Protokoll der Sitzung vom 04.06.2014

Dadurch sollen die Schülerinnen und Schüler die Schulen mit realistischen Ausbildungszielen verlassen. Das ist nötig, aber zu wenig. Wenn die Handwerkskammer meldet, dass zwar wieder mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen werden, aber trotzdem viele Bäcker oder Gebäudereiniger keinen Lehrling finden, und sagt, dass eben doch viele Stellen unbesetzt bleiben, wenn es sogar, wie gestern, Azubi-Speed-Datings gibt, und all das, obwohl zahlreiche Hamburger Betriebe ihre Anforderungen heruntergeschraubt haben, dann stimmt doch etwas nicht. Wenn es für viele Ausbildungsstellen keine Lehrlinge gibt, dann hat das auch noch andere Gründe. Die aktuelle Umfrage der Handelskammer nennt als Grund Nummer 1 die mangelnde Ausbildungsreife der Bewerber. Sprechen Sie mit den Meistern: Fehlende Disziplin und fehlende Motivation oder ungenügende Umgangsformen und Unzuverlässigkeit sind leider nach wie vor wichtige Gründe, eine Lehrstelle nicht zu bekommen. In Ihrem Konzept allerdings findet sich dazu kein Wort. Warum wird nicht auch die Vermittlung solcher Sekundärtugenden mit in das Konzept aufgenommen? Wenn Eltern und das soziale Umfeld die Jugendlichen hier allein lassen, dann sollte es doch die Schule nicht auch noch tun.

Also, liebe SPD: mehr Konzentration auf die wirklich Hilfebedürftigen in der Jugendberufsagentur und bei der Berufsorientierung auch die Sekundärtugenden bedenken. Wenn Sie das machen – das sind nur zwei Beispiele –, dann gelingt es Ihnen vielleicht, das Wahlversprechen von Olaf Scholz auch wirklich einzulösen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Dr. von Berg von der Fraktion die GRÜNEN bekommt das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Meine Kollegin Frau Föcking hat die Historie schon ein wenig ausgeführt. Ich will das noch erweitern um die Berufsund Studienorientierung und den Übergang Schule/Beruf, denn zur Historie gehört, dass der Übergang Schule/Beruf unter Schwarz-Grün auf solide Füße gesellt wurde und der SPD-geführte Senat das letztlich nur noch umsetzen musste. Ich finde, das sollte auch genannt werden.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Umgesetzt ha- ben Sie ja nicht so viel! – Jens-Peter Schwieger SPD: Mit dem Umsetzen haben Sie ja immer Probleme!)

Die Jugendberufsagentur ist vom Konzept her eine sinnvolle Sache, da sind wir uns alle einig. Wir haben dem zugestimmt und sind auch der Auffassung, dass die Jugendberufsagentur ein bisschen Zeit benötigt, um darauf schauen zu können, ob es auch wirklich läuft und das Konzept greift, wie es einmal angedacht wurde. Von daher halten wir uns mit unserer Kritik, was die Wirksamkeit anbelangt, ein wenig zurück. Allerdings äußern wir deutlich Kritik an der Finanzierung und Ausstattung der Jugendberufsagenturen, was die Stellen betrifft, denn die SPD hat an ganz wichtigen Bereichen in unserer Stadt Stellen abgezogen, um die Jugendberufsagentur auszustatten. Das kritisieren wir aufs Allerschärfste.

(Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Andreas Dressel SPD: Was wäre denn Ihre Finanzie- rung gewesen?)

So hat der Senat zum Beispiel Stellen aus den Allgemeinen Sozialen Diensten, der Kinder- und Jugendhilfe, der Straßensozialarbeit und bei den sozialpädagogischen Fachkräften abgezogen, insgesamt 14 Stellen. Altona hat ganz aktuell einen Antrag in der Bezirksversammlung laufen, übrigens SPD und GRÜNE gemeinsam,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Die haben das gemeinsam beschlossen?)

um diese Stellenkürzung zurückzunehmen. Hier muss die SPD doch selber sehen, was sie da eigentlich angerichtet hat in der Stadt und den Bezirken.

