Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir als GRÜNE Fraktion werden uns bei dem FDP-Antrag enthalten. Ich werde Ihnen gern sagen warum. Nach den Redebeiträgen, auch von Frau von Treuenfels, aber auch nachdem mir klar geworden ist, aus welchem Grund die SPD diesem Antrag zustimmen wird, werden unsere Bedenken umso deutlicher bezüglich der dringenden Notwendigkeit einer sehr differenzierten Betrachtung des Themas Salafismus, und diesen Bedenken wollen wir noch einmal Ausdruck verleihen.
Es ist nicht hilfreich, wenn Sie den gewaltbereiten Salafismus, die Gewalttaten, die durch Salafisten weltweit, aber auch bei uns stattfinden, in einen Topf werfen mit dem, was unter Jugendlichen in dieser Stadt und anderswo vor sich geht. Wir haben uns schon 2012 mit diesem Thema öffentlich befasst. "Die Zeit" hat damals gesagt, der Salafismus unter den Jugendlichen sei eine maximale Protesthaltung. Der Verfassungsschutz selbst sagt in einer ausführlichen Stellungnahme durch den renommierten Islamwissenschaftler, der dort arbeitet, dass der Salafismus unter Jugendlichen ein Beleg dafür sei, dass sie sich aus allem, was sie von zu Hause mitbekommen haben, lösen. Es sei also ein Extremismus, der unter Jugendlichen genau das bedeutet, was anderer politischer Extremismus auch unter Jugendlichen bedeutet. Sie lösen sich von den Traditionen des Elternhauses, sie gehen mit sehr viel Rationalität in die Religiosität und sind interessanterweise dabei offen gegenüber denen, die sich den Anforderungen dieser Ideologie unterwerfen. Das ist schlicht und einfach zusammengefasst in dem Stichwort – ich wiederhole es noch einmal – maximale Protesthaltung.
Deswegen gibt es unseren Antrag. Wir sagen, es muss erst einmal erkannt werden, welche Jugendlichen und welche Bevölkerungsgruppen eigentlich dafür anfällig sind und welche Biografien diese jugendlichen Salafisten haben. Das ist nichts weiter als die Forderung, die im Übrigen auch beim Landesamt für Verfassungsschutz gestellt wird, dass nämlich jegliche empirische Sozialforschung auf diesem Feld fehlt. Schlicht und einfach zu sagen, wir brauchen ein Aktionsprogramm, reicht nicht aus. Wir brauchen diese wissenschaftliche Begleitung, um zu einer detaillierten Lagebestimmung in Hamburg zu kommen. Sie fehlt dem Landesamt für Verfassungsschutz, sie fehlt auch den Schulen.
Herr Holster hat beschrieben, welche Maßnahmen in den Schulen begonnen werden. Sie sind alle gut und richtig. Aber auch dort ist sehr strittig und empirisch nicht erfasst, welche Biografien diese Jugendlichen haben, wo sie herkommen und was man sozialpolitisch eigentlich tun muss. Das ist im Übrigen auch das Problem, das die Moscheengemeinden, die islamischen Verbände und die Aleviten haben. Es sind ihre eigenen Jugendlichen, die ihnen in den Salafismus, den Extremismus abgleiten. Deswegen ist es wichtig, hier gemeinsam zu arbeiten. Aus unserer Sicht ist es aber vor allem wichtig, sich erst einmal genau mit dem Phänomen und mit den Biografien der Jugendlichen auseinanderzusetzen. Deswegen gibt es diese Ergänzung. Wir hätten uns gefreut, wenn sie auf Zustimmung gestoßen wäre. Das tut sie nicht, und deshalb enthalten wir uns bei dem FDP-Antrag.
Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Ich sage Ihnen, wie ich anfangen wollte. Ich wollte eigentlich sagen, dass wir den Antrag der FDP-Fraktion unterstützen mit dem Zusatzantrag der GRÜNEN, der ihn unserer Meinung nach in einem wichtigen Punkt verbessert. Ich bin aber nach Ihrer Rede schwankend geworden. Der Antrag ist meiner Meinung nach deutlich besser als Ihre Begründungsrede, aber er zeigt natürlich auch, dass die Intention, die ich in dem Antrag gelesen habe, offensichtlich gar nicht die Intention ist, die Sie verfolgen. Insofern revidieren wir unsere Entscheidung, dass wir eigentlich zustimmen wollten, und werden uns ebenfalls enthalten. Ich werde aber etwas zum Thema selbst sagen.
Auch wenn die Zahl bekannter Salafisten und der Anteil der Gewaltbereiten unter ihnen absolut gesehen noch relativ klein ist, gibt die Entwicklung unter vielen Gesichtspunkten Anlass zur Sorge. Vor allem, wenn wir damit konfrontiert sind, dass junge Menschen ernstlich mit dem Gedanken spielen oder ihn vielleicht sogar schon umgesetzt haben, in den Krieg nach Syrien zu ziehen, um an den Morden teilzunehmen und bei den Morden verheizt zu werden. Das müssen wir ihnen und ihren potenziellen Opfern ersparen.
