Protokoll der Sitzung vom 12.12.2013

(Zuruf von Christiane Schneider DIE LINKE)

dass Sie einfach nicht verstehen will, dass Wirtschafts- und Sozialpolitik zusammengehören. Ohne eine gut laufende Wirtschaft kann es keine gute und finanzierbare Sozialpolitik geben; das kann man nicht oft genug sagen.

Liebe Frau Özdemir, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung Deutschland gut durch die Finanzkrise geführt hat.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Friederike Föcking CDU – Christiane Schneider DIE LINKE: Keiner hat's der FDP gedankt!)

Die Konjunktur ist stabil und die Arbeitslosenquote so gering wie zuletzt in den Neunzigerjahren. Ob das so bleibt – meine Fraktionsvorsitzende Katja Suding wies bereits gestern darauf hin –, ist angesichts dieses Koalitionsvertrags,

(Beifall bei der FDP)

angesichts der Mehrbelastung für die junge Generation – Frau Fegebank ging eben darauf ein –, noch mehr Staat und Regulierung und einer Rolle rückwärts in der Arbeitsmarktpolitik mehr als fraglich. Aber darum geht es Ihnen nicht, liebe LINKE. Ihnen wird es nicht gelingen, Hamburg und Deutschland durch Ihr Schwarzmalen und das ständige Gerede von Armut und Elend schlechter zu machen, als es wirklich ist.

Frau Heyenn ging gestern in ihrer Rede darauf ein, dass 30 Prozent der Hamburger Bürger einen Migrationshintergrund haben; wir lasen es auch im "Hamburger Abendblatt". Das ist so viel wie in kaum einer anderen Stadt, aber kein Beleg für Armut.

(Beifall bei der FDP und bei Uwe Lohmann SPD)

Es birgt Chancen und bedeutet ein Potenzial an Wachstum und Vielfalt. Eine große Gruppe der Migranten bezieht Sozialhilfe, das trifft zu, aber umso mehr Anstrengungen bei der Integration im Bereich Sprachförderung und Bildung sind notwendig.

Frau Özdemir, viele Bedürftige müssen bei der Hamburger Tafel abgewiesen werden; auch das lasen wir heute im "Hamburger Abendblatt". Das ist nicht schön, aber das Angebot reicht einfach nicht mehr aus. Der Hamburger Tafel werden offenbar nicht mehr so viele Lebensmittel zur Verfügung gestellt, und sie wird gleichzeitig stärker nachgefragt.

(Zurufe von Norbert Hackbusch DIE LINKE und Farid Müller GRÜNE)

Sie können gern noch einmal ans Mikrofon gehen.

Es wird inzwischen nicht mehr als Schande wahrgenommen, an der Hamburger Tafel zu stehen. Ich möchte hinzufügen, dass es auch nie eine Schande war.

(Beifall bei der FDP)

Liebe LINKE, Hamburg liegt nicht in Schutt und Asche, auch wenn Sie das immer wieder beweisen wollen. Nehmen Sie einfach zur Kenntnis, dass es das allumfassende Schlaraffenland, das Sie sich immer wieder wünschen, nicht gibt und geben wird. Fakt ist, dass Hamburg eine wirtschaftlich starke Stadt ist. Die Beschäftigungsquote ist hoch. Bei einer Arbeitslosenquote von 7,3 Prozent ist

(Katharina Fegebank)

zwar Luft nach oben – oder in diesem Fall besser gesagt: nach unten –, eine dramatische Lage ist das aber nicht. Hören Sie also bitte auf, die soziale Spaltung herbeizureden, die so nicht existiert.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU – Dr. Till Steffen GRÜNE: Gibt's nicht!)

Sie müssen sich nicht so aufregen.

(Zuruf von der LINKEN: Doch!)

Nun zum Koalitionsvertrag. Den Koalitionsvertrag kann man nicht so in den Himmel heben, wie es Frau Bekeris eben die ganze Rede über getan hat; das war schon fast peinlich. Ich zitiere meinen Kollegen Herrn Dr. Kluth, dass der Koalitionsvertrag einfach Murks ist – mehr Staat, mehr Regulierung und, wie von uns gestern bereits erklärt wurde, mutlos. In den wenigen Punkten, in denen der Koalitionsvertrag nicht unbedingt in die falsche Richtung geht, und zwar dort, wo die noch amtierende geschäftsführende Regierung die richtigen Weichen gestellt hat, bleibt es bei vagen Absichtserklärungen und Prüfaufträgen wie zum Beispiel bei der Einführung des Bundesleistungsgesetzes. Die Einführung eines Bundesleistungsgesetzes soll geprüft werden – das war es dann aber auch schon. Es gibt keinen Zeitplan und nichts Konkretes. Weitere Beispiele sind die Integration der Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt oder die nur halbherzige Umsetzung der Abschaffung der Residenzpflicht. Man bleibt abstrakt oder auf halber Strecke stehen.

Meine Damen und Herren! Der Koalitionsvertrag bildet keine Grundlage, die in irgendeiner Weise ein Signal des Aufbruchs oder der Gestaltung für Deutschland, unsere Stadt Hamburg und die Bürger bedeutet. Der Vertrag stellt den kleinsten gemeinsamen Nenner dar, und die Große Koalition wird sich in den nächsten vier Jahren nicht fortbewegen, sondern auf der Stelle treten. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat nun Herr Senator Scheele.

