovativ. Stattdessen Fehlanzeige, eine vertane Chance, Stillstand statt Aufbruch. Insbesondere in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik ist der Koalitionsvertrag eine Rolle rückwärts, er ist mittelstandsfeindlich und auf Kosten der nächsten Generation ausgehandelt.
"Zukunft gestalten" steht drauf, Zukunft verbrauchen ist drin. Meine Damen und Herren, das ist die Realität.
Es gibt bemerkenswerte Stimmen, die den Koalitionsvertrag genauso kritisch bewerten, wie wir das tun – Zitat –:
"Jeder Mindestlohn muss vor dem Hintergrund der Lage der Langzeitarbeitslosen bewertet werden. Geschieht dies nicht, kann er zu mehr und nicht zu weniger Armut führen. Deshalb bedeutet ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn, dass Menschen ihre Arbeit verlieren oder zukünftig keine mehr erhalten."
Das sagt nicht etwa die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände oder die FDP, das sagt der Caritas-Verband, ein Verband also, der mit Armen und von Dauerarbeitslosigkeit betroffenen Menschen arbeitet, ein Verband, der konkret weiß, wovon er spricht und für den das Thema Mindestlohn eben nicht nur eine ideologische Monstranz ist, die er vor sich herträgt.
Meine Damen und Herren! Ich bin sicher – und ich schaue einmal in diese Richtung –, dass dies viele Kolleginnen und Kollegen von der CDU, vielleicht insbesondere die aus der Mittelstandsvereinigung, genauso sehen. Auch der Redebeitrag von Herrn Wersich hatte streckenweise den Charakter einer Pflichtübung.
Daher verstehe ich nicht, warum man während der Koalitionsverhandlungen hierzu von Ihnen so gut wie gar nichts gehört hat. Sie haben sich schlicht weggeduckt. Daraus kann man nur die Schlussfolgerung ziehen: Machterhalt ist halt ein süßes Gift, und dafür opfert man schon einmal seine grundsätzlichen Positionen.
(Beifall bei der FDP – Dr. Andreas Dressel SPD: Das sagt die FDP, das ist wirklich ein Witz!) – Gabi Dobusch SPD: Die kennen sich damit aus!)
Genau das zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Koalitionsvertrag: ein Dreiklang aus weniger Marktwirtschaft, aber mehr Staat und Regulierung, dem flächendeckenden Abrücken von der Agenda 2010, also von einem Erfolgsmodell – ich sage ausdrücklich einem sozialdemokratischen Erfolgsmodell –, das uns den höchsten Beschäftigungsstand in der Geschichte der Bundesrepublik,
sprudelnde Steuereinnahmen und stabile Sozialversicherungsbeiträge beschert hat. Dieser Koalitionsvertrag ist in der Tat großer Murks.
Anstatt sich angesichts der demographischen Entwicklung und des Fachkräftemangels Gedanken über eine Ausweitung der Lebensarbeitszeit zu machen, nutzt Rot-Schwarz die vollen Rentenkassen, um auszuteilen. Allein die rentenpolitischen Versprechen im Koalitionsvertrag, allen voran die Rente mit 63, summieren sich auf 20 Milliarden Euro. Es werden schlicht Reserven geplündert und Risiken auf morgen verschoben. Die Zeche für dieses Rentenpaket zahlen die Betriebe und die Bürger, denn das bedeutet nichts anderes als höhere Beitragssätze in der Rentenversicherung und somit höhere Lohnzusatzkosten. Das belastet insbesondere die kleinen Leute. Das schwächt zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und damit auch die Beschäftigung. Während CDU und SPD diese Rentenversprechen als Erfolg verbuchen, nennt die OECD dies Jobkiller – Zitat –:
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu dieser Debatte über den Koalitionsvertrag und das, was hier dazu gesagt worden ist, gern drei Bemerkungen machen. Die erste Bemerkung bezieht sich auf Frau Suding und das, was sie zum Thema Mindestlohn erzählt hat. Wir führen seit vielen Jahren Debatten, auch hier im Hause, über das Thema Mindestlohn. Und wenn man sich nach diesen Debatten hinstellt und sagt, dieser Vertrag, in dem der Mindestlohn vereinbart worden ist, richte sich gegen die Menschen, gegen die Arbeitnehmer und insbesondere gegen die mit niedrigen Löhnen,
dann ist das nicht nur eine intellektuelle Entgleisung, sondern darüber hinaus eine Provokation von insgesamt 160 000 Menschen in dieser Stadt, die von dieser Entscheidung profitieren, die sich freuen
und die am Ende des Monats die Möglichkeit haben, mit mehr Geld ihre Existenz zu sichern. Ich finde, diese Entgleisung sollten Sie zurücknehmen,
(Beifall bei der SPD – Finn-Ole Ritter FDP: Das ist eine Bankrotterklärung für die Ge- werkschaften!)
Ich kann jedenfalls auch als Gewerkschafter nur sagen – und das tue ich nicht allein, sondern wir haben von allen Gewerkschaften positive Rückmeldungen bezüglich dieses Koalitionsvertrags –, dass dieser Koalitionsvertrag unter den Bedingungen, die nach diesem Wahlergebnis möglich waren, ein Vertrag ist, der genau bei den schwierigen Punkten, die wir in der Vergangenheit diskutiert haben – Leiharbeit und so weiter, der Bürgermeister hat das aufgezählt –, in erheblichem Maße dafür sorgt, dass die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt wiederhergestellt wird, und der nicht den Arbeitsmarkt durcheinanderbringt, wie Sie es gesagt haben.
Meine zweite Bemerkung richtet sich an DIE LINKE, weil ich das Gefühl habe – jedenfalls hat das Ihre Fraktionsvorsitzende ausgeführt –, dass Sie die SPD dafür kritisieren, das Wahlprogramm nicht hundertprozentig durchgesetzt zu haben.
Wir haben ein Wahlergebnis von 42 Prozent für die CDU und 25 Prozent für die SPD, und wir haben ein Verhältniswahlrecht in Deutschland. Wenn man dann das Wahlergebnis ins Verhältnis setzt zu dem, was bei den Koalitionsverhandlungen herausgekommen ist – ich will nicht noch einmal alles aufzuzählen –, dann ist das mehr als 25 Prozent im Verhältnis zu 42 Prozent. Das ist ein gutes Verhandlungsergebnis, auch wenn es nicht 100 Prozent unserer Forderungen beinhaltet. Das ist kein Wortbruch, sondern ein gutes Verhandlungsergebnis, auf das wir stolz sein können.
Erster Vizepräsident Frank Schira (unterbre- chend): Herr Rose, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Heyenn?
Das war die Frage? – Ich glaube jede Bürgerin und jeder Bürger dieses Landes, die die Verhandlungen beobachtet haben, wissen, dass es einen zentralen Punkt für die SPD gegeben hat und einen zentralen Punkt für die CDU. Der hieß bei der CDU: keine Steuererhöhungen und bei der SPD: gesetzlicher allgemeiner Mindestlohn.
Von daher ist doch klar – und das weiß doch jeder, deswegen muss man hier nicht ein solches Theater aufführen –, dass wir das nicht haben durchführen können.
Ich will aber noch einen sehr ernsten Punkt ansprechen, der daraus resultiert, dass ich in den letzten Tagen ferngesehen habe.