Die erste Anforderung, die sich stellt, ist zu verstehen, woraus der Salafismus seine Anziehungskraft bezieht. Im FDP-Antrag ist zu Recht von Identitätssuche und Diskriminierungserfahrung die Rede. In Ihrem Redebeitrag war das nicht mehr der Fall.
Der Salafismus scheint eine Möglichkeit zu bieten, gegen gefühlte und erfahrene Ohnmacht, gegen Zurückweisung und Diskriminierung zu protestieren und sich für eine vermeintlich gerechte Sache einsetzen zu können. Orientierung, Gemeinschaft, Anerkennung, Überlegenheit, Protest und Provokation, all das bietet der religiöse Fundamentalismus an und trifft damit die Bedürfnislage von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, vornehmlich männlichen. Dabei vermittelt er ein Weltbild, das nur Weiß und Schwarz, Richtig und Falsch, Gut und Böse kennt. Das begünstigt die Haltung maximaler Abgrenzung, eine Haltung, die durch Frontalangriffe und beständige Vorhaltungen eher bestärkt als untergraben wird.
Deswegen wollten wir eigentlich auch den Ansatz des Antrags unterstützen, ein Abgleiten in die Salafisten-Szene zu verhindern beziehungsweise einen Ausstieg anzubieten, weil wir diesen Ansatz für den richtigen halten. Aber wie gesagt, mir sind starke Zweifel gekommen, ob das Ihr Ansatz ist. Populistische Panikmache – und die fand ich ansatzweise gegeben – lenkt nur Wasser auf die Mühlen.
Beratungsangebote, der Aufbau eines Netzwerks, gestützt auf vielfältige zivilgesellschaftliche Akteure, ist deshalb sehr wichtig.
Etwas fehlt allerdings in dem Antrag, man kann es sich aber in den Zusatzantrag der GRÜNEN hineindenken. Deshalb haben wir auch keinen eigenen Zusatzantrag gestellt, weil wir unser Anliegen im Antrag der GRÜNEN aufgehoben sehen. In benachteiligten Stadtteilen wie Wilhelmsburg und Mümmelmannsberg mangelt es an ausreichenden Angeboten für Jugendliche, sich zu treffen, gemeinsamen Interessen nachzugehen, die eigenen Fähigkeiten und Kräfte kennenzulernen und zu entwickeln. Fundamentalistische Verführer dürfen möglichst gar nicht erst die Gelegenheit haben, sich langweilende, herumlungernde, sinnsuchende Jugendliche anzusprechen. Zu den Maßnahmen zur Bekämpfung des Salafismus beziehungsweise des religiösen Extremismus müssen deshalb die Überprüfung und die Bereitstellung ausreichender und geeigneter Angebote, vor allem der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, gehören.
Insgesamt ist es richtig, auf die Problematik des religiösen Fundamentalismus insbesondere bei Jugendlichen besonnen und umsichtig zu reagieren. Dabei ist die Gefahr natürlich ernst zu nehmen. In einem Papier des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung werden die Konfliktlagen beschrieben, die auf verstärkte Aktivitäten religiöser Fundamentalisten zurückgehen. Das patriarchale und antiliberale Islam- und Weltverständnis des
Salafismus führt dazu, dass junge Mädchen und Frauen diskriminiert werden, dass der Druck auf sie, sich den Vorstellungen dieses Weltbildes zu unterwerfen, zunimmt. Es erschwert und behindert das interkulturelle Zusammenleben.
Hinzu kommt, dass Lehrerinnen und Lehrer oft nicht ausreichend auf die neuen Konfliktlagen vorbereitet sind, dass sie sich häufig provozieren lassen oder überreagieren, dass sie überstrapaziert sind, dass sie zu resignieren drohen, weil sie mit den Jugendlichen nicht fertig werden. All das kommt vor und trägt nicht dazu bei, die Konflikte nachhaltig anzugehen und zu entschärfen. Das LI schlägt dann auch Handlungsansätze vor, nicht nur für die Auseinandersetzung mit dieser Variante des religiösen Extremismus, sondern Handlungsansätze vor allem zur praktischen Gestaltung eines positiven Zusammenlebens. Es gibt also schon Einiges, auf das man sich wirklich stützen kann.
Das Signal, das eigentlich ausgehen sollte von dieser Debatte an die Gesellschaft, ist, dass wir die Gefahr ernst nehmen, aber nicht hysterisch reagieren. Wir müssen den religiösen Extremismus eindämmen durch Aufklärung, durch Beratung, durch Unterstützung, durch Hilfen beim Ausstieg und Ausstiegsperspektiven. – Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion hat mit ihrem Antrag zu gewaltbereitem Salafismus und religiösem Extremismus ein Thema aufgegriffen, mit dem sich zurzeit mehrere Behörden und Ämter dieser Stadt bereits seit einiger Zeit intensiv auseinandersetzen. Es ist positiv zu bewerten, dass mit der im Antrag enthaltenen Analyse der FDP der Ausgangslage und den konzeptionellen Vorstellungen unserer Ideen ganz genau Rechnung getragen wird. Sie laufen sozusagen beim Senat offene Türen ein.
