Protokoll der Sitzung vom 26.03.2014

(Glocke)

Erster Vizepräsident Frank Schira (unterbre- chend): Herr Münster, Frau Schneider hat das Wort.

Bemerkenswert ist, dass die SPD in ihrer Begründung – wie auch Herr Schumacher in seiner Rede – sorgfältig vermeidet, ihre seinerzeitigen Argumente gegen das Parlamentsmodell anhand der Praxis der Härtefallkommission zu überprüfen. Ich möchte den Kollegen Kienscherf, der dankenswerterweise wieder im Raum ist, zitieren. Er sagte in der Bürgerschaftsdebatte am 27. April 2005 – ich zitiere –:

"Wir als Sozialdemokraten […] sind dafür, dass wir eine unabhängige Kommission gründen, eine Kommission, die diese Fälle staatsfern diskutiert."

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der FDP und bei Antje Möller GRÜNE)

Ich habe noch ein anderes Zitat von Ihnen in petto. In der öffentlichen Anhörung des Eingabenausschusses am 28. Februar 2005 haben Sie laut Wortprotokoll zu einem Redner der CDU gesagt – ich zitiere –:

"Das Thema Loyalität, das Sie vorhin angesprochen haben, dass ja eigentlich die Abgeordneten immer diese Loyalitätsprobleme haben oder sich unter Druck gesetzt fühlen, ihrem Senator zu folgen, das ist natürlich ein Argument. Da ging es auch um SPD-Zeiten, aber das ist jetzt nicht anders, dass man

(Antje Möller)

sich da abstimmt. Das ist nun wahrlich ein Argument dafür, dass man diese Fälle letztendlich in einer unabhängigen Härtefallkommission mit Externen, also Parlamentsexternen eher beraten sollte."

Das alles war gerade Ihr Zitat.

(Beifall bei der LINKEN und bei Katja Suding FDP)

Dass man sich als Abgeordneter einer Regierungsfraktion unter Druck gesetzt fühlt, dass man Loyalitätsprobleme hat, dass man sich abstimmt mit den Behörden, das ist in der Tat ein ausschlaggebendes Argument für eine wirklich unabhängige Härtefallkommission.

(Sören Schumacher SPD: Das waren nur Befürchtungen!)

Herr Kienscherf hat recht.

(Beifall bei der LINKEN – Dirk Kienscherf SPD: Damals!)

Natürlich gibt es Loyalitätsprobleme. Es wäre weltfremd, das zu bestreiten. Natürlich gibt es Absprachen zwischen Behörde und Regierungsfraktion, gibt es Druck, zumindest Nachdruck. Allein unter diesem Gesichtspunkt ist das Prinzip der Einstimmigkeit extrem problematisch. Natürlich spielen bei solchen Absprachen und Vorverständigungen politische Entscheidungen und Kriterien und nicht nur Humanität eine Rolle, um ein weiteres Argument des Kollegen Kienscherf aus der Bürgerschaftsdebatte vom 27. April 2005 zu bemühen. Sie haben sich wirklich entwickelt, aber nicht unbedingt gut, gut in meinem Sinne natürlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber es geht in der Härtefallkommission um Entscheidungen im Sinne der Humanität, und deshalb müssen unserer Meinung nach die Unabhängigkeit der Härtefallkommission hergestellt und das Prinzip der Einstimmigkeit aufgehoben werden.

(Beifall bei der LINKEN und bei Antje Möller GRÜNE – Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Wir würdigen – und da schließe ich mich dem an, was meine Vorrednerinnen zu dem Punkt gesagt haben –, dass der Senat einem Ersuchen immer stattgegeben hat. Das ist in anderen Bundesländern anders. Wir bestreiten nicht, dass es eine Reihe einvernehmlicher Entscheidungen gab und nicht selten Einmütigkeit herrscht; das ist gut. Auch ist klar – das will ich zugestehen –, dass es in dem einen oder anderen Fall Gründe für unterschiedliche Auffassungen und Bewertungen geben mag. Aber nach meiner Erfahrung gibt es eben auch die Fälle, in denen politische Erwägungen die humanitären überlagern und beiseite wischen. Und wer kümmert sich darum – da hat Frau Möller völlig recht –, welche Folgen ablehnende Entscheidun

gen dann für die Zukunft und das Leben der Betroffenen haben?