(Dr. Friederike Föcking)

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Gleiche trifft auch für die Berufs- und Studienorientierung zu. Unter Schwarz-Grün waren 120 zusätzliche Stellen für die Stadtteilschulen versprochen und in der berühmten Drucksache auch sozusagen eingepreist,

(Jens-Peter Schwieger SPD: Schade, dass Sie die Koalition beendet haben!)

davon übrig geblieben und an den Stadtteilschulen angekommen sind 28. 92 Stellen sind weg, meine Damen und Herren, und das kritisieren wir stark.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Denn Berufs- und Studienorientierung und die Jugendberufsagentur muss man als Paket sehen. Die Jugendberufsagentur kann nur dann wirklich erfolgreich handeln, wenn vorweg die Berufs- und Studienorientierung gut gelaufen ist. So ist sie nur eine zusätzliche Aufgabe für die Stadtteilschulen, die eh schon sehr belastet sind mit der Umsetzung der Inklusion. Das sollen sie nun auch noch machen und dann noch mit weniger Stellen. So funktioniert es nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Unser Fazit bleibt erst einmal: Wir stimmen noch nicht in die Lobeshymnen ein, wie sie gerade von der SPD angestimmt wurden. Wir sehen im Moment, dass der Preis an anderer Stelle viel zu hoch ist, und werden abwarten, ob die Jugendberufsagentur wirklich das einlöst, was sie eigentlich einmal versprochen hat. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort bekommt Herr Dr. Kluth von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Schwieger, offen gestanden habe ich nach Ihrem Beitrag noch einmal in die Geschäftsordnung geschaut. Nach Paragraf 22 heißt der Tagesordnungspunkt wirklich Aktuelle Stunde, er heißt nicht Abgabe von Ergebenheitsadressen der SPD-Fraktion an den SPD-Senat.

(Beifall bei der FDP, den GRÜNEN und bei Dietrich Wersich CDU und Dora Heyenn DIE LINKE)

Ich finde, wir sollten in der Aktuellen Stunde besser über aktuelle Probleme diskutieren, und davon war in Ihrem Beitrag wirklich wenig zu merken.

(Beifall bei der FDP, den GRÜNEN und bei Dietrich Wersich CDU)

Lassen Sie uns also in Sachen Ausbildungsmarkt zu den Fakten kommen. Es gibt dafür eine sehr unverdächtige und neutrale Quelle, nämlich das Bundesinstitut für Berufsbildung, das BIBB. Das

BIBB beschreibt in seinem aktuellen Ausbildungsmarktbericht 2013 eine interessante, vor allen Dingen aber besorgniserregende Entwicklung, auch und gerade für Hamburg, und diese Entwicklung sieht wie folgt aus: Bundesweit sanken 2013 das Ausbildungsplatzangebot, die Ausbildungsplatznachfrage und die neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge, und zwar etwa im gleichen Verhältnis. In Hamburg haben wir dabei mit einer gestiegenen Ausbildungsplatznachfrage eine gewisse Sonderentwicklung. Trotz dieser parallelen Entwicklung von Angebot und Nachfrage gibt es aber zwei bemerkenswerte Phänomene.

Erstens: Ein immer höherer Anteil von betrieblichen Ausbildungsplätzen bleibt unbesetzt. Das ist schlecht für die Wirtschaft, insbesondere für Handwerksbetriebe und mittelständische Unternehmen. Zweitens: Immer mehr Ausbildungsplatzsuchende bleiben bei ihrer Ausbildungsplatzsuche erfolglos. Das ist – ich finde es fast noch schlimmer – dramatisch für die betroffenen Jugendlichen.

Arbeitsmarktforscher nennen diese wachsende Diskrepanz zwischen unbesetzten Lehrstellen einerseits und ausbildungsplatzsuchenden Jugendlichen andererseits ein Passungsproblem. Sie messen es mit einer Passungsquote, die das Verhältnis der unbesetzten Ausbildungsstellen zu den ausbildungsplatzsuchenden Jugendlichen beschreibt. Da ist es schon dramatisch, was der Ausbildungsreport des BIBB 2013 für Hamburg ermittelt hat. Erstens hat sich die Passungsquote in Hamburg zwischen 2009 und 2013 dramatisch erhöht, nämlich von 21,6 auf 183,8 – das ist eine Verneunfachung, eine extreme Verschlechterung – und zweitens belegt Hamburg mit dieser schlechten Quote von 183,8 mit weitem Abstand den negativen Spitzenplatz, gefolgt von Brandenburg mit 118, Mecklenburg-Vorpommern mit 117 und Hessen mit 109.

Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, Ihr Senat regiert nun nicht erst seit gestern, sondern seit dreieinhalb Jahren. Das bedeutet, niemand anders als Sie sind für diese im bundesweiten Vergleich bestehende negative Sonderentwicklung Hamburgs verantwortlich. Sie tragen gegenüber den Unternehmen die politische Verantwortung für nicht besetzte Ausbildungsplätze und gegenüber den Jugendlichen für eine gute Ausbildung. Die Jugendberufsagenturen und eine stärkere Berufsorientierung in den Schulen sind nach unserer Auffassung Schritte in eine richtige Richtung. Die FDP, das will ich an dieser Stelle sagen, unterstützt dies daher ausdrücklich. Aber diese Schritte kamen offensichtlich zu langsam, zu zögerlich und bisher ohne den notwendigen Erfolg. Und daher, Herr Schwieger, besteht auch kein Anlass zur Selbstbeweihräucherung.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

(Dr. Stefanie von Berg)

Lassen Sie mich noch ein Wort zu den ewig Gestrigen von der LINKEN sagen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Bisher war es gut!)