(Finn-Ole Ritter FDP: Sie haben mitverhan- delt; eigenes Werk! Eigene Betroffenheit macht sich immer gut!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dieser Vertrag stellt nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner dar, sondern eine relativ breite Übereinstimmung zwischen den beiden verhandelnden Parteien, mit der sie die nächsten vier Jahre Deutschland vernünftig regieren wollen. Wenn die Mitglieder der SPD an diesem Wochenende zugestimmt haben – und das ist ein beispielloses Unterfangen, wir fragen nämlich unsere Mitglieder, und es werden sich so viele beteili

gen wie noch nie –, dann werden wir, wenn es so ausgeht, in der nächsten Woche eine Regierung bilden. Diese wird sich nicht als eine Regierung des kleinsten gemeinsamen Nenners generieren, sondern als eine kraftvolle Regierung, die Gutes für dieses Land tut.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Was wollen Sie der Friseurin in Erfurt sagen, die 3,50 Euro verdient? Wenn meine Partei den Vertrag nicht unterschreibt, dann bleibt es bei 3,50 Euro. Das wollen Sie offensichtlich, und das finde ich unterirdisch.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie über Altersarmut für künftige Generationen sprechen, dann bedeutet das in der Tat, den Finger in die Wunde dieses Landes zu legen. Aber wir haben eine Rentenform zwischen CDU und SPD vereinbart, nämlich die solidarische Lebensleistungsrente. Diese soll dafür sorgen, dass diejenigen, die lange gearbeitet und viele Beitragsjahre haben – wir rechnen auch Jahre von Arbeitslosigkeit an – mehr Rente bekommen, als die Grundsicherung zahlen würde. Das ist in die Mitte der Gesellschaft hinein gerade für alleinerziehende und alleinstehende Frauen ein großer Fortschritt, der sich nicht nur an Facharbeiter wendet, sondern den bedürftigsten Kern Deutschlands trifft.

(Beifall bei der SPD)

Das kann man alles sagen, wenn man warm und trocken in Hamburg sitzt, denn dann ist es leicht.

Die Aufwertung des Reha-Budgets, dass also die Rehabilitation endlich wieder vernünftig ausgestattet wird und man bis ins Renteneintrittsalter arbeiten kann, ist ein Erfolg. Es ist ein Erfolg, dass die Erwerbsminderungsrente so aufgewertet wird, dass die Zurechnungszeiten um zwei Jahre angehoben werden. Das war dringend nötig und wäre ohne uns und diese Koalition nicht passiert. Auch das trifft mitten in die Gesellschaft hinein, und ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Auch wenn dort noch kein Zeitplan steht – das stimmt, Frau Föcking –, und zwar, weil es nicht unkompliziert ist, werden wir ein eigenständiges Gesetz für die Bedarfe von Menschen mit Behinderung auf den Weg bringen und sie aus dem Fürsorgesystem herauslösen. Das ist Bestandteil dieses Koalitionsvertrags und ein riesiger sozialer Fortschritt, denn zurzeit verweisen wir alle Menschen mit Behinderung auf das SGB XII. Das muss ein Ende haben, und diese Koalition in Berlin wird es auf den Weg bringen und realisieren.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen, denn in Teilen liegen wir weit auseinander. Ich glaube, dass der wirksamste Schutz vor Armut ein sozial

(Martina Kaesbach)

versicherungspflichtiges, möglichst tarifvertraglich abgesichertes Beschäftigungsverhältnis ist und niemals eine Transferleistung.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU und der FDP)

Es geht um Arbeit, und wir werden die rechtlichen Hürden zwischen den Sozialgesetzbüchern II, III und XIII sowie den Datenschutz im SGB X so reformieren, dass Jugendberufsagenturen jungen Menschen, die es beim Übergang von der Schule in den Beruf schwer haben, dabei helfen können, schnell eine Ausbildung zu finden. Das ist dauerhaft und nachhaltig der wirksamste Schutz vor Armut,

(Dora Heyenn DIE LINKE: Das haben Sie bestritten!)

und das möchten die jungen Menschen auch. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Nun hat das Wort Herr Golke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Senator Scheele, das 3,50-Euro-Arbeitsverhältnis der Friseurin in Erfurt beruht sehr wahrscheinlich auf einem Tarifvertrag, und nach Ihrem Koalitionsvertrag wird diese Friseurin bis 2017 3,50 Euro die Stunde verdienen. Das ist neu gemachte Armut per Gesetz, unsolidarisch und undemokratisch.

(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Rose SPD: Vollkommener Blödsinn!)

Es war die Politik der SPD, zum Teil unter federführender Verantwortung unseres Bürgermeisters, die den Arbeitsmarkt deliberalisiert hat, die die Gewerkschaften geschwächt und dafür gesorgt hat, dass solche Tarifverträge überhaupt entstehen können, bei denen wir uns einig sind, dass sie nicht sein sollen.

(Beifall bei der LINKEN)