Deshalb plädieren wir noch einmal dringend für die Überweisung des Antrags, wie es sowieso für jeden Gesetzentwurf aus den Reihen des Parlaments völlig angemessen wäre. So viele Gesetzentwürfe aus dem Parlament haben wir nicht, dass wir sagen müssten, es werden zu viele; allein das rechtfertigt es schon. Wir wollen nichts übers Knie brechen oder auf die Schnelle umstürzen, sondern schauen, was sich bewährt hat und was nicht, was geändert werden muss und was nicht. Deshalb muss der FDP-Antrag in seinen Einzelheiten gründlich diskutiert werden, und das ist hier nicht möglich.

(Beifall bei der LINKEN und bei Antje Möller GRÜNE)

Die SPD sollte schon aus Gründen der Rechtschaffenheit zulassen, dass ihre eigenen seinerzeitigen Argumente für eine staatsferne, von der Gesellschaft getragene Härtefallkommission an der Praxis der real existierenden Härtefallkommission überprüft werden.

(Olaf Ohlsen CDU: Das hat sich bewährt!)

Wenn Sie das ablehnen, dann machen Sie sich meiner Meinung nach unglaubwürdig und demonstrieren, dass Sie Angst vor der Debatte haben.

(Beifall bei der LINKEN und bei Katja Suding FDP)

Das Wort bekommt Herr Ritter.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Erst einmal vielen Dank, dass zumindest die GRÜNEN und die LINKEN die Erfahrung so wiedergegeben haben, wie ich sie in der Härtefallkommission auch verspürt habe. Noch einmal zu dem, was Sie gesagt haben, Frau Möller: Es geht bei den Schicksalen, die wir diskutieren, tatsächlich um persönliche Härten. Es geht nicht um Ihre persönliche Härte, Herr Hamann.

Es gibt manchmal Situationen, in denen man an Bewährtem festhalten kann. Aber das ist hier natürlich überhaupt nicht belegt, das haben wir festgestellt. Das ist einfach eine Aussage, die man braucht, um zu sagen, es läuft doch irgendwie. Aber dass es irgendwie funktioniert, heißt zumindest für uns, dass es so lange funktioniert, bis man feststellt, die Entscheidungen könnten möglicherweise besser oder fundierter getroffen werden. Das könnte man nach einer Evaluation oder auch anhand der bisherigen Erfahrungen super im Ausschuss diskutieren. Meine beiden Kolleginnen und ich haben schon öfters gesagt: Warum nicht im Ausschuss diskutieren, vor was hat die SPD Angst? Es gibt sicherlich grundlegende Argumen

(Christiane Schneider)

te, Herr Schumacher, die dafür sprechen, dass Bewährtes, wie Sie es beschrieben haben, weiterhin funktioniert. Ich verstehe auch nicht ganz, dass Herr Hamann und Herr Schumacher eine ausschließlich quantitative Debatte führen nach dem Motto, das Ergebnis stimme doch und das passe schon irgendwie. Es geht doch vielmehr darum, eine qualitative Debatte zu führen und zu fragen, ob die Entscheidungen möglicherweise noch verbessert werden können angesichts der persönlichen Schicksale und des individuellen Leids, mit denen die Petenten zu uns kommen. Schade, dass wir nicht im Ausschuss darüber diskutieren können. Wir müssen dran bleiben.

Zum Abschluss möchte ich noch sagen, dass wir mit dem Antrag keinesfalls die Arbeit in der Härtefallkommission diskreditieren oder schlechtmachen wollen. Man muss aber darüber sprechen, ob man die Entscheidungen möglicherweise besser treffen kann.