Frau Heyenn, ich habe Ihren Antrag und Ihre Presseerklärung aus der vergangenen Woche gelesen. Das ist doch etwas hilflos. Jetzt kommen Sie erneut mit Ihrem Zombie von der Ausbildungsabgabe um die Ecke gebogen.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Den Zombie hat die SPD gerade wiederbelebt!)

Dabei weiß doch inzwischen der Letzte – und, Frau Sudmann, ich sage ausdrücklich auch die Letzte –, dass durch eine Ausbildungsplatzabgabe keine Ausbildungsplätze geschaffen, sondern verhindert werden, und dass wir zurzeit sogar viele unbesetzte Ausbildungsplätze haben. Regulierung und Abkassieren löst nicht die Probleme des Ausbildungsmarktes, damit schaden Sie Jugendlichen, die einen Arbeitsplatz suchen, und ebenso den ausbildungsbereiten Betrieben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Von der Fraktion DIE LINKE hat jetzt Frau Heyenn das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kluth, ich muss sagen, die FDP hat nichts dazugelernt.

(Beifall bei der LINKEN)

Zunächst einmal ein herzliches Dankeschön an die SPD, dass Sie unserem Debattenthema durch die Anmeldung in der Aktuellen Stunde so eine hohe Aufmerksamkeit verliehen haben. Das ist sehr nett von Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Schwieger, Sie haben große Worte in den Mund genommen, man kann sogar sagen, Sie haben gejubelt und wiederum große Vorhaben angekündigt, aber allein, es fehlt an der Umsetzung. Wir waren wirklich gutwillig und haben diesem neuen Übergangssystem zugestimmt, aber wir müssen feststellen, dass das, was angekündigt wurde, nicht einmal ansatzweise umgesetzt wird. Nun hat die SPD auf unsere Pressekonferenz prompt reagiert und schreibt, Hamburgs Jugendliche bräuchten keine populistischen Forderungen. Da kann ich Ihnen nur sagen, der Schuss geht nach hinten los. Wir haben in unserem Antrag "Ausbildungsgarantie jetzt!" wortwörtlich Forderungen aus dem SPDWahlprogramm von 2011 übernommen. Wenn das populistische Forderungen sind,

(Dirk Kienscherf SPD: Nee, nee, das ande- re! Sie wissen ganz genau, was Sie da dazu getextet haben!)

dann ist die Sozialdemokratie in Hamburg populistisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Die SPD-Bürgerschaftsfraktion hat die Kritik der LINKEN am Ausbildungsmarkt in Hamburg scharf zurückgewiesen und behauptet, die LINKE verzerre die Realität. Unsere Zahlen stützen sich aber hauptsächlich auf die Schulabgängerbefragung, und die wird von der Schulbehörde herausgegeben. Die Schulabgängerbefragung von 2011 sagt: Von den Jugendlichen mit Hauptschulabschluss haben nach Klasse 9 nur 16 Prozent einen Ausbildungsplatz bekommen und nach Klasse 10 nur 21 Prozent; von den Jugendlichen mit Realschulabschluss verfügten nur 36 Prozent über einen Ausbildungsplatz.

Die Schulabgängerbefragung der Schulbehörde von 2012 sagt: Nur 25 Prozent der Schulabgängerinnen und Schulabgänger aus den Klassen 9 und 10 haben insgesamt einen Ausbildungsplatz gefunden, nur 17 Prozent einen betrieblichen Ausbildungsplatz, und 63 Prozent der Jugendlichen wurden in Warteschleifen versorgt, was wir eigentlich abschaffen wollten.

Die Schulabgängerbefragung der Schulbehörde von 2013 sagt: Nur 39 Prozent der Schulabgängerinnen und Schulabgänger haben einen Ausbildungsplatz gefunden, wobei die scheinbare Verbesserung gegenüber dem Vorjahr auf einem einmaligen Effekt beruhte, der gerne verschwiegen wird: Im Schuljahr 2012/2013 gab es nur Schulabgänger und Schulabgängerinnen aus den zehnten Klassen und im Jahr davor noch aus den Klassen 9 und 10, also aus zwei Jahrgängen.