Die Sozialbehörde erarbeitet derzeit in enger Abstimmung mit der Schul- und der Innenbehörde ein Konzept für eine Beratungsstruktur zur Prävention von extremistisch motiviertem Islamismus und zur Deradikalisierung. Wir haben für unsere konzeptionellen Überlegungen dabei den Sachverstand anderer Akteure in der Stadt einbezogen und uns sorgfältig hierzu beraten. So hat es mehrere Gespräche mit den muslimischen Verbänden und der Alevitischen Gemeinde gegeben, in denen wir die Lage gemeinsam und auch einvernehmlich erörtert haben. Dabei haben wir verabredet, das Thema sensibel und diskret zu behandeln, und ich wün
sche mir, dass wir das auch weiter so halten in der heutigen Debatte. Herr Holster hat vorhin aus dem Verfassungsschutzbericht zitiert; die mit uns vertragschließenden Parteien, die Alevitische Gemeinde und die muslimischen Verbände, haben nämlich ausdrücklich kein Interesse, in einen Topf geworfen zu werden mit radikalen Salafisten,
Die Erfahrungen der letzten Wochen und Monate zeigen nämlich, dass aufgeregte öffentliche Debatten leider dazu führen können, dass der nötige differenzierende Blick verloren geht und die Muslime und Aleviten allzu oft allesamt als radikale Islamisten diskreditiert und öffentlich unter Generalverdacht gestellt werden; das soll ausdrücklich nicht passieren.
Dem stellt sich der Senat also ausdrücklich entgegen, er möchte solche generellen Verdächtigungen und Ressentiments verhindern. Sie sind abträglich für das gemeinsame Zusammenleben und Gestalten in unserer Stadt. Sie widersprechen auch in grober Weise dem Geist der Verträge, die die Stadt mit den muslimischen Verbänden und der Alevitischen Gemeinde geschlossen hat.
Neben den sehr guten Gesprächen mit den muslimischen und alevitischen Verbänden hat es Austausch und Beratungen zwischen den betroffenen Behörden, Bezirksämtern, den Trägern der Jugendhilfe und dem Bremer Beratungsangebot "kitab" gegeben. "kitab" bietet im Rahmen des BAMFProgramms noch bis Ende 2014 Beratung für Eltern, Angehörige und Betroffene in ganz Norddeutschland, Ausstiegsberatung oder Hilfe beim Ausstieg vom Einstieg und hat viel Erfahrung mit dem Handlungsfeld der Deradikalisierung. Gespräche gibt es auch mit anderen Bundesländern sowie mit dem Bund, denn das zuständige Bundesministerium plant derzeit die Neuausgestaltung seines Programms "Initiative Demokratie Stärken". Die Prävention im Bereich extremistisch motivierten Islamismus wird hier ein Förderschwerpunkt sein.
Meine Damen und Herren! Die Gespräche zwischen den Behörden und mit unseren Partnern werden in den nächsten Tagen intensiv fortgesetzt. Ziel ist es, ein gemeinsam abgestimmtes Konzept und konkrete Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Dies soll zügig, aber ohne Zeitdruck und mit der notwendigen Sorgfalt geschehen. Deshalb kann der Senat dem Antrag der FDP grundsätzlich
folgen. Festlegungen fachlicher Details sollten jedoch in den erwähnten Gesprächen getroffen werden, die wir voraussichtlich im Laufe des Jahres, bis zum 3. Quartal 2014, hoffentlich zum Abschluss bringen werden. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ein letztes Wort von uns. Ich bedanke mich bei allen, die zustimmen, denn das ist wirklich ein wichtiges Thema. Ich denke vor allen Dingen, dass wir das nicht hinauszögern sollten, denn nichts anderes würde es bedeuten, wenn wir jetzt noch weiter wissenschaftliche Untersuchungen machen müssten, hin und her und rauf und runter; das würde alles zu lange dauern. Die, denen wir eigentlich helfen wollen, die wir schützen wollen, brauchen das jetzt und nicht später.
Vielleicht lesen Sie einfach die Rede nach, da habe ich all das erwähnt, was Sie gern vermissen oder vermissen wollten.
Ich will mich gar nicht weiter rechtfertigen, denn ich glaube, ich habe allen klargemacht, worum es uns wirklich geht. Wir stimmen übrigens über Anträge ab und nicht über Reden, das nur am Rande. Ich freue mich über alle, die zustimmen, ich finde es wunderbar und auf geht’s, wir werden das jetzt vervollständigen. – Vielen Dank.
Noch einmal wegen der Klarheit: Es geht nicht darum, eine Zeitverlängerung oder eine Zeitverzögerung zu bekommen.