(Beifall bei der FDP)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr, dann können wir zur Abstimmung kommen.

Wer zunächst einer Überweisung der Drucksachen 20/11133 und 20/11266 an den Innenausschuss zustimmt, den bitte um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das Überweisungsbegehren ist mit Mehrheit abgelehnt.

Dann lasse ich über die Anträge in der Sache abstimmen.

Wir beginnen mit dem Antrag der FDP-Fraktion aus der Drucksache 20/11133.

Wer diesen annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit abgelehnt.

Wer sich dann dem SPD-Antrag aus der Drucksache 20/11266 anschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit angenommen.

Wir kommen zu Punkt 4 und 64 der Tagesordnung, den Drucksachen 20/10521 und 20/11120, Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE: Situation von älteren Menschen mit Migrationshintergrund in Hamburg und Antrag der Fraktion DIE LINKE: Ein Leben im Alter in Würde auch älteren Migrantinnen und Migranten ermöglichen – Masterplan 2020 einführen.

[Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE: Situation von älteren Menschen mit Migrationshintergrund in Hamburg – Drs 20/10521 –]

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Ein Leben im Alter in Würde auch älteren Migrantinnen und Migranten ermöglichen – Masterplan 2020 einführen – Drs 20/11120 –]

Die Drucksache 20/10521 möchte die Fraktion DIE LINKE an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration überweisen.

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Frau Özdemir.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Hamburg ist die Hauptstadt der armen Rentnerinnen und Rentner – traurig, aber leider wahr. Über 18 000 Menschen in Hamburg sind im Alter auf Grundsicherung angewiesen. Und wenn wir uns einmal die Zahlen anschauen, dann sehen wir von 2006 bis 2010 eine Steigerung um 22 Prozent. Noch beunruhigender aber ist, dass die tatsächliche Armutsquote von älteren Menschen einer Studie zufolge erheblich höher sein soll als die tatsächliche Inanspruchnahme. Die Hauptursache für Altersarmut sind niedrige Einkommen, Phasen der Arbeitslosigkeit, aber auch Wandel der Erwerbsbiografien, die schwache Lohnentwicklung und die Veränderung der Rentenformel. All das sind negative Einflussfaktoren, die zur Steigerung der Altersarmut beitragen.

Stark betroffen von Altersarmut sind vor allem ältere Menschen mit Migrationshintergrund; das zeigen die Antworten des Senats auf unsere Große Anfrage zur Situation von älteren Menschen mit Migrationshintergrund in Hamburg. Menschen mit Migrationshintergrund in der Altersklasse ab 55 Jahren sind dreimal so häufig von Armut betroffen wie ältere Menschen, die keinen Migrationshintergrund haben. Dazu noch einmal die Zahlen: Ohne Migrationshintergrund sind rund 10 Prozent betroffen und mit Migrationshintergrund 30 Prozent. Diese Zahlen zeigen deutlich, wie groß das Problem ist. Leider ist es so, dass, obwohl viele der betroffenen Migrantinnen und Migranten seit vielen Jahren, oft schon seit über einer Generation, also seit über 25 Jahren in Deutschland leben und gearbeitet haben, hier also auch viel geleistet haben, von ihrer Rente einfach nicht mehr leben können.

Laut Senatsantwort werden im Jahr 2030 fast jeder dritte Hamburger und jede dritte Hamburgerin 60 Jahre und älter sein. Zwischen den Jahren 2005 und 2025 ist eine Verdoppelung der über 55-jährigen Bevölkerung mit Migrationshintergrund zu erwarten. Die Menschen entscheiden sich, in Deutschland zu bleiben und nicht in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Wir können an den Zahlen sehen, dass das in den nächsten Jahren eine Herausforderung sein wird. Der Senat ignoriert das Problem aber ein bisschen.

(Finn-Ole Ritter)

Ich möchte einmal anfangen mit Ihrem Demografie-Konzept 2030. Da schreiben Sie – ich zitiere –: